Nachdem der Raid 2014 in Brüssel endete, war bei der 25. Austragung am 27. bis 30. August 2015 wieder Paris das Ziel. Das war allerdings weit weniger wichtig als der Weg. Und dieser führte von Schloss zu Schloss, die es im Land der Gallier viele gibt. Allerdings plagte die Sommerhitze etliche Autos und und ihre Passagiere – die mitfahrende TCS-Patrouille hatte Hochbetrieb. Lohnend war die Teilnahme trotzdem. Und zum Winken kam man auch ... ausgedehnt ...
Jubiläumsausfahrt
Die unverändert rührige Truppe um Hans André Bichsel führte zum 25. Mal diese Oldtimer-Ausfahrt der etwas grösseren Art durch. 150 Oldtimer jeglicher Couleur fuhren von Donnerstag bis Samstag über viele hundert Kilometer (die genaue Zahl weiss man erst hinterher) von Basel nach Paris. Natürlich nur über reizvolle Nebenstrassen. Autostrassen oder gar –bahnen waren tabu, das Reisen wie immer wichtiger als das Ankommen.
Und für die meisten Teilnehmer war der interessanteste Part das Zusammentreffen mit Gleichgesinnten. Die Spreizung war enorm sowohl was das Preisgefüge, Art der Autos oder Jahrgänge betraf. Natürlich fehlten die ganz ganz alten Fahrzeuge vor dem ersten Weltkrieg, weil der Raid doch eine Art „Alltagstempo“ verlangt, und auch die Distanzen nicht zu unterschätzen sind.
Drei Kategorien
Die 13 Fahrzeuge starke Kategorie „Vétérans“ wurde denn auch von einem Rolls-Royce Phantom I von 1928 als ältestem Auto des Trosses angeführt. Die mit rund 120 Meldungen weitaus grösste Kategorie hiess wie immer „Tourisme“. Zusammen mit den Veteranen wurde auf minimale Strafpunkte hin gefahren. Etwa 20 weitere Fahrzeuge fuhren „open Raid“, also nur zum Plausch. Die illustre Starterliste ist auf der Raid-Website hinterlegt.
- Automobile als Erlebnis
- Gastronomie
- Restaurierung & Projekte
- Allgemeine Wartung
- Automobil-Erlebniszentren
- Tourismus
- und weitere ...
Teilnahme im Alfa Romeo 2000 Touring Spider
Wir nahmen mit dem Alfa Romeo Spider 2000 mit Touring-Karosserie aus dem Jahr 1960 teil. Das schöne weisse Fahrzeug gehört dem im Tessin lebenden italienischen Alfa-Experten und -Sammler Renato Perucchini. Er hatte es in halb restauriertem Zustand gekauft, weil dem Vorbesitzer der Atem – oder besser die Geduld – ausgegangen ist. Das Ergebnis der mittlerweile zuende gebrachten Runderneuerung ist phantastisch. Der Spider ist wie neu. Und so fühlte und hörte er sich auch an.
Die 2000er starteten 1957 als Limousine und Spider. Letzterer wurde von Carlo Felice Bianchi Anderloni entworfen, dem Sohn des Touring-Gründers. Mit 3445 Exemplaren bis 1962 war der Spider ein mässiger Erfolg, die Limousine verkaufte sich noch schlechter. Der 2000 ist ein sehr ursprüngliches und unverweichlichtes Auto, ausserdem sehr hübsch mit seinen übereinanderliegenden Scheinwerfern und Standleuchten/Blinkereinheiten sowie der schlichten Gesamtform.
Man muss sich allerdings fragen, wie sich der Preis von 24900 Franken im Jahr 1960 rechtfertigen sollte. Preislich lag man damit nur unwesentlich unter dem Jaguar XK150: mit Sicherheit der Hauptgrund für die geringe Verbreitung damals. Heute ist der 2000 Spider umso mehr gesucht.
Hohe Sitzposition
Die Sitzposition ist hervorragend, die Übersicht nach allen Seiten ebenfalls. Sehr reizvoll ist der Blick über die Motorhaube mit den zwei langgezogenen Lufteinlässen und über die ausgeformten Kotflügel. Weder Lenkung, Schaltung noch Kupplung verlangen nach Bärenkräften. Die Fahrleistungen des 2-Liter-Motors mit zwei obenliegenden Nockenwellen und 115 DIN-PS sind imposant. Noch eindrücklicher ist allerdings die Elastizität. Weder sehr niedrigtourige Fahrweise noch das Hochjubeln an steilen Bergstrecken nehmen die zwei Solex-Vergaser übel. Das sind beste Voraussetzungen für präzises Fahren, wie es am Raid gefordert ist.
