„Dass „Audi“ der ins Lateinische übersetzte Imperativ „höre“ und gleichbedeutend mit „horch“ ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden.“ So beginnt das Kapitel der Wiederbelebung der Marke Audi im Jahr 1965 im von mir mit Spannung erwarteten Buch mit dem Titel „Audi“. Der Reiz der Ankündigung lag für mich im Untertitel, weil dort auch die Marken DKW, Horch und Wanderer, die im Jahr 1932 den Zusammenschluss zur „Auto Union“ bildeten, in dieser Typologie zusammen gefasst werden sollten. Sowas hat es bisher für die Audi Geschichte noch nicht gegeben.
Umso gespannter ist man auf den Inhalt, der da auf mehr als 300 Seiten Umfang unter der Autorenschaft von „Werner Oswald“ im Motorbuch Verlag versprochenen wurde.
Audi, DKW, Horch, Wanderer, Auto Union und warum eigentlich NSU?
Kaum eine Unternehmensgeschichte eines heute noch bestehenden Automobilherstellers ist so komplex und von Höhen und Tiefen geprägt wie die im Zeichen der Vier Ringe. De jure geht die heutige Audi AG auf die bereits 1873 gegründeten NSU Werke zurück, welche 1969 auf Initiative von Volkswagen mit der Ingolstädter Auto Union GmbH zur Audi NSU Auto Union AG verschmolzen wurde.
De facto handelte es sich nicht um eine Fusion, wie oft lapidar behauptet wird, vielmehr hat die Volkswagen AG ihre Anteile an der Auto Union GmbH als Sachwert in eine Kapitalaufstockung als Beteiligung eingebracht, um damit gleichzeitig Mehrheitseigner in Neckarsulm zu werden. Durch die Umfirmierung in Audi AG im Jahr 1985 war von NSU dann nichts mehr übrig geblieben, der letzte NSU – ein roter Ro 80 – war bereits acht Jahre zuvor vom Band gelaufen.
Audis wurden nun von Audi gebaut und hatten Vier Ringe am Bug. Diese Vier Ringe stehen für den erwähnten Zusammenschluss der sächsischen Automobilhersteller Audi, DKW, Horch und Wanderer zur Auto Union im Jahr 1932. Hier waren neben DKW und Wanderer eben auch die bereits 1899 von Automobilpionier August Horch gegründeten Marken Horch und die 1909 von ihm nach seinem Raussschmiss neu gegründete Marke Audi wieder vereint. Die Auto Union etablierte sich hinter Opel als zweitgrösster deutscher Automobilhersteller: hoch innovativ, motorsportlich an allen Fronten auf zwei und vier Rädern aktiv und das auf vier Kontinenten. Der Beginn des 2. Weltkrieges und insbesondere seine Folgen haben dieser Auto Union AG, die 1948 in Chemnitz aus dem Handelsregister gelöscht wurde, (fast) in den Exodus getrieben.
Phönix aus der Asche
Einige ehemalige leitende Mitarbeiter der ehemaligen Auto Union AG hatten in Bayern Fuss gefasst und eine neue Auto Union GmbH gegründet, die sich auf Rechte, Patente und Warenmuster der ehemaligen Aktiengesellschaft berufen konnte, ohne de jure mit der ehemaligen Auto Union AG in Verbindung gebracht zu werden. Mit diesem Manöver wollte das Unternehmen unbelastet vor möglichen Forderungen aus der Zeit vor 1945 mit dem Motorrad- und Automobilbau beginnen.
Der Start in Ingolstadt und Düsseldorf glückte passabel mit den Modellen von DKW, bis man sich 1957 wegen mangelnder Liquidität in die Hände von Daimler Benz begeben musste. Trotz der immensen Investitionen – u.a. in ein neues Werk in Ingolstadt, wurden die Stuttgarter mit der Tochter nicht glücklich. Spätestens seit der Präsentation des letzten DKW, dem F 102, mit dem von Presse und Kunden für unzeitgemäss empfangenden Zweitaktmotors, hatten die Direktoren vom Stern die Schnauze voll und verkauften das neue Werk (mit einer schlecht ausgelasteten Zweitaktproduktion) an Volkswagen, wo man händeringend nach Fertigungskapazitäten und Mitarbeitern suchte.
