In den Dreissigerjahren waren Automobile nur für wenige erschwinglich und auch die Palette des Herstellers Mercedes-Benz richtete sich mit Wagen wie dem 500 K oder 290 vor allem an die Oberschicht. Die Ingenieure Hans Nibel und Max Wagner aber sannen nach neuen Lösungsansätzen, um auch weniger vermögenden Leuten den Zugang zum Auto zu ermöglichen. Und so entstand der Typ 130.
Pioniertat
Die Autos der Zwanziger- und Dreissigerjahre waren im Grossen und Ganzen immer nach ähnlichen Ideen konstruiert worden, der Motor sass vorne hinter einem mächtigen Kühler, der Antrieb erfolgte über die Hinterachse, für die Passagiere stand zwischen dem meist grossen Motor und dem abrupten Heckabschluss vergleichsweise wenig Platz zur Verfügung, der Luftwiderstand spielte kaum eine Rolle.
Pioniere wie Edmund Rumpler, Hans Ledwinka, Gustav Röhr oder Joseph Ganz aber favorisierten strömungsgünstige Konstruktionen, die auch mit geringer Motorleistung höhere Geschwindigkeiten erreichen konnten.
Hans Nibel und Max Wagner hatten bereits 1922 bei Benz einen Mittelmotor-Rennwagen (Benz RH) gebaut und damit gezeigt, dass unkonventionelle Ideen erfolgversprechend waren. Sie nutzten ihre Erfahrung und konstruierten einen kompakten Heckmotorwagen.
Im März 1934 konnten sie das Ergebnis an der Automobil- und Motorradausstellung in Berlin in Form des Typs 130 der Baureihe W 23 präsentiert sehen.
Zukunftsweisend
Ein Zentralrohrrahmen diente als Chassis. Vorne führten Einzelradaufhängungen mit zwei querliegenden Blattfedern die Räder, während hinten eine Pendelachse mit Schraubenfedern Dienst tat. Der Reihenvierzylinder war wassergekühlt und wies eine seitliche Nockenwelle und stehende Ventile auf. 70 Millimeter Bohrung und 85 mm Hub ergaben 1308 cm3 und lieferten miit einem Steigstromvergaser bei einer Verdichtung von 1:6.6 26 PS, wenn 3400 Umdrehungen erreicht waren. Diese Motorkonstruktion wurde noch bis im Jahr 1957 im Mercedes-Benz 180 verwendet.
Die Kraft wurde über ein vor dem Motor montiertes Dreiganggetriebe mit zusätzlichem Schongang auf die Hinterachse übertragen. Ein Kardantunnel entfiel genauso wie der Kühler vorne, denn der Wasserkühler sass im Motorraum. So war vorne im Bug Platz für Gepäck und das Reserverad.
Luxus fürs Volk?
Mit 4,037 Metern Länge und 1,52 Metern Breite bei 1,51 Metern Höhe war der Mercedes-Benz 130 äusserst kompakt geraten. Das Fahrgestell alleine wog 540 kg, der komplette Wagen 980 kg. Das Werk nannte eine Höchstgeschwindigkeit von 92 km/h.
Mit 3425 Reichsmark war die Limousine keineswegs billig, das Fahrgestell alleine kostete 2800 Reichsmark. Entsprechend konnte auch einiges an Komfort und Ausrüstung erwartet werden. Mit hydraulischen Bremsen, Zentralschmierung und Frischluftheizung konnte der Mercedes auch einiges bieten.
Kritik am Fahrverhalten
Der weit hinten montierte Motor führte allerdings mit der Pendelachse zu einem nicht ganz einfach beherrschbaren Fahrverhalten, so dass manch einer der 130-Piloten unvermittelt vom Heck überholt wurde. Kein Wunder, denn auf der Vorderachse ruhten nur 35 % des Gewichts. Daher führte man bereits 1935 eine umfangreiche Modellpflege durch, bei der nicht nur die Fahrwerksabstimmung modifiziert, sondern auch die Lenkung indirekter ausgelegt wurde.
Gleichzeitig wertete man auch die Innenausstattung mit zwei grossen Rundinstrumenten mit hellen Zifferblättern, zusätzlicher Belüftung und bequemer gepolsterten Sitzen mit Verstellmöglichkeit während der Fahrt auf. Bis April 1936 wurden insgesamt 4298 Mercedes-Benz 130 gebaut.
Unterwegs
Schwarz steht ihm gut, dem Mercedes-Benz 130, aber richtig schön ist er trotzdem nicht. Seine Form erinnert vor allem von vorne mit der runden Motorhaube und den angebauten Kotflügeln ein wenig an den VW Käfer, etwas unglücklich wirkt das Heck ab der C-Säule, das wir nachträglich angeklebt wirkt. Im Innern merkt man von derartigen Schönheitsmängeln wenig, man freut sich über die bequemen Sitze und die helle Innenausstattung.
Die beiden grossen Rundinstrumente informieren über Geschwindigkeit, Öldruck und Benzinstand, die rechte Hand ergreift den langen Schalthebel, um nach Starten des Motors den ersten Gang (links hinten) einzulegen. Und los gehts. Gang 1 und 2 sind unsynchronisiert, nur der Dritte und der Schnellgang, der die Tourenzahl nochmals um einen Drittel absenkt, lassen sich einigermassen geräuschlos schalten.
