1959 war kein einfaches Jahr für Lotus und seinen Gründer Colin Chapman. Der Lotus 16, von Graham Hill und Innes Ireland in der Formel 1 mit grossem Engagement gefahren, erzielte kaum zählbare Ergebnisse. Zwar war das Auto ein eigentliches technisches Wunderwerk, doch erwies es sich als sehr defektanfällig und hatte auch konstruktive Mängel. So liessen die beobachteten Schäden die Organisatoren des Grossen Preises von Deutschland fragen, ob sie das Team überhaupt für das Rennen auf der Avus zulassen konnten.
Der Lotus 17, der Nachfolger des Lotus 11 in den kleinen Klassen mit ca. 1 Liter Hubraum, konnte das Ziel, dem Lola 1100 die Stirn zu bieten, nicht erfüllen..
Zu guter Letzt stand der Serienanlauf des Lotus Elite (Lotus 14) auf dem Programm. Um diese Herausforderung zu meistern, verliess Lotus die engen Räume in Hornsey und zog nach Cheshunt um. Gleichzeitig wurde die Gruppe neu formiert und bestand fortan aus drei Firmen: Team Lotus für die Rennaktivitäten, Lotus Components für die Herstellung der Kundenrennfahrzeuge (insb. des Seven) und Lotus Cars für die Produktion und Vermarktung des Elite.
Obwohl die Firma in Rennsportkreisen einen Reputationsverlust hinnehmen musste, fand Colin Chapman erst im Spätherbst 1959 die Zeit, sich mit dem Konzept für den Monoposto für das kommende Jahr auseinanderzusetzen.
Die Wende
Für 1960 galt immer noch die 2,5-Liter-Formel und der Lotus 16 hätte somit noch ein weiteres Jahr seinen Dienst versehen können. Zu jener Zeit war Chapman überzeugt, dass die Anordnung mit Frontmotor durchaus Vorteile hatte, weil die Distanz zwischen den polaren Momenten Motor und Tank dem Auto bei schneller Fahrt durch die Kurven Stabilität verlieh. Ausserdem äusserte er sich wenig schmeichelhaft über die konstruktive Gestaltung der Cooper.
In einer kurzen und schwierigen Zeit entstanden
Trotzdem, als Colin Chapman im Herbst 1959 das Konzept für den Lotus 18 der Konstruktion zur Ausarbeitung übergab, stand ein Mittelmotor-Rennwagen auf dem Programm. Und im Gegensatz zur Komplexität des Lotus 16 war der Lotus 18 ein extrem simples Auto. Whitelock bezeichnet es als Wendepunkt (U-turn, 180°-Wende) im Denken von Colin Chapman.
Vom Lotus 18 gab es zwei Versionen: eine für die Formel Junior und eine für die Formel 1 und 2. Um einen Eindruck vom zeitlichen Ablauf der Entstehung zu bekommen, müssen die folgenden Eckdaten betrachtet werden:
- Juni 1959
Umzug der Firma von Hornsey nach Cheshunt - 14. Oktober 1959
Einweihung der neuen Fabrik in Cheshunt - Mitte November 1959
Konzept des Lotus 18 liegt vor - 26. Dezember 1959
1. Start des Lotus 18 FJ: Boxing Day Meeting at Brands Hatch mit Alan Stacey am Steuer. Er startete vom 4. Platz und klassierte sich als Siebenter. - 07. Februar 1960
1. Start des Lotus 18 F1: VII Gran Premio de la Republica Argentina (1. Lauf zur FIA-Fahrer- und Konstrukteursweltmeisterschaft 1960) mit Innes Ireland am Steuer. Er startet vom 2. Platz, lag nach dem Start kurz in Führung und klassierte sich als Sechster.
In seinem Bericht zum Grossen Preis von Argentinien betonte Innes Ireland stolz, dass er sich zum ersten Mal in einem Grand Prix mit einem Lotus ernst genommen fühlte. Und die Reaktion liess nicht lange auf sich warten. Rob Walker orderte für seinen Fahrer Stirling Moss sofort ein Auto und das Privatteam gewann den folgenden Lauf zur Weltmeisterschaft, den Grossen Preis von Monaco. Lotus war in der Grand-Prix-Welt vorne angekommen.
