Es gibt nicht viele Testfahrer, die bekannter sind als Valentino Balboni. Rund 40 Jahre arbeitete er für den Sportwagenhersteller Lamborghini und erlebte dessen Höhen und Tiefen mit. Logischerweise hat er einiges zu erzählen dazu. Matthias Pfannmüller, ein erfahrener Automobil-Journalist, hat seine Erinnerungen und Erkenntnisse notiert, redigiert und zu einem appetitlichen Buch gestaltet.
Der beste Job der Welt, aber nicht der bestbezahlte
Dass Valentino Balboni begeistert von seinem Job war, das zeigt sich schon nach wenigen Seiten Lektüre. Er musste ihn sich auch hart erarbeiten, denn als er bei Lamborghini eintrat, wurde er erst einmal für Jahre im Kundendienst beschäftigt. Autos durfte er zunächst überhaupt keine fahren, doch immer wieder unternahm er noch vor seiner Führerscheinreife auf dem Gelände der Fabrik, oft missbilligend beobachtet von den Lamborghini-Oberen. Doch sein innigster Wunsch ging in Erfüllung, er beerbte 1975 schliesslich seinen Vorgänger Bob Wallace, der ihn persönlich in die Geheimnisse des Testfahrerdaseins eingeweiht hatte. Schon Wallace bezeichnete die Tätigkeit des Lamborghini-Testfahrers als besten Job der Welt.
Allerdings bedeutete dies nicht automatisch auch ein hohes Salär, anders lässt sich wohl der doch eher rustikale private Fuhrpark des Testfahrers Balboni kaum erklären. Zu einem Fiat 500 kam im Rahmen des Familienwachstums irgendwann ein Opel Ascona B, ein ehemaliger Unfallwagen, den Balboni selber aufbereitete und in den er sogar ein elektrisches Schiebach einbaute. Der Fiat musste dann irgendwann einem BMW 318iS weichen und als Höhepunkt seiner privaten Autobesitzerkarriere kaufte sich Valentino schliesslich einen fabrikneuen Audi A4 Diesel. Wer im Beruf ständig mit 400 oder 500 PS starken Sportwagen unterwegs ist, hat in der Freizeit offensichtlich keinen Bedarf für exotische Autos.
Ein Leben für eine Automarke
40 Jahre, fünf Monate und 23 Tage oder 2112 Wochen hat der fröhliche und immer zugängliche Sportwagenfan Balboni für Lamborghini gearbeitet. Begonnen hatte er am 22. April 1968 mit einer Probewoche und hätte sich damals wohl kaum geträumt, dass er nie einen anderen Arbeitgeber haben würde danach. Allerdings wechselten der Firmenname und viel mehr noch die Geldgeber im Hintergrund einige Male. Unter den Besitzern von Lamborghini waren neben Ferruccio Lamborghini und einigen weiteren Privatiers auch die Firmen Chrysler und seit nun einigen Jahren auch Audi. Balboni hatte die Investoren kommen und gehen gesehen, fühlte die Folgen der immer wieder auftretenden Finanzsorgen der Sportwagenschmiede am eigenen Leib.
Er blieb Lamborghini trotzdem treu. Und er überlebte auch haarige Situationen, wie im Jahr 1978 als er bei Tempo 180 km/h auf einer Landstrasse sozusagen von einem einschwenkenden Lieferwagen abgeschossen wurde. Balboni kam ohne wesentliche Verletzungen davon, der Countach aber war Schrott. Ein anderes Mal flogen bei einem LM-Prototypen alle Türen weg oder ein Hinterreifen eines Kunden-Lambos platzte auf der deutschen Autobahn bei über 250 km/h. Als Leser bekommt man all diese kleinen Tragödien natürlich auf völlig ungefährliche Weise mit, erfährt dafür aber, wie man richtig autofahren soll. Und welchen Typ Schuhe Balboni mit Vorliebe trägt.
Die komplette Lamborghini-Geschichte
Pfannmüllers Buch, das es in Deutsch und Englisch gibt, ist keine Biografie im engeren Sinne. Es ist eher eine Markenhistorie mit der Finesse einer speziellen Perspektive. Trotzdem kommt das Leben Balbonis nicht zu kurz, man darf auch seinen Lebensweg von Geburt bis heute verfolgen.
Man erfährt aber auch die ganze Lebens- und Leidensgeschichte von Lamborghini und manches sicher weniger bekannte Detail.
