Gabriele d’Annunzio und Tazio Nuvolari – die zwei Namen stehen für unzählige Legenden. Der Schriftsteller würde dieses Jahr den 150. Geburtstag feiern, das Todesjahr des Rennfahrers jährt sich zum 60. Mal. 2013 ist also ein geschichtsträchtiges Jahr, speziell natürlich in Italien. D’Annunzio und Nuvolari haben den Status der unsterblichen Helden, die Verehrung beider ist ungebrochen.
Nuvolaris kleine goldene Schildkröte
Gabriele d'Annunzio, Schriftsteller, Dichter, Dramatiker, militärischer und politischer Aktivist und Journalist trifft am 28. April 1932 auf dem Höhepunkt seiner Popularität den schnellsten Rennfahrer Tazio Nuvolari in seiner Villa „Il Vittoriale“ in Gardone-Riviera am Gardasee. Der „fliegende Teufel aus Mantua“, wie Nuvolari auch genannt wird, eilt in dieser Zeit auf den Rennpisten dieser Welt von Sieg zu Sieg. Mit den Worten „dem schnellsten Mann das langsamste Tier“ übereicht d’Annunzio Nuvolari eine kleine goldene Schildkröte. Und die Legende will, dass bei diesem Akt beide auf dem Trittbrett eines Alfa Romeo 6C 1750 Gran Turismo gesessen haben sollen…
Dieser Vorspann wäre eine schöne Einstimmung auf den diesjährigen Gran Premio Tazio Nuvolari, der traditionell im letzten September-Drittel in Mantua startet. Aber seit zwei Jahren ist nichts mehr, wie es einmal war: Mario Monti hatte damals als italienischer Ministerpräsident allen einheimischen Steuersündern den Krieg erklärt, die Guardia die Finanza rief die Mobilmachung gegen ihre italienischen Staatsbürger aus und offensichtlich gibt es den einen oder andern Oldtimer in Italien, der in keiner Buchhaltung auftaucht …
Nachdem das Startfeld letztes Jahr unter akuter Schwindsucht litt, hat es sich auf tiefem Niveau eingependelt. Aber: Von den 247 gemeldeten Teams blieben nur gerade 100 Einheimische übrig, deren Autos zum Teil und oh Wunder, mit ausseritalienischen Kennzeichen am Start waren… Von über 350 gemeldeten Equipen wie in früheren Jahren kann der Organisator nur träumen.

Diese Sorgen blieben der Startnummer 1 erspart: Traditionell wird Tazio Nuvolari unter dieser Zahl imaginär ins Rennen geschickt, verwegen setzt ihn der Organisator auf einen Autounion – dies wohl eher um dem Hauptsponsor Audi zu gefallen als der realen Geschichte Rechnung zu tragen: Nach Anfängen auf Bianchi, OM und Bugatti pilotierte der Mantuaner ab 1930 Alfa Romeos, bevor er ab 1938 bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges zu Autounion wechselte.
Von Mantua bis Rimini mit 25 Spezialwertungen via Modena und Imola
Dies alles tat der guten Stimmung und dem schönen Wetter, das treuer Begleiter des diesjährigen GP’s war, keinen Abbruch. Bis zum Start am Freitag um 13.00 Uhr hatten die Teams die Gelegenheit, die technische Abnahme hinter sich zu bringen und im Roadbook die Vorbereitungen für die 75 Sonderprüfungen zu treffen. Emsiges Treiben, aufgeregte Gespräche gingen dem Starprozedere auf der Piazza Sordello im Herzen der Altstadt von Mantua voraus.
Pünktlich um 13.00 Uhr fuhr das erste Auto von der Startrampe, im 20-Sekunden-Takt gings weiter.
In der freitäglichen Etappe, die bis tief in die Nacht dauerte, war die Querung der Emilia Romagna mit Ziel Rimini angesagt.
Damit gar nicht erst eine Kaffeefahrt-Stimmung aufkommen konnte, sorgte der Organisator: Mit Modena und Imola standen Sonderprüfungen auf zwei prominenten italienischen Rennstrecken auf dem Programm, insgesamt mussten am ersten Tag 25 Spezialwertungen absolviert werden. Und für einmal erfüllte der Veranstalter die Erwartungen der Teams: Grossmehrheitlich und lobenswerterweise hatte er schöne Nebenstrassen ausgesucht, für einmal abseits von öden Hauptverkehrsachsen und Durchquerungen von Städten wie Bologna im letzten Jahr.
Wie immer säumten zahlreiche Zuschauer die Strecke, die Zeitkontrollen in den grossartigen Altstädten bildeten den würdigen Rahmen von wahren Volksaufläufen.

Und das Chaos vor der Rennstrecke in Modena hatte den speziellen italienischen Charme, ein „grande Casino“ ist im Süden offensichtlich eben etwas anderes als im profanen und durchorganisierten Norden…
Ohne Stirnlampe ging nichts mehr
Wer keine Stirnlampen oder wenigstens eine funktionierende Innenbeleuchtung aufwies, hatte verloren: Ab 20.00 Uhr dunkelte es ein, Rimini und vor allem Milano Maritima waren noch kilometerweit entfernt. Der Hauptharst traf gegen 22.00 Uhr in Milano Maritima ein, glücklich, dass ein opulentes Buffet auf Fahrer und Beifahrer wartete. Ein Team wähnte sich zufrieden am Ziel und wollte, das ganze Gepäck mitschleppend, gleich einchecken … Kurz vor Mitternacht war dann Rimini erreicht – männiglich kroch etwas ermüdet in die Federn, wohlwissend um die kurze Nacht, denn um 07.00 Uhr am Samstag ging die Fahrt weiter.
