Als das Automobil in Deutschland seinen Exotenstatus verloren hatte, wurde es zum Spiel- und Sport- und Repräsentationsgerät der Reichen, vornehmlich des Adels. Viele davon betrieben semiprofessionell Motorsport. Einst nannte man solche Leute Herrenfahrer: Carl Max von und zu Sandizell war einer davon. Als Protagonist der deutschen Motorsport-Szene in der Vorkriegs- wie in der Nachkriegszeit würdigt ein Buch das Leben und Wirken des langjährigen AvD-Sportpräsidenten.
Ins Herrenfahrerleben hineingeboren
Graf von und zu Sandizell wird am 4. Oktober 1895 geboren. Er ist das einzige Kind von Wanda Gräfin Lamberg und Carl Theodor Cajetan Maximilian Maria Graf von und zu Sandizell. Als Soldat im Ersten Weltkrieg kommt Graf Sandizell mit dem neumodischen Automobil in Berührung. Diese Begegnung hat nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht. Seitdem spielt das Auto und dessen Umfeld eine bedeutende Rolle in seinem Leben.
Bereits in den 20er Jahren nimmt er an Schönheitskonkurrenzen mit vorausgehenden Sternfahrten teil. In den 30er Jahren wird er Geländesportfahrer im Team der Auto Union. Und tritt auch für BMW an. Nachdem Krieg gehört er zu den Neugründungsvätern des AvD (Automobilclub von Deutschland), indem er als Sportpräsident die erste Nachkriegsdekade national wie international prägt.
Eine Würdigung in Buchform
Der renommierte Automobilhistoriker Erik Eckermann hat für den AvD diese Würdigung über dessen ehemaligen Sportpräsidenten in Buchform gebracht. Eckermann konnte dabei auf das umfangreiche Familienarchiv zurückgreifen und somit eine Chronologie über das Leben und Wirken von Carl Max von und zu Sandizell zusammenstellen. Durch die teils reich bebilderten Geschichten entsteht so ein Einblick in das öffentliche Leben eines Adeligen, der sich dem Motorsport verschrieben hat.
Kenner werden erfreut die Geländesporteinsätze für die Auto Union verschlingen, die hier m.W. zum ersten Mal – wenn auch nur rudimentär – aufgearbeitet sind. Der Autor lässt neben dieser persönlichen Chronologie stets die ordnende Zeitgeschichte einfliessen. Das vermittelt dem Leser unmittelbar einen Bezug zu Tun und Handeln und vermittelt zwischen Biografie und Historie.
Spannende Einblicke
Manfred von Brauchitsch, Huschke von Hanstein, Wolfgang Graf Berghe von Trips, Motorsport in Deutschland war über Generationen auch ein Sport des Deutschen Adels. Im Gegensatz zahlreicher Biografien über diese adlige Sportelite gelingt es Eckermann in seinem Buch ein sehr persönliches Bild über das Leben und Wirken von Graf Sandizell zu zeichnen. Trotz oder gerade wegen des sehr chronologischen Abrisses nähert sich der Autor den Lebens- und Zeitumständen seines Protagonisten an.
Für den Leser eröffnet sich so ein spannender Einblick in das Leben, Wirken und die motorsportliche Karriere eines Mannes, der nur wirklich eingeweihten Motorsportenthusiasten ein Begriff ist. Als kurzer Exkurs sei hier nur erwähnt, dass Graf Sandizell aufgrund seiner Rallye-Einsätze für die Auto Union in den 1920er- und 1930er-Jahren eng und freundschaftlich mit der AU-Führungsetage verbunden war. Diese Verbundenheit machte das bekannte Wasserschloss Sandizell letztlich zur Keimzelle bei der Neugründung der Auto Union in Bayern nach 1945.
