Mit dem Ford Sierra RS Cosworth wurde Mitte der Achtzigerjahre ein supersportlicher Dreitürer mit über 200 PS und auffälligem Spoilerwerk präsentiert, der in der Folge für eindrückliche Rennsporterfolge sorgte. Beim Nachfolger im Jahr 1988 wählte man die viertürige Sierra-Limousine als Basis und verzichtete auf allzu extrovertiertes Leitwerk. Langsamer wurde der Neue deshalb nicht, zumal er ab 1989 auch noch mit Allradantrieb für optimale Traktion sorgte.
Abschied vom Superflügel
1982 kam der erste Ford Sierra auf den Markt, aerodynamischer und moderner als sein Vorgänger Ford Taunus. Bald schon gab es sportliche Ausführungen, zunächst den XR4i und später den CS Cosworth, der nicht nur mit über 200 turbo-beatmeten PS aufwarten konnte, sondern auch durch einen brachialen Heckflügel und eine überaus sportliche Aufmachung.
Im Januar 1987 wurde der Sierra modellgepflegt, 1990 ein weiteres Mal. Und auch für die sportlichen Naturen gab es neue Modelle.
Anfänglich mit Hinterradantrieb
Im Februar 1988 präsentierte Ford einen neuen Ford Sierra Cosworth, der sich im zweiten Anlauf deutlich familienfreundlicher und gesitteter gab. Der grosse Heckflügel wich einem unauffälligeren Exemplar, zwei Türen im Fond erlaubten den bequemen Einstieg nach hinten.
Motorisch entsprach der hinterradangetriebene Sierra II Cosworth seinem Vorgänger, 204 PS waren für einen Zweiliter mit kleinem Turbolader immer noch ein gutes Ergebnis. Dieser Motor wurde bei Cosworth gebaut, die zu jener Zeit maximal 7200 Aggregate pro Jahr fertigen konnte und damit den Ausstoss der neuen Limousine, die in Genf in Belgien vom gleichen Band lief wie andere Sierra-Modelle, nach oben begrenzte.
Trotzdem gab man sich bei Ford optimistisch und sprach von einem nicht limitierten Modell, während vom Vorgänger ja nur 5000 Exemplare plus 500 Evolutionsmodelle RS 500 entstanden waren.
Der neue Sierra lag näher an der Serie als sein Vorgänger, das ganze Interieur war mit Ausnahme der Recaro-Sitze und des Lederlenkrads praktisch identisch mit den übrigen Modellen.
1250 kg schwer sei der neue Cossie, 242 km/h betrage die Spitzengeschwindigkeiten und 6,5 Sekunden vergingen bei der Beschleunigung von 0 auf 100 km/h, sagten die Werksangaben voraus.
Beim Kauf fällig waren DM 53’545, zumindest, denn in die Schweiz schaffte es der katalysatorlose neue Sierra gar nicht erst. So wurde bereits im Februar 1988 von einer kommenden Allradversion mit US-83-Kat gesprochen.
Vorteile im Alltag
Der hinterradangetriebene Sierra Cosworth schaffte die Werksvorgaben im Test fast. Auto Motor und Sport mass 6,8 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 km/h und 235 km/h Spitze. Der Verbrauch lag allerdings mit 16,3 Litern Super Bleifrei pro 100 km deutlich über den vom Hersteller vorhergesagten 12,8 Litern.
AMS liess den Cossie dann auch gleich gegen den schwächsten Serien-Sierra antreten, einen 1,6 LX mit 72 PS, und wollte wissen, ob sich der Leistungsunterschied im Alltag überhaupt in kürzeren Reisezeiten darstellen liesse. Schlussendlich betrug der Zeitgewinn rund 14 Prozent. Nicht weltbewegend je nach Perspektive. Der Autor sah dies allerdings anders:
“Selbst wenn ich steinalt werden sollte, habe ich zu wenig Minuten, um auf längere Reisen 20 Prozent der Fahr zeit zu vertrödeln. Meine Mi nuten sind abgezählt und numeriert, ich verliere sie bei je dem Blick in den Spiegel und gewinne ein paar durch stärkere und schnellere Automobile zurück. Kürzere Fahrzeiten zwischen Alpha und Omega, den endgültigen Stationen meines Lebens, lassen mir mehr Zeit zum Schlafen, Träumen, Skifahren, Plaudern, Lesen und Schreiben.”
