Auf dem Goodwood Estate im "South Downs National Park" in Sussex huldigte man von 23. bis 26. Juni 2022 wieder der Geschwindigkeit. Beim 29. Goodwood Festival of Speed versammelten sich rund 500 der berühmtesten, besten oder skurrilsten Rennwagen der Geschichte zu einem fröhlichen "Jeder-gegen-jeden" im Vorgarten des Duke of Richmond.
Volksfest mit Benzingeruch
Das Goodwood Festival of Speed ist im Grunde genommen ein Bergrennen, auch wenn es nur 1,86 Kilometer einen kleinen Hügel ohne nennenswerte Steigung hinaufgeht. Aber in Wirklichkeit ist es viel mehr als das. Denn seit der ersten Veranstaltung, die 1993 hier stattfand und eher die Atmosphäre einer Gartenparty hatte, ist die Veranstaltung nun eines der wichtigsten globalen Motorsportereignisse mit über 200'000 Zuschauern an vier Tagen. Die Veranstaltung ist ein Magnet für alle "Superstars" des Motorsports: aus der Welt der Formel 1, des Rallyesports, des Moto GP, der Sportwagen, der neuen Technologien und natürlich der der historischen Autos und Rennwagen.
Jedes Jahr steht eine Automarke im Mittelpunkt, die sich werbewirksam präsentieren darf. Dieses Jahr feierte BMW wie schon am Nürburgring 50 Jahre "Motorsport GmbH". Dazu wurde unter anderem eine eindrucksvolle Skulptur vor dem Goodwood House errichtet, die echte historische BMW in den Himmel reckte und der anwesenden Motorsportwelt zeigte.
Das Herzstück der Veranstaltung ist jedoch das herausragende Angebot an historischem Motorsport, das von den Anfängen des Motorsports bis in die jüngere Vergangenheit reicht. Die Pioniere wurden neben anderen repräsentiert durch einen Mercedes-Simplex 60 HP von 1903, den 1933er Napier-Railton-Rekordwagen mit Flugmotor und dem glorreichen Auto-Union-Typ-C-Bergrennwagen mit Zwillingsreifen auf der Hinterachse.
Aus der frühen Nachkriegszeit stammten die Langstreckenwagen der Fünfziger wie Mercedes-Benz 300 SLR und Jaguar D-Typ. Die amerikanische Motorsport-Szene war mit der Klasse der "Brickyard Heroes", den Helden von Indianapolis, gut vertreten. Unter ihnen befanden sich neben Nascar-Rennwagen auch ein March 86C sowie der wunderbare Kuzma-Offenhauser "Dean Van Lines Special" von 1957.
Nicht vergessen hier sollte man die Motorradfahrer. Ein besonders emotionaler Moment ergab sich, als vier Legenden des Zweirad-Rennsports nochmals gemeinsam den Berg hochfuhren: Wayne Rainey, Kenny Roberts, Michael Doohan und Kevin Schwantz, alle auf ihren legendären Zweitakt-Rennmaschinen. Wayne Rainey stieg trotz seiner schweren Behinderung wieder auf den Sattel seiner Yamaha YZR 500.
Drei Gründe zum Feiern
Neben BMW feierte auch Ferrari ein Jubiläum. Zum 75-jährigen Bestehen liessen sie über 30 "Hengsten" aus der ganzen Welt auf die Rennstrecke, vom 125S aus dem Gründungsjahr bis zum aktuellen 488 Challenge. Dazwischen tummelten sich Le-Mans-Prototypen, ein 250 GTO, mehrere Formel-1-Wagen – einschließlich Nigel Mansell in einem Ferrari 639 von 1989 und gleich zwei "Sharknose"-Repliken – sowie mehrere GT- und Rennsport-Wagen.
Zu den "jüngsten Alten" zählten die Wagen der Sonderausstellung "40 Jahre Gruppe C". Neben den berühmten Porsche 956 und Sauber-Mercedes fuhren hier auch Ford C 100, Lancia LC 2 und Nissan NPT-90.
Die Formel-1-Fans erlebten ein fantastisches Spektakel mit über 20 Fahrzeugen, von einem Connaught B-Type von 1955 über Lotus 25, Renault RS 10, Toleman TG 183 und Williams FW-14 bis zum McLaren MP4/25 des Jahres 2010. Auch seltener gezeigte Stücke wie Porsche 804 und Ferrari D50 nahmen den Berg unter die Räder.
BMW präsentierte seine Jubilare freilich nicht nur statisch in der Luft aufgehängt. Mit einer hochkarätigen Auswahl an M-Modellen, die Klassiker wie das "Batmobile" 3.0 CSL, den M1 Procar, den ersten M3 und den McLaren F1 GTR mit BMW-V12 enthielt, führten die Münchener durch die Firmengeschichte.
