Manche Modellreihen sind markenbildend für Autohersteller. Was der 911 für Porsche, die DS für Citroën, ist die Baureihe 140/240 für Volvo. Sie begründete international den Ruf für hohe Sicherheit bei nahezu absoluter Unzerstörbarkeit für die Marke. „Sicherheit aus Schwedenstahl“ manifestierten den Ruf Autos für die Ewigkeit zu bauen. Ewig lang war auch die Bauzeit der Baureihe 140/240. Mehr als 25 Jahre – ähnlich dem 911 – schien sie unvergänglich, obwohl der Nachfolger als 740er schon mehr als 10 Jahre auf dem Markt war. Eine Vielfalt an Karosserieversionen, vom profanen Kombi bis hin zum exklusiven Coupé von Bertone, rundeten das Angebot ab. Dank erfolgreicher Einsätze bei Tourenwagenrennen konnte die Baureihe den Kultstatus noch weiter festigen.
Volvo blüht auf
Der italienische Automobiljournalist Alessandro Rigatto, selbst stolzer Besitzer eines seltenen 245er DL Kombis für die nordeuropäischen Märkte aus dem Jahr 1979, widmet sich in seinem Buch den kantigen Modellen in all seinen Formen: als Zwei- oder Viertürer, Kombi, Coupé und eben Renntourenwagen. Auf knapp 150 Seiten stellt er in dieser Monografie die schnörkellosen Modelle der Mittelklasse von Volo für die Siebziger- und Achtzigerjahre vor, die schon während ihrer Bauzeit zu Klassikern reiften und zu gesuchten Gebrauchtwagen wurden. Volvo 140 und 240 sorgten auch international für eine hohe Bekanntheit der Marke sowie einen enormen Imagegewinn aufgrund der herausragenden Eigenschaften des Modells.
Volvo die Marke für Individualisten
Buckelvolvo und Amazon hatten den Ruf der Marke für Individualisten schon zementiert, aber erst die 1966 präsentierte Nachfolgebaureihe 140, acht Jahre später – nach grossem Facelift in 240 umbenannt – sollte Volvo zum Durchbruch verhelfen. Qualität, Sicherheit und Komfort punkteten bereits bei der Vorstellung des 140ers. Und Volvo sorgte durch konsequente Modellpflege dafür, dass diese Vorzüge stets verbessert wurden.
Mit der Einführung der 240er Baureihe, die ungeniert die Sicherheit in den Mittelpunkt stellte, hatte Volvo konsequent viele Aspekte der damaligen Sicherheitsdebatten in seine Fahrzeuge eingebaut und den Ruf auch in den USA gefestigt. Selbst in der oberen Mittelklasse war man nun mit den 6-Zylindermodellen vertreten und wurde zu einer rationalen Alternative zu Mercedes und den kleineren Jaguar-Modellen. Dazu waren die Volvos preiswerter, zuverlässiger und vor allem viel robuster als das Gros des Wettbewerbs.
Die Kombis – insbesondere der 240er Baureihe bildeten darüber hinaus eine eigene Spezies: Sowohl in den USA als auch in Europa wurden sie zu Statussymbolen. Lange bevor Mercedes die T-Reihe auf den Markt brachte, war hier ein Familien- und Freizeitauto entstanden, das Raum und Komfort statt nüchterner Arbeitstierhaltung bot. So erwarb sich insbesondere der Kombi eine treue Kundschaft auf Markt, die sich auch in der langen Bauzeit, in der andere Hersteller bis zu vier Modellwechsel vollzogen, widerspiegelt.
Die ganze Bandbreite der Modellgeschichte
Das Buch zeichnet in 18 Unterkapiteln die Geschichte der Modellreihe nach. Beginnt mit einer Einführung und der Herkunft des 140ers als Nachfolger von PV 444 und 544 sowie der Amazon Baureihe P 121, 122 und 221. Gliedert dann in mehreren Kapiteln die 140er Baureihe mit den verschiedenen Modellen und den zwei Facelifts auf und verneigt sich abschliessend vor den Prachtvolvos mit 6-Zylindermotor 164 und 164 E, die eigentlich als 8-Zylinder auf den Markt kommen sollten.
Knapp bei der Hälfte des Buches stellt der Autor die 200er Baureihe vor. Hier widmet er sich in vielen weiteren Unterkapiteln den speziellen Derivaten: Diesel, Transfer, Krankenwagen, Bestatter sowie die sportlichen GT- und Turbomodelle werden einzeln vorgestellt. Natürlich dürfen auch hier die exklusiven 6-Zylinder und die von und bei Bertone entstandenen Coupés nicht fehlen. Zum Schluss folgen die letzten Modelljahre des 240 Kombis und die Erfolgsstory der zweitürigen 240er Limousinen im Tourenwagensport der 80er Jahre, die sich den Namen „Flying Bricks“ einhandelten.