Auch in der Formula Junior dominierte Team Lotus mit Jim Clark, Trevor Taylor und Peter Arundell die verschiedenen englischen Meisterschaften.
Erfolge
Der Lotus 18 bescherte der Marke die ersten vier Siege in einem Weltmeisterschaftslauf. Sie wurden allerdings alle von Stirling Moss auf Autos des Rob Walker Teams und nicht vom Werksteam selber erzielt. (Der erste Sieg eines Werksautos erzielte Innes Ireland am Grossen Preis der USA 1961 auf dem Nachfolgemodell Lotus 21).
Neben den Exploits von Stirling Moss war der Lotus 18 in internationalen Rennen mässig erfolgreich. Whitelock führt das darauf zurück, dass die Autos insgesamt sehr defektanfällig waren. Die Erfolge in den englischen Clubrennen waren deshalb vor allem der Tatsache geschuldet, dass sie eigentliche Sprints waren. Nicht vergessen werden sollte auch, dass der schwere Unfall von Stirling Moss anlässlich des Grossen Preises von Belgien 1960 auf den Verlust eines Rades zurückzuführen war. Und das war nicht der einzige Vorfall dieser Art.
Auf Lotus 18 konnten Innes Ireland, John Surtees und Jim Clark ihre internationalen Karrieren lancieren (obwohl Ireland schon 1959 auf Lotus 16 in den Weltmeisterschafsläufen eingesetzt wurde). Mit seinen Siegen über Stirling Moss 1960 auf Lotus 18 und im Grossen Preis der Solitude 1961 auf Lotus 21 sowie dem Sieg im GP der USA Ende 1961 gehörte Innes Ireland zum Kreis der internationalen Spitzenfahrer. Sein Rauswurf bei Team Lotus Ende 1961 beendete allerdings seinen Höhenflug abrupt.
John Surtees begann 1960 ernsthaft mit dem Autorennsport, obwohl seine Verpflichtungen bei MV Augusta ihm nicht erlaubten, alle Weltmeisterschaftsläufe zu bestreiten (er wurde dafür Motorrad-Weltmeister in der 350er- und 500er-Klasse und gewann die Tourist-Trophy in der 500er-Klasse). Seine eigenen Ambitionen vertrugen sich nicht mit denjenigen von Colin Chapman, sodass er Team Lotus schon Ende 1960 verliess.
Jim Clark gewann auf Lotus 18 sein erstes Rennen in der Fomula Junior (19.03.1960: B.A.R.C. Members' Meeting, Goodwood), sein erstes Rennen in der Formel 2 (28.08.1960: Kentish "100", Brands Hatch) und sein erstes Rennen in der Formel 1 (03.04.1961: Grand Prix de Pau, Pau). Und das war bekanntlich nur der Anfang.
Team Lotus setzte ab 1961 schon die Weiterentwicklung, den Lotus 21 ein. Der Lotus 18 konnte allerdings weiterhin bei Lotus Components bestellt werden, zumal Lotus den 21 in seiner aktiven Zeit als Werksauto nicht zum Verkauf anbot. Das galt auch für das Team von Rob Walker, obwohl Stirling Moss 1960 der erfolgreichste Lotus-Fahrer war. Aber Lotus war mit Shell und Walker mit BP verbandelt, sodass die Shell-Leute eine Weitergabe des Lotus 21 an fremde Teams verhinderten. Die Folge war, dass die British Racing Partnership (UDT Laystall Racing Team) die von Lotus gekauften 18 in Richtung Lotus 21 weiterentwickelten und so den Lotus 18/21 schufen. Walker folgte und damit gelang Stirling Moss auf Lotus 18/21 der sensationelle Sieg am Grossen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring 1961. Später konnte man den Lotus 18/21 von Lotus Components direkt kaufen.
Auf Basis der Technik des Lotus 18 enstand 1960 der Mittelmotor-Rennsportwagen Lotus 19, der in England vor allem von UDT Laystall mit Stirling Moss und in den USA von John Mecom und den Arciero Brothers (mit Dan Gurney) eingesetzt wurden.
