Es ist still, nur in der Ferne hört man einen Streckensprecher über Lautsprecher. Dann, plötzlich, Motoren werden gestartet, heulen auf. Es werden mehr, der Lärm schwillt an, gut hörbar ist er aus der Ferne. Dann schwillt der Geräuschpegel weiter an, ein Tosen ist es nun, Reifen quietschen. Man hört hochdrehende Motoren, dann Schaltgeräusche, wieder hochdrehende Motoren. Sie sind gestartet. Dann nach wenigen Sekunden schwillt der Lärm ab. Beinahe ist es wieder still, nur der Streckensprecher ist weiterhin zu hören. Endlose Minuten später schwellen die Geräusche wieder an, die Rennwagen nähern sich, wie an einer Perlenschnur aufgereiht kommen Sie um die Ecke, rasen wieder auf das Ziel zu. Eine Runde ist gefahren.
Genauso muss sich das damals angefühlt und angehört haben, wenn zwanzig und mehr Formel-Fahrzeuge um die Solitude-Rennstrecke rasten. Und genauso hat es sich auch letztes Wochenende angehört, am Solitude Revival 2011. Wären da nicht die heute obligaten Onboard-Kameras, Vollvisierhelme, Nomex-Anzüge/-Handschuhe und ein einschränkendes Geschwindigkeitsregime gewesen, man hätte sich 50 Jahre zurückversetzt gefühlt.
Aufleben von Renntradition
Das letzte Rennen auf der Solitude fand 1965 statt , 2011 wurde erstmals wieder auf der vollständigen Rundstrecke von damals gefahren. Wie schon damals bildeten Landstrassen, die während der Woche dem Weg zur Arbeit oder in den Ausgang dienten, eine gut 11 km lange Rundstrecke. Und wiederum fuhren die Formel-Fahrzeuge, Sportwagen und GT-Fahrzeuge im Gegenuhrzeigersinn, während die meisten Rundkurse im Uhrzeigersinne verlaufen.
Die Solutide-Rundstrecke
Ungeheuer schnell war die Solitude in den Sechzigerjahren, im Jahre 1963 umrundete Jim Clark den 11.4 km langen Kurs im Lotus Formel 1 in 3:49.1 Minuten, was einem Schnitt von 179,403 km/h entsprach. Auch damals war die Strecke weitgehend eine normalbreite Landstrasse, links und rechts meist von Bäumen begrenzt, Leitplanken gab es nur an einigen Stellen. So sieht die Strecke auch heute noch aus, nur dass überall Geschwindigkeitsbeschränkungen von 60 und 80 km/h angebracht sind, die auch von den Rennfahrern zu beherzigen waren, so mindestens wurde es als Devise ausgegeben.
Hochkarätiges Fahrzeugfeld
Die Veranstalter haben ein reichhaltiges Fahrzeugfeld organisiert, darunter viele Fahrzeuge die bereits in den Solituderennen bis 1965 teilgenommen hatten oder zumindest einem Teilnehmerfahrzeug entsprachen. Fans und Experten schnalzten begeistert mit der Zunge, hielten den Daumen hoch oder fielen gar in Begeisterungsstürme aus, wenn alte Bugatti oder Mercedes-Benz SSK aus der Vorkriegsära herandröhnten. Aber auch die diversen Porsche 550 Spyder, zwei 904 GTS, eine Alfa Romeo Giulietta SZ, ein Auto Union 1000, ein Lotus 23, ein Ferrari 250 GTO, mehrere Mercedes Benz 300 SL oder die Meute der Abarth riefen die alten Zeiten zurück. Und dass sogar ein kleines Feld von FMR TG 500, das war damals die schnellste Form des Kabinenrollers, welche 1959 in einem Sonderlauf für Furore sorgten, antrat, ist den Organisatoren hoch anzurechnen.
Ergänzt wurden die Startfelder durch neuere Rennwagen und Sportwagen, sowie durch Fahrzeuge aus Epochen, in denen auf der Solitude nur Motorradrennen oder keine Rennen der entsprechenden Fahrzeugtypen stattfanden. Für das Publikum waren diese Fahrzeuge sicher ein Gewinn, fanden sich doch hier echte Perlen wie den originalen Porsche 917K von David Piper aus dem Jahre 1970, diverse Maserati Monoposti, ein Rudel von Abarth-Sportwagen, Lancia-Rallye-Fahrzeuge oder zwei Porsche 956, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Formelrennwagen der frühen Sechzigerjahre
Höhepunkte feierte die Solitude in den frühen Sechzigerjahren, als nicht zur Weltmeisterschaft zählende Formel-1-Rennen veranstaltet wurden, an denen aber kaum ein Team oder Fahrer fehlte. Über 300’000 Zuschauer strömten dann jeweils an die Rennstrecke im Park des Schlosses Solitude. Dass es am Revival trotz kühler und teilweise feuchter Witterung nur rund 19’000 waren, wird als Erfolg gewertet. Viel mehr hätten auch nicht Platz gehabt, denn die grossen Tribünen, die zum Beispiel den Start-Ziel-Bereich in den Sechzigerjahren gesäumt hatten, fehlen heute vollständig.
Aber die Autos von damals waren wieder da. Im Formel-1-Feld fuhren unter anderem ein Porsche 718 Formel-1-Wagen von 1961, ein Ferrari 156 V6 (wegen der charakteristischen Front auch Sharknose-Ferrari genannt), diverse Cooper, Brabham und Lotus mit. Selten sieht man hierzulande ein derart hochkarätiges Startfeld. Und auch im Formel-Junior-Feld fanden sich Fahrzeuge, wie zum Beispiel der Stanguellini-Fiat, die schon Ende der Fünfzigerjahren antraten.
