Nein, die üblichen Auto-Erinnerungen sind beim Ford Granada nicht vorhanden. Kein Prospekt in der heimischen Autokatalogsammlung von ihm, kein Foto auf dem ich lässig auf seiner Haube sitze und auch kein Bild im Kopf von irgendeinem Bekannten, der mich damals Ende der Siebziger mit dem Besitz des Granada beeindruckte. Es muss an dem Ford liegen. Denn an die anderen Neuheiten des Autojahrgangs 1972 – wie die S-Klasse von Mercedes-Benz oder den Fünfer-BMW – habe ich mindestens eine Erinnerung, aber an den Granada nich.
Ford der Durchschnittliche
Dabei hatte Ford sich mit der Entwicklung des Granada grosse Mühe gegeben. Weg mit dem Mief der Sechzigerjahre, den die Baureihe P7 bis dato verkörperte. Frisches Design und moderne Technik sollten Ford zum Massstab der oberen Mittelklasse machen. Mercedes-Benz warb mit dem W 114 eine halbe Klasse höher um die Käufergunst, und BMW buhlte ab dem Sommer 1972 mit dem ersten Fünfer um ein etwas sportlicheres Publikum. Bei Ford wusste man um die eigene Marktposition und kannte die Möglichkeiten, den Wettbewerbern hier und da ein paar Kunden abzujagen: ein wenig mehr Luxus für die Daimler-Fans, ein wenig mehr Sportlichkeit für Anhänger von BWW-Modellen – und das zu einem günstigeren Preis.
Wie raffiniert das Ford-Marketing war, zeigte sich im beinahe uferlosen Granada-Modellprogramm. Der Consul – ein preiswertes Einstiegsmodell – zielte auf Opel- und VW-Kunden, während die luxuriöseren Granada-Modelle in der oberen Mittelklasse ansetzten. Der für das Design verantwortliche Terry Collins setzte dabei auf klare Kanten und wenig Schnickschnack. Mit drei unterschiedlichen Karosserievarianten deckte Ford die Kundenwünsche bestmöglich ab. Neben dem "Turnier" genannten Kombi gab es die "Fastback-Limousine" und die konventionelle Limousine mit Stufenheck, die ab 1973 sogar mit nur zwei Türen lieferbar war. Gleichzeitig wurde das Schrägheck-Modell zum Coupé. Eine Fülle von Ausstattungsversionen sorgte zusätzlich für Individualität und liess die Kunden beinahe vergessen, wieviel Mühe sich Ford unter dem Blech gegeben hatte.
Ford der Hochwertige
Technisch basierte der Granada in vielerlei Hinsicht auf seinem bewährten Vorgänger. Beteiligt an der Entwicklung des 500-Millionen-Mark-Projektes waren die Ford-Entwicklungszentren in Köln und Dunton (England), während die amerikanische Mutter keinen Einfluss auf das Modell nahm. Das war sicher auch ein Grund für die Beschränkung auf Vier- und Sechszylinder, die im Wesentlichen auf älteren Konstruktionen aufbauten.
Als Einstiegsmotor fungierte im Consul (erkennbar an dem abgewandelten Kühlergrill) der 1,7-Liter-V4 mit 75 PS. Wem das angesichts des stattlichen Gewichts von rund 1,4 Tonnen zu wenig war, dem boten die Kölner einen modernen Reihenvierzylinder mit obenliegender Nockenwelle und 99 PS an, bevor die Preisliste zu den ersten V6-Motoren umsprang. Die gab es mit maximal drei Litern Hubraum und zunächst 138 PS – damals eine Ansage, wenngleich immer noch ausbaufähig. Doch der Granada sollte ja auch kein Rennwagen sein, sondern ein zuverlässiger Begleiter für die grossen Touren.
Dass die sich möglichst leicht absolvieren liessen, war Aufgabe des neu konstruierten Fahrwerks. Mit der Einzelradaufhängung rundum war der Ford der Konkurrenz aus Stuttgart und München ebenbürtig. An der Vorderachse kamen doppelte Querlenker zum Einsatz, während die Hinterachse als Schräglenkerkonstruktion ausgeführt war – ein Aufwand, der sich in einer unerschütterlichen Fahrsicherheit und hohem Komfort niederschlug. Mit dem Granada eintausend Kilometer am Stück zurückzulegen, bisweilen auch auf Schotterstrassen gen Bosporus, war keine Tortour. Dafür, dass man auch das Ziel erreichte, sorgte die hohe Zuverlässigkeit und die gute Verarbeitungsqualität sowohl der in Köln als auch der in Dagenham montierten Autos. Dass der Ford sich später als übler Roster entlarvte, blieb den Neuwagenkunden zum einen verborgen, zum anderen waren die Wettbewerber auch nicht viel besser.
