Amelia Island: Für Anhänger klassisch-automobiler Feinstkost bedeutet dieser Name die schillernde Antwort der US-Ostküste auf das pazifische Pebble Beach. Hier, zwischen luxuriösen Zweitbehausungen dauergolfender Ruheständler, steigt alljährlich ein Concours d’Elegance, der seinem Vis-à-vis im fernen Kalifornien in nichts nachsteht.
Dass die Macher des Edelevents in Florida auch Spaß verstehen, zeigt sich eindrucksvoll demjenigen, der die Straßenseite wechselt. Abgeschirmt von urwaldartigen Baumriesen eröffnet sich dort ein weiterer Fairway, der einen Tag lang dem Strandgut der mobilen Wegwerfgesellschaft eine Bühne bietet: dem Schlechtheitswettbewerb der Zitronen von Amelia Island. „Concours d’Lemons shows celebrate the oddball, mundane, and truly awful of the automotive world!“, jubelt ein Begleittext – hier werden also die kuriosen, alltäglichen und wirklich schrecklichen Vertreter der Autowelt gefeiert.
Für original und obergeleckt gilt hier dasselbe wie für Waldi vor der Metzgerei: Wir müssen leider draussen bleiben. Outlaw ist in – die Gesetzlosen, die Geächteten der Altauto-Szene fahren vor. Möglichst nah am Ultimo des biologischen Zerfalls bei optisch analoger, dabei aber voll funktionsfähiger Mechanik: Das ist heute, in der Epoche der Note-1-Übersättigung, so cool wie logisch. Bemerkenswert ist dabei, welche Blüten diese Konterkultur bisweilen treibt: Pseudopatina mit Kunstkorrosion und virtuellem Salzsee-Craquelé zum Kurs einer Spitzenlackierung? Gibt es. Und zwar genau hier.
Der Concours d’Lemons ist eine Art Gegenveranstaltung zur etablierten Q-Tip-Orgie millionenteurer Preziosen auf dem Küstengolfplatz des Hotel Ritz-Carlton nebenan. Lemons, das steht für Zitronen. Und ist das weltweit verstandene Synonym für extrem miese Autos. Die originäre Klasse der Schrottkarren ist mittendrin: über die Verfallsgrenze hinaus abgewohnte Exemplare einst belächelter bis verrissener Brot-und-Butter-Mobile. Aber sie haben sich mittlerweile gefährlich dezimiert, diese Ur-Lemons. Tatsächlich sind solche zünftig verwesten Altmetallgebirge, die von unverbesserlichen Image-Ignoranten tapfer über die Jahrzehnte aus Spott, Verachtung und Ersatzteilmangel gerettet wurden, bei dieser Veranstaltung eine aussterbende Spezies.
Die zweite Fraktion, die den Concours d’Lemons vor ein paar Jahren mitgebar, bilden die ewigen Treppenwitze der US-Motorisierungsgeschichte. AMC Gremlin, Ford Pinto, Yugo, Chrysler TC by Maserati: Verlierertypen, die einst grandios scheiterten, weil sie zu billig oder zu andersartig oder zu beides sein wollten – klar, dass angesichts solch tragischer Komik jeder mitlacht.
Ein Amüsement, das allerdings nicht unbegrenzt haltbar ist. Ein Cadillac Cimarron etwa, dieser in zirkuspferdartig überzuckerte Opel Ascona C der Frühachtziger, ist einmal voll witzig, gern auch noch ein zweites und drittes Mal. Aber dann wird der “Joke” sämig, und es zeigt sich bald, dass das flüchtige Gut einer Trash-Ikone keine nachwachsende Ressource ist. Typen wie der 1958er Edsel Corsair, deren abgenutzter Loser-Nimbus allmählich einem anerkannten Klassiker-Prestige gewichen ist, würden ein Lied davon singen. Wenn sie könnten.
Erster Effekt dieser Entwicklung: Als unverzichtbare Attribute generieren Gremlin, Yugo und Co. längst eine gelangweilte Erwartung wie einst Kurt Felix, wenn die zehnte Sahnetorte zum Landeanflug auf sein Gesicht ansetzte. Zweiter Effekt: Es laufen Modelle auf, deren Lächerlichkeit erst mühsam herbeigesungen werden will. So wirkt der penibel gepflegte Fiat 131, der das Aufmacherfoto dieses Artikels schmückt, wie ein erklärungsbedürftiger Kalauer. Zumal der technisch überaus schlichte Turiner sich mit einem nicht minder jungfräulichen Lancia Beta Coupé die Klasse „Needlessly Complex Italians“ (unnötig komplizierte Italiener) teilt.
Überhaupt scheinen sich die Veranstalter langsam in erzwungener Komik zu verheddern, wenn es um die Formulierungen der Wettbewerbsklassen geht. Eine nennt sich „Soul Sucking Japanese Appliance“ (deprimierende Japan-Apparate), eine weitere „Unimitigated Gaul“ (waschechte Gallier) – in der übrigens auch ein englischer Vauxhall Velox von 1959 antritt; nicht gerade ein Prädikat US-amerikanischer Geografiekompetenz.
Spektakulärer zwar, aber nochmals bemühter wirkt die Wagengattung, die bei der Concours-Parodie am US-amerikanischen Karibikzipfel den Bodensatz des Zustandsnotenspiegels bildet. Gemeint sind die Schrottkisten mit künstlich gezüchteter Katastrophenkonsistenz. Mit allmöglichem Müll und Nippes überdekoriert, mit mehr oder weniger originellen Botschaften beklebt, mit Fußtritten zerdellt – so geben sie sich vor den strengen Preisrichtern ein umjubeltes Stelldichein.
Dort zeigt ihr großer Erfolg eindrucksvoll, dass die Parade der Peinlichkeiten mittlerweile ähnlich weit von ihrer liebenswerten Grundidee entfernt ist wie ein zerbombter Fiat Regata Saugdiesel von der Villa d’Este. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, dass irgendein stinkreicher Spaßvogel hier mit einem endzeitmäßig ruinierten Ferrari 275 GTB antritt, um die Witzwelle auf dekadenteste Weise abzusurfen. Die Revolution frisst eben ihre Kinder, wird satt, fett und faul, wohlhabend und selbstzufrieden – warum sollte es dem einst so charmanten Zitronenauflauf anders ergehen als einer Nischenpartei oder der Punk-Bewegung?
Dass tradierte Werte beim Concours d’Lemons nur noch müde Lebenszeichen aussenden, bewiest der 2023er Gesamtsieger: Den Titel „Worst of Show“ holte mit knappem Vorsprung ein kleines Quad, das sein Eigner Wayne Francis aus Jacksonville, Florida, mit einem umgekippten Baustellenklo karossierte. Das ist kreativ, aber auch ziemlich klamaukig. Und vor allem sehr, sehr weit von der initialen Idee des zitronigen Oldtimer-Anarchismus entfernt.
Vor ein paar Jahren hätte sicherlich Mister Britt Mann den Spitzenpreis abgeräumt. Er holte einen 1975er Dodge Dart in weitgehend ausgebranntem Zustand vom Schrottplatz – und brachte ihn unter Beibehaltung der durch Feuerfrass gebildeten Patina wieder zum Laufen. Immerhin reichte diese krasse Performance diesmal für Platz zwei – und übrigens für maximale Huldigungen des Publikums: Keine andere Limone erntete ähnlich viel Applaus wie die bereifte Brandruine aus Brooksville. Was bemerkenswert klar zeigt, dass der Concours d’Lemons dem Säurefraß des Establishments durchaus noch standhält.
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