1962 holten Maurice Trintignant im Grossen Preis von Pau den Sieg und Innes Ireland im Grossen Preis von Brüssel den dritten Rang. Das sind die letzten zählbaren, internationalen Resultate des Lotus 18 (resp. in beiden Fällen des Lotus 18/21) in internationalen Rennen. Clive Puzey setzte 1966 noch einen originalen Laystall 18/21 in der südafrikanischen Meisterschaft ein. Es sind die letzten Einsätze dieses Autos, die von Mark Whitelock gelistet werden.
Vollständig
Das Buch von Mark Whitelock erzählt die vollständige Geschichte des Lotus 18 von 1960 bis 1966, unterteilt nach Fahrern, Teams und Chassis. Eine Liste aller Einsätze findet sich am Schluss. Dem Lotus 18 FJ und dem Lotus 19 widmete er nur ein kurzes Kapitel. Die Liste der Kapitel und Anhänge umfasst:
- Introduction & Acknowledgements
- 1. Background
- 2. Change of Direction
- 3. High Torque Racer: the Coventry Climax FPF Racing Engine
- 4. 1960 Formula 1 Season – Great Expectations
- 5. 1960 Formula 2 Season – Promise Unfulfilled
- 6. 1961 Formula 1 Season – Against the Odds
- 7. 1961 Inter-Continental Season – a Damp Squib
- 8. 1962 Formula 1 Season – Second Division
- 9. 1963–66 Formula 1 Seasons – The End of the Road…and Beyond
- 10. Analyses and Statistics
- 11. Variations on a Theme
- Appendices:
I Lotus 18 Chassis by Chassis
II Lotus 18 Race Record by Chassis
III Lotus 18 Drivers
IV Lotus 18 Teams/Private Entrants
Einzelne Spezialthemen werden in Einschüben behandelt: Innes Ireland on driving the Lotus 18, John Surtees on the Lotus 18, Dan Gurney on the Lotus 18, Stirling Moss on the Lotus 18, technical update: Lotus 18/21, technical update: Lotus 18/21 V8 Special; technical update: Lotus 18 chassis upgrade to 18/21 specification; note re chassis numbers; sowie die einzelnen Fahrer.
Nicht technisch, aber konsequent und vorbildlich
Es ist kein sehr technisches Buch. Der Fokus liegt auf der Geschichte der einzelnen Chassis und der Klärung der offenen Fragen. Es ist vorbildlich gemacht und mit exzellenten Bildern versehen. Die Seiten sind sauber gestaltet und gut lesbar. Viele Tabellen ergänzen den Text. Als Hilfe gibt es ein Abkürzungsverzeichnis, eine Bibliographie und ein Schlagwortverzeichnis.
Der Lotus 18 stand gewissermassen am Anfang der Entwicklung, die Lotus in den 60er und 70er Jahren genommen hat. Obwohl von zentraler Bedeutung, fristete dieses Auto in der vorhandenen Literatur über Lotus eher ein Nebendasein und stand im Schatten der grossen Schwestern 25, 49, 72 und 79. Alles Gründe, dieses Buch zu lesen.
Eine Frage bleibt: war der Lotus 18 wirklich ein U-Turn, eine 180-Grad-Wende? Ja, weil der Motor von vorne nach hinten (in die Mitte) gewandert ist. Nein, weil er in Bezug auf die Radaufhängung eine Zwischenstufe repräsentiert, d.h. ein Weiterdenken in einem Prozess, der 1952 begann und bis in die 1980er Jahre fortgeführt wurde. Für dieses Thema lohnt sich der Blick in Ludvigsen, Colin Chapman – The Innovator, Kapitel 4, Haynes 2010.
Bibliografische Angaben
- Titel: Lotus 18: Colin Chapman's U-Turn
- Autor: Mark Whitelock
- Sprache: englisch
- Verlag: Veloce Publishing
- Auflage: 1. Auflage 2016
- Format: gebunden mit Umschlag, 255 x 255 mm,
- Umfang: 192 Seiten, 148 Bilder
- ISBN-13: 978-1-84584-520-9
- Preis: beim Verlag £ 50.00; online bei amazon.de ca. EUR 65
- Bestellen/kaufen: Online bei amazon.de , beim Verlag Veloce oder im einschlägigen Buchhandel