Wer anfangs der Fünfzigerjahre die Mille Miglia gewinnen wollte, der war entweder als Rennfahrer ausserordentlich talentiert oder er hatte die Taschen voll Geld. Gianni (Giannino) Marzotto hatte sicherlich die Mittel, um sich die besten Rennwagen der Zeit zu leisten, aber er liess auch beim Fahren nichts anbrennen. Als ihn die Werkswagen von Ferrari nicht überzeugten, liess er sich kurzerhand ein aerodynamisches Coupé bauen.
Der Herrenfahrer
Giannino Marzotto fuhr, genauso wie seine Brüder Paolo, Umberto und Vittorio, in den Nachkriegsjahren zum Spass Rennen. Die finanziellen Mittel waren vorhanden, schliesslich profitierten sie davon, dass sie als Söhne des Textil-Magnaten Graf Gaetano Marzotti mit einem grossen Kapitalpolster ausgestattet waren.
Gianni gewann sein erstes Rennen auf Ferrari bereits im Jahr 1949, als er im Oktober die Strecke Vermicino-Rocca die Papa am schnellsten zurücklegte. So erhielt er dann auch für die Mille Miglia 1950 ein Auto aus Maranello und konnte prompt einen weiteren Sieg verbuchen.
Typisch für ihn war die Zigarette in der Hand und den Zweireieranzug mit Krawatte, den er auch im Rennen nicht ablegte.
Das Marzotto kein Schönwetterfahrer und Herrensöhnchen war, bewies er übrigens bei den 24 Stunden von Le Mans im Jahr 1953, als er rund drei Viertel der Zeit am Steuer sass und trotzdem noch den fünften Gesamtrang erreichte.
Nicht leicht genug
Gianni Marzotto war bei seinem ersten Sieg an der Mille Miglia gerade einmal 22 Jahre alt, aber bereits selbstbewusst genug, um zurück nach Maranello zu gehen und sich beim Commendatore Ferrari darüber zu beklagen, dass der Ferrari einerseits zu schwer und andererseits aerodynamisch nicht konkurrenzfähig sei. Dass er bei Enzo damit nicht gerade auf offene Ohren stiess, kann angesichts des grossen Egos des Ferrari-Gründers als gesichert gelten.
Jedenfalls beschloss Gianni, das Projekt selber in Angriff zu nehmen, um für die Mille Miglia 1951 ein konkurrenzfähiges Auto zu haben.
Ausgangslage Ferrari 166MM
Chassis-Nummer 024, das wohl bei einem Unfall etwas in Mitleidenschaft gezogen worden war, bot die ideale Basis für das Rennwagenprojekt. Mit einem von Aurelio Lampredi konzipierten Rohrrahmen mit Einzelradaufhängungen vorne und Starrachse hinten war eine stabile Basis gegeben.
Als Motor wurde der Zwölfzylinder aus einem Ferrari 212 mit einem Hubraum von 2,5 Litern und einer Leistung von deutlich über 150 PS eingepflanzt.
Ein eiförmiges Kunstwerk
Sergio Reggiani zeichnete eine Coupé-Karosserie und folgte dabei seinem artistischen Gefühl, wie eine aerodynamische Formgebung aussehen müsste.
Paolo Fontana, ein damals wohlbekannter Karosseriebauer aus Padua, konstruierte ein Geflecht von dünnen Rohren und zog eine Haut aus dünnen und besonders leichten Aluminium-Legierung (Puraluman) darüber.
Insgesamt konnten so trotz geschlossenem Aufbau um die 90 kg eingespart werden, so dass von einem Leergewicht von rund 700 kg ausgegangen werden kann.
Leider konnte ein bei Ferrari angeforderter flacher Kühler nicht rechtzeitig geliefert werden, so dass ein deutlich höherer Kühler eingebaut werden musste, was die ganze Front umförmiger und rund 15 Zentimeter höher als ursprünglich vorgesehen werden liess.
Schön war der Wagen also nicht unbedingt, was Enzo Ferrari sicherlich nicht positiver stimmte. Jedenfalls war er von der Privatinitiative seiner wohlhabenden Kunden nicht gerade angetan.
