Der Mann war für jeden Teamchef ein absoluter Glücksfall: Ruhig, souverän, pflegeleicht, loyal, unglaublich schnell und dazu noch nicht mal ein Materialmörder. Die Rede ist von Dieter Glemser aus Warmbronn bei Leonberg. Der ehemalige Mercedes-, BMW-, Porsche- und Ford-Werksfahrer feiert am 28. Juni 2018 seinen 80. Geburtstag. Bei ihm lohnt es sich allemal, zurückzublicken auf eine an Highlights reiche Karriere.
Nie werde ich vergessen, wie ich 1963 als junger Reporter am Nürburgring im Brünnchen das Zeittraining zum Grossen Preis der Tourenwagen verfolgte, damals besser bekannt als Int. 6 Stunden-Rennen. Im Blickpunkt des Interesses stand natürlich der Werkseinsatz der drei Mercedes 300 SE, wovon einer mit der Mannschaft Dieter Glemser/Eugen Böhringer besetzt war. Erst drosch der kleingewachsene Böhringer den 300er wild, quer und mit einem Vorderrad in der Luft, mehrmals durch die mittelschnelle Brünnchen-Rechtskurve. Danach gab dasselbe Auto ein ganz anderes Bild ab – ruhig und unspektakulär absolvierte nun Glemser seine Trainingsrunden. Neben mir raunte ein Zuschauer seinem Begleiter zu: „Mein Gott, der ist aber jetzt langsam, da war der andere ja viel schneller“.
So kann man sich täuschen – Kollege Glemser war nicht nur um ein paar Sekunden flotter unterwegs als sein Partner, sondern ging auch mit den Reifen freundlicher um. Das besagter 300 SE mit der Mannschaft Dieter Glemser/Eugen Böhringer beim Tourenwagen-GP nur dem Jaguar 3.8 MK II des Star-Teams Peter Lindner/Peter Nöcker unterlag, soll ebenso nicht unerwähnt bleiben wie die Tatsache, dass alle anderen Mitbewerber ab Platz 3 im Ziel eine oder mehr Runden Rückstand hatten.
Ein Jahr später schritten Glemser und sein Stuttgarter Mercedes-Kumpel Böhringer bei der gleichen Veranstaltung zur Revanche, siegten mit einer Runde Vorsprung und demütigten die Jaguar-Armada gnadenlos. Fast hätten die beiden auch noch die 24 Stunden von Spa für Mercedes gewonnen, „aber 15 Minuten vor der Zielflagge ist dem Eugen weit in Führung liegend das Vorderrad weggebrochen. Das war eine meiner grössten Enttäuschung überhaupt.“ Immerhin konnte Glemser 1971 an gleicher Stelle im Capri RS mit Partner Alex Soler-Roig jenen Gesamtsieg nachholen, der ihm mit Mercedes wegen des Rad-Missgeschicks nicht vergönnt war.
Sein optisch völlig unauffälliger Fahrstil machte den gelernten Gärtner und Rosenzüchter zwar nicht unbedingt zum Publikumsliebling, aber jeder seiner Arbeitgeber wusste diese Qualitäten zu schätzen. Ob er nun in einem Porsche, Mercedes, BMW, Ford Escort oder Capri RS sass – am Ende stand er fast immer unterm Lorbeerkranz. An die 100 Siege wurden zwischen 1959 und 1974 für ihn notiert. Bei den klassischen Rallye-Marathons fühlte er sich genauso wohl wie auf der Rundstrecke – damit gehörte er zu wenigen Profis, die damals sowohl den reinen Rennsport wie auch das Rallyefahren perfekt beherrschten. Zuerst nur als Privatfahrer im Porsche Carrera 1600, aber schon bald mit Werksvertrag bei Mercedes, BMW, Porsche und zuletzt bei Ford.
So bescherte der „Schwabenpfeil“ der 1969 neu gegründeten Kölner Ford-Rennabteilung gleich in der Premiere-Saison den ersten Meistertitel im Rundstrecken-Championat im 1,6 Liter Escort TwinCam unter der Regie von Sportchef Jochen Neerpasch. Danach kam schon der Wechsel in den legendären Capri RS, an dessen Entwicklung bis zur Rennreife Glemser wesentlichen Anteil hatte.
Mit dem Gewinn des Tourenwagen-Europa-Titels 1971 zahlte sich für ihn auch die oft langwierige Testarbeit aus. Gleich fünf EM-Saisonsiege gelangen ihm im ersten kompletten Capri RS-Jahr. Glemsers Erfolgstory ging zügig weiter – 1972 Vize-Europameister im Capri RS hinter Ford-Teamkollege Jochen Mass, 1973 und 1974 im Zakspeed Escort RS gleich zwei Titelgewinne hintereinander in der knallhart umkämpften Deutschen Rennsportmeisterschaft (DRM).