Eindrücklich war vor allem das enormen Spurtvermögen des Wagens im Vergleich zum langsameren 1,6-Liter:
“Cossie, wie die Ford-Manager mit dem Sierra Cosworth per du sind, liegt gut in der Hand, paßt gut am Rücken und am Gesäß. Der erste Überholvorgang – in allen Ehren der Geschwindigkeitsbeschränkung und rechtzeitig vor dem Überholverbot beendet – läßt eine neue Gleichung aufgehen: Mehr Kraft ist gleich weniger Zittern vor dem Gegenverkehr.”
4x4-Version mit Kat
Es sollte bis in den Februar 1990 dauern, bis Ford den angekündigten allradgetriebenen Sierra Cosworth auf den Markt bringen konnte. Die unsteten Sportgesetze hatten genauso ihren Tribut gefordert wie umfangreiche Umbauarbeiten am Auto. Inzwischen wollte Ford nämlich den Cossie doch als Einsatzgerät für die Rallye-Weltmeisterschaft nutzen. Um dort siegreich zu sein, war Allradantrieb genauso nötig wie Zuverlässigkeit und Robustheit.
Also beschränkte man sich nicht einfach darauf, den bisherigen Zweiliter mit dem bereits bekannten Allradantrieb des Sierra 4x4 zu kombinieren, sondern investierte viel Entwicklungsarbeit in den 16-Ventiler. Der Graugussblock wurde zusätzlich versteift, der Zylinderkopf neu gegossen, um höhere thermische Belastungen auszuhalten. Der Ölkreislauf, die Brennraumformen und die Steuerzeiten des Doppel-Nockenwellenaggregats wurden modifiziert, was bei 0,55 bar Ladedruck und einer Verdichtung von 8:1 zu einer Leistungsspitze von 220 PS bei 6000 Umdrehungen führte, also 16 PS mehr und dies trotz nun eingebautem US-83-Katalysator, genauer gesagt zwei parallel angeordnete Keramikkatalysatoren plus ein in Motornähe montierter zusätzlicher Metallkatalysator. Und weil dieser Motor nun viel umweltfreundlicher war, lackierte man den Zylinderkopf fortan in Grün anstatt Rot.
Der Allrad stammte wie beim bisherigen Sierra 4x4 von Getrag und wies ein zentrales Planetendifferential und Viskobremsen im mittleren und hinteren Ausgleichsgetriebe auf.
Das Getrieb kam nun aus eigener Fertigung (MT-75).
Das Fahrwerk konnte weitgehend vom hinterradangetriebenen Sierra übernommen werden, die Abstimmung wurde inklusive der Wirkungsweise des Teves-ABS den neuen Gegebenheiten angepasst.
Sieben Zoll breite und mit 205/50 ZR 15 Reifen besohlte Leichtmetallräder sorgten für den Fahrbahnkontakt.
Äusserlich waren die Unterschiede zum Vorgänger dezent, sie beschränkten sich auf eine neue Kühlermaske, wie sie alle Sierra ab 1990 trugen und ein abgedunkeltes Heckleuchtenband. Auch innen wurde der 4x4-Cossie den übrigen Modellen angepasst.
Salonfähig und alltagstauglich
Der 4x4-Cossie kam bei der Presse gut an, auch wenn mancher Sportfahrer dem leichteren Vorgänger mit Hinterradantrieb die eine oder andere Träne nachweinte. Schliesslich hatte der Allradantrieb inklusive Katalysatoren zu 91 kg Zusatzgewicht (1327 versus 1238 kg) geführt. Die zusätzliche Traktion führte aber zusammen mit den 16 Zusatz-PS sogar zu leicht besseren Fahrleistungen im AMS-Test im Frühjahr 1990. Die 0-100 km/h schaffte der DM 63’670 teure Wagen in 6,7 Sekunden, als Spitze erreichte er 240 km/h. Als Testverbrauch wurden 14,9 Liter pro 100 km notiert, ein gewisser Express-Tribut war hier schon zu bezahlen.
