Die Ursprünge der Alfa-Romeo-Sammlung reichen zurück in die 1950er-Jahre. Damals wurden die Wagen der Rennabteilung und weitere historische Zeitzeugen als Studienobjekte zur Seite gestellt. Auf Betreiben des damaligen Alfa-Romeo-Direktors Giuseppe Luraghi wurde 1976 in den Gebäuden der ebenfalls von Luraghi iniziierten Fabrik in Arese, gebaut in den 1960er-Jahren zur Produktion der neuen Giulia, ein Museum eröffnet.
Der Zweck war auch hier primär zu Studienzwecken und als Leistungsschau für Geschäftspartner und Kunden, weniger für die breite Masse. Man kennt dies beispielsweise vom 2024 geschlossenen Conservatiore Citroën, das wohl auf Anmeldung zu besichtigen war, aber nie als Museum im eigentlichen Sinn gegolten hat.
Nun, das "Departino", wie das Museum im Gesamtkontext von Alfa Romeo heisst, wurde für den Kurator zu einem Langzeitprojekt, wie Lorenzo Ardizio erklärt: "Vor seiner Schliessung hatte das Museum rund 5000 Besucher im Jahr. Heute empfangen wir an einem guten Wochenende alleine bis zu 1000 Gäste. Wir sind gerade dabei, die 100'000er-Marke pro Jahr zu überschreiten."
Doch die Besucher waren nicht die erste Sorge des Kurators. Es galt vielmehr zunächst die Bedingungen zu schaffen, dass die Alfa-Romeo-Sammlung von den operativen Interessen des Unternehmens getrennt würden. Erstaunlich dabei ist, dass bis 2015 im Land mit den meisten UNESCO-anerkannten Kulturgütern der Welt kein Modus und keine Handhabe zum Umgang mit industriellen, mobilen Kulturgütern existierte.
Ardizio legt dies so dar: "Die Charta von Turin, die von der FIVA (Fédération internationale des Véhicules Anciens) festgelegten Kriterien zur Erfassung historischer, Fahrzeuge sind hier wenig hilfreich. Uns ging es um den Schutz von Kulturgütern. Ich fand das Beispiel im Umgang mit Automobilen, Motoren, Flugzeugen und so weiter bei den historischen Geigen. Eine Stradivari oder Guarneri ist – im Prinzip ja ein Gebrauchsgegenstand, nicht ein Kunstwerk – trotzdem einem vollumfänglichen Schutz unterstellt. Derselbe Status geniesst nun die Alfa-Romeo-Sammlung – sowohl für die Fahrzeuge wie für die dazugehörigen Unterlagen. Einen ähnlichen Schutz geniesst in Italien nur die Bertone-Sammlung aus der Zeit bis in die 1960er-Jahre."
Den Rest hält bekanntlich der Sammler Corrado Lopresto – der sich fürchterlich darüber aufregt, dass Italiens Staat sich die Bertone-Geschichte von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre unter den Nagel gerissen hat. Bekanntlich hat jede Medallie zwei Seiten.
History, Beauty und Speed
Doch zurück zum Museum in Arese. Es galt aus rund 260 Fahrzeugen auszuwählen. Denn es war klar, dass längst nicht alle dieser Autos ins Museum passen sollten: "Für viele dieser Autos braucht es einfach Platz. Gewiss hätte ich wesentlich mehr unterbringen können. Das wird uns manchmal von Fans auch vorgeworfen, dass wir zu wenig Autos ausstellen. Aber wir sind keine Verkaufsausstellung, und wie ein Gebrauchtwagenhof will ich es hier auch nicht aussehen lassen. Darum sind wir mit neueren Modellen in der Ausstellung eher zurückhaltend!"
Ardizio hat die Ausstellung unter drei Hauptthemen gestellt: "History", "Beauty" und "Speed". Das Thema "History" wird denn auch gleich im ersten Ausstellungsbereich deutlich. Hier stehen die ältesten Vertreter der A.L.F.A., der Anonima Lombarda Fabbrica Automobili, einer Gründung von Alaxandre Darraq und Cavaliere Ugo Stella aus dem Jahre 1910.
