"Design Freeze" nennen Fachleute die Zeit, wenn ein Auto komplett fertig gestaltet ist, bis zum Zeitpunkt der Markteinführung. In der Regel dauert diese Zeit zweieinhalb Jahre. Audi wird nun schon seit mindestens genau so langer Zeit vorgeworfen, dass sich neue Modelle nicht weiter entwickeln und Mutlosigkeit herrsche. Eigentlich kein Wunder, wer will bei all dem Erfolg der Audi Modelle für einen Flop verantwortlich sein, nur weil er in Banglemanier für angemessen hielt, das Designruder herumzureissen?
Auf Wolfgang Egger folgte nun vor einem Jahr Marc Lichte als Design-Chef der Ingolstädter. Und er hat mit dem A9 Prologue gezeigt, wie und wo er die neuen Akzente setzen will. Wer aber wissen will, wie es um das Design bei Audi vor 50 Jahren bestellt war, der kann das nun im zweibändigen Werk "Audi Design" von Othmar Wickenheiser nachlesen.
50 Jahre ist das neue Audi Design nun alt
Pünktlich zur Wiederauferstehung der Marke Audi im Jahr 1965 stellt die Audi Tradition unter der Autorenschaft von Othmar Wickenheiser einen Rückblick auf das Audi Design der letzten 50 Jahre vor. Die Geschichte gliedert sich in zwei Teile und zwei Bände. Band 1 handelt die Jahre von 1965 bis 2000 und Band 2 anschliessend bis 2013 ab. Praktisch: Unser Urteil fällt ebenfalls zweigeteilt aus.
Willkommen im Studio
Der Autor, selbst Automobildesigner und dazu früher noch in Audi Diensten, kennt das Geschäft. Er weiss, worauf es vom ersten Strich bis zur Einführung eines neuen Modells ankommt und ankam. Der erste Band verdeutlicht auf eindrückliche Weise, wie und wo sich das Design hin entwickelte, welche Umwege dazwischen lagen und manchmal auch, welche Wege man in Ingolstadt nicht gehen wollte oder konnte. Der Leser erhält so den begehrten Blick hinter die Kulissen des Design Studios. Chronologisch wird dabei die Geschichte des Audi Designs, seiner Macher, mancher Eigenheiten und Anekdoten erzählt. Die Geburt der Audi Modelle reicht damit über den ersten Verkaufstag hinaus.
Von wegen Hutträger-Image
Die Älteren unter uns wissen es noch, in den 60er und 70er Jahren litt das Image von Audi unter dem Stigma des Biederen... es hat bis weit in die 80er Jahre hinein gedauert, bis sich das Unternehmen von der Wahrnehmung lösen konnte. Umso spannender wie der Autor uns vermittelt, dass zumindest beim Design immer eine gewisse revolutionäre Aufbruchstimmung geherrscht habe und selbst der erste 80 ein kleiner Revoluzzer, zumindest in Sachen Styling, war. Im Nachhinein mag man das sogar verstehen, seinerzeit gab es radikalere Konzepte, beispielsweise von Renault. Aber unter dem evolutionären Gesichtspunkt der Marke Audi und ihres Designs lässt sich eben über Audi die spannendere Entwicklungs-Geschichte erzählen und auch belegen. Quattro, Aerodynamikweltmeister, Spyder, Avus, Power-Kombi RS 2, die Revolution hat tatsächlich stattgefunden.
Entwürfe, Skizzen und Hintergründe
So wird der erste Band zu einer kleinen Zeitreise und man beginnt zu verstehen, dass es wohl in Ingolstadt sehr früh Ambitionenn gab, die mangels Budget und oder Kompetenzen, VW steckte ja bis zum Hals in der Krise, nur auf dem Papier stattfinden durften. Hätte man die Designer gelassen, wie sie wollten, Audi wären 10 Jahre Imagetal verwehrt geblieben. Das Unterstreichen die zahlreichen Entwürfe und Abbildungen auf dem Weg zur ersten Auffächerung der Modellpalette in Audi 50, 80 und 100, bei der auch die besten Italiener wie Bertone oder Giugiaro . Und am Ende wird man das Gefühl nicht los, dass die es in Ingolstadt nicht so falsch gemacht haben. Auf dem Weg nach oben war das Design alsbald neben Technikavantgarde wie quattro, turbo, Aluminium oder TDI ein wesentliches Differenzierungsmerkmal, um zu Mercedes und BMW aufzuschliessen.
