Zu erwarten, dass sich ein Buch, das 10’737 Transaktionen akribisch auf fast 320 Seiten listet, so spannend lesen lässt wie ein Thriller, wäre doch etwas übertrieben. Trotzdem wird das Werk von Adolfo Orsi jedes Jahr mit grosser Spannung erwartet, denn es fasst 12 Monate aktuelles Auktionsgeschehen (Periode September 2022 bis August 2023) zusammen und gilt daher als Standardwerk für jene, die sich mit dem Handel eher hochpreisiger Klassiker befassen.
Am 26. Oktober 2023 erschien nun die 28. Ausgabe des “Classic Car Auction Yearbook” und konzeptionell hat es sich (natürlich) kaum verändert gegenüber dem Vorjahr. Auffallen dürfte, dass der Hauptsponsor nun UBS anstatt Credit Suisse heisst, aber dies hat ja bereits allseits bekannte Gründe. Bemerken dürfte man auch, dass nun ausschliesslich Farbfotos verwendet wurden, während in der Vergangenheit noch viel mit Schwarzweiss-Abbildungen gearbeitet wurde.
Nicht auf den ersten Blick auffallen dürfte, dass die Zahl der notierten Transaktionen innert eines Jahres von 8431 auf 10’737 angestiegen ist, das sind 27 Prozent Zuwachs!
Weil der Gesamtumfang nicht wesentlich ansteigen sollte, mussten daher ein paar Dinge weggelassen werden. So reduzierte sich die Anzahl der Fotos, aber auch die durchaus interessanten Preisentwicklungen einzelner Fahrzeugexemplare (Chassisnummer) über 30 Jahre blieben auf der Strecke. Damit kann man aber leben.
Interpretationen und Gedanken
Während wohl kaum jemanden den Datenteil ab Seite 78 Zeile um Zeile lesen wird, sind die ersten gut 70 Seiten durchaus eine Lektüre wert. So sind die Marktperspektiven der Leiter/Vertreter der wichtigsten Auktionshäuser (Artcurial, Barrett-Jackson, Bonhams, Broad Arrow, Gooding & Company, H&H, RM/Sotheby’s) spannend. Die erfahrenen Versteigerer widersprechen sich zwar kaum, betonen in ihren Ausführungen aber doch recht unterschiedliche Dinge.
Der Kanon insgesamt dürfte sein, dass die Live-Auktion weiterhin ihren wichtigen Platz im Markt behält, dass reine Online-Auktionen weiter an Bedeutung zunehmen dürften und dass wir uns im Moment eher in einem Abschwung als Aufschwung befinden.
Im zweiten Teil lässt uns dann Buchautor Adolfo Orsi an seinen Gedanken zur aktuellen Marktentwicklung teilhaben. Er tut dies mit vielen Grafiken und Auswertungen, die zeigen, dass der Gesamtumsatz und die Anzahl Fahrzeuge ansteigen, während der Anteil der Autos, die verkauft werden konnten, im Vergleich zum Vorjahr erheblich zurückgegangen ist, sich aber in etwa auf dem Niveau der Jahre 2018 bis 2021 bewegt.
Zurückgegangen ist auch der erzielte durchschnittliche Verkaufspreis pro Wagen, obwohl mehr Autos für über eine Millionen verkauft werden konnten als im Vorjahr. Der Anteil an Autos, die ohne Mindestpreis angeboten wurden, lag leicht über dem Vorjahr und am oberen Ende der Schwankungen der Vorjahre.
Ferrari ist weiterhin die umsatzstärkste Auktions-Marke, gefolgt von Porsche, Ford (!) und Mercedes-Benz. Die beste Verkaufsquote erreichten aber Marken wie Plymouth, Dodge, Chevrolet oder Ford. Im Schnitt waren die Autos, die in den letzten 12 Monaten versteigert wurden, etwas älter als jene im Jahr zuvor.
Bereits im Vorjahr war die Menge der Autos im Youngtimer-Alter oder jünger stark angestiegen, dieser Trend setzte sich im Zeitraum September 2022 bis August 2023 fort, wobei die “Neoklassiker” stärker zulegten als die Youngtimer. Orsi hat dafür auch eine Erklärung: Moderne Hypercars, Superportwagen und Kleinserien-Erzeugnisse werden oft als Investition gekauft, aber kaum gefahren. Mit den steigenden Zinsen und den ganzen Unsicherheiten im Weltgeschehen, wollen nun viele dieser “Movable Assets” wieder verkauft werden. Im Vergleich zu Vorkriegsautos oder Klassikern der Fünfziger- bis Siebzigerjahre ist der Verkauf unkompliziert. Weder braucht man eine lange Geschichtsforschung, noch gibt es grosse Probleme mit fehlenden Dokumenten oder fragwürdigen Zustandsbewertungen. Daher lassen sich gerade diese jüngeren Autos auch problemlos online auf Plattformen wie Bring-a-Trailer oder Bonhams-Online verkaufen.
