Der erfolgreichste amerikanische Sportwagen litt in unseren Breitengraden lange unter einem Zuhälter- und Aufschneider-Image und vor allem die extravertiert gestaltete dritte Auflage trug einen wesentlichen Teil dazu bei, denn sie war laut, auffällig und unvernünftig bis zum Abwinken. Rund 45 Jahre nach ihrem Erscheinen aber sind aus den Vorbehalten Sympathien geworden.
Auffällig unterwegs
Mit einer Corvette C3 wird man kaum übersehen, vor allem nicht, wenn sie gelb und eines der frühen noch mit Chromelementen garnierten Exemplaren ist. Das liegt nicht zuletzt an ihrer deftigen Aussprache. Unauffällig abfahren ist unmöglich, der V8-Bariton ist immer präsent. Aber auch das Styling mit der langen Motorhaube, dem hohen Heck und den Kiemen auf der Seite, die keine Verzierung sind, sondern zum Abführen der heissen Luft aus dem Motorraum dienen, lässt die Köpfe der Passanten drehen.
Doch es sind meist freundliche Kommentare, die man erntet, denn diese urtümlich brachiale Ausstrahlung wirkt heute nostalgisch und nicht mehr bedrohlich in einer Zeit, da selbst ein automatik-geschalteter Diesel bessere Viertelmeilenzeiten erreichen dürfte, als eine 350 HP Corvette.
Die Sache mit den Pferdestärken
350 HP, also Pferdestärken, tönt nach viel, aber damals gaben die Amerikaner ihre Motorenleistungen noch “brutto brutto” an. Die 355 SAE-PS können so stark nicht gewesen sein, sonst hätte sich der Testwagen, den Road & Track Ende 1967 mass, wohl nicht 7.7 Sekunden für den Spurt von 0 auf 60 Meilen pro Stunde genommen und es bei einer Höchstgeschwindigkeit von 206 km/h bewenden lassen.
Allerdings gehörte die C3 nicht zu den windschlüpfigsten Designs und auch das Gewicht der Road & Track C3 lag mit 1599 kg nicht gerade auf der leichten Seite.
Aber die Prioritäten der Designer hatten sowieso woanders gelegen. Und für Leute mit Viertelmeilen-Ambitionen gab es zudem die 427 mit über 400 PS.
Präsentation im Jahr 1967
Im Spätsommer 1967 wurde die komplett neu gestylte Corvette C3 präsentiert. Allerdings war die Form dann doch nicht so neu, denn bereits im April 1965 war an der New Yorker Motorshow nämlich eine zukunftsweisende Studie gezeigt worden, die Mako Shark II hiess. Der Prototyp nahm die Silhouette der C3 vorweg und auch die Form der kräftig ausgebildeten Kotflügel. Weil die Karosserie über den Räder füllig und dazwischen schlank ist, erinnert sie ein wenig an eine Coca-Cola-Flasche.
Natürlich musste sich die Mako-Designer Larry Shinoda dann noch einige Änderungen gefallen lassen, bis die Serienversion C3, gestaltet durch das Chevrolet-Styling-Team unter David Holls, stand, aber die Grundsätze der Formgebung wurden nicht verändert. Im Vergleich zum Vorgängermodell waren die Unterschiede dafür umso deutlicher.
Im vorderen Überhang zeigte sich die C3 länger (insgesamt 4,625 Meter), insgesamt minimal schmäler, aber immer noch rund 1,76 Meter breit, und flacher (1,22 Meter hoch) als ihre Vorgängerin C2.
Mit dem Wachstum wurde die Neue auch ein bisschen schwerer, denn das Werk nennt 1967 1456 kg für das Coupé und 1461 für das Cabrio, während die C2 etwa 30 kg weniger auf die Waage brachte.
Technisch blieb aber fast alles beim alten, nur Detailmodifikationen , die den Komfort steigern oder das Fahrverhalten steigern sollten, waren nötig. Auch die Motoren blieben praktisch unverändert, als Automatik gab es nun eine Dreistufen-Hydramatic.
Im Innern passte man die Corvette der Zeit an und vergass auch nicht, einige interessante Finessen einzubauen.
Finessen und Spezialitäten
Man hatte sich bei Chevrolet einige Neuerungen ausgedacht, die die Corvette in Richtung “Flash Gordon” entwickelten. So wurden nicht getragene Gurten genauso die Kontrollleuchten gemeldet wie offene Türen. Ganz speziell waren auch die glasfaser-angesteuerten Kontroll-Lichtlein, die über die Funktionsweise der Lampen und Blinker Auskunft gaben.
Dass auch noch die Scheibenwischer in Ruheposition durch ein vakuum-betriebenes Schutzblech zugedeckt wurden, erstaunt ab so vielen “Gadgets” dann schon nicht mehr.
Verbesserungen und gesetzlich bedingte Anpassungen
In den folgenden Jahren wurde die Corvette stetig “à jour” gehalten. Für das Modelljahr 1969 wurden zum Beispiel die Türgriffe neu gestaltet, die Heckleuchten anders gezeichnet, neue Sitze und eine auf Wunsch teleskopisch verstellbare Lenksäule eingebaut. Bemerkenswerte war aber sicher die Verstärkung des Kastenrahmenchassis und die Verbesserung der Geräuschisolation. Der Standardhubraum stieg ohne Leistungsveränderung (300/350 HP) von 5,4 auf 5,7 Liter, weiterhin waren auch die Siebenliter-V8 mit 390/400/435 HP erhältlich.
