Wer ist dieser Christian Sumi, dass er uns ein Buch über den Citroën DS gibt, das anders ist als die bisherigen? Nun, er ist Architekt, hat 1977 sein Studium an der ETH Zürich abgeschlossen und seither an diversen renommierten Hochschulen als Professor gewirkt. Zudem führt er zusammen mit Marianne Burkhalter auch noch ein Architekturbüro in Zürich.
Formen und Gestaltung waren Sumi schon immer wichtig, so erstaunt es vielleicht weniger, dass er sich mit dem Automobil und spezifisch mit der “Göttin” von Citroën auseinandersetzt. Er tut dies auch nicht zum ersten Mal, denn schon 2001 kommentierte er das Buch “AS in DS” von Alison und Peter Smithson, das eine Fahrt im Citroën DS 19 durch Grossbritannien als Thema hatte.
Architekten und Autos
Sumi ist natürlich nicht der erste Architekt, der sich mit Autos beschäftigt. Ein anderer war der Italiener Gio Ponti, der in den Fünfzigerjahre die “Linie Diamante” entwarf, ein Auto, das aus der Perspektive des Nutzers entwickelt wurde und vor allem praktisch und sinnvoll sein sollte. Optisch überzeugten die Skizzen, die für die Grand Basel 2018 in einen 1:1-Mockup umgesetzt wurden vielleicht nicht, aber der “user centric”-Designansatz war der Zeit weit voraus.
Ponti machte sich seine Gedanken nicht nur fast zu gleichen Zeit wie Bertoni am DS arbeitete, er wurde später auch selber zum überzeugten DS-Fahrer.
Sumi ist kein Autobauer, aber am Auto interessiert ist er sicher. Man erkennt es schon an der Literaturliste, die dem Buch beiliegt. Sumi ist aber nicht einer, der Testberichte sammelt und technische Daten herunterbetet, ihm geht es um die Gestaltung und die Entstehung eines Automobils.
Das Auto als Kunst oder als funktionellen Gegenstand
Zwar vergisst Sumi in seinem 232 Seiten langen, etwas grösser als A5 quer gedruckten Buch die Technik nicht, er widmet der Hydropneumatik sogar ein Kapitel, es geht ihm aber vor allem um die Form und die Gestaltung des Citroëns. Entsprechend sind ihm Flaminio Bertoni und Robert Opron, die für die Form des ursprünglichen DS und des Schwenkaugen-Updates von 1968 die gestalterische Verwantwortung trugen, deutlich wichtiger als Leute wie André Lefèbre, Paul Magés oder Walter Becchia, die als einflussreiche Techniker die DS mitermöglichten. Immerhin tauchen sie im Anhang kurz auf.
Der Hauptteil des Buchs ist der Design-Entwicklung des Modells DS gewidmet. Mit Entwurfszeichnungen, Plänen, vor allem aber schön ausgeführten Vergleichsfotografien eines ID 19 von 1959 und eines DS 23 von 1973 wird die Genialität des Entwurfs beschrieben.
18 Seiten werden der Dekomposition eines Citroën DS 21 gewidmet, der buchstäblich fotografisch entblättert wird bis zum Skelett.
Weitere 50 Seiten sind sozusagen Kritikern und Konkurrenten von Bertoni/Opron gewidmet. Namhafte Designer wie Raymond Loewy werden hier genauso herangezogen wie der Schweizer Künstler und Intellektuelle Max Bill und sein “Form, Funktion, Schönheit = Gestalt”-Ansatz.
Auch der Kritiker Otl Aicher kommt zu Wort, der den DS als aerodynamischen Rückschritt empfand, bei gleichzeitig suboptimaler Raumausnutzung.
Ein Buch als Gesamtkunstwerk?
Dieses Citroën-Buch ist kein typisches Autobuch, das kann auch damit belegt werden, dass es eine Rezensierung in/auf “Wallpaper” erhielt. Und man sieht es auch an der grafisch interessanten Gestaltung des Buchs. Beschreiben lässt sich das nicht so einfach, man beachte daher die besonders reichhaltigen Beispiele in der Galerie zu dieser Rezension.
Da passt auch gut dazu, dass Christian Sumi einige Zeit auf einem Autofriedhof zwischen Nîmes und Alès verbrachte, um dahinsiechende DS-Modelle zu fotografieren. Diese Aufnahmen erscheinen nun auf den letzten 16 Seiten und sie führen uns die Vergänglichkeit selbst eines Jahrhundertwurfs vor Augen. Witzigerweise sieht man auf den Aufnahmen auch einen BX, einen späten Nachkommen des DS in der Designsprache von Bertone.
Dieses durchgehend in englischer Sprache abgefasste Buch ist sicherlich ein interessantes Werk, aber man muss sich schon auf die Gedanken und Ansprüche von Sumi und Co einlassen, um es geniessen und schätzen zu können. Wer einfach ein Werk über die Geschichte des Citroën ID/DS sucht, sich zu Stückzahlen oder technischen Komponenten schlau machen möchte oder Rat für Restaurierungs-/Reparaturprobleme sucht, der ist bei Sumi sicherlich nicht an der richtigen Adresse. Aber diese Themen wurden und werden ja anderswo auch schon gebührend abgehandelt.
Wer aber an Design und Gestaltung, bis und mit der zugehörigen Kommunikation und Werbung interessiert ist, der findet im vorliegenden Buch viele Anregungen und Erkenntnisse, die den Preis von EUR 35 oder CHF 40 im richtigen Licht erscheinen lassen.
Bibliografische Angaben
- Titel: The Goddess - La Déesse - Investigations on the Legendary Citroën DS
- Autor: Christian Sumi
- Sprache: Englisch
- Verlag: Lars Müller Publishers
- Auflage: 1. Auflage, August 2020
- Format: Gebunden, 24 x 16,5 cm
- Umfang: 202 Seiten, 198 Abbildungen (Fotos, Pläne und Zeichnungen)
- ISBN: 978-3-03778-626-0
- Preis: EUR 35 / CHF 40 (ca.)
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