Jüngere Leute wissen oft nicht, und dies trotz ihrer Affinität zum Motorsport, was sie sich unter dem Begriff «Targa Florio» vorstellen sollen. Dabei handelt es sich um die wohl einzigartigste Rennstrecke in der Geschichte des Motorsports, es war (und ist bis heute noch) mit ihren 72 Kilometern die längste, wies knapp 800 Kurven aus, eine 6,9km lange Gerade (zum Vergleich: die Hunaudières von Le Mans, auch als Mulsanne Straight bekannt, ist 6km lang) und fand auf normalen öffentlichen Strassen statt, mehrheitlich Schotterstrassen, welche eher für Eselskarren konzipiert waren statt für 500PS starke Rennboliden.
400 Seiten über die längste Rennstrecke in der Motorsportgeschichte
Vincenzo Florio, ein Industrieller aus dem Weinsektor Siziliens, gründete die Targa Florio 1906, als das erste Rennen auf dieser Strecke statt fand. Drei Runden wurden gefahren und galt mit den 446km bereits als Langstreckenrennen.
Das Buch geht aber nicht allzu detailliert in die Anfänge der Targa Florio ein, gerade auf vier Seiten werden die wichtigsten Meilenstein erwähnt. Das stört aber überhaupt nicht, denn fast 400 Seiten widmen sich der Blütezeit der Targa Florio, die 1955 begann als sie erstmals zur Sportwagen Weltmeisterschaft angehörte. Und so starteten dort Rennfahrer- und Rennwagen Legenden, die man sonst nur auf asphaltierten Hochgeschwindigkeitskursen à la Nürburgring sah, so zum Beispiel die Sieger Stirling Moss und Peter Collins im Mercedes 300 SLR im Jahre 1955.
Fokus auf Themen statt Chronologie
Ein wichtiges Merkmal des faszinierenden Buchs ist dessen Kapitelstruktur: es führt einen nicht stur chronologisch durch die Jahre 1955 bis 1973 sondern weist einen gezielt auf thematisch sehr interessante Meilensteine hin, für welche je ein Kapitel gewidmet wurde. Diese wurden anschliessend alphabetisch nach ihrem TItel sortiert und ins Buch eingefügt.
So startet das Buch mit A wie Alfa-Romeo, Accidents oder Abarth, F wie Filipinetti und H wie Herrmann, Hezemans und Hill (Graham) bis zu Z wie «Zzzzz....» (symbolisch für Fotos von Rennfahrern während einem kurzen Nickerchen).
Diese Struktur hat uns sehr gefallen, da sie erfrischend anders ist und für einige Überraschungen sorgt und so die Spannung von Anfang bis Schluss aufrecht hält.
670 Euro für den Sieger
Unterhaltend und historisch spannend sind auch die Abbildungen von damaligen Unterlagen, wie zum Beispiel die Zusammenstellung der Preisgelder für die Targa Florio 1958: Während der Sieger 5'000'000 Lire erhielt (umgerechnet 670€), durften sich die Teilnehmer auf den Plätzen 21 bis 30 nur noch über 200'000 Lire freuen (26€).
Trainingsläufe mit öffentlichem Verkehr
Man kann nicht oft genug hervorheben, dass die Trainingsläufe der Targa Florio bei nicht abgesperrter Strecke stattfanden! Man muss sich dies vorstellen: Kühe, Esel, Hühner und allenfalls noch nicht verräumte Anhänger mit Obst oder Gemüse konnten plötzlich die Ideallinie versperren, ganz abgesehen von den zivilen Fahrzeugen, die vor dem offiziellen Rennen noch die Strasse benutzen mussten, um ins nächste Bergdorf zu gelangen. Auch mussten die Fahrer mit Schafherden auf der Gegenspur rechnen... viele Fotos im Buch zeigen Eindrücke der Trainingsläufe, einzigartig!
Ein Essen mit Enzo Ferrari anstrengender als 50 Runden Targa Florio...
Viele Zitate von Fahrern und Teamchefs fanden den Weg ins Buch, manchmal stammen gar ganze Kapitel von damaligen Teilnehmern, so zum Beispiel das Kapitel über Sandro Munari, in dem man erfährt, dass er als damaliger Lancia Werksfahrer an Ferrari ausgeliehen wurde und in einem Ferrari 312PB an den Start der Targa Florio geschickt wurde: 450 Ferrari PS statt 160 Lancia-Fulvia PS... Und er erzählt vom spontanen Besuch Enzo Ferraris und dass er überraschenderweise von ihm zum Mittagessen eingeladen wurde: nur er und Enzo, «anstrengender als 50 Runden Targa Florio zu fahren»...
Bilder von McKlein und Cahier erzählen die Geschichten
Der Schwerpunkt des Buchs liegt gewiss auf den Fotos: dank dem grossen Format (31x30cm) und den angenehm dicken Papierseiten kommen die auch richtig gut zur Geltung. Die Bandbreite an Sujets wurde voll ausgeschöpft und reicht von Landschaftsaufnahmen bis zu Detailaufnahmen von Motoren. Oft zaubern die Fotos ein Lächeln ins Gesicht des Betrachters, viele Fotos wurden noch nie zuvor veröffentlicht, und dies macht das Buch auch so einzigartig.
Ein bisschen Statistik
Am Schluss des Buchs folgen Zusammenfassungen pro Jahr. Dort werden chronologisch alle wichtigen Ereignisse aufgelistet und die wichtigsten Fahrer sowie Rennwagen erwähnt. Eine detaillierte Siegerliste über alle Jahre bildet den Schluss des Buchs.
Für wen ist Buch interessant?
Das Buch adressiert durch seine Aufmachung viele Motorsport-Enthusiasten: die Qualität der Fotos ist auf höchstem Niveau, dies auch dank der qualitativ hochstehenden Papierauswahl. Für Liebhaber der Sportwagen-Weltmeisterschaften ist dieses Buch eigentlich ein Muss, denn es ergänzt perfekt die Sammlung der Bücher über dieses Thema, diesmal garantiert aus einem speziellen Blickwinkel.
Alle Texte sind dreisprachig verfasst (Deutsch, Englisch und Italienisch) und fassen prägnant und amüsant die Themen zusammen.
Auch wenn das Buch kein Nachschlagewerk für Historiker dient, birgt es dennoch viele Details, die man zuvor noch nicht kannte. Den Anspruch an Vollständigkeit aller Details kann es aber nicht erfüllen, wäre aber mit drei Sprachen in einem Buch auch nicht möglich gewesen.
Weitere Informationen
- Buch kaufen bei Amazon oder direkt bei McKlein
- Verlag: McKlein Publishing / Verlag Reinhard Klein GbR
- Autor: Ed Heuvink (er schrieb auch das Buch über Jo Siffert )
- Fotos von Bernard Cahier, Archiv McKlein (Alois Rottensteiner, Hans-Georg Isenberg, Lars Olaf Magnil, Antonio Biasioli, Hugh Bishop) und LAT
- ISBN: 978-3927458666
- 415 Seiten (farbig), 31x30cm, 4cm dick
- Preis: Euro 99.90
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Heinold