Stuttgart ist ein wenig das Gegenteil von Paris, so scheint es zumindest, wenn man die Hallen der Retro Classics betritt. Grosszügige Platzverhältnisse, passierbare Gänge, luftige und helle Hallen und kaum Schlangen vor Imbiss-Ständen, all dies macht den Besuch der Oldtimermesse “Retro Classics” zu einer gemütlichen und stressfreien Angelegenheit und so ganz anders als das, was sich Oldtimer-Interesierte von der Traditionsmesse in der französischen Hauptstadt gewohnt sind.
Dieser Eindruck setzt sich auch bei der Pressekonferenz fort, die jedes Jahr im vergleichsweise kleinen Kreise vor Messebeginn abgehalten wird (und trotzdem fast eine Viertelstunde zu spät beginnt).
Hier wird man wortreich über die Höhepunkte der Retro Classics 2013 ins Bild gesetzt und erfährt von Messe-Geschäftsführer Roland Bleinroth aktuelle Statistikwerte. 280’000 H-Kennzeichen sollen es jetzt sein in Deutschland, 20’000 mehr als noch vor einem Jahr, davon rund ein Drittel im Süden Deutschlands (Baden-Württemberg und Bayern), was im Vergleich zur Einwohnerzahl ein überproportionaler Anteil ist.
5,7% sollen die Oldtimer seit 2003 im Wert durchschnittlich pro Jahr gewachsen sein, 9,3% betrug der Anstieg alleine im Jahr 2011. Das Oldtimer-Geschäft brummt also und das ist auch für die Messe gut, die sich 2013 wiederum über volle Belegung und 1’308 Aussteller aus 17 Ländern freuen kann.
Und auch die Besucher kommen, 77'000 werden gezählt, was gegenüber dem Vorjahr, als der Termin unglücklicherweise mit dem von Essen und Fribourg überlappte, eine Zunahme von fast 20% ausmacht. Und kauffreudig sind diese Besucher noch dazu, bereits am Sonntag Nachmittag meldet die Messeleitung, dass die Mehrheit der rund 500 Fahrzeuge auf der Händlerverkaufsbörse in Halle 6 sowie der Fahrzeuge im Privatverkauf auf der Motorgalerie in Halle 1 neue Besitzer gefunden habe. Dazu passen auch die Umfrage-Ergebnisse, wonach rund ein Fünftel der Besucher den Kauf eines Oldtimers plant.
Zum letzten Mal ohne Teppich
Den zunehmenden Premium-Anspruch kommentiert auch der Organisator der Retro Classics, Karl-Ulrich Herrmann. Die Anzahl der Händler, die Fahrzeuge höchster Qualität anbieten, wächst und auch die Club-Auftritte der über 100 Oldtimer-Vereinigungen gewinnen Jahr zum Jahr an Professionalität. Dies soll nun aktiv weiter beschleunigt werden, indem es 2014 keine Stände ohne Teppiche mehr geben soll. Schöne Autos sollen nicht auf profanem Betonboten ausgestellt werden, sondern auf Textilien.
Dass dies gut aussieht, sieht man bei den Sonderschauen mit Horch- und Delahaye-Fahrzeugen.
Einmalige Delahaye-Sonderschau
25 Design-Ikonen (von unschätzbarem Wert) hat Bernhard Jaeggy, seines Zeichens Präsident des Internationalen Vereins der Museumsfreunde der Sammlung Schlumpf und auch gewichtiges Mitglied im Delahaye-Club, zusammengesucht und in einer Sonderschau in der Mitte der Halle 4 aufgestellt.
Und er legt einem die schönen Delahaye-Fahrzeuge auch mit viel französischem Charme und spannenden Erzählungen ans Herz.
- Automobile als Erlebnis
- Automobil-Erlebniszentren
- Ersatzteile
- Autohandel (Oldtimer & Youngtimer)
- Veranstalter (ohne Reisen)
- Vermietung Oldtimer & Youngtimer
Die bemerkenswerte Geschichte eines Delahaye 135M von Antem
Ende der Vierzigerjahre kam ein Mädchen aus Strassbourg nach Paris, um sich eine Stelle als Dienstmädchen zu suchen. Sie traf irgendwann auf Viktor Marine, einen reichen Russen aus der Ukraine. Sie verliebten sich und heirateten. Gemeinsam besuchten sie den Pariser Autosalon im Jahre 1949 und ein hinreissend geformter Delahaye 135M mit Aufbau von Antem stach ihnen ins Auge. Madame Marine verlangte allerdings nach einer Änderung der Ausführung, sie wünschte sich ein Sonnendach, welches dann nachträglich eingebaut wurde.
Im Jahre 1951 wanderte das Ehepaar nach Amerika aus und weil die beiden nicht sicher waren, dass es ihnen gefallen würde, kauften sie drei Retour-Tickets von Le Havre nach New York, eines davon für ihr Hochzeitsauto, den Delahaye. Doch, wie das Leben so spielt, kehrten die beiden nie mehr zurück.
Ende der Achtzigerjahre ergab sich ein Kontakt zwischen Madame Marine, die inzwischen Witwe war, und dem Schlumpf-Museum. Sie schlug vor, den Wagen, der seit 1955 in einem Schuppen auf eine bessere Zukunft gewartet hatte, dem Museum zu schenken. Der Museumsleitung gefiel diese Idee, doch es stand kein Geld für die Verschiffung zur Verfügung und Madame Marine war auch nicht begeistert von der Idee, auch noch den Transport bezahlen zu müssen. Doch sie erinnerte sich an die unbenutzten Fahrscheine der Überfahrt von 1951 und die Schiffsfirma war tatsächlich bereit, diese Tickets noch zu akzeptieren. So gelangte das kaum mehr fahrbare Auto zurück nach Frankreich und konnte dann dank grossen Einsatzes von Enthusiasten restauriert werden.