"Der erste Teil der Ausstellung widmet sich den Serienwagen; jenen Autos, die auf der Strasse zu sehen waren. Was wir hier tun, ist die Besucher in das Thema langsam eintauchen zu lassen. Wichtig ist es dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Hier gibt es keine Musik, kein Videoscreen – nichts, das einem gleich von Beginn weg den Puls in die Höhe schnellen liesse. Die Autos sprechen für sich. Ein Museum, das funktioniert wie ein Film oder ein Theater. Es braucht eine Geschichte und diese wiederum braucht eine Dramaturgie, wie sie erzählt wird. Wie bei einer guten Geschichte gibt es bei uns ein Auf und Ab – ruhigere Momente und solche, die einem mitreissen, emotional in Bewegung bringen!", verrät uns Ardizio sein Rezept.
Das älteste Auto in der Ausstellung ist ein A.L.F.A. 24 HP von 1910. Danach repräsentiert jedes folgende Jahrzehnt ein Auto. Der letzte dieses Auftakts ist ein 8C von 2007. "Wie sie sehen, gibt es in diesem Museum keine Marmorsockel, keine Überhöhungen der Autos. Maximal sind es genau sechs Zentimeter mehr als der Boden, auf dem die Fahrzeuge stehen. Autos wurden so gezeichnet, dass sie beim Betrachten am besten aussehen, wenn sie flach auf dem Boden stehen. Dies war mir wichtig. Dass es dennoch kleine Podeste gibt, hilft uns den Besuchern mitzuteilen, dass sie bei deren Betreten in eine verbotene Zone eindringen. Bis hier, dann bitte Stopp! Das verhindert hässliche Abschrankungen und lässt den Blick ungehindert auf unsere Autos frei. In jeder Ausstellungshalle befinden sich während den Öffnungszeiten Aufsichten. Diese sind allerdings nicht einfach Aufpasser, sondern Leute, die unsere Inhalte bestens kennen und den Besuchern nicht nur einfach sagen, was sie nicht tun dürfen, sondern versuchen sie verstehen zu lassen, was die DNA von Alfa Romeo ist und warum wir unser Kulturgut schützen sollen. Wir wollen ja die Neugier nicht bestrafen, sondern unterstützen!", beschreibt der Kurator die Besonderheiten in seiner Ausstellung.
Viel Licht und Dynamik
Grossen Wert legt Lorenzo Ardizio auf das Licht: "Wir kennen das, oder? Diese Museen mit ihren halbdunklen Austellungen. Dies wollten wir unbedingt vermeiden. Gewiss, aus dramaturgischen Gründen gibt es natürlich auch bei uns Momente, wo man in einen relativ dunklen Raum tritt, etwa beim Thema "Alfa Romeo im Film". Auch die Meterialität war uns wichtig. Es gibt keine Kulissen oder dergleichen. Alles, was man sieht, ist das, wonach es auch aussieht – Glas beleibt Glas, Beton ist Beton und so weiter."
Wir betreten einen Raum, der dem Thema "Alfa im Film" gewidmet ist. Die Internet-Datenbank imcdb.org listet tausende von Filmen auf, in denen ein Alfa Romeo zu sehen ist. Doch wie Ardizio sagt, sind es etwa 42 Produktionen von Weltrang, in denen ein Auto mit dem Biscione – der gefiederten Schlange – eine signifikante Rolle spielt. The Graduate – deutscher Titel: «Die Reifeprüfung – mit Dustin Hoffman birgt derweil wohl den bekanntesten Filmauftritt eines Alfa Romeo: eines roten Spider Duetto. Lorenzo Ardizio erwähnt aber auch Matula in der Krimiserie "Ein Fall für Zwei", der von der Giulia bis zum 159er so ziemlich alles gefahren ist, was bei Alfa Romeo während der Produktionszeit von nicht weniger als 300 Folgen so alles vom Band gelaufen ist. Insgesamt werden zwölf verschiedene Filme im Museum vorgestellt.
