Bergrennen für historische Fahrzeuge haben einen eklatanten Nachteil: egal wie alt das Fortbewegungsmittel ist, die Umgebung ist immer die des 21. Jahrhunderts. Bezogen auf die Rennpiste heisst das fast immer: guter Ausbau, moderne Streckensicherung und glatter Asphalt vom Start bis zum Ziel. Das mag seinen Zweck als volkstümliches Vorkriegs-Spektakel sicher erfüllen. Der Atmosphäre der Dreissigerjahre entspricht dabei aber höchstens das akustische Erlebnis. Der fahrerische Eindruck ist auf der perfekten Piste nämlich allerhöchstens eine vage Annäherung.
Das sah man auch 1995 im Kanton Graubünden so, als von 22. bis 24. September die erste "Oldtimer-Berg-Trophy Davos-Schatzalp" ausgetragen wurde. Wenngleich damals die dichte an historischen Bergrennen noch nicht allzu gross war. Nach dem Klausenrennen-Memorial im August 1993 war der Anlass im Schatten des Schiahorns nämlich erst der zweite dieser Art und hatte noch nicht einmal ein historisches Vorbild. Anders als auf dem zwischenzeitlich asphaltierten Klausenpass präsentierten sich hier die Streckenbedingungen aber noch ganz wie zu Grossvaters Zeiten.
Anstatt über eine befestigte, warnbeschilderte und leitbeplankte Passstrasse bretterten die Rennwagen in Davos einen besseren Wanderweg zur Schatzalp hinauf, der sich über 3,6 Kilometer knapp 300 Meter in die Höhe wand. Wer von der schmalen Schotterpiste abkam, konnte schnell selbst zu Geröll werden. Denn ausser ein paar Strohballen begrenzte nur Mutter Natur die Strecke und bremste die Rennwagen ein, sollten sie den vorgegebenen Pfad einmal verlassen.
Als ob die Rennstrecke alleine nicht schon herausfordernd genug gewesen wäre, gaben die Veranstalter obendrein noch eine Zeit von 3:51 Minuten vor, die es möglichst genau zu erreichen galt. Wer ohne Abweichung die Ziellinie überqueren wollte musste also mit einem Schnitt von 49,9 km/h durch den Wald bolzen. Mehr war einfach nicht möglich gewesen. Nicht, weil es nicht schneller gegangen wäre. Aber bei glatten 50 km/h hätten alle Teilnehmer eine FIA-Rennlizenz vorweisen müssen. Und das hätte das Feld von rund 90 Autos, Motorrädern und Gespannen doch ein wenig ausgedünnt.
Weil trotzdem ein paar Fahrer die Vorgabe teils ordentlich unterboten, gab's eine Rüge von der FIA – und im Jahr darauf Strafpunkte nicht nur für das Überschreiten, sondern auch für das Unterschreiten der Zeit. An zwei Tagen wurden in 13 Klassen vier Läufe gefahren, von denen die drei besten gewertet wurden. Mit einer Gesamtzeit von 11:28,80 Minuten lag der Züricher Fotograf Jost Wildbolz im ERA R 9 B von 1936 am Ende nur eineinhalb Sekunden vor Carlo Vögele im Alfa Romeo 8C 3000 Monza.
Dass das wertvolle Renngerät dabei nicht frei von Schmutz an schlecht zu reinigenden Stellen bleiben würde, war abzusehen. Wer die Radspeichen seines Schnauferls jeden Abend mit dem Wattestäbchen abstaubt, hatte sich sowieso von vornherein ferngehalten. Ein paar Übermütige mussten im Anschluss neben einer Komplettreinigung obendrein eingedrückte Kotflügel oder ein geknicktes Chassis richten. Organisator Bernhard Brägger: "Es wird nie eine Massenveranstaltung werden, sondern ein Anlass für Sportfahrer, die sich und ihren betagten Autos und Motorrädern noch etwas zumuten."
Auch 5000 Zuschauer wollten sich diese kollektive "Zumutung" nicht entgehen lassen. Der Davoser Kurdirektor Bruno Gerber setzte sich ungeniert hinter das Steuer eines Bugatti Typ 49 von 1929 und wagte den Selbstversuch. "Aus der Perspektive Davos' begrüssen wir diesen Anlass.", lautete sein angesichts dieses Arbeitsumfelds nachvollziehbarer Kommentar. Im Jahr darauf fand mit Björn Waldegaard sogar internationale Motorsport-Prominenz ins Fahrerfeld, wenn auch nur zu Demoläufen in einem Ford RS 200.
Doch aus dem ursprünglichen Plan, die Vorkriegsrenner im Zweijahresturnus – Fahrer wie Autos bräuchten eine "Verschnaufpause" – auf den Schotter zu schicken, wurde nichts. Dabei hatte sich die Automobil-Revue noch erstaunt darüber gezeigt, wie ruhig und diszipliniert die Oldtimer-Berg-Trophy abgelaufen ist, und nannte die immer wiederkehrenden Massen grölender Eishockeyfans als Gegenbeispiel. Trotzdem blieb die 1996er-Ausgabe das bislang letzte Bergrennen Davos-Schatzalp.
Die NASCAR hat 2021 tonnenweise Sand auf das Asphaltoval des Bristol Motor Speedway gekippt, um die Zeit der alten "Dirt Tracks" wieder auferstehen zu lassen. In Davos wäre das gar nicht nötig. Die einstige "Rennstrecke" ist bis heute nicht asphaltiert...
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