Nicht leicht zu fahren
Schon bei den ersten Probefahrten musste Marzotto erkennen, dass sein neuer Sportwagen nicht einfach zu fahren war.
Durch die nach hinten versetzte Fahrerposition erwies sich der Wagen als noch stärkerer Übersteurer als seine Brüder und die Scheibenwischer hoben bereits bei mittleren Geschwindigkeiten ab. Allerdings verbesserte sich die Sicht bei Regen über 160 km/h wieder deutlich. weil dann der Luftdruck die Scheibe wieder säuberte.
Schnell, aber nicht immer am Ziel
Beim ersten Einsatz des Eies - wegen seiner Form wurde der Wagen “uovo” genannt - beim Giro di Sicilia zwang ihn ein nicht korrekt montiertes Differential zur Aufgabe, immerhin wurde das Rennen aber von seinem Bruder Vittorio gewonnen.
Bei der Mille Miglia stand Marzotto mit seinem Ei einer Armada von 4,1-Litern-Ferraris gegenüber. Inzwischen hatte man dem Coupé Dreifachvergaser gegönnt, was die Leistung auf über 180 PS anhob.
Dank überlegener Aerodynamik und weniger Gewicht konnte sich Gianni gegen die stärkeren Werksautos durchsetzen und legte auf den ersten paar hundert Kilometer einen 10-Minuten-Vorsprung zwischen sich und die Gegner.
Doch nach einer Weile nahm Marzotto immer stärkere Geräusche vom Heck wahr, vermutete nach eiliger Überprüfung unterwegs, dass das Differential wohl bald festgehen würde, da die Reifen gut aussahen. So gab er auf, denn sein Leben wollte er für das Rennen nicht riskieren. Zudem gab es für den Lebemann einen guten Grund, gerade in Senigallia zu stoppen, der Ort war nämlich für seine Fisch-Suppe und die gebratenen Scampi berühmt, so mindestens pflegte Marzotto den Entscheid zu begründen.
Beim mechanischen Check zurück in Maranello zeigte es sich später, dass das Differential in gutem Zustand war und der Lärm doch von einem der Reifen gekommen war. Ein Reifenwechsel in Senigallia hätte ihm möglicherweise den Sieg, der so an Villoresi auf dem 4,1-Liter-Ferrari ging, ermöglicht.
Immerhin konnte der interessante Wagen dann schliesslich am 3. Juni 1951 noch die Coppa Toscana gewinnen. In Porto kam Vittorio Marzotto im Ei zwei Wochen später auf den zweiten Platz. Danach wurde der Motor erneut gewechselt, bei den folgenden beiden Einsätze in Italien an der Milla Miglia und in Pescara musste aber jeweils ein Ausfall notiert werden.
Erneut wurde der Motor gewechselt, bevor der Wagen in die USA ging und jenseits des Atlantiks noch bei verschiedenen Rennen (u.a. Willow Springs, Torrey Pines, Pebble Beach) auftauchte.
Vom Renn- zum Sammlerwagen
Nach seiner aktiven Rennkarriere waren es die Sammler, die unter sich den einmaligen Ferrari mit Chassisnummer 024MB weiterreichten. Auch an der historischen Mille Miglia konnte man den Wagen ab 1986 mehrfach beobachten und eine Zeit lang konnte man ihn auch im Museo Enzo Ferrari bewundern.
Obschon die Geschichte fotografisch umfangreich dokumentiert ist, kann nicht ganz zweifelsfrei nachgewiesen werden, welches Chassis zu welchem Zeitpunkt wirklich unter der speziellen Karosserie sass. Jedenfalls behauptete Restaurierer David Cottingham, dass beim Neuaufbau in den Achtzigerjahren ein üblicherweise beim Corsa Spyder übliches Fahrgestell unter der Aluminiumkarosserie gewesen sei.
Wertvoll
Anlässlich des Pebble Beach Concours d’Elégance wird RM/Sotheby’s am 18./19. August 2017 den Ferrari 166MM/212 Export “Uova” von 1950 unter den Hammer bringen. Noch wurde kein Schätzwert bekanntgegeben, aber man kann sicherlich von einem Betrag zwischen 4 und 9 Millionen USD ausgehen.