Nur wenige sportliche Autos haben es in nur fünf Jahren geschafft, ihre Leistung zu verdoppeln und vom Boulevard-Cruiser zum echten Sportwagen zu werden. Das von Bertone gestaltete Simca Coupé ist eine dieser Ausnahmen.
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Der französische Autohersteller Simca war bereits 1935 von Henri T. Pigozzi in Paris-Nanterre gegründet worden. Zunächst baute man Klone der Fiat-Typen 5 und 8, nach dem Krieg aber emanzipierte man sich zunehmend und stellte mit der Simca Aronde ein eigenständiges Modell auf die Räder. 1954 konnte man die Produktionsanlage von Ford in Poissy übernehmen, gleichzeitig erweiterte sich die Modellpalette um Achtzylindermodelle wie Vedette oder Versailles.
Mit dem Simca 1000, einer viertürigen Heckmotor-Limousine der Kompaktklasse, stellte sich Simca im Herbst 1961 einer harten Konkurrenz im eigenen Land, aber auch in den Nachbarländern. Die in Paris vorgestellte selbsttragende Limousine verfügte über einen 944 cm3 grossen Vierzylinder mit knapp 35 DIN-PS und Einzelradaufhängungen rundum. Mit 728 kg fahrbereit war der nur 380 cm lange und 148,5 cm breite Wagen agil und zumindest im Ansatz sportiv, 7,5 Liter Verbrauch pro 100 km und 120 km/h Spitze machten ihn zu einem effizienten Alltagsauto.
Doch Pigozzi wollte mehr und wünschte sich eine noch sportlichere Version und wandte sich an Nuccio Bertone. Dieser liess den blutjungen Giorgetto Giugiaro in kürzester Zeit einen Coupé-Entwurf ausarbeiten, der in Paris auf Zustimmung stiess.
Zunächst vor allem elegant
Präsentiert wurde das Coupé völlig überraschend am Genfer Autosalon im März 1962. Die Automobil Revue notierte:
“Die streng geheim gehaltene und erst am Vortag der Saloneröffnung der Presse vorgeführte Überraschung dürfte wohl das neue Coupe 1000 von Simca sein, welches voraussichtlich mit zwei Motorvarianten lieferbar sein wird. Das Ausstellungsobjekt, eine Karosserievariante des im vergangenen Herbst am Pariser Salon erstmals gezeigten viertürigen Modells Simca 1000, trägt eine von Bertone entworfene Karosserie und wird unter der Bezeichnung Simca 1000 Coupe mit dem normalen, fünffach gelagerten Vierzylindermotor von 944 cm3 Hubvolumen und einer Höchstleistung von 35 DIN-PS geliefert.
Was uns hier mehr interessiert: Wahlweise wird eine von Abarth frisierte TI-Ausführung dieses Modells erhältlich sein, bei dem man von einer Höchstleistung von 55 DIN-PS und einer entsprechenden Spitzengeschwindigkeit von 155 km/h spricht.
Die schmucke, niedrige Karosserie, welche in ihrer Ausarbeitung eher an eine Spezial- wie an eine Serienkarosserie erinnert, ist als 2+2-Sitzer gedacht. Dass dieser Wagen mancherorts Herzklopfen verursacht, ist nicht verwunderlich, zumal sein Preis noch nicht festgelegt ist, sich aber für die Variante TI in der Nähe von 13000 Franken bewegen dürfte. Produktionsbeginn; Noch ungewiss, kaum vor 1963.”
Das elegante Coupé machte Laune und wurde als äusserst attraktiv empfunden. Nur, dem Wunsch nach mehr Leistung wurde (vorerst) nicht entsprochen. Auch sonst hüllte sich Simca bezüglich technischer Details in Schweigen, auch sechs Monate später noch. Immerhin erwartete man, dass das rund 140 km/h schnelle Coupé mit vier Scheibenbremsen (!) noch im Herbst 1962 auf den französischen Markt gelangen würde.