Über Stock und Stein und Kuppe voll
Das Festival of Speed ist inzwischen sehr vielseitig, wird aber meist nur auf den "asphaltierten" Teil beschränkt. Die zweitgrößte – leider häufig übersehene – Attraktion neben dem Bergrennen ist die Rallyestrecke. Dabei handelt es sich um eine eigens errichtete Schotterprüfung tief in den Wäldern des Goodwood Estate, die sich windet, dreht, hebt und senkt und die Autos entweder in wilde Dirfts zwingt oder gleich in die Luft katapultiert.
Sie zieht alle großen Namen und Autos von gestern und heute an, die alle nach Colin McRaes alter Weisheit "If in doubt – Flat out" gefahren werden: Vollgas. Mit zahlreichen Audi Quattro, Ford Escort der ersten bis dritten Generation – inklusive einem Mk1 aus dem Besitz des britischen Rallyefahrers Roger 'Sideways' Clark – und feuerspuckenden Gruppe-B-Monstern bot sich hier staubige, aber spektakuläre Unterhaltung.
Die Gruppe A wurde vertreten durch Lancia Delta Integrale, Subaru Legacy RS und Ford Escort Cosworth. Neben den typischen Klassikern gab es auch ungewöhnlichere Autos wie einen Citroën DS, einen Lotus Esprit S1 oder einen Austin Maxi, der einst die Rallye London-Sidney fuhr, zu auf dem harschen Geläuf zu bemitleiden.
Keine Klassen, nur Vollgas
Den Abschluss des Wochenendes bildete das traditionelle "Shootout", bei dem jeder, der noch will und kann, auf Bestzeit die Rennstrecke hinaufdonnert. Eine Einteilung nach Klassen gibt es hier nicht. Wer ganz oben auf dem Podeststehen will, sollte demnach einen möglichst modernen und schnellen fahrbaren Untersetz dabei haben.
Max Chilton bewies diese These eindrucksvoll, indem er im nagelneuen McMurtry Spéirling in nur 39,08 Sekunden den Hügel emporwetzte und damit einen neuen Streckenrekord aufstellte. Der Grund: Der winzige Elektro-Sportwagen ist ein "Fan-Car" wie Chaparral J2 und Brabham BT46B, das sich durch ein Gebläse auf die Strasse saugt und so eine enorme Bodenhaftung hat.
Den vorherigen Rekord von 39,9 Sekunden hatte erst 2019 Romain Dumas im gewöhnlich bespoilerten VW ID.R aufgestellt. Davor hatte die Bestzeit von Nick Heidfeld (41,6 Sekunden) im McLaren MP4/13 unglaubliche 20 Jahre lang bestanden. Die fehlende Klasseneinteilung sorgte jedoch für einige Überraschungen im Klassement. So schoben sich Ben Mitchell im 44 Jahre alten March-BMW 832 und Justin Law im Jaguar XJR12 D von 1993 auf die Plätze drei und vier zwischen moderne Renngeräte von Porsche und Subaru.
Der Dodge Viper GTS-R von 2001 erzielte mit Rang neun und einer Zeit von unter 50 Sekunden ebenfalls einen Achtungs-Erfolg. Ebenso wie der berühmte Calsonic-Skyline auf Platz 15: Der ehemalige JTCC-Rennwagen mit dem heiseren Sound musste sich mit 51,32 Sekunden nur knapp einem modernen BMW M4 CSL geschlagen geben.
Die Essenz von Goodwood
Aus Sicht des Fotografen verkörpert jedoch kein Auto den Geist des Festival of Speed so sehr wie der Auto Union Typ C. Die Kombination aus Optik, Technik und Akustik, aus Faszination und Furcht, Geschwindigkeit und Unfahrbarkeit erreicht hier ihren Höhepunkt. Der 520 PS starke Sechsliter-Sechzehnzylinder war 1936 der erfolgreichste deutsche Rennwagen und gewann drei von fünf "Grand Prix", die Hälfte der Rundstrecken- und Bergrennen, die die Auto Union bestritt. Ursprünglich sollte Hans-Joachim Stuck den Wagen in Goodwood fahren, war aber leider verhindert. So sprang Tom Kristensen ein.
Damit ist das Festival of Speed für ein weiteres Jahr beendet. Aber 2023 wird die Veranstaltung 30 Jahre alt und verspricht, wieder einer der Motorsport-Höhepunkte im Kalender zu werden. Wenn Goodwood sich selbst feiert, ist Grosses zu erwarten.