Alfa Romeo im Zweikampf
An der Spitze tobte ein Kampf um Sekundenbruchteile. Zur Freude des Museo Alfa Romeo Storico führten die beiden Alfa Romeo 6C 1500 und 6C 1750 von Salvinelli/De Marco und Mozzi/Biacca die Rangliste bis zur Hälfte der ersten Etappe an – ausgerechnet auf dem Autodromo Dino e Enzo Ferrari in Imola fielen Mozzi/Biacca dann zurück. Klar war: Der kleinste Fehler im Bereich von einer einstelligen Hunderstels-Sekunden-Zahl wirkte sich sofort verheerend auf das Klassement aus. Und ein Blick auf die Rangliste zeigte: Die wahren Meister sind trotz der Übermacht von Ausländern idealerweise italienischen Ursprungs und bewegen ein Vorkriegsauto, passenderweise ebenfalls aus Italien stammend.
Mit fünf Hunderstel Vorsprung nach Siena
Ein anständiger Bewohner der Stadt Rimini lag noch in seinem Bett, als die ersten Autos den Adriakurort in Richtung Toskana zu nachtschlafener Zeit am Samstag Morgen verliessen. Strahlendes Wetter und angenehme Temperaturen hielten die Eifersucht auf ein warmes Bett in Grenzen und überhaupt: Es war alles freiwillig! Spätestens die erste Spezialprüfung nach 30 Minuten Fahrt verlangte dann die Aufmerksamkeit und einen wachen Geist von Fahrer und Beifahrer. Moceri (ehemaliger Werksfahrer vom Museo Storico Alfa Romeo) lauerte mit seinem Healey Silverstone im Genick von Salvinelli (aktueller Werksfahrer vom Museo Storico Alfa Romeo), getrennt von einer bis drei Hundertstelssekunden. Und nach Abschluss der zweiten Spezialprüfungseinheit war es um den offiziellen Werksfahrer geschehen: mit 5/100 lagen Moceri/Bonetti vor Vesco/Guerini in Führung, die ebenfalls noch an Salvinelli vorbeischlüpften. Um die Mittagszeit wurde der Höhepunkt jedes GP Nuvolari angesteuert: Der Campo mitten in der Altstadt von Siena. Dort wo normalerweise einmal jährlich Pferderennen stattfinden, dröhnten nun die Motoren des Nuvolari-Trosses durch die Gassen und von den Wänden des altehrwürdigen Gemäuers. Verdi, Toscanini oder Rossini hätten diese Aufführung nicht besser komponieren können.
Mit zwei Hundertstel Vorsprung zurück nach Rimini
Durch zahlreiche Altstädte, die extra für den Nuvolari-Tross geöffnet wurden (beispielsweise Arezzo) und die Ausläufer des Appenin führte die Route zurück nach Rimini – an der Spitze tobte immer noch der Kampf um die Führung. Für das Mailänder Alfa-Romeo-Museum war die Welt in Rimini wieder in Ordnung: Der 6C 1500 lag mit sagenhaften 2/100stel in Führung! Und bei der Einfahrt zum Tagesziel spielten sich ähnliche Szenen ab wie tags zuvor. Als Wiederholung: Das Chaos vor der Piazza Camillo Benso in Rimini hatte den speziellen italienischen Charme, ein „grande Casino“ ist im Süden offensichtlich eben etwas lockerer als im profanen und durchorganisierten Norden…
Sonntag, die letzten 250 der gut 1‘000 Kilometer werden Auto, Fahrer und Beifahrer verabreicht. Nach zügigem Ansteuern von Ravenna, Spezialprüfungen in Milano Maritima und auf dem Circuito von Imola, folgten die Kilometer auf dem sonntäglichen Filetstück: Dem Organisator gelingt es immer wieder, die Bewilligung für die Fahrt auf dem Damm entlang des Po zu erhalten. Landschaftlich etwas vom schönsten des ganzen GP’s, auf diesem Damm mit den langen Geraden und den weiten Kurven zu cruisen und die malerische Sicht auf den Po und die Po-Ebene zu geniessen!
Die Spezialprüfungen in Imola sorgten dann für klare Verhältnisse an der Spitze. Vesco/Guerini profitierten von einem kleinen Fehler der führenden Salvinelli/De Marco, übernahmen die Führung, die sie bis ins Ziel verteidigten. Um 28 Punkte, gleichbedeutend mit 28 Hundertstelssekunden Rückstand musste sich das Alfa Romeo-Werksteam geschlagen geben. Paola Lanati, Chefin des museo storico, nahms gelassen: „In erster Linie wollen wir unsere schönen Autos den Zuschauern zeigen. Klar wäre es schön gewesen zu gewinnen, wir sind aber auch mit dem zweiten Platz zufrieden“.
Also: next year, same procedure as every year!
Resultate
1. Vesco/Guerini (I) Fiat 508 S (1934)
2. Salivinell/De Marco (I) Alfa Romeo 6C 1500 SS (1928)
3. Fortin/Pilé (I), MG TA (1936)
4. Fontanella/Covelli (I), Ford B Roadster (1933)
5. Moceri/Bonetti (I), Healey Silverstone (1949)
6. Toncongy/Ruffini (I), Bugatti 40 (1927)
7. Mozzi/Biacca (I), Alfa Romeo 6C 1750 Zagato, (1933)
8. Cané/Galliani (I) Lancia Aprilia (1938)
9. Passanate/ Gambardella (I), Lancia Aprillia (1939)
10. Loperfido/Taddei (I), Fiat 1500 6C (1937)
Mehr zum Gran Premio Tazio Nuvolari unter www.gpnuvolari.it
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