Bereits während des Krieges hatten die Führungskräfte der sächsischen Auto Union AG, Konstruktionspläne auf das gräfliche Schloss ins sichere Bayern verfrachtet. Auto Union Vorstand Carl Hahn und seine Familie mit dem Sohn und späteren Volkswagen Vorstand, Carl Horst Hahn flüchteten zum Kriegsende nach Bayern auf Schloss Sandizell. Hier liefen die Fäden der Führungskräfte zusammen und das hatte massgebliche Einfluss auf die Neugründung und Wiederbeginn in Ingolstadt mit der gesamten Nachkriegsgeschichte der Audi AG bis heute.
Ein Leben, zwei Lebensweisen
Die Zeit vor dem 2. Weltkrieg ist Sandizell begeisterter und erfolgreicher Geländesportfahrer. Für die Auto Union nimmt er an den zahlreichen Geländesportfahrten erfolgreich teil. Darunter auch die internationalen Alpenfahrten sowie die Langstreckenrally Lüttich-Rom-Lüttich. Nach dem Krieg gehört er zu den Gründungsvätern des AvD, dessen Sportpräsident er wird.
Eine Tätigkeit, bei der er die internationale Anerkennnung Deutschlands wiedererlangt und zahlreiche Ehrungen erhält. Der AvD ist neben dem ADAC der ältere der beiden deutschen Automobilclubs. Ganz sicher ist er der Elitärere Verein, stets mit einer Ausnahme unter adeliger Präsidentschaft und wohl auch getragen von deren elitären Idealen.
Ein lohnender Blick zurück
Erik Eckermann schafft es auf über 220 Seiten seine akribische Recherche in eine lesenswerte Biografie und Chronologie zu bringen. Die teilweise reich bebilderten Geschichten vermitteln einen unmittelbaren Zugang zu einer Lebenswelt wie sie in Deutschland zumindest in der Elite nicht so selten gewesen sein wird. Dass dabei aus dem Familienalbum auch Bilder aus eher privater Perspektive Eingang ins Buch finden, verschafft dem Leser Zugang zum Selbstverständnis einer Gesellschaftsschicht aus denen sich eben die Kaste der Herrenfahrer speiste.
Deutsche Gesichte der ersten Hälfte des 20 Jh. bedeutet auch immer der Zeitgeschichte einen kritischen Blick zu widmen. Oberflächlich nimmt Eckermann dies auch ernst. Aber das Buch ist kein Geschichtsbuch, als Würdigung wird hier eine positive Narration gewählt. Besonders interessant sind zwei Erzählstränge des Buches: Zum Einen die motorsportlichen Einsätze des Grafen für die Auto Union mit zum Teil unbekanntem Bildmaterial, zum Anderen das gräfliche Engagement im AvD nach dem Krieg auf internationalem Parkett. Sicher ein Buch für Leser, die vertieft in die Geschichte des deutschen Motorsports einsteigen möchten. Dann aber umso unverzichtbarer.
Bibliografische Angaben
- Titel: Carl Max Graf von und zu Sandizell und seine Zeit
- Autor: Erik Eckermann
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Heel, 1. Auflage 2017
- Format: Gebunden mit Schutzumschlag, 240 x 320 mm
- Umfang: 224 Seiten, zahlreiche s/w-Bilder
- ISBN: 978-3-958–43516-2
- Preis: € 49,95
- Leseprobe: auf der Website von Heel
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Nun mag ich aber noch meine persönliche Meinung zu Ihrem Kommentar loswerden. Mir kommt das ein wenig klassenkämpferisch vor, fast schon wie ein antifaschistisches Mantra aus einem Ministerium der ehemaligen DDR. Vielleicht liege ich damit auch falsch. Aber ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass hier so ein flauer Antifaschistenton mitschwingt, der ein Buch deshalb angreift, weil es eben die von Ihnen angesprochenen Punkte ausreichend würdigt.
Es ist Ihr gutes Recht in einer freiheitlichen Ordnung sowas zu empfinden und sogar festzustellen und zu äussern. Wer allerdings so viel Meinung kundtut wie sie, sollte dass vielleicht nicht unter einem Pseudonym tun. Das wirkt ein wenig wie solch ich sagen, feige.
In diesem Sinne, weiterhin gute Fahrt
Holger Merten