Über 10’000 Besucher zählten die Organisatoren am Sonntag, den 23. Juli 2017 an der Solitude. Von den Rekorden der Sechzigerjahre, als Hunderttausende die Strecke säumten, ist dies zwar weit entfernt, trotzdem kam rund um den Solitude-Ring fast so etwas wie Rennatmosphäre auf. Rund 300 Fahrzeuge waren gemeldet, um die knapp über elf Kilometer lange Naturstrecke unter die Räder zu nehmen und am immer noch komplett erhaltenen Start-/Zielturm vorbeizuziehen.
Regen und Sonne
Am Freitag hatte es noch heftig geregnet und damit auch Teile der Streckensicherung in Mitleidenschaft gezogen, so dass am Samstag neue Strohballen beschafft und verteilt werden mussten. Am Samstag war das Wetter durchgehend trocken, die Luft blieb aber feucht, die Temperaturen wirkten dadurch fast schon humid. Der Sonntag verlief etwas kühler, aber die Strecke blieb tagsüber trocken.
Unerwartete Zwischenfälle gut gemeistert
Dass bei schnellen Fahrten von betagten Rennwagen ab und zu ein kleiner Unfall passieren kann, ist zu erwarten. Dies passierte auch dieses Jahr, die Streckenpolizei rückte aus und war sehr bemüht, den Rennbetrieb so schnell wie möglich wieder zu erlauben. Auch dieses Jahr gab es wieder eine Hochzeitsgesellschaft, welche die Strecke passieren musste. Dies führte aber keineswegs zu einer Verzögerung und konnte während den grosszügig geplanten Pausen zwischen den Rennfeldern durchgeführt werden. Wer mit einem kühlen Bier an der Strecke sass, den kümmerten die wenigen Unterbrüche kaum. Abschliessend darf der Organisation gratuliert werden, denn die beiden Solitude-Tage gingen viel reibungsloser über die Bühne als in den letzten Jahren.
Führungsfahrzeuge und Schikanen
Einst wurden auf der Solitude Durchschnitte von rund 180 km/h gefahren, an solche Geschwindigkeiten ist natürlich heute kaum mehr zu denken. Mit mehreren Bremsschikanen und einem Führungsfahrzeug, das nicht überholt werden durfte, versuchten die Organisatoren die Tempi tief zu halten, zu tief für einige Fahrer, die darüber klagten, kaum über den zweiten Gang hinauszukommen.
Hinter dem “Pace Car” kam es auch immer wieder zu heiklen Situationen, denn dort stauten sich jeweils die schnellsten Fahrzeuge.
Die Porsche-Armada
Für Porsche war und ist die Solitude ein Heimspiel. Schon 1956 siegten Hans Herrmann (2017 übrigens in einem 550 Spyder mit dabei) und Wolfgang Graf Berghe von Trips mit dem Porsche 550 RS Spyder einen Doppelsieg bei den Sportwagen. Der Höhepunkt war dann der Doppelsieg mit den Formel-1-Porsche, als Dan Gurney und Joakim Bonnier als Erste durchs Ziel gingen.
Da lag es natürlich nahe, diesen Achtzylinder-Monoposto wieder zu bringen, nebst einem Formel-2-Wagen. Dazu gesellte sich dann noch ein Porsche 962C aus dem Werk, sowie der 928 S Trigema.
Aus privater Hand kamen noch eine gute Handvoll weitere Porsche-Prototypen (906, 907, 908/3, 910, etc.) dazu. Den stärksten Wagen brachte wohl Antonius Trichas an den Start, der 917/30 leistete in seiner aktiven CanAm-Zeit immerhin stolze 1100 PS.
Sterne von nebenan
Ein Sportanlass in Stuttgart ohne Mercedes-Benz ist kaum denkbar, schliesslich sind auch die Daimler-Leute dort zuhause. Otto Merz gewann mit dem Typ S das Rennen “Rund um die Solitude” im Jahr 1927. Schön dass ein solches Auto auch 2017 wieder am Start war, ein weisser Typ S, gefahren von Jochen Mass.
Weniger mit der Solitude verbandelt ist die sogenannte “Rote Sau”, mit der AMG im Jahr 1969 die Tourenwagen-Elite ins Schwitzen brachte. 400 PS stark war der damals auf 6,8 Liter aufgebohrte V8. Wegen Reifenproblemen klappte der erste EInsatz allerdings nicht, erst 1971 kam die Revanche. Auf der Solitude gab es den schweren Tourenwagen gleich dreifach zu sehen, einmal als Aussstellungsstück (ein Nachbau des verschwundenen Originalrennwagens) und zweimal auf der Piste, einmal standesgemäss in Rot und ein zweiter Wagen in Blau.
