"Es heisst, Geschichte schreibt immer nur der Sieger" – mit diesem Satz beginnt das Vorwort des Buches "French Microcars 1935–1960" und erklärt damit gleich, wieso die Rollermobile aus Frankreich bisher in der Geschichtsschreibung des Automobils geflissentlich übersehen worden sind. Sie waren fast ausnahmslos Verlierertypen. Denn bis auf wenige Ausnahmen sind sie nie über das Stadium eines ehrgeizigen Projektes und ein paar Vorserienfahrzeugen hinausgekommen.
Umso schöner, dass Jan de Lange sich dem französischen Mikrokosmos der Microcars nun auf 360 Seiten ausführlich gewidmet hat.
Zweisprachig
Das zweisprachige Werk (englisch und französisch) ist in drei Zeitabschnitte unterteilt: die Anfangsjahre von 1935 bis 1940, dann die Zeit während des Zweiten Weltkriegs und schliesslich die Nachkriegszeit von 1945 bis 1960. Kleine Verwunderung gleich zu Beginn: Im Inhaltsverzeichnis wird nur Kapitel 3 samt Inhalt und Seitenangaben genannt. Wir wissen nicht, ob das ein einmaliger Fehler des Rezensionsexemplars ist, oder ob die ganze Auflage davon betroffen ist.
Aber sei's drum. Man findet sich auch so zurecht, denn innerhalb der einzelnen Kapitel sind die Fabrikate alphabetisch geordnet. Zu den bekannteren Marken wie Brütsch, Voisin und Reyonnah gibt es natürlich mehr zu lesen als zu den Eintagsfliegen von Monocar, Arzens oder Deshais. Bemerkenswert ist, dass es de Lange gelungen ist, selbst zu den unbekanntesten Randmobilen hochauflösende Fotos – teils sogar in Farbe – aufzutreiben. Begleitet werden die kurzen Firmengeschichten zudem von Katalogseiten und Werbeanzeigen. Sogar eine schematische Darstellung der Velam-Fabrik fand ins Buch.
Vieflalt der Ideen
Beim Lesen und Blättern wird eines sehr schnell klar: Keine Idee war zu verrückt, um sie nicht wenigstens zu versuchen. Etwa eine rautenförmige Anordnung der Räder – eins vorne, zwei in der Mitte, eins hinten – beim Alamagny. Sogar sechsrädrige Lastwagen im Mini-Format hat es gegeben. Die meisten der Kleinwagen beschränkten sich indes auf drei oder vier Räder. Manche sehen aus wie richtige kleine Autos, andere sind nicht mehr als ein vierrädriges Velo mit Behelfskarosserie. Dazwischen gibt es alles von den Resten von Übungen an der Abkantbank bis zu Vehikeln, die aussehen, als wären sie geradewegs vom Kinderkarussel ausgebüxt.
Richtig witzig wird's im Kapitel "Best of the rest" mit winzigen Buick-Y-Job-Klonen und unidentifizierbaren Eigenbauten. Erstaunlicherweise findet sich hier auch der Mathis VL 333 mit nur einem kleinen Bild. Dabei hätte das sparsame Leichtbaumobil durchaus eine ausführlichere Vorstellung im Nachkriegs-Kapitel verdient gehabt. Das wäre auch durchaus möglich gewesen. Denn die Tiefe, mit der de Lange recherchiert hat, ist beeindruckend. Oder hätten Sie gewusst, dass Ramfis, der Sohn des Dominikanischen Diktators Rafael Trujillo, zu seinem 11. Geburtstag einen Rovin D3 geschenkt bekommen hat?
Sogar Motorsport
Hinter der Fotosammlung "Best of the rest" findet sich noch ein Kapitel über Motorsport, das fahrzeugbedingt allerdings recht kurz ausfällt. Die einzige Disziplin, in der die Rollermobile eine Rolle spielten, waren Rekordfahrten in bis dahin übersehenen Klassen. Auf zwei Ausdauerdemonstrationen dieser Art von Velam und Reyonnah geht de Lange im Besonderen ein. Das einzige französische Microcar, das nennenswert im kompetitiven Motorsport (z. B. bei der Rallye Monte-Carlo) antrat, war der Vespa 400.
Schliesslich folgt noch ein Anhang mit Abmessungen und Gewichten vereinzelter Fabrikate, so sie denn zu ermitteln waren. Zusätzlich werden die Preise von Citroën 11 CV und 2 CV als Vergleichsgrössen in einer Tabelle angegeben.
Fazit
"French Microcars 1935–1960" ist schon wegen seines Inhalts ein sympathisches Buch und weiss durch die reichliche Bebilderung mit viel Zeitkolorit zu gefallen. Vor allem aber füllt es eine grosse Lücke kleiner Wagen in der Automobilgeschichte Frankreichs. Wer sich für Rollermobile, französische Fabrikate oder skurrile Fahrzeugkonzepte interessiert, dem sei Jan de Langes Werk wärmstens empfohlen.
Bibliografische Angaben
- Titel: "French Microcars 1935–1960"
- Autor: Jan de Lange
- Sprache: Englisch, Französisch
- Auflage: 1. Auflage, Juni 2023
- Umfang: 360 Seiten
- Format: 220 x 240 mm, gebunden
- Preis: EUR 57.50 / CHF 56.00
- ISBN: 978-90-832960-4-3
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