Eigentlich hätte die Geschichte hier zu Ende sein können, doch einige früher von Mercedes nach Ingolstadt entsandte Ingenieure hatten zwischenzeitlich den F 102 mit einem Vierzylinder versehen und einem leichtem Facelift unterzogen. Der Erfolg liess nicht lange auf sich warten, schon ein Jahr drauf wurde Geld verdient, der erste Audi und der Audi 100 waren Krisenretter und Geldmaschinen: Die vier Ringe waren wieder da und bildeten mit NSU ab 1969 die Audi NSU Auto Union AG. Der Kreis hatte sich geschlossen.
Vier, fünf oder gar sechs Marken
Diese Vorbemerkung ist deshalb so wichtig, weil Audis verworrene Unternehmensgeschichte absolut schwierige Voraussetzungen bildet, um darüber ein Buch zu verfassen. Es braucht schon eine gewisse Grundkenntnis auf Seiten der Leser, um stets zu wissen, wo man gerade in der Historie unterwegs ist. Mit Audi, DKW, Horch, Wanderer und Auto Union finden fünf der sechs oben in die Audi Geschichte verwobene Marken Platz. NSU ist ausgeklammert, unter dem Namen Auto Union wurden vor 1945 keine Fahrzeuge produziert.
Erst Ende der 50er Jahre vermarktete man die grossen DKW Modelle als Auto Union 1000. Das grenzt den Umfang des Werkes gleichwohl nicht ein. Mit 300 Seiten liegt ein aussergewöhnlich füllige Band zur Typengeschichte auf dem Tisch, für dessen Inhalt aber eben nicht oben genannter Werner Oswald verantwortlich zeichnet, sondern die bekannten Automobilhistoriker Halwart Schrader und Eberhard Kittler.
Hierzu sei angemerkt, dass Oswald in den Jahren 1979 und 1980 zwei Typologien zu Audi und Horch herausgegeben hat, die seinerzeit so ziemlich die einzige Literatur zur Audi Geschichte bildeten. Auf Nachfrage teilte uns der Verlag mit, dass man auf die Zugkraft eines Werner Oswald nicht verzichten wollte. Dass Schrader und Kittler hier nicht als Co-Autoren genannt wurden, sei trotzdem überraschend angemerkt. Dazu wurde hier zu aufwändig zu-, über- und vor allem beigearbeitet. Die komplette DKW- und Wanderertypologie ist neu.
Zielführend aufbereitet ...
Diese Typologie gliedert sich in vier Kapitel und handelt so die Marken in der Reihenfolge Horch, Wanderer, DKW und Audi chronologisch ab. Jedes Kapitel ist mit einer Einleitung zur Unternehmensgeschichte versehen und dann in Unterkapitel eingeteilt, die einerseits eben die Modelle der Einzelmarken vorstellen als auch mit weiteren unternehmensrelevanten Fakten, Anekdoten und Hintergrundinformationen aufwarten. Wie oben schon kurz angerissen, macht die komplexe Geschichte der Einzelmarken eine in sich geschlossene Vorstellung ausgesprochen schwierig.
Die gewählte Form der Abhandlung über die einzelnen Marken bildet hier sicher einen gangbaren Weg, der Komplexität zu begegnen. Besonders auch, um in den zahllosen Typentabellen mit den umfassenden technischen Angaben rasch vergleichen zu können. Hatte der Audi Super 90 den selben Motor wie der Audi 100? Hatte der Horch 853 einen kürzeren oder längeren Radstand als der Horch 855? Solche Antworten kann dieses Buch auf einfache Art und Weise überschaubar vermitteln und aufgrund des reichen Bildmaterials auch illustrieren. Dabei gibt es immer wieder auch Einschübe, in denen technische Leistungen oder Persönlichkeiten hervor gehoben und einzeln abgehandelt werden. Es liest sich locker, der Text ist flüssig geschrieben und erinnert nur an manchen Stellen an die eher trockene Ausdrucksform eine Werner Oswald, der eher im Polizeiberichtsstil verfasste.