Mode, Design und Manager
Der Blick hinter die Kulissen ist auch immer ein Blick in die jeweilige Zeit. Weisse Hemden und Anzüge in den 60ern, Schlaghosen und bunte Hemden in den 70ern werden von Sweatshirts und Karottenjeans der 80er Jahre abgelöst. So vielfältig wie die Mode wird die Trapezlinie vom Cube Design und später vom Aerodesign abgelöst. Ein Audi 100 von 1968 hat nicht viel gemein mit dem Aerodynamikweltmeister von 1982. Nur 14 Jahre liegen zwischen den beiden Modellen, rein äusserlich aber ein Quantensprung für das Design und die Marke. der sich dann bis zum Jahr 2000 hin fortsetzt.
Was will uns der zweite Band sagen
Ein Unternehmen, dass das strategische Feld des Designs so für sich in Anspruch nimmt wie Audi, kann natürlich auch nach dem Jahr 2000 aus dem vollen für so ein Buchprojekt schöpfen. Immer mehr Modellreihen, dazu die Derivate in S- und RS-Reihen, die Lancierung der Q-Reihen. Man sollte glauben, im 2. Band gehen einem die Augen über. Leider unterscheiden sich beide Bände wie Tag und Nacht. Alles was oben für den 1. Band spricht, ist im 2. Band wie weg gefegt. Kaum oder keine Entwürfe, wenig Blick hinter die Kulissen und bestenfalls einige Bilder aus dem Designstudio lassen den gleichberechtigt starken Band ab 2000 auf das Niveau einer Ansammlung von Marketingmaterial und Pressemappen absinken. Was im ersten Band noch fast wie die Familienchronik des Audi Designs von 1965 bis 2000 unter den vier Chefdesignern (knapp 20 Jahre davon unter Hartmut Warkuss), verflüchtigt sich in den nächsten anderthalb Dekaden und sechs Chefdesignern hinter einem Mantel von ausgewählten Pressebildern und Statements aus der Marketingabteilung. Dazu passt auch die gestalterische Nähe zum Corporate Design von Audi. Statt einer mutigen Umsetzung rückt es die Bücher in die Nähe von Marketingmaterial im Prospektständer des nächsten Aud Zentrums.
Ein Schuber, zwei Bände, drei Meinungen
Ein Schuber über das Audi Design ist eine Herausforderung, kein Zweifel, im ersten Band ist es gelungen die Geschichte des Audi Designs, seiner Macher und der Modelle umfassend, übersichtlich und lesenswert darzustellen. Den zweiten Band kann man nur als chronologische Ergänzung begreifen, der es wohl eher aus marketingstrategischen Gründen in den Druck geschafft haben mag. In ihm fehlt es an allem, was so den 1. Band begehrlich macht. Statt des 2. Bandes wäre eine Ergänzung des ersten Bandes um die Erweiterung der Design Standorte in München, Kalifornien und Barcelona und deren Einflüsse spannend gewesen. In diesem Zusammenhang hätte man auch manche Entwicklung vorstellen können, die es nie bis auf den Markt geschafft hätte. Zum Beispiel die zweitürigen Coupés als Schwestermodelle der Audi 100 Limousinen von 1976 oder 1982. So bleibt es beim lesenswerten ersten Band, der gleichwohl eine vertiefte Lektüre zu diesem Aspekt der Audi Geschichte liefert und mit vielen Abbildungen illustriert. Mit einem Preis von € 98,00 ist der Schuber allerdings zu teuer. Premiumpreise, obwohl man den zweiten Band aus unserer Sicht nur als Beilage betrachten kann.