Im Oktober 1962 konnte die Automobil Revue erste Fahreindrücke in Montlhéry sammeln:
“Es muss zugestanden werden, dass Bertone hier eine praktisch makellose Linie verwirklicht hat, und der Wagen gehört zweifellos und in den Augen wohl der meisten Fahrer und Fahrerinnen zu den schönsten Automobilen, die man derzeit antreffen kann. Das Innere erfüllt die Erwartungen, die das Äussere anregt. Am Lenkrad gibt man sich dem Eindruck wirklichen Komfortes hin; der Sitz ist angenehm geformt, und die gekrümmte Lehne stützt den Rücken seitlich. Die Pedale liegen am richtigen Ort; die Instrumente sind gut sichtbar … “
Der Fahrkomfort wurde wie die gute Geräuschdämpfung gelobt, nur das Fahrverhalten konnte nicht komplett überzeugen:
“Wenn auch die Fahreigehschaften dieses doch recht sportlichen Coupés in seiner ersten geprüften Ausführung noch nicht voll dem entsprachen, was wir erwarteten, so gefiel uns schon dieser Wagen dank der Rasse des Motors, dem perfekt synchronisierten Getriebe, seinem Fahrkomfort, der guten Fertigung und seinem unbestreitbaren Charme. Die Scheibenbremsen erwiesen sich übrigens den Fahrleistungen bei dieser ersten Kontaktnahme völlig gewachsen.”
Ansonsten war es um das Einliter-Coupé zumindest in der deutschsprachigen Presse relativ still.
Alle warteten auf die sportlichere Variante, so scheint es.
Abarth-Variante kam nicht
Die angekündigte Abarth-Version kam dann allerdings nicht. Und selbst eine gezeigte 1150-Abarth-Version ging nicht in Serie, obwohl sie sicherlich die Leistungshoffnungen erfüllt hätte.
Bis 1967 wurden 10’011 Einliter-Coupés gebaut, dann aber platzte die “Bombe”.
Die Karosserien entstanden übrigens bei Bertone in Gruliasco (Vorort von Turin) und wurden dann per Bahn nach Frankreich überführt, wo sie bei Simca mit der Antriebstechnik des Simca 1000 vervollständigt wurden.
Die Verwandlung
Wiederum fand die Premiere des Simca 1200 S nicht in Frankreich, sondern in Deutschland, nämlich an der IAA in Frankfurt im September 1967 statt. Und die Franzosen hatten es nicht dabei bewendet, einfach ein paar PS mehr aus dem Vierzylinder herauszulocken.
Der nun 1204 cm3 grosse Vierzylinder leistete dank hoher Verdichtung (10,25:1) und zwei Solex-Doppelvergasern satt 80 DIN-PS bei 6000 Umdrehungen. Die Leistung hatte sich also glatt verdoppelt, obwohl weiterhin eine seitliche Nockenwelle und mit Stossstangen und Kipphebeln angesteuerte hängende Ventile ihren Dienst taten. Die Beschreibung des Motors las sich wie ein Verkaufsprospekt eines Tuningunternehmens.
Um den Motor thermisch gesund zu halten, wurde der Wasserkühler nach vorne in den Bug verschoben. Und um den Wagen sicher auf der Strasse zu halten, erhielten die Hinterräder einen sofort optisch erkennbaren negativen Sturz. Doppelgelenkwellen übertrugen die Leistung auf die Antriebsräder. Gebremst wurde weiterhin mit Scheibenbremsen, die nun aber von zwei Kreisen angesteuert wurden. Die Lenkung mit Rolle/Schnecke wurde beibehalten.
Optisch änderte sich weniger als unter dem Blech. Die Front wurde wegen des nun anzuströmenden Wasserkühlers angepasst und die erhitzte Luft entwich oben nun aus Luftgittern, die an den Lamborghini Miura erinnerten.
