Da staunte die Fachwelt nicht schlecht! Oldtimer ausgerechnet in Tübingen, der "grünsten" Stadt Deutschlands, dem Fahrradfahrerparadies schlechthin. Und das nicht irgendwo außerhalb im Industriegebiet, sondern mitten in der historischen Altstadt. Wie kam es dazu? Der Handels- und Gewerbeverein suchte nach einer Möglichkeit für einen verkaufsoffenen Sonntag, für dessen Genehmigung man allerdings einen besonderen Anlass braucht, beispielsweise ein örtliches Fest, eine Messe oder eine ähnliche Veranstaltung. Wenn die richtigen Leute miteinander reden, findet sich schnell ein Weg.
Rainer Klink vom Auto- und Spielzeugmobilmuseum "Boxenstop", der Handels- und Gewerbeverein sowie die Ortsgruppe des ADAC, der Allgemeine Schnauferl-Club Landesgruppe Württemberg-Hohenzollern und die Oldtimerfreunde Neckar-Alb-Schönbuch waren sich schnell einig, dass es nach langer Corona-Veranstaltungspause wieder weitergehen muss. Die Tübingen Classic 2023 war geboren. Bei soviel Engagement konnte auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer die Veranstaltung nur noch gutheißen, die parallel zu der Eröffnung des neuen Busbahnhofes stattfand.
Viel Vorkrieg
Treffpunkt der Teilnehmer war der große Parkplatz vor dem Boxenstop-Museum, wo sich Autos mit H-Kennzeichen und Zweiräder bis Baujahr 1969 einfanden. Angemeldet hatten sich um die hundert Teilnehmer – das lies einige interessante Stücke erwarten.
Die erste Überraschung stand gleich in vorderster Reihe: ein Bugatti Typ 37 aus dem Baujahr 1927. Der Besitzer dieses Schmuckstücks musste viele Fragen über sich ergehen lassen. Publikumswirksam war der Start des Wagens: Hauptstromschalter einschalten, Vergaser etwas fluten, Choke ziehen und dann die Kurbel drehen und hoffen, dass der Motor anspringt, was er auch schon beim zweiten Versuch tat. Das Publikum bestand hier auch aus Spaziergängern, die sich in der Tübinger Altstadt einen schönen Sonntag machten, nicht nur aus Fachpublikum. Daher waren die gestellten Fragen teils ganz andere, als man sie von großen Messen gewohnt ist. Zum Beispiel ob man den Wagen auch anschieben könne, wenn er streikt? Aber das war in diesem Fall gar nicht nötig.
Wie schnell ein Vorkriegsfahrzeug seinen Besitzer wechseln kann, belegt ein Chrysler Royal aus dem Baujahr 1933. Der jetzige Besitzer hielt sich vor langer Zeit berufsbedingt drei Jahre in Südafrika auf, wo er das gute Stück in einem Museum entdeckte. Dann wurde es dort zum Kauf angeboten und schon war's passiert. Die rechtsgesteuerte Langchassisausführung wurde bis 1954 von der Botschaft genutzt und ist zwischenzeitlich wieder top in Schuss.
Um 11:30 Uhr wurden die Klassiker von dem Auto- und Spielzeugmuseum in die Innenstadt auf die zugewiesenen Standplätze überführt – In der engen Altstadt Tübingens eine echte Aufgabe, der gründliche Vorbereitungen vorausgingen. Am Freitag vor der Veranstaltung "durften" alle Helfer das gesamte Gelände nochmals abgehen um sicherzustellen, dass keine Missverständnisse auftreten. Am Samstag wurden im Regen die Parkmarkierungen aufs Pflaster geklebt, damit das Abstellen der Fahrzeuge geordnet vonstatten gehen kann.
Ein Beispiel für ungewöhnliche Käufe ist der Alvis von 1935, der seine 100 PS aus einem 2,7 Liter grossen Reihensechszylinder bezieht. Der Wagen wurde von seinem damaligen Besitzer, dem wohl nicht nur die Lust an der Restaurierung ausgegangen war, in zahllosen Kisten verpackt angeboten. "Unter der Hand" hörte der jetzige Besitzer davon und fand einen befreundeten Fachmann, der das Restaurierungsprojekt in zwei Jahren zu Ende brachte. Bereut hat er es bis heute nicht. Der MGA, den er zuvor besaß, hatte zu wenig Kofferraumvolumen, sogesehen war "der Tausch" ein echter Gewinn. Durch beherztes Eingreifen des Autors dieser Zeilen entfiel allerdings der Test, ob ein Mercedes-Benz 220 Cabrio stabiler ist als die Stoßstange des Engländers. Ansonsten verliefen die Parkbemühungen der angereisten Fahrer erfreulicher Weise "reibungslos".