Bibliografische Angaben
- Titel: Audi Design
- Autor: Prof. Dr. Othmar Wickenheiser
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Delius-Klasing, 1. Auflage 2014
- Format: 258 x 333 mm, gebunden im Schuber, 640 Seiten, 20 s/w- und 450 Farbabbildungen
- Preis: € 98,00, € 100,00 (A); CHF 128,00 (CH)
- ISBN: 978-3-7688-3751-4
- Bestellen bei Delius-Klasing oder online bei amazon.de
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Ein Kompliment geht an den Verfasser dieser Buchbesprechung. Diese ist wirklich sehr einfühlsam und emotional, insbesondere die eigenen Quervergleiche zu den ausgeprägten Modestilen der 1970er und ´80er Jahre sowie seine Einschätzung an welcher Stelle Audi heute stehen könnte, wenn man den Designern seinerzeit freien Lauf gelassen hätte, bietet interessanten Stoff für die Diskussion über den Einfluss von Design auf die Markenentwicklung. Etwas irritierend wird die Besprechung aber ab der Aussage, dass im zweiten Band" kaum oder keine Entwürfe" zu finden seien. Mit fast 300 Entwürfen ist der zweite Band genau so umfangreich mit Zeichnungen der Kreativen illustriert wie der erste Band, und im übrigen mit Skizzen so bildgewaltig wie kein anderes Buch auf dem Markt zu diesem Thema. Immerhin zeigt der Verfasser der Buchbesprechung genau diese Designentwürfe aus dem zweiten Band ja auf seiner Fotostrecke. Auch wenn er wohl dem Irrtum aufsitzt, dass diese Bilder etwa aus der Presseabteilung stammen. Spätestens mit dem Statement die Texte stammen aus der Marketingabteilung, verliert die Buchbesprechung an Seriosität. Allein der Umfang der akribischen Einzelbesprechungen im Exterieur und Interieur der Ingolstädter Formgestalter im zweiten Band ist mit der gleichen Fachkenntnis besprochen wie im ersten Band und war zu keinem Zeitpunkt in einer Pressemappe zu finden. Auch die Kritik die Studio-Standorte München, Barcelona oder Kalifornien und deren Einfluss auf das Audi Design seien nicht erwähnt ist bei genauem Lesen unbegründet, da alle Designs aus diesen Studios sogar mit den Namen der verantwortlichen Designer zu jedem einzelnen Fahrzeug explizit genannt werden. Auch wurden zahlreiche Entwicklungen, die es nicht in den Markt geschafft haben, ausführlich besprochen, natürlich die dutzenden Showcars, aber auch Studien wie das Projekt „Rosemeyer“ oder die Luxuslimousine Horch aus den Seiten 244 bis 263 im ersten Band oder das SUV Cabriolet ab Seite 102 im zweiten Band, sowie Filmfahrzeuge z.B. der RSQ gleich zu Beginn des zweiten Bands oder das Science Fiction Fahrzeug für den Film „Ender´s Game“, mit dem dieser Band schließt. Und natürlich bleibt es eine Ansichtssache, ob es einem Unternehmen erlaubt wird mit einem Kulturbeitrag zu seiner Designgeschichte auf sein Corporate Design zurückzugreifen. Ich persönlich denke, dass auch der graphische Auftritt zum Gesamtbild einer Marke gehört und die Veröffentlichung der eigenen Designhistorie in Buchform geradezu dazu prädestiniert ist. Schließlich wäre es auch einmal interessant vom Verfasser der Buchbesprechung zu erfahren, wo es vergleichbare Bücher zur kompletten Automobildesigngeschichte einer Marke gibt, die derart umfangreich bebildert und inhaltlich kompetent zu diesem Preis zu kaufen sind. Premium gibt es nun nicht zum Dumping Preis, hier vertritt Audi die gleiche Devise wie mit seinen Automobilen, wer sich bewusst für Qualität entscheidet findet den Preis auch angemessen. Aber das hat der Verfasser der Buchbesprechung ja auch zumindest im ersten Teil so erkannt.
Es freut uns, wenn wir auf unsere Beiträge eine konstruktive Replik erhalten. In diesem Fall auf unsere Buchbesprechung. Die nehmen wir auf zwischengas nämlich ernst. Statt der bekannten Buchankündigungen besprechen wir die Bücher ausführlich. Mit dem einen Ziel, dem Leser ein Buch vorzustellen, und ihm zu einer Einschätzung zu verhelfen, ob das Buch in sein Regal passen könnte. Für diese ausführlichen Besprechungen schätzen uns übrigens auch die Verlage und die Autoren.
Nun zu Ihren Anmerkungen. In der Tat gibt es auf dem Markt kein vergleichbares Buch anderer Marken zur Designgeschichte einer Marke - ausser vielleicht noch bei Mercedes-Benz aus den letzten 10 Jahren, im Umfang und Ausstattung aber wohl nicht auf dem Niveau. Die Stuttgarter werden aber gleichwohl, wenn ich es recht im Sinn habe, im Herbst mit einer Designausgabe auf den Markt kommen.