175 km/h versprach das Werk als Höchstgeschwindigkeit und einen drehzahlfesten Motor dazu.
Der Preis für das erstarkte Coupé war heiss: DM 9625 wurden in Deutschland gefordert, CHF 11’000 in der Schweiz.
Ein richtiger Sportwagen
Natürlich zierten sich die Journalisten nun nicht mehr und unterzogen den massgeschneiderten Sportwagen nur allzu gerne einer Testfahrt.
Die Konkurrenz musste der 1200 S nicht fürchten. 12,6 Sekunden dauerte der Spurt auf 100 km/h, die Spitze wurde mit 173,5 km/h gemessen, der Kilometer mit stehendem Start war nach 34,1 Sekunden zurückgelegt. Dies konnte die Konkurrenz (z.B. Alfa Romeo Giulia Sprint GT Junior, Fiat 124 Coupé, Renault R8 Gordini, Opel Rallye-Kadett 1,9) kaum besser, nur der Kadett und der R8 beschleunigten noch etwas rasanter, verfügten dafür auch keine Karosserie vom italienischen Blechkünstlern. Preislich lag die Konkurrenz (mit Ausnahme des Rallye-Kadetts) auch höher.
ams notierte:
“Für 10’000 Mark kann man heute einige renommierte Automobile erstehen, die sowohl in den Fahrleistungen wie in den Fahreigenschaften dem Simca-Coupé gleichwertig, wenn nicht überlegen sind. Doch, um der Wahrheit die Ehre zu geben, handelt es sich dabei meist nicht um Sportwagen, sondern um biedere Limousinen. Wer die Individualität eines Sportwagens wünscht, hat in dieser Klasse keine große Auswahl. Man muß darum dem Simca 1200 S Coupé gute Absatzchancen einräumen, zumal es zu einem Preis von 9600 Mark einen reellen Gegenwert an Fahrleistungen, Fahreigenschaften, Komfort, Ausstattung und Prestige bietet. Daß dieses Auto dabei noch eine außergewöhnliche Wirtschaftlichkeit zu bieten hat, wird dem Verkauf nicht schaden.”
Frei an Kritik war der ams-Test allerdings nicht. Das heikle Fahrverhalten im Grenzbereich, der laute Motor, die schwergängige, unexakte und etwas zu zweit gestufte Schaltung, sowie die unpräzise Lenkung wurden genauso wie nachlassende Bremsen bei harter Benutzung angemahnt.
Dafür aber überzeugte der mit 9,6 Litern pro 100 km günstige Testverbrauch (auch 7,1 Liter waren bei gemächlicher Fahrweise im Schnitt möglich), die guten Fahrleistungen und die komplette Ausstattung.
Dies bestätigte auch die Automobil Revue:
“Die Prüfung des Simca 1200 S hatten wir … in der Meinung begonnen, ein wohl leistungs-fähigeres, aber doch noch eher sportlich aussehendes als sich sportlich verhaltendes Coupe vor uns zu haben. Aber sowohl in seinen Fahreigenschaften, in der Fahrweise wie auch besonders dem Temperament nach könnte dieses kernige, echte GT-Coupé durchaus einer Marke mit viel Wettbewerbspraxis entstammen.”
Bei soviel Temperament und Ausstrahlung musste es nicht überraschen, dass der Simca 1200 S im Prospekt mit Wildkatzen abgebildet wurde und dass die Werbung meinte: “Zu schade für Saint-Tropez”. “Bertone macht nicht auf Show”, texteten die Marketingleute im Jahr 1969. Und schliesslich folgte der Appell: “Dieses Auto ist nichts für Playboys. Sportwagenfahrer an die Front!”.
Ohne direkten Nachfolger
Bis 1971 baute Simca den “heissen Ofen” (Originalton hobby). Immerhin 14’741 1,2-Liter-Versionen entstanden, einen direkten Nachfolger gab’s nicht.
