Das Autodrome de Linas-Montlhéry ist zweifellos ein Motorsport-Monument. Der Kurs liegt 25 Kilometer südlich von Paris und war zwischen 1924 und 2005 Austragungsort unzähliger Rennen. Damals, beim Bau der Anlage 1924, wurden Autorennen grösstenteils noch auf öffentlichen Strassen ausgetragen. Der Bau der Strecke diente nicht nur dem Rennsport, sondern auch den in der Region sesshaften Autoherstellern, die die Piste fortan als Testgelände nutzen konnten.
Das Aussergewöhnliche an der Strecke sind die beiden riesigen Steilwandkurven mit 500 Meter Durchmesser. Verbunden durch zwei 180 Meter lange Geraden bildeten sie den ursprünglichen Kurs von 2548 Metern Länge, auf dem Durchschnittsgeschwindigkeiten von bis zu 220 km/h möglich waren. Allerdings war die Strecke sehr gefährlich, hatten die Kurven doch keine Absperrungen im oberen Bereich.
Schnell zu schnell
Schnell zeigte sich, dass die Geschwindigkeiten im Oval bei den Grand-Prix-Rennen zu hoch wurden. Deshalb wurden schon nach kurzer Zeit verschiedene Schikanen in die Strecke eingebaut. Heute wird auf einem 3,4 Kilometer langen Kurs gefahren. Es ist nur die Ostkurve ins Layout einbezogen, während die holprigere Westkurve einzig bei Demofahrten der ältesten Fahrzeuge befahren wird.
Für Fahrzeuge bis 1939
Das "Montlhéry Vintage Revival" ist die wohl grösste Veranstaltung, welche sich ausschliesslich den Vorkriegsfahrzeugen widmet. Diese Epoche zeichnet sich durch eine unglaubliche Markenvielfalt aus. Fabrikate wie Frazer-Nash, Lorraine-Dietrich, Luxior, Sarolea oder Gnome & Rhone sind heute nur noch Fachleuten ein Begriff. Beim Montlhéry Vintage Revival am 7. und 8. Mai blitzen die glanzvollen Zeiten dieser und vieler anderer Marken für ein Wochenende wieder auf. Insgesamt waren fast 500 Fahrzeuge während zwei Tagen auf der Piste unterwegs.
Ehrengäste 2022: Amilcar, BNC und Motosacoche
Traditionell werden in Montlhéry immer einzelne Marken ins Zentrum gerückt. Dieses Jahr waren es Amilcar, BNC und Motosacoche. Amilcar wurde 1921 gegründet und baute vornehmlich kleine sportliche Wagen, welche auch im Motorsport sehr erfolgreich waren. Die Produktion von Personenwagen wurde 1939 eingestellt. Fast zur gleichen Zeit wie Amilcar wurde BNC (Bollack, Netter et Cie) gegründet. BNC verwendete oft Einbaumotoren von SCAP, Chapuis-Dornier oder Ruby. Die zum Teil mit Kompressor ausgestatteten Wagen nahmen auch an den 24 Stunden von Le Mans teil. Im Jahre 1931 endete die Produktion bei BNC.
Die Schweizer Firma Motosacoche war besonders als Hersteller von Motorrädern und Einbaumotoren sehr bekannt. Es wurden aber auch Fahrräder, Spielautomaten und anfangs der 1950er-Jahre sogar Studio-Recorder produziert. Unter dem Namen Maximag entstanden bis 1928 circa 200 Kleinwagen. Im Jahre 1956 wurde die Motorradproduktion von Motosacoche eingestellt.
Mehrere Rekordwagen am Start
Kaum waren die ersten Motorfahrzeuge auf den Strassen unterwegs, versuchten die Hersteller mit Geschwindigkeits- oder Ausdauerrekorden die Kundschaft von der Qualität ihrer Produkte zu überzeugen. Eines dieser frühen Rekordfahrzeuge ist der Darracq 200 HP, mit dem Victor Hemery Ende 1905 einen ersten Geschwindigkeitsrekord aufstellte. Etwas ausserhalb von Arles erreichte er auf einer Naturstrasse eine Geschwindigkeit von 175,44 km/h. Allerdings hielt dieser Rekord nur zwei Monate.
Das Hubraum-Monster
Einen Wagen, welchen man am diesjährigen Revival schwerlich übersehen konnte, war der Fiat S 76, der auch respektvoll als "Das Biest von Turin" bezeichnet wird. Der Wagen wurde 1911 für Rekordversuche gebaut als Antwort auf den Blitzen-Benz. Der Fiat hat einen Hubraum von unglaublichen 28,4 Litern verteilt auf nur vier Zylinder. Pietro Bordino erreichte auf der Rennstrecke von Brooklands 1911 mit dem Wagen knapp 200 km/h. Später steigerte der Franzose Arthur Duray im belgischen Ostende die Höchstgeschwindigkeit auf 225 km/h. Das reichte aber nicht, um den Rekord des Blitzen-Benz zu egalisieren. Vom "Biest von Turin" wurden nur zwei Exemplare gebaut.