Der "französische Mercedes" Peugeot 402 hatte es von Stuttgart aus nicht weit bis nach Tübingen. Dieser Wagen hier hatte bereits einen Metallboden. Die ersten Ausführungen wurden noch mit Holzboden ausgeliefert. Jüngere Besucher erfreuten sich an den eng beieinanderliegenden Scheinwerfern in dem vernickelten Kühlergrill, was dem Wagen ein höchst individuelles Aussehen beschert. Der heutige Besitzer kam nach dem Kauf eines Peugeot 203 zu der Überzeugung, dass echte Oldtimer Vorkriegsfahrzeuge sind. Also fiel zum Jahrtausendwechsel die Entscheidung, diesen Wagen in Nähe von Bordeaux zu erstehen. Er war fahrfertig – aber auch nicht wirklich viel mehr. Inzwischen steht der Wagen in einer Zweifarblackierung, die sich an den Pariser Taxis orientiert, wieder richtig gut da.
Zwischenzeitlich haben alle Fahrzeuge den ihnen zugewiesenen Platz erreicht. Die eine oder andere kleine Startproblematik war schnell behoben und gehört einfach mit dazu. Auch jüngere Fahrzeuge wurden gezeigt, beispielsweise ein aus den USA eingeführter VW-Porsche 914. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Form stieß der Mittelmotor-Flitzer bei den jüngeren Besuchern auf reges Interesse, auch wenn diese den Zusammenhang mit Porsche nicht sofort erkannten. Die Fahrzeugfarbe (Goldmetallic 8110) ist wirklich ausgefallen. Nach Aussage des Besitzers wurde das Auto aber so original ab Werk ausgeliefert.
Auf dem Marktplatz waren noch weitere luftgekühlte Fahrzeuge – überwiegend aus Wolfsburg – zu sehen, die viele Besucher wehmütig in Erinnerungen schwelgen ließen.
Wiederholung erwünscht
"Wir wollten fahrbare Vorkriegsmotorräder aus den Zwanzigerjahren, und da sind wir bei den Royal Enfields gelandet. Davon sind in Deutschland derzeit drei Stück zugelassen" meinten die stolzen Besitzer auf die Frage eines begeisterten Viertklässlers, dessen staunende Augen nicht genug hinsehen konnten. Die untergelegten Handtücher sind der Verlustschmierung geschuldet – man will ja keinen Umweltschützer provozieren. Der geforderte Soundcheck ließ nicht lange auf sich warten. Mitten in der Altstadt ansonsten ein No-Go, aber an diesem Sonntag war der Krach erwünscht.
Wie man dem Text und den Bildern entnehmen kann, wurden echte Raritäten gezeigt. Das Publikum wusste das zu schätzen und verhielt sich entsprechend rücksichtsvoll. Von etwaigen Beschädigungen der Schmuckstücke war auch nach dem Ende der Veranstaltung nichts zu sehen, umso mehr aber von der Freude an den geführten Gesprächen mit deren Besitzern.
Mit der parallel zur Tübingen-Classic 2023 stattfindenden Eröffnung des neuen Omnibusbahnhofes mit Tiefgaragen für Fahrräder und Autos, trafen in Tübingen am letzten Julisonntag 2023 sozusagen der Verkehr von gestern, heute und morgen aufeinander. Das Publikumsinteresse war so groß, dass die Anfrage des Oberbürgermeisters, ob man den Anlass kommendes Jahr nicht wiederholen könne, nicht lange auf sich warten ließ. Freuen wir uns darauf.















































































































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