... aber nicht immer konsistent bis ins Detail
Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht. Immer wieder stolpern Kenner der Typen- und Unternehmensgeschichte über Sachfehler. Häufig sind es die Bildunterschriften: Einen Horch 670 V12 kann man sehr leicht von einem ähnlich aussehenden Horch 750 mit 8-Zylindermotor unterscheiden. Der 12-Zylinder musste ohne geflügelte Weltkugel als Kühlerfigur auskommen, weil man nur die Verwendungsrechte auf den Achtzylindern hatte. Hier und da zwickt es einfach. Sicher bekannt sein muss, dass der sogenannte „letzte Horch“ ein 830 BL, der für den damaligen Direktor der Auto Union entstanden war, nicht wie von Werner Oswald in seinem 1980 erschienen Horchbuch beschrieben, bei Spohn in Ravensburg entstanden ist. Das vor ca. 12 Jahren wieder aufgetauchte Fahrzeug steht seit 2009 im Museum bei Audi und bekanntermassen wurde die Karosserie – wie auf vielen Bildern und in einigen Artikeln belegt – in Ingolstadt gefertigt.
Zugegeben, es sind Kleinigkeiten, die erstmal nur dem Kenner sofort auffallen, aber der muss schon gewaltig schlucken. Insbesondere, da das Autorenduo sehr wohl mit den Unternehmensfakten vertraut ist. In ihrer Fülle sind die Ungereimtheiten eben nicht so marginal, dass man drüber hinwegsehen könnte. Im Gegenteil, auch im Text gibt es immer wieder Passagen, die den Fakten keineswegs standhalten.
Anders als im Buch behauptet, hat es vom Audi 100 niemals eine käufliche Kleinserie als Hybridtyp „Duo“ gegeben. Der Verfasser dieser Zeilen hatte zwei der Prototypen für Marketingzwecke im Einsatz, die Duo-Geschichte ist ihm bis hinter die technischen Kulissen ihrer Entwicklung und Vermarktung geläufig. Man kann das als Korinthenkackerei abtun, dabei allerdings bedenken, dass Bücher dieser Dimension und dieses Anspruches in der automobilhistorischen Szene als Quellen herangezogen werden.
Und wer kennt sie nicht, die manchmal mit harten Bandagen ausgetragenen Diskussionen auf den Social Media Kanälen, bei denen gerne auf das Geschriebene in Büchern verwiesen wird. Schade, wenn Fehler, die eine oder andere Diskussion obsolet gemacht hätten. Harmloser ausgedrückt: Im Zweifel sollten weitere Quellen hinzugezogen werden.
Ausgeglichene Bilanz
Mit diesem Buch erhält man auf 300 Seiten eine umfassende Typengeschichte der Marken Audi, DKW, Hoch und Wanderer von 1899 bis ca. 2000. Das Buch schliesst mit dem Audi TT der ersten Generation ab. Die Techniktafeln vermitteln mit ausführlichem Informationsgehalt einen umfassenden Überblick zu den vorgestellten Modellen: besonders innerhalb einer Modellreihe oder über verschiedene Generationen hinweg.
Dank des reichhaltigen Bildmaterials besteht jederzeit die Möglichkeit, einen Typ mit seiner Technik zu identifizieren. Die Auswahl des Bildmaterials ist vielfältig, in sich aber nicht immer konsequent. Während der erste Audi 100 beispielsweise mit zahllosen Bildern von US-Modellen überrascht, flacht diese Spannung beim folgenden Audi 80 gleich wieder ab: Keine Bilder vom US-Audi 80, dort „Fox“ genannt. Fast könnte man meinen, da sei ein wenig Privatarchiv aufgearbeitet worden.
Die ausführlichen Texte bereiten die komplexe Unternehmensgeschichte und die damit verbundene Modellvielfalt leicht verständlich auf. Die Chance, einer der vielfältigsten Modellpaletten eines deutschen Automobilherstellers zu folgen, ist hier gegeben.
Das Layout folgt dem gängigen Muster des Verlages. Allseits bekannt, allerdings auf die Dauer auch ein wenig fade. Bei einem Preis von € 29,90 sollte man aber nicht meckern, das Buch kann viel, aber nicht alles. Der Geschichte von Audi kommt man trotzdem auf die Spur.
Bibliografische Angaben
- Titel: Audi – Auto Union - DKW - Horch - Wanderer – 1910-2000
- Autor: Werner Oswald (vollständig erweitert und umfassend überarbeitet durch Halwart Schrader unter Mitarbeit von Eberhard Kittler
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Motorbuch Verlag
- Auflage: 1. Auflage September 2020
- Format: Gebunden, 230 x 265 mm
- Umfang: 304 Seiten, 400 Fotos und Abbildungen
- ISBN: 978-3-613-04314-5
- Preis: EUR 29,90
- Kaufen/Bestellen: Online bei amazon.de , online beim Motorbuch Verlag oder in der guten Buchhandlung