Rechtzeitig zur Eröffnung der Retro Classics in Stuttgart zeigte sich der Frühling mit aller Kraft und Temperaturen, die an der 20-Grad-Grenze kratzten. Da dürfte noch mancher Oldtimer-Liebhaber oder Youngtimer-Kaufinteressent wach geworden sein und die Fahrt zur Messe Stuttgart unter die Räder genommen haben. 77’000 Besucher waren es 2013, für 2014 bestätigte Organisator Karl Ulrich Herrmann über 80'000 Besucher.
Vergessene französische Marken im Zentrum
Und den Besuchern, die zwischen dem 13. und 16. März 2014 durch die acht Hallen mit über 100’000 Quadratmetern Ausstellungsfläche pilgerten, wurde auch einiges geboten. 1428 Aussteller zeigten über 3’000 Fahrzeuge, wovon ein erheblicher Teil auch käuflich zu erwerben war.
Vorwiegend in fester Hand allerdings zeigten sich die fast zwei Dutzend Klassiker, die verschwundene und teilweise vergessene französische Automarken im Atrium repräsentierten. Auf engstem Raum wurden Fahrzeuge der Marken Delahaye, Delage, Bugatti, Avions Voisin, Hotchkiss, Salmson, Lorraine-Dietrich, Talbot, Panhard & Levassor und Facel Vega gezeigt. Und sogar ein Hispano-Suiza H6B hatte sich unter die Strassen- und Rennfahrzeuge geschmuggelt. “Kunst auf vier Rädern”, nannte Vorkriegs-Experte Daniel Lapp zurecht die versammelten Fahrzeuge in der Pressekonferenz.
Im Zentrum des Publikumsinteresses stand neben dem natürlich viel bewundertem und mit einem Retro Classic Award ausgezeichneten Delahaye 135 M Compétition von 1938 mit einer hocheleganten Karosserie von Figoni et Falaschi besonders auch der Bugatti Typ 41 Royale Packard Prototype von 1926, der während vier Jahren restauriert und nun zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert wurde. Auch er sahnte natürlich einen der Retro Classic Awards ab, die von einer Jury um Detlev Krehl vergeben wurden.
Passat Syncro für Förster und Geschäftsmänner
Wie jedes Jahr gab es an der Retro Classics auch Fahrzeuge zu entdecken, die zwar noch keine 50 Jahre alt, aber trotzdem von unseren Strassen schon weitgehend verschwunden sind. Ein Beispiel hierfür ist der VW Passat Syncro, der im September 1983 noch als Passat “Tetra” auf der IAA in Frankfurt stand, zur Markeinführung im Oktober 1984 dann aber wegen Namensstreitigkeiten Syncro hiess.
Ausgerüstet mit der Antriebstechnik des Aud Quattro war der bis 1988 als Vier- und Fünfzylinder gebaute Passat Syncro der erste Volkswagen mit Alltradantrieb seit dem Iltis.
Gekauft wurde der Passat für das Grobe von Förstern, Gebirgsbewohnern oder Managern, die einen Sinn für das Besondere hatten.
Und genau diese Dualität präsentierte die Interessengemeinschaft für Passat-Fahrer (Typen 32/33 und 32B) mit je einem verdreckten und erst kürzlich gefundenen frühen Modell aus dem Jahr 1984 mit 215’000 km und einem wie aus dem Ei gepellten Exemplar aus dem Jahr 1985 mit grosszügiger Ausstattung. Passend zu den Fahrzeugen waren auch die Schaufensterpuppen gekleidet.
Fruas Schönster? 50 Jahre Glas 1300/1500 GT
Der Glas-Club feierte den 50. Geburtstag der kleinen Sportwagen von Anderl Glas, genannt 1300 GT und später 1500 GT. Die von Pietro Frua gezeichneten Coupés und Cabrios überzeugen bis heute mit Eleganz, was sich auch von der ebenfalls raren grünen Limousine 1700 aus der Hand desselben italienischen Designers sagen lässt, die ebenfalls auf dem Glas-Club-Stand zu bewundern war.
Das Julchen feiert Geburtstag
Auch die Alfa Romeo Giulietta feiert Geburtstag, wurde sie doch bereits vor 60 Jahren vorgestellt. Youngtimer-Liebhaber dürfte bei der kleinen Giulietta-Zusammenstellung vor allem die selten an Automessen gezeigte und schon zu Lebzeiten rare Giulietta Turbodelta Limousine aus dem Jahr 1983 gefreut haben.