Der Marcos Fastback GT von 1963
Im Jahre 1965 nahm ein gewisser Terry W. Sanger auf einem Marcos Fastback GT im Solitude-Rennen VIII für Sportwagen und Prototypen bis 2000 cm3 teil, zumindest war er gemeldet. Das Fahrzeug war schon damals ein Exote.
Das Chassis bestand mehr oder weniger aus Sperrholz und das Coupé wies noch die Vorkehrungen für das eigentlich angedachte Cabriolet in Form einer Kofferraumöffnung und Persenning-Montage-Knöpfen auf.
Genau dieses Fahrzeug, immer noch weniger als 500 kg schwer, war auch am Solitude Revival wieder anwesend, weitgehend unangetastet mit dem originalen Holzchassis. Fast ein Wunder!
Der NSU Prinz II 30 von 1958
Am 19. Juli 1959 trat Gespann-Altmeister Hermann Böhm mit einem NSU Prinz II 30 beim Rennen II für Serientourenwagen bis 600 cm3 an und fuhr auf den vierten Platz. 59 Minuten und 5 Sekunden brauchte er für die 9 Runden, nur 2 Sekunden trennten ihn vom dritten Platz. Die NSU Prinz 30 dominierten dieses Rennen, erst auf Platz 14 folgte der erste Nicht-NSU, ein Lloyd Alexander TS.
Der Wagen von Böhm fand auch 2011 wieder den Weg ans Solitude Revival und erfreute das Publikum mit seinem unüberhörbaren Zweizylindersound. Immerhin 30 PS leistete das Motörchen des Prinz 30, was rund 120 km/h Höchstgeschwindigkeit bedeutete. Damit konnte man den VW Käfer locker überholen.
Motorräder und Gespanne
Begonnen hat die Geschichte der Solitude mit kurzen “Bergrennen” vom Stuttgarter Westbahnhof zum Schloss Solitude im Jahre 1903. Und während vieler Jahre traten nur Motorräder und Gespanne an. Entsprechend erfreuten auch 60 Rennmotorräder und Gespanne das Publikum, angefangen von alten Nortons bis zu fast schon modernen Hondas und Ducatis. Und auch BMW-, NSU und Norton-Gespanne waren zu sehen.
Rahmenprogramme Bosch Boxberg Klassik und Jubiläums-Corso
Neben den Renn- und Sportwagenfelder wurden die Zuschauer auch noch mit reichhaltigen Oldtimer-Vorbeifahrten der Bosch Boxberg Klassik Rallye und eines “125 Jahre Automobil” Jubiläums-Corso bei Laune gehalten. Hier gab es manches Juwel zu entdecken, begonnen beim Ford T-Modell oder einem Buick aus den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts bis zu jüngeren Semestern wie dem BMW M1, Maserati Khamsin oder dem Mercedes Benz 500 SL (R107/R129)
Der Concours d’Elegance
Nicht nur Geschwindigkeit, sondern auch Provenienz und Schönheit waren gefragt. Im Concours d’Elegance wurden der seltene Maserati 8CM bei den Vorkriegs-Renn- und Sportwagen zum Elegantesten gekürt, bei den Renntourenwagen und Rallyefahrzeugen trug der gelbe Steinmetz Opel Commodore diese Ehre nach Hause. Bei den Grand-Prix- und Formelfahrzeugen wurde der Schönheitstitel einem Cooper T56 F3 verliehen und in der Gruppe Endurance Rennsportwagen siegte der Porsche 908 Spyder. Der Publikumsliebling Ferrari 250 GTO schliesslich wurde als Bester in der Kategorie GT-Klassiker gewählt.
Noch etwas Verbesserungspotential
Von Publikum und Fahrern erhielt die Veranstaltung gute Noten, Kritik wurde kaum laut. Manch einer hätte sich vielleicht noch mehr Originalfahrzeuge aus den Vorkriegsjahren gewünscht. Wo sind sie denn geblieben, die Stoewer, Steyr, Steiger, Simson oder NSU der Zwanzigerjahre? Auch andere Fahrzeuge, die bekanntermassen noch existieren, fehlten: Borgward 1500 RS, Lotus Elite, Volvo PV 544, Simca Aronde Monthléry, usw..
Und dass eine ganze Menge der gemeldeten Klassiker nicht starteten, war natürlich auch schade.
Auch die langen Pausen konnten durch die freudig drauflos fabulierenden Streckensprecher Hübner und Cimarosti nicht immer einfach überbrückt werden und zudem waren die Lautsprecher nur im Start-Ziel-Bereich zu hören.
War es die letzte oder der Beginn einer neuen Tradition?
Wird es eine Wiederholung dieser sicherlich wertvollen Veranstaltung geben? Noch ist dies unklar. Die Sicherung einer 11.5 km langen Rundstrecke ist eine Mammutaufgabe und der Organisator ist sicher froh, dass keine ernsthaften Unfälle geschehen sind. Immerhin meinten Verantwortliche auf eine Neuauflage angesprochen, dass durchaus die Möglichkeit gegeben sei, eine ähnliche Veranstaltung wieder zu organisieren. Zu hoffen ist es, denn die Erinnerungen an den Augen- und Ohrenschmaus halten in der heutigen schnelllebigen Zeit halt nicht allzu lange.
Empfehlung: Beachten Sie die Tondokumente (nach oben blättern, auf der linken Seite unter "Multimedia"). Die rund 400 Fotos der Veranstaltung sind in sechs Galerien gruppiert, die ebenfalls auf der linken Seite oben unter "Empfohlene Artikel" angewählt werden können.