Mit Liebe zum Detail
Man merkt dem Buch die detaillierte Kenntnis des Autors Riagotto an. Keine Seite ohne Hintergründe zur Modell- oder Markengeschichte. Stets noch ein Satz mit zusätzlichen Fakten, bei denen beispielsweise die 164er Entwicklung auch um die Absicht der 8-Zylinder-Entstehung ergänzt wird. Es sind diese zahllosen Details, die bei guter Lesbarkeit des Textes, einen vertieften Zugang zum Volvo Klassiker möglich machen und wohl auch Kennern der Marke und des Modells wohl das eine oder andere Geheimnis verraten.
Selbst drei für Volvo-Chef Peer Gyllenhammer individuell angefertigte rote Modelle der Baureihen 240 turbo, 262 C und 780 Coupé sind in diesem Buch zu finden. Sowohl marktspezifische Sondermodelle auf Basis des Kombis als auch Limited Edition Modelle beispielsweise für den britischen, japanischen oder den italienischen Markt verdienen eine besondere Erwähnung und werden in die Absatzziele von Volvo oder der Importeure eingeordnet. Dass der Autor dabei auch manchmal einige kritische Worte verliert, zeugt bei aller Begeisterung für die Fahrzeuge für genügend Distanz zum Thema.
Motorsport: Marketing von Volvo
Auch wenn Volvo nicht unbedingt für absolute Sportlichkeit steht, war der 240er ein erfolgreiches Motorsportinstrument in den 80er Jahren und gewann 1985 die Europäische Tourenwagenmeisterschaft ETC. Immerhin standfeste 350 PS brachte der mit 1,5 bar aufgeladene Turbomotor zur Hinterachse und lieferten sich Gefechte mit Sportwagen wie dem BMW 635 CSi. Schlechte Aerodynamik und mangelnde Wendigkeit kompensierte die Beschleunigung des drehmomentstarken Turbomotors sowie die Einsatzbereitschaft der Fahrer den fliegenden Ziegelstein möglichst ohne negative Energie um die Strecke zu wuchten. Einmal in Fahrt war die Kiste schwer wieder zu bremsen. Dies ist im Detail auch in den Interviews mit den Fahrern jener Zeit nachzulesen. Nach dem Ausstieg von Volvo mit dem Sieg der ETC aus der werksseitigen Beteiligung am Motorsport erlebten die Fahrzeuge in Privathand noch einige Jahre erfolgreiche Auftritte bis 1988.
Das Buch kein Ziegelstein
Zugegeben, am Anfang war ich etwas verblüfft, nur knapp 150 Seiten für über 20 Jahre Modellgeschichte, musste mich aber nach dem Lesen eines besseren belehren lassen. Autor Alessandro Rigatto hat die komplexe und durchaus verwinkelte Modellgeschichte der vielfältigen Erfolgsbaureihe auf den Punkt gebracht. Verständlich geschrieben, stets der Modellchronologie folgend, erfährt der Leser hier von einem versierten Autor jede Menge Wissen auf vertiefte und lesenswerte Art. Zahllose Anekdoten lockern die Geschichte auf und vermitteln einen guten Eindruck von Unternehmensabsichten, Marktgegebenheiten und Zeitumständen. Das im Motorbuch erschiene Buch orientiert sich dabei der bekannten, etwas nüchternen Gestaltung des Verlags.
Zahlreiche Abbildungen aus der Archiv von Volvo, manche davon auch bisher nicht im deutschsprachigen Raum publiziert, runden die Information ab. Manchmal dürfte man sich allerdings wünschen, dass die Bilder weniger beliebig platziert wären, und sich mehr am Textfluss orientieren. Gleichwohl: Freunde der markanten Volvobaureihe und solche die es werden wollen, finden in diesem Band auf jeden Fall eine gut gemachte Lektüre und Informationsquelle, besonders wenn es um Sondermodelle, seltene Fahrzeuge oder andere Märkte wie die USA, UK oder Japan betrifft.
Offen bleibt einzig die Frage, ob der Autor nicht noch viel mehr preiszugeben hätte und ein nicht viel umfangreicheres Werk hätte entstehen können? Das wäre dann wahrlich ein Ziegelstein geworden, würde allerdings nicht für € 19,95 über die Ladentheke gehen.
Bibliografische Angaben
- Titel: Volvo 140 & 240 Schwedens Klassiker
- Autor: Alessandro Rigatto
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Motorbuch
- 1. Auflage September 2020
- Format: 280 x 210 x 15 mm, gebunden
- Umfang: 144 Seiten, 200 Bilder
- ISBN: 978-3-613-04316-9
- Preis: EUR 19,95
- Kaufen/Bestellen: Online bei amazon.de , online beim Motorbuch-Verlag oder in der gut assortierten Buchhandlung
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