Unter dem herrlichen Titel “Korriere della Sierra” schrieb Götz Leyrer unter anderem:
“Ob die vier angetriebenen Räder dieses Auto insgesamt besser gemacht haben, ist eine Frage, auf die es wohl keine eindeutige Antwort gibt. Für die geplanten Rallyeeinsätze ist das neue Antriebskonzept natürlich zwingend – für den normalen Einsatz im Straßenverkehr dagegen sind die Vorteile weniger offensichtlich. Klar, die Traktion ist bestechend, selbst beim Beschleunigen aus engen Kurven packen die Rä der ohne erkennbaren Schlupf zu und machen so das Ausnutzen der hohen Leistung zu einer ziemlich problemlosen Angelegenheit. Aber das Fahrverhalten hat auf der anderen Seite etwas an Eindeutigkeit verloren – die Möglichkeit, das Eigen lenkverhalten durch gezieltes Gasgeben zu beeinflussen, ist längst nicht mehr im früher üblichen Maß gegeben.”
Keine Kritik gab es bezüglich Handlichkeit und Fahrsicherheit. Wenig positiv fiel das Feedback für die Laufkultur des Motors:
“Er ist ein relativ rauher Bursche geblieben, mit akzeptabler Laufkultur bei niedrigen und mittleren Drehzahlen, aber betont kräftiger Aussprache beim Ausdrehen. Man sollte dies nicht als kleinliche Kritik verstehen – ein seidiges Laufverhalten wird schließlich niemand von einem Vierzylinder so hoher spezifischer Leistung erwarten.”
Echte Sportwagenqualitäten führe der Sierra Cosworth 4x4 ins Felde, ergänzte Leyrer, der allerdings mit der doch recht heftigen Preiserhöhung von gegen 20 Prozent haderte.
Der Preis, in der Schweiz kostete der Cossie 4x4 CHF CHF 51’000, war auch im Bericht der Automobil Revue etwas später ein Thema. Allerdings war der Wagen trotzdem irgendwie konkurrenzlos, denn ein BMW 325iX war deutlich langsamer, ein Lancia Delta HF Integrale weniger geräumig und ein Audi 200 quattro 20V noch wesentlich teurer.
Der Schweizer Cosworth beschleunigte in 6,5 Sekunden auf 100 km/h und hängte damit auch Sportwagen der Klasse Alpine V6 Turbo oder Porsche 944 S2 ab. Im Mittel flossen im Test 12,1 Liter pro 100 km durch die Einspritzung, dazu wurden gemäss Bericht 0,2 Liter Öl pro 100 km (wirklich?) verbrannt.
Die Überschriften “starker Antritt”, “oben kernig”, “angemessener Verbrauch”, “exzellente Fahreigenschaften” und “ein Fahrerauto” fassten die Ergebnisse schön zusammen, das Fazit lautete entsprechend:
“Der Ford Sierra Cosworth 4x4 kommt in der Tat dem eingangs erwähnten Traumwagen vieler Automobilisten, dem viel- zitierten «Wolf im Schafspelz» nämlich, recht nahe. Ohne an Alltagstauglichkeit einzubüssen, brilliert er mit stupendem Leistungsvermögen, und das hervorragende Fahrwerk erlaubt es auch, dieses bei Bedarf voll auszukosten. Gerade weil er praktisch auf Anhieb ausserordentlich rasch bewegt werden kann, verlangt aber der Umgang mit ihm ein hohes Mass an Verantwortungsbewusstsein und fahrerische Reife. Wer das mitbringt, wird am Cossie seine helle und uneingeschränkte Freude haben.”