Alfa Romeo als Inspirationsquelle
Eine besonders grosszügig gestaltete Halle widmet sich den Designstudien und Meisterwerken der italienischen Karossiers von den 1950er-Jahren bis zu Beginn des neuen Jahrtausends. Mitten drin steht etwa der Alfa Romeo Carabo, gebaut von Bertone und gezeichnet vom damals noch jungen Marcello Gandini.
Der Carabo brachte vielerlei Neuheiten in das internationale Autodesign: die Schwenktüren oder auch die extreme Keilform. Auch hier gibt es keine Bildschirme, keine Musik, nur die Autos und ihre Ästhetik. Das muss genügen. Der Raum dient der Huldigung an die italienischen Karossiers. Autos wie den 2000 Sportiva, gezeichnet von Franco Scaglione für Bertone, oder der Disco Volante von Carlo Felice Bianchi Anderlonis Firma Carozzeria Touring, der aus der Feder von Federico Formenti stammt.
Mit gutem Abstand steht da auch der Alfa Romoeo Sprint Speciale Prototipo aus dem Hause Bertone, gezeichnet von Giorgetto Giugiaro, oder das erste "Concept Car" von Alfa Romeo wie der Museums-Kurator meint: der 40/60 HP Aerodynamica, der Tropfen auf Rädern nach einer Idee des Grafen Marco Ricotti und gebaut von Castagna. Das Auto wurde 1913 bei Castagna in Auftrag gegeben, aber sehr rasch in einen offenen Wagen umgebaut, da der tropfenförmige Innenlenker sich als zu laut und zu warm entpuppt hatte. Das Original ging verloren; der gezeigte Wagen ist ein Nachbau aus den 1970er-Jahren.
"Der Wert spielt hier keine Rolle. Sicher, es gibt äusserst wertvolle Automobile in dieser Sammlung, aber wir spielen das Thema im Museum nicht. Wie man in der Ausstellung zu den Rennsiegen von Alfa Romeo sieht, stehen zudem die Menschen im Vordergrund. Die Fotos und Filme zu den neun ausgewählten Rennsiegen – aus tausenden mehr – zeigen in erster Linie die darin involvierten Fahrer. Selbst diese sind nicht als Helden glorifiziert. Wir zeigen sie bei der Arbeit, bei den Rennen im Einsatz, zum teil müde und abgekämpft. Zudem sieht man die Begeisterung der Zuschauer, diesen Enthusiasmus und die Bedeutung, die Motorsport damals hatte.", beschreibt Lorenzo Ardizio diesen Teil.
Dazu stehen in den "Katakomben" – im Allerheiligsten des Museums – die Renn-Legenden der Marke: 6C 1500 oder 6C 1750 Supersport, der 8C 2300 Le Mans oder gar der spektakuläre, aerodynamisch optimierte 8C 2900 B Speciale Tipo Le Mans mit seiner unglaublich langen Motorhaube. Dazu gesellen sich die GP-Wagen des Hauses: der Tipo B, der Bimotore mit je einem Aggregat unter der Fronthaube und im Heck oder der Tipo A, bei dem die beiden Sechszylinder nebeneinander unter der Motorhaube sitzen.
Und natürlich ist auch die Alfetta hier zu finden. Auch diese ist so präsentiert, dass sie nicht übermässig glorifiziert würde. Dies hat sie auch nicht nötig. Oder vielleicht doch ein Wenig? Der Tipo 159 ist das einzige Auto der gesamten Ausstellung, das etwas erhöht und geneigt ausgestellt ist. Da die Karosserie partiell entfernt ist, lässt sich so die darunterliegende Mechanik besser einsehen.