1970 wurden wiederum neue Sitze mit Kopfstützen und Dreipunktgurten verfügbar und das Motorenprogramm vernahm kleine Anpassungen, für das Jahr 1972 schliesslich wurden einige Motoren eingestellt und die Leistung nun hierzulande in DIN kommuniziert, was 200/255 DIN-PS für den 5,7-Liter, 270 DIN-PS für den 7,4-Liter bedeutete.
Im Spätsommer 1972 aber wurde eine komplett modellgepflegte Corvette mit längerer, tiefergezogener Frontpartie und integrierter Stosstange präsentiert, Zur Erhöhung der Sicherheit wurden in den Türen Seitenplanken als Kollisionsschutz eingebaut. Die Geräuschisolation und die Karosserieaufhängung waren weiter verbessert worden. Die Motoren aber hatten spürbar an Leistung verloren, 190 respektive 245 DIN-PS leistete die 5,7-Liter-Version, der 7,4-Liter brachte es neuerdings auf 275 DIN-PS, Tribut an die Abgasvorschriften der USA. Die Marketingabteilung positionierte die erneuerte Corvette nun als Tourensportwagen, die Zeiten der “Muscle Cars” war vorbei.
1974 verschwand dann auch hinten die Chromstossstange, 1975 nahm die elektronische Einspritzung Einzug in den Kunststoffsportwagen und auch die ersten Katalysatoren wurden verfügbar. Die Motorenpalette wurde zunehmend ausgedünnt, die Leistung sank teilweise auf deutlich unter 200 PS.
Mit diversen Retouchen hielt man die C3 unglaubliche 15 Jahre am Leben. Dann folgte 1983 die Ablösung durch das Modell C4, das kürzer, aerodynamischer und flacher daherkam. Ob es auch schöner war, diese Beurteilung überlassen wir dem Leser.
Bis und mit C3 waren von General Motors 730’000 Corvette verkauft worden, davon 542’741 C3s, also den grössten Teil. 1979 gilt als bestes Jahr mit 53’807 verkauften Exemplaren.
Mit der letzten C3 ging auch das Achtspur-Tonbandgerät unter, dem wohl weniger nachgetrauert wurde als der rund 15 Jahre gebauten C3. Der Preis vervierfachte sich in den 15 Jahren Bauzeit von USD 4’663 auf USD 18’290.
Kein Rennwagen
Die Corvette C3 ist kein Rennwagen, sie fordert einem auch nicht zum Rasen auf. Sie hat auch keine unangenehmen Manieren und Besonderheiten, die einen davon abhalten würden, den Wagen auch einmal auszuleihen. Dieser Wagen wurde auf eine problemlose Verwendung im Alltag ausgerichtet. Er startet problemlos, die Kupplung geht leichtgängig, die Gänge rasten exakt ein. Als Fahrer freut man sich an der jederzeit spürbaren Kraft und an der muskelbepackten Tonspur. Die Lenkung geht genügend leichtgängig, die Übersicht im offenen Cabriolet lässt kaum Wünsche übrig, nur die Front ist halt gar etwas weit weg, zumal man ziemlich tief sitzt.
Obschon gerade die C3 auch auf Rennstrecken erfolgreich war, setzt man sie heute lieber im Cruising-Modus ein, lässt Landschaften vorbeiziehen und im Frühling blühende Wiesen und Bäume.
Man geniesst die anerkennenden Blicke der Passanten, das einstige Rotlicht-Image des Wagens scheint vergessen zu sein. Heute fahren Zuhälter ja auch eher Nobles aus Deutschland, England oder Italien und keine amerikanischen Kunststoffsportwagen mehr.
So hat der Schlusssatz von Road & Track in der Januar-Ausgabe 1968 wohl auch heute noch seine Berechtigung: “Die Corvette 327 ist ein komfortables, schnelles, sicheres und zuverlässiges Automobil. Für diejenigen, die ihren Wagen gross, grell und voller blinkender Lichter sowie Geheimtüren haben wollen, ist die Corvette das Richtige. Wer als Connaisseur Finessen, Effizienz und modernste Aufhängungstechnik vorzieht, wird sich unglücklicherweise eher nach Europa orientieren müssen.”
Aber während die Preise dieser europäischen Spitzenprodukte schon damals und noch viel mehr heute für viele unerschwinglich waren und sind, sorgen die grossen Stückzahlen, die günstigen und gut erhältlichen Ersatzteile und die entspannten Qualitäten der Corvette
für ein volkstümliches Vergnügen, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Wir danken dem Surber US-Car-Center für die Gelegenheit, die wunderschön gelbe Chevrolet Corvette C3 350 HP aus dem Jahr 1969 für diesen Bericht portraitieren zu dürfen.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 40 / 1967 vom 14.Sep.1967 - Seite 3: Vorstellung Chevrolet Corvette 1968
- AR-Zeitung Nr. 1 / 1970 vom 08.Jan.1970 - Seite 15: Eine Viertelmillion Corvette
- Road & Track Heft Januar 1968, ab Seite 36: Test Chevrolet Corvette Stingray 350 hp
- Auto Motor und Sport Heft 22/1974, ab Seite 48: Test Chevrolet Corvette Stingray
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