Vom 26. bis 29. März 2015 öffnete die Stuttgarter Reto Classics ihre Tore und begrüsste mit Superlativen.
Rekordmesse
Schon vor dem Start meldete Messe-Initiator Karl Ulrich Herrmann Rekorde an. Mit erstmals 120’000 Quadratmetern hatte nämlich Stuttgart die europäische Konkurrenz überflügelt. 1430 Aussteller warteten in den grosszügigen acht Hallen auf Kunden und Interessenten.
Am Sonntag Abend berichtete die Retro Classics von über 87’000 Besuchern, auch dies ein neuer Rekord für Stuttgart.
Dass auch noch das Journalisten-Interesse mit inzwischen 819 akkreditierten Schreiberlingen ebenfalls um fast 15% gewachsen war und zudem deutlich internationaler aufgestellt war, freute die Organisatoren natürlich ebenso.
Und es wurde eifrig gekauft, fast die Hälfte der Besucher erwarben kleinere oder grössere Produkte, angefangen bei der Autozeitschrift und je nach Geldbeutel mit einer Mercedes-Pagode oder einem anderen Klassiker endend. Schon am Freitag trugen viele Fahrzeuge ein “Verkauft”-Schild und bei den Fahrzeugen, die an der Messe selber nicht neue Besitzer fanden, hofften die Händler auf ein lukratives Nachmessegeschäft.
Hohes Preisniveau
Die Preise lagen durchwegs auf hohem Niveau, die Anbieter rechneten offensichtlich mit einer gut situierten Käuferschaft aus Baden-Württemberg. So konnte etwas ein BMW M3 E30 gesichtet werden, der mit Euro 59’800 angeschrieben war und schon bald verkauft war. Kein Wunder rieben sich die Händler zufrieden die Hände, von einem nachlassenden Kaufverhalten jedenfalls wusste keiner zu berichten.
Einzelstück Autonova GT
Eine besondere Attraktion konnte die Firma Recaro auf ihrem Stand zeigen, den Autonova GT, der 1965 auf der IAA in Frankfurt erstmals vorgestellt worden war. Designer Michael Conrad hatte ein schmuckes kleines Schrägheckcoupé entworfen, das auf die Mechanik des NSU Prinz 1000 zählen konnte und vor allem junge Leute ansprechen sollte. Im Innern fand sich dann ein Vorläufer des Recaro-Sportsitzes.
Entstanden war der Wagen damals in der Kooperation Fritz B. Busch, Pio Manzu und Michael Conrad. Die Automobil Revue kommentierte den Kunststoff-Prototyp im Jahr 1965 scherzenderweise folgendermassen:
“Die - sagen wir nüchtern: ungewöhnliche - Linie dieses Pfeifen- raucherautos sei nicht um der Optik, sondern um der Funktion willen so, wie sie eben ist. Das Coupé basiert auf dem NSU Prinz 1000, hat aber den neuen Motor 110 im Heck und soll 170 km/h laufen. Trotz vorbildlich günstigem Luftwiderstandsbeiwert (Zahlen, Herr Busch, Zahlen!) sei es ausserordentlich geräumig. Es habe mehr Raum für zwei Leute als manch grösserer Sportwagen, aber das Dach hat einen Überrollbügel. Der kann nützen.”
Wäre er so gebaut worden, der Autonova GT wäre heute sicher ein gesuchter Klassiker.
30 Jahre BMW M5
Vor 30 Jahren wurde der erste BMW M5 auf Basis der Baureihe E28 präsentiert. Motorisiert war er mit dem Reihen-Sechszylinder aus dem BMW M1 und die fast 280 PS ermöglichten Fahrleistungen, wie sie kaum eine andere Limousine zu bieten hatte.
Im Jahr 1988 folgte die zweite Generation in Form der Baureihe E34, weiterhin mit einem Abkömmling des M1 unter der Haube, nun 315 PS stark.
Bereits 1992 gab es erstmals auch eine Kombiversion namens M5, bis 1995 entstanden gerade einmal 891 Exemplare.
Die dritte Generation des M5 kam 1998 auf den Markt und erhält heute bereits Youngtimer-Weihen. Statt des Reihen-Sechszylinders tat nun allerdings ein V8 tatkräftig seinen Dienst.
Anlässlich des 30. Geburtstags konnten die M5-Modelle in einer Sonderschau bewundert werden und das Interesse war gross, denn kaum jemand lief an den Autos vorbei, ohne nicht zumindest kurz zu verweilen.
Überschaubare Hersteller-Präsentationen
Die grossen Hersteller hielten sich, vor allem wenn man mit den Messen in Paris oder Essen vergleicht, vornehm zurück.
Mercedes und Porsche präsentierten sich als Lokalmatadoren natürlich mit gleissend hell beleuchteten Ständen, die anderen Fahrzeugbauer überliessen das Feld aber weitgehend den Clubs, was nicht a priori schlecht sein muss, denn diese hatten einiges zu zeigen. Bei Opel etwa waren heisse Opel Ascona 400 zu sehen und die Manta-Modelle der zweiten Generation.
Auch wiederentstandene Hersteller Borgward zeigte sich nicht, die beiden Isabella-Modelle des Clubs entschädigten Borgward-Fans aber vollends.
Relative Exklusivität
Für die einen überraschend, für andere eine logische Konsequenz des Investitionsbooms in Klassikerfahrzeuge war die Dominanz der Messe durch zwei Modellfamilien, nämlich SL (300, 190, Pagode, 107ner) und Porsche 911.