Doch Renato Perucchini winkte ab: „Wir wollen doch Spass haben ohne Ambitionen auf einen Spitzenplatz, oder?“ Ich war erleichtert, weil ich es genau so sah. Als Co-Pilot hätte ich nämlich die Durchschnittsgeschwindigkeit und damit die Ankunftszeit beim nächsten Etappenziel auf die Minute genau errechnen müssen. Dann wäre mir die wunderschöne Landschaft und die winkenden Menschen am Strassenrand entgangen. Die waren übrigens immer voller Begeisterung, nichts von Neid oder Ähnlichem. Nur einmal schrie ein Landwirt aus seinem Lada Niva: „C’est 30 ici!“ Hier ist Tempo 30. Wir schauten auf den Zähler und sahen, dass alles okay war. Vielleicht meinte er auch den Porsche Speedster vor uns, der in Rot noch schneller aussah als der weisse Alfa.
Schwierige Orientierung
Wenn jetzt jemand wissen möchte, wo wir genau durchgefahren sind: in Erinnerung ist Delémont, Besançon und schliesslich Dijon. Das ist eben die Crux beim Fahren nach Roadbook. Man hat nur immer die nächste anzusteuernde Kreuzung oder Abzweigung angegeben. Die Dörfer dazwischen sind meist unbekannt, und weil man keine Strassenkarte dabei hat, weiss man gar nicht, wo man ist.
Aber das machte gar nichts. Das gehört zum Raid: einfach drauflos fahren und geniessen. Natürlich machten wir auch die Schlauchprüfungen mit, bei denen es galt, eine bestimmte Strecke zwischen zwei Messschläuchen in einer genau definierten Zeit zu durchfahren. Aber wir haben die Zeiten nur geschätzt.
Viel Arbeit für die Federung
Je schöner die Landschaft, desto schlechter die Strassen. Oder je hübscher das Dorf, desto mehr Schwellen auf der Strasse. Das Fahrwerk mit hinterer Starrachse machte seine Arbeit erstaunlich gut, die Schwellen oder Löcher werden prima weggesteckt, die Kurvengeschwindigkeiten auf freier Wildbahn waren erstaunlich hoch. Auch die Verwindung der selbsttragenden Touring-Alukarosserie (die keine Superleggera-Konstruktion ist, obwohl dies auf dem Wagen so vermerkt ist) ist weit weniger stark als erwartet.
Überhaupt machte das Fahrzeug einen sehr soliden Eindruck. Einzig die Sitze empfand man als viel zu flach, die Abstützung des Rückens zu gering.
Weil keine Sicherheitsgurten an Bord sind, ist der Seitenhalt in schnell gefahrenen Kurven gleich null. Man hat kaum Möglichkeiten, sich irgendwo festzuhalten. Das war aber nicht das Problem von Renato, der den Pferden die Sporen gab und langsame Konkurrenten, welche zu schnell waren und Zeit schinden müssen, überholte.
Keine Sonnnenblenden
Gegen Abend, wenn die Sonne tiefer stand, suchte man an der seitlich stark eingezogenen Frontscheibe verwundert nach Sonnenblenden. Der Rückspiegel ist auf dem Cockpit montiert. Auch sonst fehlt alles, was für das reine Fahrvergnügen entbehrlich ist. Unser Auto hatte auch kein Radio. Dafür ist die Uhrensammlung komplett und im komplett schwarz lackierten Cockpit einfach schön anzusehen. Das gilt auch für die Borrani-Speichenräder mit Zentralverschluss, welche der erste Besitzer gegen Aufpreis bestellte.
Insbesondere mit den riesigen Bremstrommeln geben sie dem Spider eine besondere Optik. Wir freuten uns schon auf den triumphalen Einzug in Paris, denn zwischen den eleganten Stadthäusern wäre die Touring-Karosse erst recht zur Geltung gekommen.
Kupplungsprobleme
Wäre? Ja, denn leider konnte der Spider Paris nicht erreichen. Die Erklärung dazu. Vor dem Raid hatte der Spider lange gestanden. Der gelernte Automechaniker Perucchini, der an seinen Oldies alles selber macht, holte ihn aus der Garage, prüfte alles und fuhr rund 200 problemlose Kilometer, um sicher zu gehen, dass der Spider den Raid durchhält.
Das tat er auch bis nach der technischen Abnahme und das Aufreihen für den Start. Doch schon bei der Fahrt auf das Startpodest kamen böse Kratzgeräusche aus dem Getriebe. Die Kupplung löste nicht ganz.
