Stig Blomqvist ist bereits linksbremsend auf dem Saab 96 durch die Wälder seiner Heimat gedriftet, als Walter Röhrl 1968 bei der Bavaria-Rallye seine ersten Fahrversuche auf einem Fiat 850 gestartet hat. Blomqvist beherrscht das Linksbremsen im Schlaf. Es ist ihm auch nichts anderes übrig geblieben. Wie sonst sind solche fürchterliche Untersteurer innerhalb der Kurvenradien zu bewegen? Zu allem Unheil wirkt die Handbremse auf die Vorderräder! Mit dem Handbremstrick ist da nichts zu retten. Ein Blick in Blomqvist Palmares: Sieger der Schweden-Rallye, der 1000-Seen-Rallye, der RAC-Rallye. King of Swing nennen ihn die Engländer. 1983 hat ihn Audi geholt und auch Röhrl tritt in den Dienst der Quattros. Opel und Rothmans Nikotinstrategie gehören der Vergangenheit an. Innert kürzester Zeit eignet er sich das Linksbremsen mit dem neuen Audi an. Am Start in Bad Homburg wirkt er leicht verunsichert. Er müsse noch Lernen und demütig sein. Verunsichert ihn wirklich sein neuer Stallgefährte?
Im Parcours commun herrscht endlich wieder Monte-Stimmung. Schnee, Eis, Schnee, Eis. Nun entwickelt sich zwischen Röhrl/Geistdörfer und Blomqvist/Cederberg ein dramatisches Duell in das gelegentlich auch die dritten Audifahrer Mikkola/Hertz eingreifen können. Nach dem Col de Faye liegt Blomqvist 23 Sekunden im Vorsprung, Mikkola hat bereits Minuten eingebüsst und alle Nicht-Audis sind über 15 Minuten abgeschlagen, demoralisiert. Audi Manager Gumpert erklärt seinen beiden Spitzenfahrer die Strategie: „Wer nach der grossen Schlaufe vorne liegen wird, soll die Rallye gewinnen“. Noch stehen bis zur Nacht der langen Messer sieben Prüfungen im Programm. Die bis jetzt recht entspannte Stimmung zwischen den beiden Siegesanwärtern wird leicht frostig. Röhrls Sprüche tönen steifer, Blomqvist verzichtet auf Reifentipps. Vor der berüchtigten Route über den Col des Garcinets und den Col des Sagnes beträgt Blomqvits Vorsprung bereits 44 Sekunden. Und hier auf dieser höchst gefährlichen Strecke kommt Röhrl dem Blomqvist um 28 Sekunden näher.
Geistdörfers Schilderung des Ritts auf der Kanonenkugel: „Ich hatte richtig Angst. Ich weiss ja was in dem Buch da drin steht, lauter fürchterliche Sachen und ich weiss wie es draussen aussieht, ein kleines Schneemäuerchen, dahinter hundert Meter Abgrund, und ich spüre, wie der Wagen ganz leicht wird, ohne jeden Griff übers Eis fliegt, in der hässlichen Art von Schwerelosigkeit, und ich kann nur hoffen, dass die zwanzig griffigen Meter auch tatsächlich kommen. Der Chauffeur hat’s besser, der kann wenigstens etwas dagegen tun.“
Auf der 33 Kilometer langen SP Trigance an der Verdon Schlucht, kommt die Ablösung. Röhrl geht mit neun Sekunden in Führung, nach dem Col de Bleine sind es bereits 17 Sekunden. Die letzte Chance ist die SP von Loda über die Pässe Porte und St. Roche nach Lucéram. Blomqvist pokert, montiert Slicks – Röhrl zieht Intermediates mit Spikes auf. Nach 20 Minuten ist das Duell entschieden. Röhrls Vorsprung über die beiden Pässe ist auf 29 Sekunden angewachsen. Die beiden Deutschen können die Nacht der langen Messer ruhig angehen. Der vierte Monte-Sieg ist Tatsache. Der Ladedruck an den Werksaudis wird etwas verringert, denn auch Mikkola/Hertz müssen sich kaum mehr gegen Lancia und Renault wehren. Trotz der fantastischen Aufholjagd von Röhrl und der verzweifelten Abwehr Blomqvist bleibt die 52. Rallye Monte Carlo in zwiespältiger Erinnerung. Was schon seit längerer Zeit in der Luft liegt, tritt ein. Die teilweise undisziplinierte Masse kennt keine Grenzen. Hirnlose Fans, auch solche aus andern Sportarten, haben die Rallies entdeckt. Hier wird Action geboten und die von Zuschauern überschwemmten Strecken bieten genügend Möglichkeiten, sich von heranrasenden Boliden niedermähen zu lassen. Als Guy Chasseuil auf der unheimlich schnellen Talfahrt in der Prüfung von St. Jean-en-Royans eine Spitzkurve nicht rechtzeitig erwischt, rutscht sein Audi geradeaus. Ein Zuschauer bezahlt seinen Leichtsinn mit seinem Leben.
P.S. Das Duell der beiden Weltklassefahrer hat sich um die Technik des Linksbremsen gedreht. Deshalb sei versucht, diese ungemein schwierige und viel Gefühl verlangende Technik zu erläutern. Mit dem Fronttriebler ist das Linksbremsen theoretisch einleuchtend - aber die Praxis? Mit dem rechten Fuss wird aufs Gas und mit dem linken auf die Bremse gedrückt. Dabei muss so fein dosiert werden, dass der Motor nicht stottert, nur die Hinterräder blockieren und die Vorderräder für den nötigen Vortrieb sorgen. Dadurch verlieren die Hinterreifen die Seitenführung und der Wagen lässt sich schnell, quer und sicher um die Kurve bringen. Aber wehe, wenn die Hinterreifen wegen zu wenig Gas wieder Seitenführung finden. Dann ist der Abflug nicht zu vermeiden. Beim Vierradangetriebenen erfährt das Linksbremsen eine Steigerung. Die Drehzahl beim Vollgasgeben fällt nicht in den Keller, es ist stets genügend Schub vorhanden. Dank der Kraft aus dem Fünf-Zylinder-Motor, dem virtuosen Spiel mit Lenkung, Gas, Bremse, Kupplung und Lastwechsel driftet der Wagen von einer Kurve in die andere! Zu Ihrer Beruhigung – nur eine Handvoll Weltklassefahrer beherrscht dieses virtuose Spiel.
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