Für interessierte Blicke auf dem Alfa-Stand sorgte aber auch das einzige existierende Castagna-Coupé auf dem Alfa Romeo 6C 2500 S Fahrgestell aus dem Jahr 1939, das zudem mit dem Prototypen-V12-Motor ausgerüstet war.
Eine erfreuliche Opel-Geschichte
Für viele bewundernde und wohl auch wehmütig nostalgische Blicke sorgte die Opel-Insel in Halle 5. Von den verschiedenen Clubs wurde ein grosses Spektrum an Fahrzeugen vom Vorkriegs-Olympia-Cabriolet bis zum Ascona B 400 gezeigt und vor allem die Modellreihen Olympia, Kadettt, Rekord sowie Manta und GT zeigten sich in ihrer grossen Vielfalt.
Auch hier sorgten (Schaufenster-Puppen-) Fotomodelle und sorgfältig ausgesuchte Stand-Accessoires für die richtige Stimmung.
Der Stern im Zeichen des Tourenwagensports
Mercedes Benz blickt 2014 auf 120 Jahre Motorsport-Geschichte zurück. Während in Paris an der Rétromobile Silberpfeile, Prototypen und Rennsportwagen gezeigt wurden, war das Zentrum der Stuttgarter Ausstellung der Tourenwagen-Sport mit den Modellen 190 E 2.3-16, C-Klasse und deren Nachfolgern.
Die Exponate zeigten deutlich, wie der Tourenwagen bereits vor 20 Jahren weit weg vom Serienfahrzeug waren, während die Verwandtschaft mit dem Serienpendant in den Achtzigerjahren noch gut sichtbar war.
Auch die Mercedes-Clubs hatten wie immer grosszügig dimensionierte Auftritte und zeigten viele der beliebten Mercedes-Klassiker in aller Breite, wobei insbesondere zwei 170 V Cabriolets auffielen, weil sie den Kontrast zwischen unrestauriertem Scheunenfund und wieder hergestelltem neuwertigen Zustand transparent dokumentierten.
Porsche auf Mission
Das Porsche-Jahr 2014 steht eindeutig unter dem Zeichen der Le-Mans-Teilnahme. Entsprechend wurden dann iauch Fahrzeuge aus dem Werksmuseum nach Stuttgart gebracht, die mit den 24 Stunden von Le Mans in irgend einer Form verbunden sind.
Dass man dabei auf weniger bekannte und vielleicht auch nicht vollständig erfolgreiche Wagen zurückgriff, dürfte vor allem die Besucher gefreut haben, die sich am Martini-917 oder an den Modellen 936 und 962 schon anderswo sattsehen konnten.
Dafür konnte man einen Blick auf das frühe Porsche 356 SL Coupé von 1950 oder etwa den 917/20 von 1971 mit der Schweinchen-Lackierung werfen. Und auch der 924 GTP hatte seinen Auftritt. Zudem wurde der Dauer-Porsche 962 von 1994 gezeigt.
Die Clubs als Marken-Repräsentanten
Während grosse Hersteller wie Porsche oder Mercedes mit Werkspräsenz vor Ort waren, überliessen andere das Feld den Clubs. Dass dies kein Nachteil sein muss, zeigten die vielen aufwändig gestalteten Präsentation der marken-orientierten, aber auch der marken-übergreifenden Clubs.
Der Allgemeine Schnauferl-Club etwa stellte drei Rennfahrer ins Zentrum - Hans Herrmann, Rudolf Caracciola und Paul Pietsch.
Bei den BMW-Clubs gab es unter anderem ein seltenes Alpina BMW B7 Turbo Coupé aus dem Jahr 1985 zu sehen, von dem gerade einmal 110 Stück mit 330 PS und 512 Nm wurden gebaut wurden. Und mit einem BMW 501 von 1954 war wohl eines der frühesten noch fahrenden Exemplaren dieser Gattung in Stuttgart zu bestaunen.
Einen Farbtupfer boten die Mini Mokes, von denen einer auch in Pink ausgestellt war. NSU TT-Varianten in motorsportlicher Aufmachung erfreuten die Anhänger von Kampfzwergen, ein herrlich orange-farbener Ford Capri XL die Fans des englisch-deutschen Erfolgsmodells von Ford.
Und wann hat man schon einmal einen Mazda RX-4 Stationswagen mit Zweischeiben-Wankelmotor gesehen oder den ersten gebauten Mazda-Personenwagen, das R-360 Coupé.
Oder gleich zwei Gutbrod Superior beisammen?