Viele Statistiken
Rund die Hälfte des einleitenden Teils wird für unterschiedlichste Statistiken genutzt. Interessant dabei sind beispielsweise die Marken-Statistiken über 30 Jahre, die zeigen, wie sich Verkaufsquoten und die durchschnittlich erzielten Preise für Autos eines Herstellers entwickelt haben. So wurden 1993 für einen Porsche im Schnitt USD 20’777 bezahlt, 2022/23 waren es USD 273’340, also glatt das Zehnfache.
Nicht fehlen durften in der 28. Ausgabe des Classic Car Yearbooks natürlich die Preisentwicklungen einzelner Modelle. Wer sie sich genau betrachtet, wird erkennen, dass fast alle Superklassiker in der neuesten Betrachtungsperiode an Wert verloren haben. Ausnahmen sind der Porsche 959, der Ferrari 275 GTB/4, der Ferrari Daytona und die Dino-Modelle 246 GT/GTS. Bei fast allen Autos sieht man den Peak im Jahr 2016, auf den ein Abschung und ein weiterer Anstieg im Jahr 2021/22 folgte.
Ausführlich werden wie in jeder Ausgabe die teuersten zehn Autos der Untersuchungsperiode porträtiert.
Und ganz hinten im Buch finden sich dann die Top-5 seit 1993, die zeigen, dass interessante Autos schon immer wertvoll waren, dass es aber vor 30 Jahren noch reichte, einen Verkaufspreis von einer halben Million zu erzielten, um in die Top-5 zu gelangen.
Am Schluss werden dann zur Erinnerung nochmals die 20 teuersten an Auktionen gehandelten Autos von 1993 bis 2023 aufgeführt. Mit dem Verkauf des Ferrari 330 GTO (Chassis 3765GT) von RM/Sotheby’s in New York im November 2023 wird sich gerade diese Aufzählung wohl nochmals verändern.
Die Transaktionen
Wie bereits angetönt, umfasst der reine Datenteil etwa vier Fünftel der verfügbaren Seitenzahlen. Über 10’000 Autos werden Kurzbeschreibung (inkl. Chassisnummer), Schätzwert, wenn verfügbar), Verkaufspreisen und Auktionshaus/Datum) gelistet. Orsi beschäftigt dafür permanent drei Leute! Er verzichtet bewusst auf die Angabe von Höchstgeboten bei nicht verkauften Wagen, well er sie für eine Verfälschung des Marktes hält.
Mit EUR 100 / CHF 98 ist das neue Jahrbuch kein Billigangebot. Aber wo findet man sonst einen derartigen Datenreichtum und Interpretationen des aktuellen Markts in derartig konzentrierter Form? Wer sich die früheren Ausgaben kaufte, wird sich auch den 28. Band beschaffen. Wer noch nie in das Buch reingeschaut hat, sollte es vielleicht gerade dieses Jahr tun, denn das Werk offeriert mit Daten und Interpretationen einen tiefen Einblick in die investitionsgetriebenen Aspekte des Oldtimerwesens. Und bei Orsi sind selbst die Werbeseiten einen zweiten Blick wert.
Bibliografische Angaben
- Titel: The Classic Car Auction Yearbook 2022 - 2023
- Autor/Editor: Adolfo Orsi
- Sprache: Englisch
- Verlag: Historica Selecta SRL
- Auflage: 1. Auflage Oktober 2023
- Format: Gebunden, 24,3 x 31,5 cm
- Umfang: 420 Seiten, 738 Farbfotos und 94 Grafiken
- Preis: EUR 100 / CHF 98
- ISBN: 978-88-96232-15-6
- Kaufen/bestellen: Online bei BM Classics oder bei anderen von Historica Selecta empfohlenen Buchhändlern


















































































Kommentare