Im Rallye-Sport nur mässig erfolgreich
Im August 1990 war der 4x4-Sierra Cosworth für den Rennsport homologiert, einem Einsatz in der Rallye-Weltmeisterschaft konnte also nichts mehr entgegen stehen. So erfolgreich wie erhofft war der Sierra Cosworth 4x4 aber nicht. Im Vergleich zur Konkurrenz war der Sierra gross und etwas schwer, im ersten vollen Jahr 1991 plagten den 4x4 zudem Zuverlässigkeitsprobleme. Im zweiten Jahr dann hielten die Autos besser, aber die Konkurrenz zog mit innovativerer Technik und elektronischen Hilfssystemen davon. Immerhin fuhr Biasion bei der Rallye Portugal 1992 auf den zweiten Platz, einige weitere gute Platzierungen durften auch noch notiert werden, aber mehr als der vierte und dritte Gesamtrang in der Markenmeisterschaft 1991 und 1992 schaute nicht heraus. Immerhin entstand der erfolgreichere Nachfolger, der Escort Cosworth, auf der technischen Basis des Sierra Cosworth.
Im Amateurrennsport und auf nationaler Ebene war der Sierra Cosworth zudem ein gern und erfolgreich genutztes Einsatzgerät.
Nur zwei Jahre gebaut
Von 1990 bis 1992 wurden etwa 12’250 4x4-Versionen gebaut, während vom hinterradangetriebenen Viertürer immerhin 13’140 entstanden. Der Ford Sierra als Grundmodell erhielt im Frühjahr 1993 das Weltauto Mondeo, der Presse bereits bereits im Oktober 1992 angekündigt, als Nachfolger.
Rasant und trotzdem komfortabel
Wer sich heute hinter das Lederlenkrad eines Ford Sierra Cosworth 4x4 setzt, staunt zunächst über die sparsame Instrumentierung, die sogar auf eine Öldruckanzeige verzichten muss. Offensichtlich trauten die Ford-Mannen ihrem Zögling viel zu.
Einmal gestartet lässt einen der Zweilitermotor im Bug nie im Ungewissen, dass nur vier Zylinder und ein Turbolader an der Arbeit sind. Ein bisschen Turbo-Effekt ist trotz anderslautender Gegendarstellungen von damals immer noch zu spüren. Unter 3000 Umdrehungen tut sich nämlich vor allem im Vergleich zu dem, was nachher folgt, wenig.
Wer nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen will, der sollte jedenfalls den Tacho nicht aus dem Auge verlieren, denn Zwischenspurts von 40 auf 100 km/h dauern nur wenige Sekunden.
Trotzdem kann man den Cossie auch schaltarm fahren, wenn keine maximale Beschleunigung benötigt wird. Das Schalten ist allerdings eine freudige Angelegenheit, denn die Gänge lassen sich exakt sortieren.
Der Sierra fühlt sich herrlich handlich an, dabei hilft eine gute Rundumsicht und aus heutiger Perspektive kompakte Dimensionen (4467 x 1716 x 1393 mm für Länge x Breite x Höhe). Die Sitze sind bequem und bieten jede Menge Seitenhalt, das Lederlenkrad fühlt sich samt gut dosierter Servounterstützung gut an.
Bei aller Sportlichkeit, die auch von den gut zupackenden Scheibenbremsen profitiert, bleibt der Sierra ein Auto für die ganze Familie, denn auch hinten sind die Platzverhältnisse grosszügig, der Kofferraum fast 420 Liter und die Zuladung beträgt etwa 400 kg.
Als stolzer Besitzer muss man auch keine Angst davor haben, den Zündschlüssel einmal dem Nachwuchs in die Hand zu geben, denn die Bedienung des Cossies gelingt auf Anhieb, eine Anleitung muss niemand studieren, der schon einmal ein Auto mit dem Zündschlüssel gestartet hat und weiss, was eine Kupplung ist.
Wir danken der Oldtimer Galerie für die Gelegenheit zur Fotosession. Der Ford Sierra Cosworth 4x4 von 1991 wird am 17. Oktober 2020 in Toffen versteigert .