Die Edlen von Erdmann & Rossi
1897 gründete Willy Erdmann eine Werkstatt für Kutschen, 9 Jahre später trat im der Autoverkäufer Eduard Rossi zur Seite. Das Gespann währe nicht lange, Rossi verunfallte 1909 tödlich, Erdmann zog sich aus dem Geschäft mit Automobilteilen zurück. Fortan kümmerte sich die Firma Erdmann & Rossi unter der Leitung des bisherigen Mitarbeiters Friedrich Peters auf Luxusaufaufbauten, von denen wöchentlich zwei bis drei Exemplare gefertigt wurden.
Aus ihrem Schaffen zeigte die SK Collection des litauischen Sammlers Saulius Karosas einige Modelle mit Fahrgestellen von Rolls-Royce, Audi, Horch und Mercedes Benz. Diese Sonderschau erhielt genauso wie die Atriumsausstellung der “11 französische, historische Marken” übrigens einen Retro Classics Award.
Premium-Halle 1 für Kaufkräftige
In der Halle 1 waren 2014 die Premium-Händler und Restaurier der Oberliga konzentriert. Entsprechend gab es da natürlich auch besonders seltene, aber auch teure Fahrzeuge zu sehen.
Einige Betriebe schufen mit der Präsentation von Garagenfunden und Restaurationsobjekten zusätzliche Kontraste. Mechatronik zeigte einen DTM-190-E von Mercedes zusammen mit einem 300 SL Flügeltürer und 300 S und SL Roadster-Varianten, auch dies ein interessanter Gegensatz.
Bei Lutziger Classic Cars gab es einen Porsche 914/6 GT Werksrennwagen aus dem Jahr 1969 zu sehen, eine ganz besondere Rarität in originalgetreuer oranger Lackierung.
Auf dem Gemeinschaftsstand der Graber Sportgarage und der Oldtimer Galerie Toffen konnte ein Jaguar XK 120 Supersonic bewundert werden, von dem beim Ghia gerade einmal zwei Exemplare gebaut wurden.
Dem ebenfalls in Halle 1 präsentierten Maserati 300 S wurde der Retro Classics Award als schönstes Rennfahrzeug verliehen, eine Recreation des Wagens gab es nur wenige Meter weiter für vergleichsweise geringes Geld neben einem Datsun 1600 Fairlady und einem Westfield Eleven auf dem Allianz-Stand zu entdecken.
Alleine der gewissenhafte Besuch der Halle 1 mit einem Schwätzchen hier und da nahm bei manchem Besucher gleich einen halben Tag (oder mehr) in Anspruch.
Kaufen und Verkaufen
Während die Aussteller sich natürlich auf das Finden von Interessenten und Kunden ausrichten, kamen die Besucher wohl teilweise einfach zum Stöbern, aber zu einem relevanten Teil sicher auch mit mehr oder weniger spezifischen Kaufabsichten. Ihnen boten sich neben den Premium-Händlern in Halle 1 viele weitere Möglichkeiten, an den Wunschklassiker zu kommen. Gewerbliche Anbieter und Privatpersonen zeigten ein natürlicherweise vor allem deutsch dominiertes Angebot, aber auch manchen fremdländischen Exoten. Und bei manch rarem Exemplar musste man schnell sein, wie etwa bei einem originalen Saab Sonett III von 1971, der bereits am ersten Tag mit “verkauft” markiert wurde.
Wie immer in Stuttgart war die Breite des Angebots beeindruckend, wer sich für ein seltenes Martini-Sondermodell des Porsche 924 interessierte, wurde genauso fündig wie Liebhaber der Borgward Isabella.
Wiederum war es sogar möglich, den erworbenen Wagen gleich vor Ort neu zuzulassen, was 2013 immerhin einige Hundert Käufer genutzt hatten.
So ging dann wohl mancher der über 80’000 Besucher mit weniger Geld, aber einem neu erworbenen Klassiker nachhause oder aber zumindest mit neuem Stoff zum Träumen.
Die Händler jedenfalls zeigten sich am Sonntag zufrieden, so liess sich etwa Joachim Sickel, Inhaber des Rutesheimer Autohauses Stickel Pagoden-Center, verlauten: „Zum ersten Mal konnten wir bereits bis zum Sonntagmorgen drei Fahrzeuge verkaufen; ich rechne außerdem mit einem guten Nachmessegeschäft".
Und auch der Veranstalter zeigte sich in seiner Strategie bestätigt. In einer Besucherumfrage gaben nämlich 92% der Besucher, von denen 11% aus dem Ausland (Schweiz (31%), Frankreich (22%) und Österreich (19%), usw.) angereist waren, an, die Messe gerne weiterzuempfehlen.
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