Insgesamt fühlt sich der Heckmotor-Mercedes deutlich jünger an, als sein Jahrgang vermuten lässt. An die Grenzen des Fahrwerks wagen wir uns bei der gemütlichen Probefahrt nicht heran. Mit rund 10 Metern Wendekreis wirkt der Viersitzer agil, die hydraulisch angesteuerten Bremsen verzögern altersgerecht. In Fahrt verwöhnt der Wagen mit einem vergleichsweise geringen Geräuschpegel.
Auf den Hintersitzen möchte man als Langbeiner nicht lange verweilen und der Kofferraum bietet für die lange Reise nicht allzu viel Stauraum, auch die Sicht nach hinten wird durch das kleine Heckfenster arg eingeschränkt.
Der noch innovativere Zwischenschritt
Nibel und Wagner aber wollten mehr, sie versprachen sich wohl einen Popularitätsgewinn mit Motorsporterfolgen.
Durch Drehen der Motor-Getriebeeinheit entstand 1933/34 eine zweiplätzige Mittelmotor-Sportlimousine names 150 (W 30). Den Hubraum vergrösserten sie auf 1,5 Liter, die Leistung stieg dank hängenden Ventilen, obenliegender Nockenwelle und Doppelvergaser auf eindrucksvolle 55 PS.
Im Juli 1934 errang der Mercedes-Benz 150 vier Goldmedallien bei der 2000-km-Fahrt durch Deutschland, am Lenkrad sassen Leute wie Hermann Lang und Kasbaum. Hans-Joachim Bernet errang im August 1934 den Sonderpreis für den bestplatzierten geschlossenen Wagen bei der Fernfahrt Lüttich-Rom-Lüttich, auf Teilen der Strecke fuhr er sogar an der Spitze.
Sechs Exemplare des geschlossenen Typs 150 sollen insgesamt gebaut worden sein, überlebt hat keines. Dazu kamen fünf 150 Sportroadster (W 130), die auf derselben technischen Basis entstanden, wobei es gut sein kann, dass einige dieser offenen Sportwagen auf Fahrgestellen des geschlossenen 150 basierten. Mindestens einer dieser gegenüber der Limousine 130 doppelt so teuren Sportroadster hat überlebt.
Der ausgefeilte Schluss
Im Februar 1936 erschien der Mercedes-Benz 170 H, der zur Unterscheidbarkeit zum Frontmotor-170 (V) erstmals offiziell das “H” in der Typenbezeichnung aufwies. Der Motor hatte nun 1697 cm3, die Leistung stieg auf 38 PS bei 3400 Umdrehungen. Konstruktiv entsprach dieser Vierzylinder dem des 130.
Gegenüber dem Vorgänger zeigte sich der 170 H in vielen Punkten verfeinert. Die Karosserie wies (vor allem am Heck) gefälligere Rundungen auf und die Winker waren in den Aufbau integriert.
Trotz vieler Korrekturen blieb das Fahrverhalten aber gewöhnungsbedürftig, die Kunden zogen dem Heckmotortyp die Frontmotoralternative mit konventioneller Optik vor. Gerade einmal 1507 170 H konnten gebaut werden, dann war im Oktober 1939 endgültig Schluss. Und der Weg frei für den Volkswagen, der es nach dem 2. Weltkrieg mit demselben Konzept auf über 20 Millionen produzierte Exemplare schaffte.
Und doch ging der Heckmotor-Mercedes 170 H nochmals in die Geschichte ein, denn Dipl. Ing. Karl Schlör nutzte das Fahrgestell, um einen luftwiderstandsarmen Versuchswagen für die Aerodynamische Versuchsanstalt Göttingen zu bauen, der mit 146 km/h Höchstgeschwindigkeit gemessen wurde - nicht schlecht für 38 PS!
Wir danken der Oldtimer Galerie Toffen für die Gelegenheit zur Probefahrt. Der portraitierte Mercedes-Benz 130 von 1935 wird am 23. April 2016 versteigert .
Weitere Informationen
- Motorwelt "Doppelausgabe 11+12" vom 23. März 1934 - Seite 5: Erfolge der Automobil-Ausstellung
- Motorwelt Nr. 8 vom 22. Februar 1935 - Seite 21: Endlich wieder ein Sportwagen (Mercedes 150 Sportroadster)
- Motorwelt Nr. 4 vom 28. Februar 1936 - Seite 48: Neuheiten von Mercedes-Benz
Information
Kostenlos anmelden und mitreden!
Mit einem Gratis-Login auf Zwischengas können Sie nicht nur mitreden, sondern Sie profitieren sofort von etlichen Vorteilen:
Vorteile für eingeloggte Besucher
vor einiger Zeit übermittelte ich Ihnen u.a auch historische Bilder die den 130H im April 1934 auf dem Nürburgring zeigen z.B. mit Alfred Neubauer bzw. auch mit einer Dame am Steuer direkt vor dem Zeitnehmerhaus.
Ob der 130H seinerzeit wohl auf dem Nürburgring "getestet" wurde?
Herzliche Grüße
Karl Heinz
Dann melden Sie sich an (Login).