Während sich die Exemplare von millionenfach produzierten Alltagsautos der Vergangenheit wie Renault 4 CV, Citroën 2CV, Fiat 850 oder Morris Minor an bestenfalls einer Hand abzählen liessen, gab es den Flügeltürer und seinen Bruder der Baureihe W 198 gleich dutzendfach (und häufiger) zu sehen. Fast wie beim Neuwagenhändler zeigten sie sich in den unterschiedlichsten Farbkombinationen und zumeist in besserem Zustand, als sie damals die Fabrik verliessen.
Die fast vergessenen Autos von Herrn und Frau Jedermann dagegen fristeten ein Nischendasein, wurden aber dafür umso mehr beachtet, kaum konnten sie gesichtet werden. Die Geschichten etwa, die man von den verschiedensten Messebesuchern zum auf dem Zwischengas-Stand ausgestellten Renault 4 CV zu hören kriegte, jedenfalls hätten für ein halbes Buch gereicht. Von selbst montierten Fussbodenheizungen, getunten Rennfahrzeugen und diversen Pannen war genauso die Rede, wie von neun Personen im 3,6 Meter langen Wagen und langen Urlaubsreisen nach Rom oder Spanien.
Die glücklichen Augen der Betrachter zeigten, dass diese Autos genauso einen Platz auf Oldtimermessen verdienen wie die hochgejubelten Edelklassiker.
Nur die Exklusivität relativiert sich natürlich, wenn auf einen Fiat 850 20 Mercedes-Benz 300 SL, auf einen Alfa Romeo Alfasud eine gute Hundertschaft oder mehr Porsche 911 kommen. Noch selten wurde einem so klar bewusst, dass heute nicht selten ist, was einst selten war und umgekehrt.
Keine grosse Sonderschau
Wer in Stuttgart auf eine Fortsetzung der Sonderschau-Tradition, man erinnere sich an die Delahaye-Ausstellung von 2013 oder die Aufstellung vergessener französischer Raritäten von 2014, hoffte, wurde zumindest teilweise enttäuscht.
Zwar stellte das Porsche-Museum sechs Konzeptfahrzeuge und Studien - Porsche FLA von 1973, 984 von 1985, 959 Aerodynamikstudie von 1982, 928 Cabriolet von 1987, 944 Turbo von 1986 und 918 Prototyp von 2011 - für das Atrium zur Verfügung, doch muss gesagt werden, dass dieser lichtdurchflutete Raum mehr Exponate verdient gehabt hätte.
Immerhin aber dürfte mancher Messebesucher das Forschungsprojekt Langzeit-Auto (FLA) zum ersten Mal aus der Nähe zu sehen gekriegt haben und auch der 984 von 1984/1987 war wohl vorher nur wenigen ein Begriff.
Dieser “dynamische Roadster” sollte für DM 40’000 (heute wäre dies Euro 20’000) einem jungen und sportlichen Publikum angedient werden. Als Motor hatte man sich einen luftgekühlten Vierzylinder-Boxermotor mit 120 bis 150 PS vorgestellt und das Cabriolet sollte mit innovativem Klapp-Festdach auf den Markt kommen. Sogar eine Allrad-Version hatte man sich damals ausgemalt. Doch die Absatzkrise in den USA im Jahr 1987 beeindete das Projekt vorzeitig, einige der Ideen wurden dann wohl beim Boxter wieder aus der Schublade gezogen.
Ein besonderes Schmankerl in der Design-Sonderausstellung war sicher die Präsentation des Opel CD von 1969 samt technischem Mockup.
Oldtimer?
Eigentlich ist die Retro Classics ja eine Oldtimermesse, aber der Anteil an neueren Fahrzeugen scheint jährlich zu steigen und das Käuferinteresse gibt dem Veranstalter wohl recht. Christoph Zerbini von Revo Klassik etwa meinte: “Ich hätte nicht erwartet, dass auch neuere Modelle auf ein derart großes Interesse stoßen.”
Klopf, Klopf
Zwar standen auf manchen Autos “Bitte nicht berühren”-Tafeln oder ähnliche Bitten, davon liessen sich die Messebesucher aber nur marginal einschränken. Da wurde gefühlt, getätschelt und geklopft, dass es manchem Fahrzeugbesitzer dann doch etwas zuviel wurde. Hätte man pro Klopfversuch - Kunststoffkarosserie ja oder nein? - jeweils einen Euro gekriegt während der vier Messetage, selbst der grösste Stand wäre wohl bezahlt gewesen.
Ein Tag reichte kaum
120’000 Quadratmeter haben es in sich, wenn sie auf acht Hallen verteilt sind. Wer wirklich nichts verpassen wollte, war gut beraten, mindestens zwei Tage aufzuwenden. Auch der Chronist dieser Zeilen muss sich auf wenige Schlaglichter beschränken, als Ergänzung sei die Bildergalerie empfohlen.
Fast jeder angesprochene Besucher wusste von Spezialitäten und Besonderheiten zu erzählen, die anderen entgangen waren. Ob es ein Lancia Trevi mit zwei Motoren (!) war, ein seltenes Opel Rekord Coupé mit Sechszylindermotor oder ein Fiat 850 Coupé von Vignale, Exklusives und Einmaliges gab es in jeder Halle und auf vielen Ständen zu entdecken.
Information
Kostenlos anmelden und mitreden!
Mit einem Gratis-Login auf Zwischengas können Sie nicht nur mitreden, sondern Sie profitieren sofort von etlichen Vorteilen:
Vorteile für eingeloggte Besucher