Die Aerodynamik gehört zu den faszinierendsten Themen rund um den Automobilbau. Die Fortschritte, die in den letzten rund 100 Jahren erreicht wurden, sind riesig. Was heute superschnelle Computer errechnen und ausgeklügelte Windkanäle nachmessen, das mussten die Väter der modernen Aerodynamik zuerst einmal erforschen. Die Vorreiter hiessen Paul Jaray oder Max Schirmer, um zwei der wichtigsten zu nennen.
Ihnen, aber auch vielen Aspekten der Entwicklung der modernen Aerodynamik, wurde nun ein Buch gewidmet, das die gleichnamige Ausstellung im Zeppelin Museum, wo so viele Entwicklungen ihren Anfang nahmen, gewidmet.
Ein weites Feld
Um dem grossen Thema gerecht zu werden, führt das Buch “Strom-Linien-Form - Die Faszination des geringen Widerstands” zuerst einmal in die Physik rund um den Luftwiderstand ein. Die nicht wirklich simple Theorie wird mit vielen spannenden Beispielen aufgelockert. So erfährt man etwa, was die Mercedes-Benz Rennwagen im Jahr 1999 in Le Mans abfliegen liess.
In einem zweiten Kapitel werden die Luftschiffe, auch Zeppeline genannt, behandelt, das dritte Kapitel erzählt die Geschichte der ersten Windkanäle (bis 1945).
Der nächste Teil des Buchs berichtet dann von den Erkenntnissen und Forschungsergebnissen des in Österreich geborenen Paul Jaray, der im Luftschiffbau gewonnenes Wissen auch auf den Fahrzeugbau übertrug und der Vater vieler aerodynamischer Vorkriegsautos war, ob das deren Hersteller nun zugaben oder auch nicht. Ab 1923 forschte Jaray in der Schweiz weiter und entwickelte für Rudolf Ley unter anderem einen Rennwagen, der mit nur 26 PS 125 km/h erreichte.
Jaray liess viele seiner Entwicklungen patentieren, sorgte aber auch dafür, dass seine Konstruktionen in der Praxis funktionierten. So kümmerte er sich etwas um die Belüftung des Innenraums oder das Ablaufen der Wassertropfen bei Regen. Jaray war ein vielfältiger Entwickler, baute neben Autos und Luftschiffen auch Staubsauger, Fahrräder und andere Gebrauchsgegenstände.
Weitere Kapitel sind der deutschen Rekord-Teststrecke bei Dessau, den Auto Union Rekordwagen und den Mercedes-Benz-Rekordfahrzeugen gewidmet.
Ein interessantes Kapitel untersucht den Umgang der Amerikaner mit der Aerodynamik. Auch in den USA entstanden viele fortschrittliche Fahrzeuge, etwa das Phantom Corsair Coupé von 1938, der Tucker, der Hudson Hornet oder der Kaiser Manhatten, die allesamt deutlich niedrigere Luftwiderstände vorweisen konnten als der durchschnittliche Personenwagen. Beim Nutzen von Flügelprofilen zur Abtrieberzeugung waren die Amerikaner im Serienautobau den Europäern sogar einiges voraus, schon Ende der Sechzigerjahre entstanden mit dem Dodge Charger 500 Daytona und später mit dem Plymouth Roadrunner Superbird schnelle Wagen mit riesigen Flügeln.
Erwähnt wird auch noch der Chevrolet EV1, dem leider keine grosse Zukunft verschrieben war, weil General Motors rund 1100 Exemplare nach drei Jahren Versuchserprobung verschrottete.
Der Rest des Buchs behandelt aerodynamische Züge, windschlüpfige Motorräder und die Aerodynamik im Rennsport, wo unter anderem Michael May mit seinem beflügelten Porsche 550 Spyder aus dem Jahr 1956 erwähnt wird.
Zwei Kapitel über die Dieselrekordfahrzeuge von Opel, Volkswagen und Mercedes-Benz runden das Buch zusammen mit Betrachtungen zur Aerodynamik heute, zu einer Restaurierung eines Tatra 87, zu den Zeichnungen des Illustrators Rony Lutz und zu einigen Miniaturen ab.
Über fehlenden Lesestoff kann man sich also nicht beklagen. Die Ausführungen sind flüssig formuliert und motivieren zum unterbruchsfreien Durchlesen.
Hochinteressantes Bildmaterial
Neben den lesenswerten Texten sind es aber auch die vielen Bilder, die gefallen können. Zwar kennt man einige der Rekordfahrzeuge und frühen Aerodynamikstudien sicherlich, aber die vielen Aufnahmen aus vergangenen Jahrzehnten lassen einen erst spüren, wie weit Jaray und seine Kollegen der Zeit voraus waren.
Hübsch anzuschauen sind auch die schön gemachten Zeichnungen von Rony Lutz, denen man auch gerne einen eigenen Band gönnen möchte.
Ein guter Einstieg
Wer bisher mit Aerodynamik wenig am Hut hatte, dem wird mit dem vorliegenden Buch ein einfacher Einstieg geboten. Ob Theorie oder Praxisbeispiele aus vergangenen Zeiten, die Lektüre ist aufschlussreich und unterhaltsam. Und das Buch ist schön gemacht, alleine schon die Innenseiten des Einbands sind einen zweiten Blick sicher wert.
Die Ausstellung zum Buch (oder umgekehrt)
Das vorliegende Buch, das mit knapp EUR 25 gewiss nicht zu teuer geraten ist, ergänzt die vom 4. November 2016 bis 17. April 2017 dauernde gleichnamige Ausstellung im Zeppelin-Museum , bei dem 30 Grossexponate, zahlreiche Modelle, Fotos und Grafiken von Rony Lutz gezeigt werden. Am besten greift man gleich doppelt zu mit einem Ausstellungsbesuch und einem Buchkauf.
Bibliografische Angaben
- Titel: Strom-Linien-Form - die Faszination des geringen Widerstands
- Herausgeber: Horst-Dieter Görg
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Georg Olms Verlag
- Auflage: 1. Auflage 2016
- Format: Gebunden, 23 x 25 cm
- Umfang: 227 Seiten, viele Illustrationen
- ISBN: 978-3-487-08581-4
- Preis: ab EUR 24.95
- Bestellen/kaufen: Online bei amazon.de oder im einschlägigen Buchhandel (und im Museums-Shop zur Ausstellung