Ein nationales Einzelstück mit U-Motor
Mit grossem Interesse wurde die Rückkehr eines einzigartigen Wagens nach Montlhéry erwartet. Ein Rennauto, das 1938 zum letzten Mal auf dieser Strecke gefahren ist und welches Motorsportgeschichte geschrieben hat – allerdings keine ruhmreiche. Auf staatliche Initiative wurde anfangs der 1930er-Jahre der Bau eines französischen Nationalrennwagens angeregt als Antwort auf die Überlegenheit der Alfa Romeo und insbesondere der deutschen Erzrivalen von Mercedes-Benz und Auto-Union. Es wäre naheliegend gewesen, einen etablierten Hersteller wie Bugatti oder Delage damit zu beauftragen. Aber stattdessen gründete man die neue Société d'Étude et de Fabrication d'Automobiles de Courses, kurz SEFAC.
So begann SEFAC mit der Konstruktion eines völlig neuen Rennwagens für die damalige 750-kg-Grand-Prix-Formel. Als Antrieb entschied man sich für einen aufwendigen U8-Motor mit zwei Kurbelwellen und knapp drei Litern Hubraum. Was auf dem Papier vielversprechend aussah, erwies sich in der Praxis als untauglich. Der Wagen verpasste die 750-kg-Grenze bei weitem: Er wog um die 930 kg. Aber damit nicht genug. Auch an der Zuverlässigkeit haperte es enorm.
Die pannenreiche Geschichte des SEFAC-Rennwagens
Beim Grossen Preis 1935 in Montlhéry erschien der Rennfahrer Marcel Lehoux mit dem Wagen zum Training. Lehoux drehte ein paar langsame Runden. Er fand das Fahrwerk miserabel und die Bremsen nahezu wirkungslos. Zudem litt der Motor unter einem eklatanten Leistungsmangel. Um eine totale Blamage zu verhindern, wurde der Wagen vom Start zurückgezogen. Das Fahrzeug verschwand in der Werkstätte und kam erst 1938 beim Grossen Preis von Frankreich in Reims wieder auf eine Rennstrecke. Auch dort schied der Wagen nach wenigen Runden aus.
Den vorläufig letzten Renneinsatz absolvierte der SEFAC im April 1939 beim Grand Prix de Pau. Auch hier musste man mit technischem Defekt aufgeben. Wenige Monate später brach der Zweite Weltkrieg aus. Der SEFAC wurde in einem Keller in Montlhéry versteckt und tauchte erst 1948 wieder auf. Diesmal unter der Bezeichnung Dommartin E.P. 88 wurde er ohne nennenswerte Erfolge in mehreren Rennen eingesetzt. Vor kurzem wurde der Wagen aufwendig restauriert. Allerdings klebt das Pech dem SEFAC weiterhin an den Reifen. Am Revival 2022 zog der Wagen in der Auslaufrunde plötzlich eine weisse Rauchfahne hinter sich her. So verschwand der Bolide wieder im Transporter. Aber immerhin hat er das Rennen beendet.
Langstreckenrekord für "Petite Rosalie"
Von 15. März bis 27. Juli 1933 umkreiste der Citroën 8 CV die Rennstrecke von Montlhéry. Der Wagen legte in diesen 134 Tagen sagenhafte 300'000 Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 93 km/h zurück. Damit stellte der Citroën 8 CV, liebevoll "Petite Rosalie" genannt, unter Kontrolle des Automobilclubs von Frankreich einen neuen Rekord auf. Beim diesjährigen Vintage Revival fiel die Fahrleistung selbstverständlich ein wenig geringer aus.
Maserati in Montlhéry
Ein weiterer Rennwagen mit einer gut dokumentierten Montlhéry-Vergangenheit ist der Maserati 8CM Monoposto des Schweizer Rennstalls "Ecurie Braillard". Der Wagen gewann 1934 den Grand Prix de l’U.M.F. (Union motocycliste de France) in Montlhéry mit Benoit Falchetto am Steuer. Das Fahrzeug startete in vielen weiteren Rennen, vornehmlich in Frankreich.
Die jungen Wilden
Beim Besuch einer Oldtimerveranstaltung wird eine zunehmend problematische Entwicklung sichtbar: Es fehlt der Szene an Nachwuchs. Im Bereich der Vorkriegsfahrzeuge wird dies besonders deutlich. Es gibt aber zum Glück Ausnahmen. In Montlhéry sind es immer die jungen Wilden, welche hauptsächlich mit ihren hubraumstarken GN-Wagen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zugegeben, ihre Fahrzeuge werden nie einen Prix de l'élégance gewinnen. Der Zustand ihrer Vehikel wirkt eher etwas improvisiert, um es vornehm auszudrücken. Aber die Jungs sind schnell damit, sehr schnell sogar. Wenn sie im Drift durch die Kurve surfen, ist ihnen der Applaus der Zuschauer sicher.
In zwei Jahren der 100. Geburtstag
In zwei Jahren jährt sich die Eröffnung des Autodrome de Linas-Montlhéry zum hundertsten Mal. Es bleibt die grosse Hoffnung, dass auch dann wieder ein Vintage Revival an diesem geschichtsträchtigen Ort stattfindet. Die Veranstaltung ist in dieser Form einzigartig. Ein grosser Dank gilt den Organisatoren um Vincent Chamon und den rund 100 freiwilligen Helfern. Sie haben eine grossartige Arbeit geleistet!
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