Steinmetz wetzte die Messer
Klaus A. Steinmetz hiess der Mann, der in den Siebzigerjahren mit professionellem Tuning für schnelle Opel-Fahrzeuge sorgte. Seine Commodore mischten die Tourenwagenrennen auf.
Auf der Solitude fanden gleich drei dieser Steinmetz-Opel zusammen, zwei Commodore und ein GT, ergänzt um einen weiteren GT und einen Manta A, alle im selben Gelb gespritzt.
ONS-Streckenstaffel fast wie damals
Ein “Déja-Vu” gab es für viele Rennfans, wenn jeweils ein Rennfeld vorbeigezogen war, denn am Schluss fuhren jeweils die ONS-Streckensicherungswagen von damals mit. Heute sind die ONS-Autos von damals natürlich Museumsstücke und sie können teilweise auf fast schon abenteuerliche Geschichten zurückblicken.
Der erste Streckensicherungswagen, ein Porsche 914/6, etwa, wurde nach seinem aktiven Einsatz in die Schweiz verkauft, wo er wieder zum Rennwagen zurückgebaut wurde, wie er an der Monte Carlo Rallye gelaufen war. Später ging der Wagen in die USA, dann nach Grossbritannien, bis ihn Recaro schliesslich zurückkaufen konnte und wieder in ONS-Optik versetzte.
Bodeneffekt aus dem Osten
Er sieht zwar nicht so elegant aus wie das Original, aber er war (im Osten) fast genauso erfolgreich wie der Lotus 79, mit dem Mario Andretti und Ronnie Peterson einst Kreise um ihre Formel-1-Gegner fuhren. Die russische Variante namens Estonia 21 von 1986 wurde damals von Viktor Kosankow gefahren und war 1988 das Gesamtsiegerfahrzeug um den “Pokal für Frieden und Freundschaft der sozialistischen Länder”.
Angetrieben wurde der Monoposto von einem 1,3-Liter-Lada-Motor, geschaltet wurde mit einem umgebauten Sappo-Getriebe mit fünf Gängen. Die ungefährt 120 PS reichten, um den etwa 420 kg schweren Monoposto dynamisch vorwärtszuschieben.
Damit war der Estonia aber nicht der einzige Formel-Wagen mit Lada-Motor. Auch der MT77, erbaut von Ulli Melkus und Hartmut Thassler, setzte auf die Kraft des russischen Motors. Immerhin 150 PS sollten für 270 km/h gereicht haben. Der Wagen wurde im Jahr 1989 DDR-Meister der Formel Easter bis 1300 ccm. In der Ost-Europameisterschaft des Jahres 1986 schaffte er den dritten Rang.
Ein Genuss für Auge, Ohr und Nase
Natürlich ist das Solitude Revival keine Rennsportveranstaltung. Es ging weder um Sekunden, noch um Siege. Aus Zuschauersicht tat dies der Freude wenig Abbruch, schliesslich kam man in den Genuss, die unterschiedlichsten Automobile und Motorräder nicht nur stehend, sondern eben auch fahrend zu sehen, und erhielt so ein Erlebnis für alle Sinne vorgesetzt. Den meisten reichte dies. Denjenigen, die mehr Rennsportspektakel am Limit erwarten, seien die Veranstaltungen auf dem Nürburgring oder in Goodwood empfohlen.
Ein Wunsch, den mancher BMW-Fan im Herzen trägt, ging allerdings wieder nicht in Erfüllung. Es wäre doch sicherlich interessant, nochmals ein ganzes Rennfeld mit BMW 700 Tourenwagen aufzustellen, so wie damals, als gerade die Kleinsten für die grössten Rennen sorgten.
Weitere Fotos und weitere Informationen
Wer noch nicht genug Bilder gesehen hat, den verweisen wir oben links zu den Fotogalerien pro Rennfeld. Für weitere Informationen zum Solitude Revival navigiert man am besten zur offiziellen Webseite .
Zum Schluss soll noch eine persönliche Widmung erlaubt sein. Zu einer gelungenen Veranstaltung gehören nicht nur interessante Fahrzeuge, zahlreiche Teilnehmer und Zuschauer sowie gutes Wetter, sondern auch ein einsatzfreudiges und freundliches Streckenpostenpersonal, das in der Hitze des Tages auch mal eine ganze Wasserflasche spendiert. Dem Streckenposten 8 sei Dank! Wir sehen uns 2019 wieder!
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