Nun zu Ihren Anmerkungen. Auch nach nochmaliger Durchsicht beider Bände, komme ich nicht umhin zwischen Band 1 und 2 eine qualitative Zäsur festzustellen. Und da wir beide im Gegensatz zur Leserschaft, die das Buch und Audi Design nicht oder nicht gut kennen, wissen wovon wir reden, konkret. Im 2. Band fehlt mir im wesentlichen der Mut, die Alternative aufzuzeigen. Im Grunde genommen, ist es der lineare Weg, der letztlich immer zum Serienmodell führt. Wo sind die parallel entstanden Entwürfe? Nehmen wir als Beispiel den TT. Natürlich sind da viele Skizzen drin. Aber wodurch unterscheiden die sich, gegenüber dem Serienfahrzeug? Wie hat man sich denn dem Erneuerungsprozess der Design-Ikone TT angenähert. Das wäre spannend gewesen zu sehen. Auf den Schluss kommen, dass es keine Alternativen gegeben haben könnte, kann ich mir nicht vorstellen. Im Vergleich dazu wird im Band 1 z. B. die Designentwicklung des Audi 80 (B1) deutlich breiter abgehandelt, selbst Modelle von Bertone oder Giugiaro sind dort abgebildet und verweisen auf die breite Entwurfsspanne, die zur Auswahl stand. Alternativ möchte ich auch auf die A4 Entwicklung (B5) auf Seite 180 im 1. Band verweisen, indem aufgezeigt wird, wie die diversen Designer damals in guter FKP Manier gegeneinander angetreten sind und verschiedene Designer im Wettbewerb ihre Entwürfe durch verschiedene Stadien gegeneinander in ein Auswahlverfahren geworfen haben. Das Argument, die unzähligen Showcars als Studien stehen zu lassen, zählt für mich leider nicht ganz. Bis auf einige Ausnahmen z.B. Steppenwolf, Roadjet) handelt es sich ja bei den Studien um Vorgriffe auf die Serie (z.B. besonders Le Mans, Nuvolari, Pikes Peak). Die von Ihnen angeführten Studien »Rosemeyer« und »Horch« befinden sich ja im ersten Band. Dieser Band ist unbestritten, die Ausführungen zu den Studien sind eine wahre Bereicherung und zeichnen den ersten Band so unglaublich aus.
Dass das Buch sich gestalterisch am CD von Audi anlehnt, Audi ist schliesslich der Herausgeber, ist natürlich naheliegend. Und wird ja auch honoriert, es wurde mit dem Automotive Brand Contest 2015 vom Rat für Formgebung ausgezeichnet. Dass es auch anders ging, bewiesen ja die Bücher »Technik der Eleganz« und der bereits früher erschienene Band »Audi Design«, der jetzt als überarbeiteter 1. Band im Schuber untergebracht wurde. Es ist beim Audi CD ein wenig wie mit dem Audi Design selbst, nichts wirkt wirklich neu, sondern nur ein wenig wie alter Wein in neuen Schläuchen. Wenn man dann die Pressemappen kennt, das dort verwendete Bildmaterial und die Texte, dann ist Band 2 in ganzer Pracht dort in verdächtiger Nähe (als Beispiel: A4 Allroad Quattro, A3 Cabriolet, RS5), um nur einige zu nennen. Ausnahmen bilden dagegen die ausführliche Darstellung des A7 und des quattro concept, bei denen man den von mir gewünschten Blick hinter die Kulissen der Studios erhält. Apropos Studio. Auch nach nochmaliger Durchsicht beider Bände fehlen mir die Bilder aus den Studios - auch in Barcelona oder Kalifornien und natürlich München. Selbst wenn es viele Interviews mit den Protagonisten dort gab, fehlt mir dazu dann eine Einsicht der Dinge. Während im 1. Band das Schwabinger Studio in seiner Bedeutung eingeführt wird, verzichtet der 2. Band eben auf diese Entwicklung des Audi Designs. Das ist verschmerzbar, aber bedauerlich.
Und da es den ersten Band eben schon gab, ist meines Erachtens mit dem zweiten Band eine grosse Chance vertan worden, aufzuzeigen, welche Bedeutung auf einer unsichtbaren Meta-Ebene das Audi Design auf die Markenentwicklung hatte. Dem Leser wird durch das Fehlen der Alternativen eben der Weg verbaut, dem linearen Weg in eigener Meinungsbildung zu folgen. Fragen, die für mich im 2. Band offen bleiben. Was wäre die Alternative zum Single Frame Grill gewesen? Wie hätten die Diffusoren bei den RS-Modellen alternativ zu den vom Vorstand bevorzugten Ausführungen aussehen können? Warum Blister amRS4/RS6 und dann wieder am RS7 nicht? Gab es zu den A4, A6 oder A8 Modellen der letzten 15 Jahre keine Alternativen in der Designentwicklung? War alles wirklich so linear? War der Single Frame Grill der letzte Paukenschlag im Design?
Wen dem so ist, dann nehme ich jede Kritik am 2. Band zurück und schreibe eine neue Rezension.
