Früher als überflüssig kritisiert, heute als lebensrettend anerkannt: Die Anschnallpflicht feiert in diesem Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum in Deutschland und gilt noch heute als Ausgangspunkt für zahlreiche Sicherheitsinnovationen in der Automobilwelt. Trotz aller Proteste und Diskussionen kommt es am 1. Januar 1976 zur Gesetzesänderung in Deutschland nach der auf den Vordersitzen von Personenwagen der Sicherheitsgurt getragen werden musste. Im Jahr 1984 kommt dann auch die Gurtpflicht für den Rücksitze hinzu. Für viele Fahrzeuge war dies der erste Schritt auf dem langen Weg zu einer immer höheren Fahrzeugsicherheit.
Dass der Gurt überhaupt seinen Weg ins Auto fand, hatte er der seit 1953 eingeführten Unfallstatistik zu verdanken. Diese zeigte nur zu deutlich, wie gefährlich das Autofahren auf deutschen Strassen seinerzeit war und wie wichtig der Sicherheitsgurt als Rückhaltesystem bei einer Kollision ist. Denn ebenso rasant wie das Verkehrsaufkommen stieg die Zahl der Unfalltoten, was sowohl die Regierung als auch die Automobilbranche zum Handeln bewegte.
Die Anfänge der Sicherheitsgurte
Bereits ab 1958 ist für den offenen Mercedes-Benz 300 SL (W 198 II) ein neues Rückhaltesystem zu haben, das die Insassen des Roadster bei einem Unfall schützen soll. Dieser Sicherheitsgurt war – ähnlich wie im Flugzeug – als Beckengurt ausgeführt und sollte Fahrer und Passagier vor allem davor schützen, aus dem Auto geschleudert zu werden. Pro Sitz kostet die Sonderausstattung damals 110 DM. Zum Vergleich: Für ein Radiogerät mit automatischer Antenne müssen die Käufer des Sportwagens zu dieser Zeit als Sonderausstattung 810 Mark bezahlen. Noch im selben Jahr bietet Mercedes-Benz für alle Personenwagen mit vorderen Einzelsitzen vergleichbare Sicherheitsgurte an.
Im Jahre 1959 schreibt dann der schwedische Volvo-Ingenieur Nils Bohlin Automobilgeschichte: Am 13. August wird das erste Fahrzeug ausgeliefert, das serienmässig mit seiner Erfindung, einem Dreipunkt-Sicherheitsgurt, ausgestattet ist. Es handelt sich um einen Volvo PV 544 („Buckel").
Ein Vorbild in Sachen Sicherheit war auch Opel und das schon bevor es die Anschnallpflicht gab. Bereits 1973 begann der serienmässige Gurteinbau für alle Pkw. Als Extra gab es Gurte sogar schon einige Zeit früher: Ab April 1968 konnten unter anderem der Kadett, der Admiral und der Diplomat mit Vordersitzgurten bestellt werden. Der Coupé-Klassiker Manta A folgte im Oktober 1970. Serienmässig gab es den Lebensretter bei Opel auch schon deutlich früher zum Beispiel ab Februar 1967 im Kadett B Rallye und ein Jahr darauf im Commodore A GS.
Grosser Wiederstand
Ende der 1960-er Jahre setzt sich der Dreipunkt-Gurt, der Becken- und Schultergurt verbindet, allmählich als endgültige Form des Sicherheitsgurtes durch. Doch das damals grösste Problem: Die Autofahrer mussten erstmal dazu gebracht werden, die vorhandenen Gurte auch tatsächlich anzulegen. Trotz intensiver Sicherheitsaufklärung des Verkehrsministers, Pro-Gurt-Aktionen deutscher Automobilclubs und drastischer Unfallbeispiele in der ARD-Verkehrssendung „Der 7. Sinn“ änderte sich kaum etwas an der Gurtallergie der Deutschen.
Obwohl ab 1974 praktisch alle Neuwagen und per Nachrüstung auch ältere Modelle den Gurt hatten, schnallten sich im Folgejahr nur 39 Prozent der Fahrer und Beifahrer an. Die logische Konsequenz: Ein weiteres Jahr später schrieb Paragraph 21 der Strassenverkehrs-Ordnung das Anschnallen gesetzlich vor. Aber der Widerstand gegen die Verordnung war gross.
So auch in der Schweiz, wo das Stimmvolk 1981 nur knapp Ja zu einem Gurtenobligatorium für Fahrzeuglenker sagte. Die Tragepflicht wurde damals von vielen als ungerechtfertigte Einmischung des Staates in die Freiheit der Bürger empfunden.
Die blosse Pflicht änderte also nicht viel. Da Gurtmuffel auch in Deutschland über acht Jahre mit einer Belehrung davonkamen, ignorierten viele Autofahrer das neue Gesetz. Erst als im August 1984 ein Bussgeld in Höhe von 40 DM eingeführte wurde, veränderte die Anschnallmoral schlagartig – die Anschnallquote stieg in kürzester Zeit von 60 auf 90 Prozent. Bis heute hat sich die Quote sogar auf einem noch höheren Niveau eingependelt: Auf Vordersitzen schnallen sich über 97 Prozent an, auf den Rücksitzen immerhin 94 Prozent.
Über eine Million Leben gerettet
Heute, 40 Jahre nach Einführung der Gurtpflicht in Deutschland, ist der Nutzen des Sicherheitsgurt weitgehend unbestritten. Denn die zahlreichen Sicherheitsinnovationen der vergangenen Jahrzehnte haben sich ausgezahlt. Laut Schätzungen rettete die Erfindung des schwedische Volvo-Ingenieur seit 1959 weltweit über einer Million Menschen das Leben.
Unglaubliche 21’332 Verkehrstote im Jahr 1970 sind bis heute trauriger Rekord, 2015 verloren nur noch 3’475 Menschen ihr Leben auf deutschen Strassen – trotz des im Vergleich zu 1970 rund drei Mal höheren Verkehrsaufkommens und einer deutlichen Erhöhung der Durchschnittsgeschwindigkeit. Und auch in der Schweiz konnten alleine seit dem Jahr 2000 13‘000 schwere Verletzungen und 1’600 Todesfälle vermieden werden.