Dem eher abrupten Ende von Dieter Glemsers Profi-Laufbahn war ein tragisches Ereignis vorausgegangen. Ein unverschuldeter Unfall beim Tourenwagenrennen im November 1974 in Macau schockte den sensiblen Schwaben derart, dass er seine Karriere auf der Stelle beendete. Wegen eines geplatzten Reifens hatte sein Escort RS die ohnehin nur aus Bambusrohren bestehende Absperrung durchbrochen und erfasste mehrere Zuschauer. „Das hat mich so sehr bedrückt, dass mir der Spass an der Fahrerei schlagartig vergangen ist“, sagte er mir damals völlig niedergeschlagen am Telefon. Überdies betrachtete Glemser den zweiten schweren Unfall innerhalb kurzer Zeit auch als Wink des Schicksals, denn schon ein Jahr zuvor beim Tourenwagen-GP am Ring flog sein Capri RS nach einem Lenkungsbruch im Bergabstück „Wehrseifen“ meterhoch durch die Luft, überschlug sich mehrfach und blieb als unförmiges Blechknäuel liegen. Mit schweren Prellungen und Rippenbrüchen lernte Glemser erstmals das Adenauer Krankenhaus von innen kennen. Schon da war er während der Rekonvaleszenz arg ins Grübeln gekommen, ob er nicht besser Schluss machen sollte, entschied sich aber dann doch nochmal fürs Weiterfahren.
Eigentlich sollte Glemser von Ford nun in eine Berater-Funktion gehievt werden, was sich aber über den Winter wegen zurückgefahrener Werksaktivitäten im Motorsport zerschlug. So landete der langjährige Ford-Mann plötzlich dort, wo man ihn am wenigstens erwartet hätte –im Hause Renault in Brühl bei Köln. Der deutsche Renault-Sportchef Rolf Schmidt hatte blitzschnell reagiert: „Wenn so ein Mann zu haben ist. dann müssen wir und den doch als Lehrmeister für die jungen Fahrer unseres neugeschaffenen Renault 5-Cups sichern“, so Schmidt damals, „das ist doch wie ein Lottogewinn, da muss man doch sofort zugreifen.“
Schmidt griff zu und stattete Glemser mit einem Einjahresvertrag und fürstlichem Salär aus. So wurde der mehrfache Tourenwagen-Champion zum Paten einer der wildesten und verrücktesten Markenpokal-Rennserien aller Zeiten. Allerdings entpuppte sich der neue Job als ziemlich aufregend und mühsam, „weil die Burschen trotz aller guten Ratschläge und Ermahnungen nicht zu bändigen waren“, so gab der leicht entnervte Mentor zu Protokoll. Das Gastspiel bei Renault brachte Glemser im Freundeskreis übrigens den Spitznamen „Der Pate“ ein…
Rein nervlich kam es für Glemser nach dem Renault-Abenteuer aber noch schlimmer. Ein paar Jahre später waren Ford und er wieder näher zusammengerückt und ab 1982 stand für ihn eine neue Aufgabe an. Jetzt hatte er sich als Pate und Chefinstruktor um die Damen des neugeschaffenen „Ford Fiesta Ladies Cup“ zu kümmern. In der Vorauswahl hatte er es mit mehreren Hundert rennwilligen Mädels zu tun, die über mehrere Tage am Nürburgring gesichtet und bewertet wurden, „nach Talent wohlgemerkt und nicht nach Aussehen und Figur, wie einige Journalisten böswillig behauptet haben“ (O-Ton Ford-Sportleiter Lothar Pinske). „Es war die Hölle“, so Glemser, „die Damen haben sich gegenseitig angegiftet, gestritten und sonstwas aufgeführt, um in die Endauswahl zu kommen“.
Und als die 20 Finalistinnen für die kostenlose Rennsaison endlich ermittelt waren, ging der Zirkus erst richtig los. Der Dieter hat mir da manchmal schon richtig leidgetan, wenn er mit all seinem Charme versucht hat, die immer wieder aufflammenden Zickenkriege zu schlichten. Ich habe das alles ja in vorderster Front mitgekriegt, weil Ford mich damals als permanenten Streckensprecher und Pressemann engagiert hatte. Immerhin hat sich Dieter als „Damen-Dompteur“ im Laufe der Zeit ein dickes Fell zugelegt und den Job einige Jahre lang geduldig erledigt.
Als 1986 Porsche den „944 Turbo-Cup“ aus der Taufe hob, erinnerten sich die Stuttgarter an Glemsers zwischenzeitlich erworbene Markencup-Management-Qualitäten und übertrugen ihm die Leitung der neuen Rennserie. Nun war er wieder bei jener Marke gelandet, mit der er zum Beginn seiner Karriere die ersten Rennsiege im privaten Porsche Carrera 1600 erkämpfte. Und er hatte es jetzt nicht mehr mit streitbaren Ladies, sondern mit gestandenen Rennfahrern wie Jockel Winkelhock, Jörg van Ommen oder Harald Grohs zu tun.