Ford der Vielseitige
Dank des grossen Angebots war der Granada gleich von Beginn erfolgreich beim Publikum. Besonders der ungewöhnlich geräumige Kombi (seinerzeit der grösste aus deutscher Produktion) war am Markt sehr beliebt. Für ihn begeisterten sich neben Handwerkern und Handelsvertretern auch Familienväter mit gehobenem Anspruch. Ford fügte sich diesem Interesse und spendierte dem "Nutzfahrzeug" Luxus und Leistung. Ab 1976 gab es den 2,8-Liter-Einspritzmotor, der es auf 150 PS brachte. In Verbindung mit der luxuriösen "Ghia"-Ausstattung wurde so aus dem biederen Ford einer der ersten Luxuskombis – zwei Jahre bevor Mercedes-Benz glaubte, diese Kategorie mit dem T-Modell zu begründen.
Andere Käufer bevorzugten die diskrete Noblesse des Ford-Flagschiffs, das gegen Aufpreis die Annehmlichkeiten eines Oberklassemodells bieten konnte. Das meist ältere Publikum bekam bei Ford auf Wunsch reichlich davon: Holzfurnier am Armaturenbrett, edle Velourspolster oder eine (ab GL-Ausstattung serienmässige) Servolenkung. Doch auch sportliche Naturen wurden mit der Baureihe bedient. Die Schwabengarage in Stuttgart rüstete Granada 2300 und 2.8i auf Wunsch mit einem Turbo-Umbausatz der Firma May aus, der die Motorleistung auf bis zu 207 PS aufpumpte. Nachdem die Verkäufe des Granada zwischenzeitlich wegen der Ölkrise eingebrochen waren, boten diese Modelle immerhin wieder neue Anreize für den Kauf der Baureihe. Kurz vor Modellwechsel im Jahr 1977 kurbelte Ford den Absatz dann noch einmal mit Sondermodellen an. "Traveller" und "Favorit" brachten zwar keine echten Neuerungen für den Kunden, sorgten aber ein letztes Mal für Interesse am alten Modell.
Ford der Vergessene
Trotz seiner vielen Versionen blieb der Granada blass. Auf Schulhöfen spielte der grosse Ford in den Autoquartetts keine Rolle. Wer mit dem grossen Ford vor der Schule abgeholt wurde, blieb unbeachtet. Und dass der biedere Wurzelbürstenvertreter in der Nachbarschaft den grossen Kombi über ein gefühltes Jahrzehnt als Dienstwagen nutze, trug auch nicht zu einem nachhaltigen Eindruck bei. Irgendwie war der Granada seinerzeit uncool und fiel allenfalls durch das spezielle Klangbild auf, wenn denn der V6 geordert worden war. So kam es, dass ich auch sein Ableben gegen Mitte der Achtziger nicht bemerkte.
Es war die Zeit, als viele seiner frühen Verwandten irgendwo in der Mitte Europas unter der sengenden Sonne noch ihren Dienst taten und man hierzulande in die ersten Scorpios wechselte, deren Design aussah, als käme es von einem anderen Stern. Ab da war der grosse Ford in seiner geglätteten Zweitauflage allenfalls noch bei der Hamburger Polizei oder bei Krimiserien wie "Der Fahnder", wo ein tropicgrüner Granada 2.3 seine Haltbarkeit unter Beweis stellen durfte, präsent. Doch während der GMC von Colt Seavers Einzug in meine heimliche Traumwagengarage fand, blieb der Granada draussen. Er war für junge Leute der Achtziger einfach unattraktiv – ganz gleich um welche Version es sich nun auch handelte.