Allerdings erschien dann 1973 der Matra-Simca Bagheera, der immerhin den Motor von Simca erhalten hatte, auch wenn die Geschäfte nun unter der Ägide von Chrysler France gesteuert wurden.
Kompakt und übersichtlich
Auch fast 55 Jahre nach seiner Präsentation lässt sich die gelungene Linienführung des Simca 1200 S nicht übersehen. Giugiaro ist beim zierlichen Coupé ein guter Wurf gelungen. Auch die Überarbeitung im Jahr 1967 hat dem kleinen Sportwagen nicht geschadet, weder die Frontgestaltung noch die zusätzlich eingebauten Entlüftungsgitter auf der Fronthabe wirken als Fremdkörper.
Dass der Radstand vom Simca 1000 Coupé zum 1200 S um einen Zentimeter, die Aussenlänge sogar fast sieben Zentimeter zugenommen hat, nimmt man kaum wahr.
Was einem aber sofort auffällt, ist der starke negative Sturz der Hinterräder. Da wird ein Besitzer auch schon mal des Tunings verdächtigt, auch wenn alle Einstellungen den Werksvorgaben entsprechen.
Innen zeigt sich eine wohnliche Atmosphäre mit viel (Simili-) Holz, schwarzem Vinyl und Moquette-Teppichen. Das Dreispeichen-Lenkrad hat einen Holzkranz, die Anzeigensammlung ist mit Tacho, Drehzahlmesser und Instrumenten für Wassertemperatur, Öldruck und Benzinstand vollständig. Ein Kompressorhorn ist genauso an Bord wie Sicherheitsleuchten an den Türkanten und eine Scheibendusche. Es fehlt einem eigentlich an nichts.
Der Vierzylinder im Heck macht sich mit deutlichem Gebrumm bemerkbar. Die Hand fällt wie von selber auf den Schalthebel in der Mittelkonsole, die Schaltpräzision kann die langen Wege nicht kaschieren. Es geht spritzig voran, ohne dass der Simca heute als ein wirklich schnelles Auto empfunden wäre. Aber der Fahrer fühlt sich immer mit der Mechanik verbunden, die Geräuschkulisse motiviert dazu, den Motor drehen zu lassen, die Rundumsicht ist sehr gut und die Stopperqualitäten der vier Scheibenbremsen flössen Vertrauen ein.
Und der kleine Simca ist ein gutes Beispiel dafür, dass Freude am Fahren nicht erst bei sechs oder acht Zylindern und 250 PS beginnt. Manchmal kann eben weniger auch mehr sein.
Vive la France, ist man versucht gegen den Motorlärm anzuschreien, wenn die Nadel auf dem Drehzahlmesser die 6000 Umdrehungen hinter sich gelassen hat. Aber man muss ja nicht gleich bis 7000 U/min weitermachen, schliesslich gehören die Simca-Coupés heute zu den Raritäten auf unseren Strassen und Ersatzteile sind nicht immer einfach aufzutreiben.
Vergleich Simca 1000 mit 1200 S
Simca 1000 Coupé | Simca 1200 S Coupé | |
---|---|---|
Gebaut von / bis | 1962-1967 | 1967-1971 |
Hubraum | 944 | 1204 |
Leistung PS | 40 | 80 |
bei U/min | 5400 | 6000 |
max. Drehmoment mkg | 6.5 | 10.5 |
bei U/min | 2400 | 4500 |
Leergewicht kg | 795 | 890 |
Leistungsgewicht kg/PS | 19.9 | 11.1 |
Länge cm | 392.5 | 399.7 |
Breite cm | 152.5 | 152.5 |
Höhe cm | 125.5 | 127 |
Radstand cm | 222 | 223 |
0 - 100 km/h | 12.6 | |
H'geschwindigkeit km/h | 140 | 175 |
Verbrauch l/100 km | 6.4 (7.5) | 9.6 |
Preis DM | 8500 | 9625 |
Preis CHF | 9990 | 11000 |
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