Man liest über manchen Prototypen, der es nie in die Produktion geschafft hat und oft weiss Balboni auch, wieso dies so war. Balboni ist allerdings sehr loyal zu seiner Marke und allzu scharfe Bemerkungen über Mängel und Entwicklungsdefizite der Autos darf man nicht erwarten. Pfannmüller ergänzt die Geschichte daher auch immer wieder mit Aussagen seiner Berufskollegen von damals, zeigt die Lamborghini-Sportwagen auch aus dem Blickwinkel der Presse. Und er verpasst es nie, auch den geschichtlichen Zusammenhang mit Ereignissen der jeweiligen Zeit zu integrieren.
Es ist ein Lesebuch geworden, eines, das man nicht gerne weglegt am Abend, auch wenn am nächsten Tag ein frühes Aufstehen droht.
Bildstark
Auch die fast 360 Fotos tragen ihren Teil dazu bei, dass dieses Lamborghini-Buch einen Platz im gut assortierten Bücherregal von Automobilfreunden verdient. Neben Werksbildern aus der Zeit gibt es auch viele Schnappschüsse aus dem privaten Fotoalbum Balbonis und von Lamborghini-Fans der ersten Stunde zu sehen.
Und man findet auch Aufnahmen nie produzierter Modelle und einzigartiger Prototypen, so etwas das Bild vom Urraco-Prototyp (Seite 90), dessen Form abgelehnt wurde, worauf Bertone sie erfolgreich an Ferrari verkaufte und damit den Grundstein zum Dino 308 GT4 legte.
So ergonomisch wie ein Lamborghini
Etwas Kritik ist aber doch angebracht. Für Leute, die nicht gleich das ganze Buch lesen wollen, wäre ein Index mit den wichtigsten Begriffen nützlich. Die Aufteilung in Text- und Bildblöcke gestaltet sich oft unpraktisch, weil man sich die beschriebenen Fahrzeuge nicht immer auf Anhieb vorstellen kann und erst bei den später folgenden Bildern in ihrer wahren Form sehen kann. An der Qualität des Gesamtwerks rütteln diese kleinen Nachteile, die zudem noch Geschmacksache sind, allerdings nicht. Und schliesslich erlaubt ein im Panoramaformat gestaltetes Buch (Seitenverhältnis 3.2:2) zwar die bequeme Unterbringung von typischerweise ähnlich ausgerichteten Fotos, verlangt vom Leser aber angesichts des stattlichen Gewichts mehr Kraft oder noch besser eine feste Unterlage. Aber auch das Fahren eines Lamborghini-Sportwagens erforderte schon immer etwas mehr Muskeleinsatz und Geschicklichkeit sowie das Eingehen von ergonomischen Kompromissen, wieso sollte es dann mit diesem Lamborghini-Buch anders sein? Die Herausforderung steigert den Genuss.
Für die Hardcore-Fans gibt es im Übrigen neben der Standard-Ausgabe eine edle Version, die signiert und nummeriert ist. Diese kann nur über den Verlag bestellt werden, aber dies werden sich echte Lamborghini-Fans sicher nicht entgehen lassen, zumal sich auch der Preis der limitierten Version noch im Rahmen hält, zumindest wenn man ihn mit Ersatzteilpreisen des Herstellers aus Sant’Agata vergleicht.
Bibliografische Angaben
- Titel: Der beste Job der Welt: Lamborghini-Testfahrer Valentino Balboni
- Autor: Matthias Pfannmüller
- Sprache: Deutsch (alternativ in Englisch, ausserdem als signierte/nummerierte Limited Edition Deutsch oder Englisch)
- Verlag Standardausgabe Deutsch: Motorbuch (2014)
- Verlag Standardausgabe Englisch und Limited Edition: Hubelhouse GmbH (2014)
- Umfang: 360 Seiten, 359 Fotos, gebundene Ausgabe
- Größe: 32,5 x 20,5 x 3,5 cm
- ISBN-10: 3613028654
- ISBN-13: 978-3613028654
- Preis: Euro 98 / CHF 138, Limited Edition Euro 185 / CHF 268
- Kaufen/bestellen: Deutsche Version im Buchhandel; die englische und die Limited Edition direkt bei [email protected]




















































































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