Ford der Rebellische
Das traurige Dasein der Baureihe setzte sich bis weit in die Neunziger fort. Rost, Export und Stock-Car-Rennen lautete der Dreiklang der Vernichtung des Granada-Bestands. Doch einige überlebten wohlbehütet in der Garage von Oma und Opa, die ihrem Ford die Treue bis zuletzt hielten. Das andere Extrem bildeten die in gemeinsamen Nächten TÜV-fertig geschweissten Rostruinen, die zu der Fraktion der Anarchotaxis zählten: nicht schön, aber funktionell. Keine Hausbesetzung Ende der Achtziger, in der der Granada nicht irgendeine Statistenrolle spielte. Seine modellspezifische Spiessigkeit diente der rebellischen Jugend als Angriffsfläche und wurde von den Protagonisten genutzt, um sie ins Gegenteil zu verkehren. "Seht her, wir stellen die Welt auf den Kopf", schienen sie mit der Entweihung des seriösen Ford sagen zu wollen. Und es funktionierte, denn der letzte grosse Einsatz der Ford-Baureihe verhalf ihm zur Paraderolle des viel beschriebenen "Kultautos".
Irgendwann in den Zweitausenderjahren wurde es nämlich cool, in leicht vergammelten, mattschwarzen Granadas durch die Szeneviertel von Berlin und Hamburg zu cruisen. Das eigentlich spiessige Kölner Mobil transportierte plötzlich ein langsam verblassendes Anarcho-Lebensgefühl, wie es sonst nur der Mercedes-Benz "Strich-Acht" konnte. Nur fehlte dem Benz dieses US-Flair. Das liess sich am Granada mit wenigen Handgriffen herstellen. Vor allem, wenn er über das begehrte Vinyldach verfügte. Dass der Ford nach wie vor im Grunde seiner V-Motoren ein eher behäbiger Geselle war, spielte für die Selbstinszenierung der Ritter der Latte-Macchiato-Bars keine Rolle. Die Show war entscheidend. Und sie sorgte für ein steigendes Interesse an dem Ford. Freilich nur die erste Serie war akzeptiert. Die zweite war uncool. Doch wie jeder Trend endete auch dieser.
In den Zehnerjahren war "Granada im Rat Look" dann wieder out. Aber die inzwischen erwachsengewordenen Rebellen hatten Feuer gefangen. Es begann der Run auf die letzten originalen Granadas aus Omas Einzelgarage. Die wurden plötzlich gesucht und teuer, denn schliesslich wollte man ja eine Erinnerung haben an die Zeit, in der man jung und wild war. Nur bitte im Originalzustand, nicht so vergammelt wie damals zu Beginn des Jahrtausends. Die Sehnsucht nach typisch deutscher Gemütlichkeit erfasste auch die, die eigentlich nie ein Spiesser sein wollten.
Ford der Zeitlose
Glänzend und poliert steht der Granada heute in der Einfahrt des Doppelreihenhauses und wartet auf seinen Einsatz; natürlich am abgesicherten Batterieladegerät und mit Carcover. Wenn es dann losgeht, kommt der Fahrspass – aber bestimmt nicht vom Antrieb, denn der ist immer noch uninspiriert und sorgt allenfalls für durchschnittliche Fahrleistungen. Nein, der Granada ist ein Kunstwerk seiner Zeit, das man erst schätzen lernt, wenn man unterwegs ist. Es ist dieses Reisen in vollendeter Gemütlichkeit und wohlwissend, mit dem Designerstück der Siebziger ein Statement auf der Strasse zu hinterlassen, was durch keinen noch so auspuffschubknallenden Downsizeboliden aufgeholt werden kann.
Mit dem Granada erscheint man, man hat es nicht eilig. Man geniesst die Coolness, die das Design verkörpert und weiss, jeder der Passanten wäre gern an Bord, würde gern gesehen werden mit dem rauen Typen aus Köln. Daneben bietet der grosse Ford handfeste praktische Vorteile, denn noch immer kommt man mit ihm zuverlässig an jeden Winkel der Welt, bietet er genug Platz für Kind und Kegel und kann mit seinem Luxus verzaubern auch ohne elektrischen Firlefanz. Merken Sie etwas? Das, genau das, waren die Argumente, die auch die als Spiesser verballhornten Erstbesitzer ins Feld führten, als sie einst die Unterschrift unter den Kaufvertrag setzten. Ach, Granada, wie herrlich zeitlos du doch bist.
Mit dem ersten Granada kommt ein Stück Siebzigerjahre-Flair ins Haus; etwas Beständiges, das sich leicht warten lässt und bei dem es nicht nötig ist, regelmässig den Marktwert zu prüfen, um auf Rendite zu spielen. Denn der Wertzuwachs hält sich seit Jahren in Grenzen. Doch möglicherweise ist Beständigkeit von einst in turbulenten Zeiten wie diesen gar nicht mal so schlecht.
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