Eine Geschäftseinheit der Firma
Das Museum von Alfa Romeo ist eine eigene Abteilung des Unternehmens. "Die Sammlung ist geschützt durch einen Vertrag mit dem Italienischen Kulturministerium. Nein, wir sind keine Stiftung. Das hat auch gewichtige Vorteile. Ich stehe in gutem Kontakt. Wir sind nicht die seltsame Truppe von Ewiggestrigen. Die Wege sind kurz; ich bin quasi auf dem internen Verteiler und damit im täglichen Kontakt mit der Geschäftsleitung. Oft dienen wir auch als Inspirationsquelle, als Ort, wo die DNA von Alfa Romeo am besten spürbar wird. Das wirkt sich tatsächlich auch auf aktuelle Produkte aus. Die Designer holen sich hier die Ideen. Das Museum ist nicht einfach ein Ort, wo die Geschichte abgestellt ist. Es ist ein Dauerprojekt, etwas dynamisches, so wie die Autos selbst. Übrigens: etwa 60 Prozent der Wagen in den Ausstellungen sind fahrfähig.", versichert und Lorenzo Ardizio auf die Frage nach der Einbindung des Museums in den Gesamtkontext von Alfa Romeo.
Der Kurator ergänzt: "Die Ausstellungen sind zudem die erste Schicht unserer Sammlung. Es gibt auch noch das Lager, im Prinzip eine Vertiefungsebene wie das umfangreiche Archiv. Dieses lässt sich auch besuchen. Dort sind die Autos, die Motoren und Flugzeuge und alles andere, was wir haben – nicht kuratiert, aber ebenso erfassbar, etwa auch für Studien und dergleichen."
Woher die Objekte stammen, wollen wir wissen: "Die Archivalien stammen oft aus Donationen. Es sind verschiedenste Unterlagen, Fotos, Filme oder Akten. Diese werden fortlaufend inventarisiert. Es ist mir ein besonderes Anliegen, diese Dinge umgehend zu erledigen. Bei uns gibt es keine Kisten voller Objekte, von denen wir nicht genau wissen, was es ist. Bei den Autos sind wir sehr zurückhaltend. Und es muss nicht zwingend der erste oder der letzte Wagen einer Serie sein. Autos mit individueller Geschichte sind mir lieber. Diese lassen sich auch besser erzählen. Der erste Wagen einer Serie, der direkt ins Museum wandert, hat meiner Meinung nach noch nicht allzu viel zu erzählen. Doch die Besucher bestätigen mir immer wieder, dass es genau die Anekdoten, die individuellen Geschichten der Menschen mit ihren Autos sind, die sie mit nach Hause nehmen, nicht technische Daten oder schlichte Zahlen."
Zum jüngsten Teil der Ausstellung mit historischen Alfa Romeo im Dienste der Carabinieri hat Lorenzo Ardizio eine ganz persönliche Geschichte zu erzählen: "Wie man weiss, gibt es in Italien diese beiden unvereinbaren Welten der Polizia Statale, die auch als Polizia Stradale für den Strassenverkehr zuständig ist, und der als Teil der Armee bestehenden Carabinieri. Wir zeigen Fahrzeuge aus dem Fuhrpark der Carabinieri. Diese befinden sich alle noch immer im Besitz der Behörde. Als die Neuigkeit sich verbreitete, dass nun welche in Arese zu sehen seien, rief mich ein guter Freund und Kommandant bei der Polizia an – wir haben ein sehr gutes Verhältnis – und sagte nur ein Wort, bevor er wieder auflegte: "Stronzo!" Man darf davon ausgehen, dass somit in diesem Teil als Nächstes die Wagen der Polizia zu sehen sein werden – in Italien als "Pantera" bezeichnet, seit diese zu Beginn der 1950er-Jahren schwarze Alfa Romeo 1900 waren.
Das Museo Storico Alfa Romeo ist täglich ausser dienstags von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr geöffnet. Die Ausstellungen sind in Italienisch und Englisch begleitet.






































































































































































































































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