Und an der Retro Classics 2013 wird genau dieser Wagen als eines der 25 ausgestellten Exponate gezeigt.
Zur Delahaye-Sonderschau wurde der Übersichtlichkeit halber eine eigene Bildergalerie gewidmet, die weitere Hintergründe zu den einzelnen Fahrzeugen offenbart.
Horch-Preziosen
Einen Einblick in die Geschichte der Marke Horch bietet eine zweite Sonderschau in der Halle 1. Von den Einzelstücken Horch 710 mit einer Karosserie von Reinbodt und Christé oder dem Horch 853 mit Aufbau von Erdmann & Rossie bis zum Horch P240 Sachsenring, der immerhin über 1’300 Mal gebaut wurde, gibt es einen interessanten Querschnitt über die Entwicklung dieser legendären Marke zu sehen.
Zwei besondere Pagoden
Vor genau 50 Jahren wurde der Mercedes-Benz 230 SL am Genfer Automobilsalon 1963 vorgestellt, jetzt zeigt der Mercedes-Benz SL-Club Pagode gleich zwei besondere Exemplare in Stuttgart. Da ist einmal das originale Rallye-Fahrzeug mit Fahrgestellnummer 000014, mit dem Eugen Böhringer und Klaus Kaiser 1963 noch vor der Markteinführung des neuen Autos das Langstreckenrennen Spa-Sofia-Lüttich nach einer Non-Stop-Fahrt von 92 Stunden Dauer als Sieger beendeten.
Noch älter und mit der Fahrgestellnummer 000001 das erste Produktionsfahrzeug überhaupt ist der Wagen, der daneben steht. Und genau dieser 230 SL wurde 1963 von der Daimler-Benz AG an die Mercedes-Niederlassung in Zürich verkauft, welche den Wagen dann in Genf am Autosalon mit Hardtop ausstellte. Nach der Ausstellung wurde das Cabriolet verkauft, wechselte mehrfach den Besitzer und irgendwann auch die Farbe (wir haben darüber in einem Blogbeitrag berichtet).
Der lange Winter und das Fehlen der österreichischen Raritäten
Wer wegen der Sonderschau mit österreichischen Raritäten vom Schlag eines Steyr, oder Austro-Daimlers nach Stuttgart gereist ist, der wird allerdings enttäuscht. Der lange Winter hat dieser Ausstellung den Garaus gemacht. Eine Woche vor Messebeginn, als die Fahrzeuge zur Verladung vorbereitet werden sollen, schneit es noch im Alpenland. Die Versicherung ist nicht bereit, das zusätzliche Transport-Risiko zu tragen. Kurzerhand muss die Ausstellung abgesagt werden und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
US Cars mit eigener Halle
Für die Fahrzeuge amerikanischer Provenienz rührt TV-Moderator und Schauspieler Thomas Schreiner die Trommel. Die neueren und älteren Fahrzeuge von GM, Ford und Chrysler füllen fast die ganze Halle 5, ergänzt um Opel- und Ford-Modelle aus Europa. Viel Chrom gibt es zu sehen und viel Hubraum.
Und wer am Genfer Automobilsalon die Traditionspflege von Chevrolet anlässlich des 60. Geburtstags der Corvette vermisst hat, kann jetzt die verschiedenen Generationen in Stuttgart in den unterschiedlichsten Varianten begutachten (und auch kaufen).
Die farbige Welt der Clubstände
Einmal mehr haben sich die Clubs und Interessensgemeinschaften tüchtig ins Zeug gelegt und echte Raritäten nach Stuttgart gebracht. Sei es ein Rover 6HP von 1904, ein Citroën 2 CV Sahara 4x4 von 1965 oder drei Passat-Modelle der ersten Generation (zur Feier des 40-jährigen Jubiläums), es gibt viel zu sehen und zu bewundern. Und es ist ein Fest der Farben, vor allem die Stände mit den Autos der Siebziger- und Achtzigerjahre.
3’000 Autos
Überhaupt ist der Betrachter von der Vielfalt fast überfordert. Rund 3’000 Autos können betrachtet, verglichen und teilweise auch gekauft werden. Ein umfangreich restaurierter Opel Rekord B 1900 L von 1966, ein seltenes BMW 1600-2 Cabriolet oder Horden von Mercedes-Cabriolet und Porsche-Sportwagen, jedem Marken-Anhänger wird etwas geboten. Und wer finanziell auf Rosen gebettet ist, kann sich auch zwischen einem Bruder-Paar Porsche 904 GTS oder verschiedensten Mercedes Benz 300 SL entscheiden.
Keine Auktion
Die ursprünglich angekündigte Auktion der Oldtimer Galerie Toffen (“The Auctioneer”) findet nicht statt, zu gross waren die zolltechnischen und behördlichen Hürden. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ein Teil des Angebots wird an der Versteigerung vom 8. Juni 2013 anlässlich der DolderClassics unter den Hammer kommen.
Ob der grüne Porsche Carrera RS 2,7 Liter von 1973 dabei sein wird, konnte Reinhard Schmidlin auf Anfrage allerdings noch nicht sagen. Als Vorgeschmack auf die Auktion jedenfalls werden in Stuttgart rund 30 Autos gezeigt und bei Interesse auch verkauft.
Müde Beine, schmerzende Füsse
Wer alles sehen will und nur einen Tag Zeit hat, der dürfte am Abend durchaus über wunde Füsse klagen, so weitläufig ist die Messe und so viel gibt es zu sehen. Aber als Einklang in die neue Saison und als “Amuse Bouche” taugt die Retro Classics auch 2013 allemal bestens.
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als Ford-Fan habe ich diese Marke an der Messe extrem vermisst.