Nach erfolgtem Start verliessen wir deshalb die Route schnurstracks, um bei einer befreundeten Alfa-Werkstatt in Pratteln nach dem Problem zu suchen. Es war schnell gefunden. Eine leck geschlagene Hydraulikleitung legte eine von zwei Pumpen lahm. Nostalgiker Perucchini, der am liebsten nur Autos bis Ende der 50er-Jahre fährt, stimmte einmal mehr ein Loblied auf die gute alte Zeit an, als die Autos noch mechanisch kuppelten. Selbst die Elektrik sei nie ein grosses Problem gewesen, erst die Hydraulik mache die Autos anfällig auf Standschäden.
Zum Glück war Ersatz am Lager. Nach 20 Minuten konnte der Spider wieder fahren. Das Leck in der Leitung blieb jedoch unentdeckt. Es musste ständig Hydrauliköl nachgefüllt werden. Am ersten Raid-Tag lief der Spider trotzdem problemlos und liess sich gut schalten. Aber gegen Abend tauchte je länger je mehr wieder dieses ungute Gefühl im Kupplungsfuss auf. Das viele Schalten war nicht gesund für Kupplung und Getriebe, wenn die Hydraulikleitung irgendwo ein Leck hatte – trotz stetigem Nachfüllen.
Am Freitagmorgen nach dem Frühstück dann die Entscheidung: wir fahren von Dijon direkt zurück nach Basel, wo der Transporter steht, der das gute Stück wieder in den Tessin bringt. Für Mensch und Maschine ist das bei aller Enttäuschung die beste Wahl. Es ging dann alles direttissima auf der Autobahn – wo man kaum schalten musste – nach Hause. Der gemäss AR-Katalog rund 175 km/h schnelle Spider fühlte sich auch auf den bisher als tabu geltenden Autobahnen pudelwohl. Er war Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre für die Überholspur prädestiniert, wenn man bedenkt, dass die anderen Verkehrsteilnehmer vornehmlich Fiat 500 und 1100 oder Ähnliches fuhren – zumindest in Italien. Aber der deutsche Käfer oder die französische Dauphine änderten an dieser Situation auch nichts. Der Alfa schaffte sie alle.
Allerdings muss man dazu sagen, dass der Motor kein Leisetreter ist und die Karosserie die Antriebsgeräusche kaum gefiltert in den Innenraum trägt. Dazu entliessen auch Motor und Getriebe ihre Abwärme ins geschlossene Interieur. Also Scheiben öffnen trotz hoher Fahrgeschwindigkeit.
Geschlossen zurück
Es war wichtig, auch diesen Autobahn-Eindruck bei geschlossenem Verdeck mitzunehmen. Das Fazit ist trotz der Enttäuschung, dass die Hydraulik dem Abenteuer Raid einen Strich durch die Rechnung machte, sehr positiv.
Der Spider ist ein erstaunlich ausgewogenes und langstreckentaugliches Auto mit viel Platz und grossem Kofferraum. Und er macht sehr viel Spass beim Fahren. Das macht auch der Raid. Das Roadbook hatte zwar da und dort noch Nachholbedarf, aber ansonsten waren Organisation und die Streckenwahl gelungen. Das haben andere Teilnehmer, die den Raid zu Ende fuhren, bestätigt.
Sieger im kleinen Sprite
Das Gewinnerteam heisst Andreas Locher und Manuel Uhlmann auf Austin-Healey Sprite 2 von 1963 (Startnummer 71). Mit nur 78 Strafpunkten haben die beiden Schweizer eine Glanzleistung hingelegt.
Bei den Veteranen gewann der 1939er Fiat 1100 mit Startnummer 16 von Reto Fontana und Patrick Geyer.
Das beste Damenteam bildeten Arlette Müller und Sabina Schneider mit ihrem 1967er Sunbeam Tiger Mk II (Startnummer 73).
Auch für den Nachwuchs wird etwas getan. Den Young-Riders-Pokal für Teilnehmer unter 35 Jahren (mit reduziertem Startgeld) gewannen die Gesamtsieger von 2014 Olivier Schneider und Mike Müller auf dem Triumph TR4 von 1963.
Und es gab auch eine optionale Nachtetappe, welche von Roland und Moritz Geiger auf dem Alvis TD 21 von 1961 gewonnen wurde.
Welche Diskussionen im Cockpit ausgefochten wurden, ist nicht überliefert.
Auch der eine oder andere Ehekrach könnte stattgefunden habe. Genaues weiss man nicht, aber es gibt Paare, die jedes Jahr wieder kommen. Vielleicht hält die Beziehung länger, wenn sie den Raid überlebt hat…