Holger Merten
Auch bin ich angenehm überrascht, wenn jetzt eingestanden wird, dass es kein vergleichbares Standardwerk zur Designgeschichte auf dem Markt gibt und schon gar nicht zu dem noch zuvor als zu hoch kritisierten Preis. Sollte als Vergleich das Mercedes Buch „Design by Mercedes“ gemeint sein kommt der Verfasser der Rezension selbst zur Überzeugung, dass es sich hierbei um ein anderes Niveau handelt. Bleibt zu hoffen, dass die Absichtserklärung der Marke mit dem Stern dem eigenen Anspruch „Das Beste oder nichts“ dann vielleicht im Herbst gerecht werden wird.
Auch sind wir jetzt wohl einer Meinung was den immensen Umfang des Bildmaterials zur Designentwicklung betrifft, aber dazu braucht man nicht in die intensive Lektüre einzusteigen, sondern kann die vielen Entwürfe ja beim Durchblättern erkennen. Im Unterschied zum Text und den darin vermittelten Designinhalten. Hier muss man aufmerksam lesen, um ein Verständnis für die Zielsetzung der Marke Audi für deren Designabteilung zu entwickeln. Erfreulicherweise wird nun auch nicht mehr davon gesprochen, dass hier die Marketingabteilung von Audi zitiert wird, aber jetzt wird kritisiert, dass nicht über die alternativen Designvorschläge gegenüber den relevanten Serienfahrzeugen ausführlicher berichtet wird. Hier wünscht sich der Rezensionist einen andern Fokus auf die Dinge, die letztlich nicht am Markt sichtbar wurden, sollte es diese gegeben haben.
Ich vermute hier werden mit der Gegenüberstellung von Band 1 und 2 Äpfel mit Birnen verglichen. Im ersten Band wird die Automobildesigngeschichte von Audi in einen Zeitraum von ca. 1965-2005 über die zahlreichen Höhen und Tiefen zahlreicher Stilepochen wie Heckflossen-, Pontonform, Trapezlinie, Kastenform, Keilform, Aerodesign, bis zur dynamischen Automobilen Skulptur, also über einen Zeitraum von 40 Jahren anhand von ca. 80 Audi Automobilen beleuchtet. In dieser langen Periode musste sich Audi aus dem „hinteren Mittelfeld“ erst einmal zur Premiummarke entwickeln und hat naturgemäß viele auch revolutionäre Entwicklungsschritte durchschritten - wie beim Audi 100 der dritten Generation - bis zu einer Marke mit eindeutiger Designidentität mit insgesamt sieben Designleitern Neuner, Bertram, Warkuß, Mays, Schreyer, Pfefferle, de´Silva.
Im zweiten Band wird dieser hohe Designanspruch ab 2005 im Wesentlichen vom Designleiter Stefan Sielaff in ebenfalls ca. 80 Fahrzeugen bis 2013 auf die enorm gewachsene Modellpalette von Audi evolutionär weiterentwickelt. Vorrangiges Ziel dieser Designentwicklung war es laut Sielaff - wie in seinem ausführlichen Interview ab Seite 228 in Band 2 zu lesen ist - „ … unsere Philosophie ist einfach:
die Markenerkennung soll die stärkste Wirkung entfalten und danach die Individualität des Modells stehen.“ Somit liegt der Rezensionist zwar instinktiv mit seiner Interpretation richtig, dass der Fokus nicht auf einer möglichst alternativen Bandbreite der prinzipiellen Designlösungen bei Audi erkennbar wird, aber seine subjektive Abwertung dieser erfolgreichen Unternehmensstrategie ist bedauerlich, aber verschmerzbar. Leider wird hier wohl verkannt, dass die Besonderheit des Markenerfolgs in der konsequenten Umsetzung und sensiblen Weiterentwicklung der Designidentität über zwei Fahrzeuggenerationen stattfand. Zu fragen, ob der Single Frame Grill der letzte Paukenschlag im Design war, greift ein Element der gesamten Designleistung von Audi heraus aber viel zu kurz und erscheint in diesem Zusammenhang so wenig einfühlsam wie die Frage ob das Design der Seitenscheibe eines Porsche 911 der letzte Paukenschlag für Porsche war.
Die Kritik am 2. Band leidet somit unter dem Missverständnis, dass selbst in einem relativ kurzen Zeitraum von weniger als 10 Jahren ausschließlich eine revolutionäre Designentwicklung mit vielen Alternativen zum Erfolg führen kann, aber die Kunst den eigenen Firmenschatz zu erkennen und weiterzuentwickeln als „alter Wein in neuen Schläuchen“ negativ eingeschätzt wird. Diese Einschätzung ist weder beim alten Wein noch bei der Etablierung einer erfolgreichen Designphilosophie wirklich nachvollziehbar.