Das Jahr 1949 wurde geschrieben. Europa erholte sich langsam von den Folgen des Krieges. In der Schweiz lebte sich‘s – verglichen mit den Nachbarländern – sehr gut Auch Alfred Stern. Er wohnte in Moudon in der französischen Schweiz, war Bauer und hatte sich einen Derby in Zug gekauft. Eine Occasion natürlich. Wusste er es, ahnte er es, dass sein soeben erstandener Sportwagen ein sehr seltenes Exemplar war? Ein K4 mit der Chassisnummer 120, hergestellt in Courbevoie sur Seine bei Paris!
Am 10. Oktober 1949 hatte sich Bauer Stern von der Baugenossenschaft „Konkordia“ in Zug einen leicht verbeulten Sportwagen gekauft. Es ist kaum anzunehmen, dass er mit seinem roten Franzosen adrette Damen beeindrucken wollte. Dazu fehlten ihm wahrscheinlich Zeit, Gelegenheit und dem äusserlich gut erhaltenen Derby der Motor und damit das richtige Herz des Oldtimers!
Herzlos
Fotos aus der Zeit beweisen, dass Sterns Derby nicht mehr im Besitze eines 4-Zylindermotors von S.C.A.P. oder eines 6-Zylinders von C.I.M.E. gewesen war. Der 1929 eingebaute Motor musste den Geist schon vor dem Krieg ausgehaucht haben. Ob der damalige Geschäftsführer - mit polizeilichem Kennzeichen ZG 1228 - den Zugern beweisen wollte, dass er eigentlich mehr Talent zum Rennfahrer als zum Maurerpolier besitze, ist nicht überliefert. Möglich wäre es schon, dass er bei einer rasanten Fahrt den sensiblen, hochdrehenden S.C.A.P. (oder Ruby?) überdreht hatte. Rennfahrer von damals benötigten pro Saison bis zu drei dieser nur zweifach gelagerten Motoren!
Das “Zugerbiet” - Wiege des Rennsports in den Zwanziger- und Dreissigerjahren
Viele Zugerbürger waren in den Zwanziger- und frühen Dreissigerjahren dem Motorsport nicht ganz abgeneigt. Vor ihren Toren fand das internationale Bergrennen auf den Zugerberg statt. Auch wissen heute nur noch ganz wenige, dass der Rennfahrer Christian Kautz ein echter Bürger aus Menzingen war und unmittelbar neben dem Start im Guggital seine Jugendjahre verbrachte. Kautz war der einzige Schweizer, der als Werksfahrer von Mercedes und Auto Union verpflichtet wurde!
Auch der Rigi-Bezwinger Kaiser kann in einem Filmdokument bewundert werden. Unter der Mithilfe einiger kräftiger Burschen kraxelte er in der Vorkriegszeit in einem Opel über Stock und Stein auf den höchsten Punkt der Rigi. Und dies Mark Twain zum Trotz. Der berühmte Schriftsteller soll noch an den unbezwingbaren Rigi geglaubt haben. Zu Fuss natürlich!
Einsatz auf dem Bauernhof
Zurück zu Stern. Alte Fotos beweisen, dass der Derby zum Arbeiten auf seinem Bauernhof verdingt wurde. Dazu genügte natürlich ein Allerweltsmotor von Renault. An einem geeigneten Pulli an der Kardanwelle wurde der Transmissionsriemen aufgezogen, der Motor gestartet und die Holzfräse fing zu singen-, die Güllenpumpe zu spucken an. Ein Sakrileg sagen heutige Oldtimerpuristen – die Realität der damaligen Arbeitswelt negierend!
Halbherzige Erlösung durch Automobilhistoriker
Doch bereits anfangs der 50er-Jahre erlöste der Automobilhistoriker Ernest Schmid den Derby von dieser eines Sportwagens unwürdigen Arbeit. Aber das Rosten und Vermodern ging weiter. Jetzt in Schmids Garage. Jahrzehntelang. Aber immerhin an trockener Stelle.
Start einer langwierigen Restaurierung
1993 wechselte der K4 wieder die Hand, wahrscheinlich zum dritten Mal. Unter hämischer Freude und von bissigen Kommentaren der lieben Nachbarn begleitet, lud der Autor den „Gerümpel“ vom Anhänger herunter und versteckte ihn unverzüglich in der hintersten Ecke der Garage.
Die langwierige Restaurierung begann. Nach acht Jahren endlich kam es zur Jungfernfahrt. Karosserie, Chassis, die Achsen samt Bremsen waren ohne grossen Aufwand wieder verkehrstüchtig gemacht worden. Völlig erneuert werden mussten die Ledersitze, Spritzwand und Holzboden.
Der in Frankreich aufgestöberte Motor von S.C.A.P. - ein sehr seltener Kurzhuber X11 samt Zylinderkopf aus Bronze - einer Kurbelwelle mit Gegengewichten und einem Kompressor von Cozette Nr. 7, mussten natürlich vollständig revidiert werden. Edy Schorno aus Küssnacht war dazu der richtige Mann. Und so bezwang der Derby jahrelang und ohne böse Probleme Uris Bergstrassen, die morbide Betonpiste von Montlhéry, der 21,5 km lange Klausenpass oder den Schneerundkurs zuhinterst im Glarnerland. Nichts erinnerte mehr an seine Knechtsarbeit auf Sterns Bauernhof.
Gerettet und wieder in historischer Lackierung
Und “heute”: 2005 wechselte der Derby K4 mit der Chassisnummer 120 erneut seinen Besitzer. Er bekam wieder die historische Lackierung der Schweizer-Renn- und Sportwagen: Rot mit weisser Motorhaube. Und am 4. Klausenrennen-Memorial 2006 startete er in der 1,1-Liter-Rennklasse.
Ein spezielles Eingehen auf Leistung, Zustand mit den dazugehörenden Fotos soll in einer weiteren Reportage über den Derby K4 mit Chassisnumer 120 erfolgen.
Der Marke “Derby” wird in der Serie "Verschwundene Marken" ein separater Bericht gewidmet, genauso wie Ingenieur Cozette, der in den Zwanzigerjahren Kompressoren baute.
Weitere Informationen
- Illustrierte Automobil-Revue Nr. 1 vom Februar 1929, Seite 66: Technische Daten Derby