Die Arbeit mit den 944-Cup-Piloten hat ihm sehr Spiel Spass bereitet, wenngleich er auch hier mit so manchen Tricksereien in Sachen Reglement konfrontiert wurde. Aber er hat alle Schlitzohren überführt und je nach Schwere des Betrugs auch gnadenlos disqualifiziert.
Drei Jahre später erreichte Glemser der nächste Ruf eines alten Kunden – Mercedes bat zum Gespräch in Sachen DTM. In Untertürkheim hatte sich der Daimler-Vorstand gerade entschlossen, offiziell in die DTM einzusteigen – dafür brauchte es eine neue Organisation, in der Glemser die Rolle des Koordinators übernehmen sollte. Jetzt war er doch nochmal im richtigen Profi-Sport gelandet und blieb fast zehn Jahre im Team-Management von AMG. Dieses, sein letztes, Werks-Engagement im Motorsport mündete in eine Exklusiv-Vereinbarung, nach der er für AMG Funktionstests mit den teuren GT- und Sportwagen des Hauses absolvierte und so manchem reichen Käufer in Dubai, Bahrain oder Singapur den teuren AMG-Neuwagen mit „Einführungs-Kurs“ übergab. Dazu ist er noch immer gern gesehener Instruktor bei der „AMG Driving Experience“, sowie ausgesuchten Fahrerlehrgängen.
„Der Kontakt zum Sport“, so Glemser, „war mir auch im fortgeschrittenen Alter immer wichtig und ist bis heute eigentlich nie abgerissen.“ So veranstaltet er schon seit 12 Jahren seinen traditionellen „Glemser Speed Day“ in Hockenheim. Hier können die Besitzer von Ferrari, Lamborghini, Porsche, Maserati, Aston Martin und sonstigen Sportwagen einen ganzen Tag lang für einen Kostenbeitrag von ein paar Hundert Euro und rustikalem Catering nach Herzenslust austoben. In der Regel kann Glemser zwischen 40 und 60 Sportwagen-Freaks aus allen Teilen Deutschlands, der Schweiz und Österreich begrüssen, allerdings ist von allen Disziplin gefordert. „Schliesslich soll der Tag den Leuten Freude machen“, begründet Glemser seine strengen Regeln, „und nicht mit Schrott und Tränen enden“.
Und dann ist er eingedenk alter Daimler-Tage auch noch als Markenbotschafter für Mercedes-Classic unterwegs, startet bei Historic-Events wie die Mille Miglia oder der Targa Florio. So kam es auch, dass er beispielsweise seinen 75. Geburtstag mit der „Roten Sau“ bei der „Arlberg-Classic“ in Österreich verbrachte. Wobei es sich bei der erwähnten Begleitung nicht etwa um eine frivole Dame handelte, sondern um den Kosenamen des berühmten AMG Mercedes 300 SEL 6.3, mit dem die Herren Heyer/Schickentanz beim 24 h-Rennen in Spa 1971 sensationell Platz zwei belegten. Besiegt seinerzeit nur von Glemser/Soler-Roig im Capri RS…
Bei solchen Gelegenheiten trifft Dieter Glemser dann auch immer wieder gerne auf seine alten Freunde und Gegner, „obwohl die leider ja immer weniger werden“. So sind von den alten Teamkollegen aus seinen Jahren als Mercedes-Werkspilot zwischen 1962 und 1964 nur noch ganz wenige übrig. „Das war die schönste Zeit überhaupt, mit Karl Kling als Rennleiter, mit Hans Herrmann, Eugen Böhringer, Klaus Kaiser oder Martin Braungart als Teamkollegen oder Partner im Auto.“ Deshalb geniesst er solche Treffen mit besonderer Freude und Hingabe.
Auch mit 80 fühlt sich der Jubilar noch „fit, frisch und gesund“. Und für ihn ganz wichtig: „Ich kann immer noch schnell Autofahren, wenn‘ sein muss, auch mal sehr schnell.“
Sein Rennrad, mit dem er früher mehrere hundert Kilometer pro Woche fuhr, hat er inzwischen gegen ein Mountain-Bike ausgetauscht, auf dem er nach wie vor sein individuelles Tagespensum runter strampelt. Ehefrau Helga, mit ihrem Dieter schon seit 56 Jahren verheiratet, ist ganz froh über die vielfältigen Aktivitäten des Herrn Gemahls: „Das wär’ ja schrecklich, wenn der Dieter den ganzen Tag zu Hause rumhängen würde.“ Wenn der umtriebige Hausherr tatsächlich mal zu Hause ist, freut er sich in seiner Rolle als Opa über den Besuch seiner Enkelkinder – sieben sind es insgesamt, die ihm seine drei Töchter geschenkt haben.
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