Frankreich ist das Mutterland des Automobilrennsports. Das erste grosse Autorennen fand in Frankreich statt. Französische Rennwagen waren bis in die Dreissigerjahre immer wieder sehr erfolgreich. Man denke nur an die jahrelange Dominanz des Bugatti 35. Gegen die politisch geförderten Mercedes-Benz und Auto Union in Deutschland sowie Alfa Romeo in Italien geriet man aber zunehmend ins Hintertreffen. Das Projekt, in Frankreich in den Dreissigerjahren ebenfalls einen Nationalrennwagen zu schaffen, scheiterte kläglich.
Nach dem Weltkrieg hielten Gordini und Talbot die blaue Fahne hoch. 1956 nahm Bugatti in seinen letzten Zügen einen gewaltigen Anlauf mit dem revolutionären Typ 251 (u. a. Zentral-Quermotor, De-Dion-Achsen vorne und hinten), scheiterte aber beim Debüt in Reims und verschwand von der Bildfläche.
Kaum bekannt ist ein technisch hochkarätiges Projekt, das drei Jahre vor dem Bugatti entwickelt wurde und das Potential gehabt hätte, Frankreich wieder an die Spitze der Rennwagentechnik zu bringen, aber letztlich leider aus finanziellen Gründen nie auf die Strecke kam: der Sacha-Gordine.
Alles neu
Während visionäre Projekte oft doch die eine oder andere Komponente wie etwa den Motor von irgendwoher übernahmen, war beim Sacha-Gordine wirklich alles neu: Chassis, Motor, Kühlung, Aerodynamik und sehr tiefer Schwerpunkt.
Weil der russische Filmproduzent Prinz Sacha Alexander Gordine Gregorieff bei Gordini und Ferrari mit seinen Kundenwünschen als Fahrer abgeblitzt war, beschloss er die Sache selbst in die Hand zu nehmen und einen revolutionären Formel-1-Wagen zu bauen. Er engagierte zwei Ingenieure: den Italiener Cesare Vigna (ehemals im Konstruktionsbüro Porsche, bei Alfa Romeo und Gordini), der einige Gordini-Mitarbeiter mitbrachte, sowie den britischen Motorenspezialist Naris Edward Perkins.
Man machte sich an die Arbeit und zeichnete in nur 54 aufeinanderfolgenden Tagen und Nächten 2000 Pläne für das Auto. Als 1951 mit dem Bau begonnen werden konnte, zog man in Neuilly-sur-Seine in Werkräume ein, die früher Bugatti benutzt hatte. Alles wurde mit qualitativ hochwertig und ohne Rücksicht auf die Kosten realisiert. Unter anderem kam sehr viel Magnesium zum Einsatz.
Sacha Gordine stellte ein Kapital von 250 Millionen alten Francs bereit (damals über eine Million Schweizer Franken). Leider sollte dieses Geld wie oft bei solchen Projekten schneller dahinschmelzen als erwartet, und Gordine musste 1953 so plötzlich den Stecker ziehen, wie er das Projekt gestartet hatte.
Das erinnert ein wenig an die Geschichte des Cisitalia 360 von Porsche: 1948 finanziert von Carlo Dusio und dann aus finanziellen Gründen ebenso abrupt abgebrochen. Auch von der Konstruktion her her gibt es auf den ersten Blick Ähnlichkeiten. Aber der Sacha-Gordine hatte einen noch tieferen Schwerpunkt und eine noch kleinere Querschnittsfläche.
Chassis
Das Chassis hingegen war konventioneller als beim Cisitalia, nämlich ein Leiterrahmen mit zwei Längsrohren von grossem Durchmesser aus Chrom-Molybdän-Stahl und mit fünf Quertraversen. Eine leichte Rohrkonstruktion trug die Karosserie.
Fahrwerk
Die vordere Aufhängung mit je zwei kurzen Längslenkern, die auf querliegende Drehstäbe wirkten, folgte auf den ersten Blick dem Cisitalia 360. Die Längslenker waren aber kürzer und steifer, und vor allem lagen sie in der Vertikalen weiter auseinander, was die Seitenstabilität verbesserte.
Die Hinterachse war eine klassische De-Dion-Konstruktion, das Achsrohr aus Magnesium. Vertikal geführt wurde es in einer Gleitbahn am Differentialgehäuse, längs über zwei aufwendig gegossene, gelochte Magnesium-Längslenker. Der Radstand war mit 258 cm sehr lang (man machte also nicht denselben Fehler wie drei Jahre später beim Bugatti 251 mit nur 220 cm). Die Spur war vorne 1335 mm und hinten 1320 mm, und das Gewicht betrug ca. 680 kg.
Die Zahnstangenlenkung war eine Neuentwicklung. Die Untersetzung konnte leicht den Streckenverhältnissen angepasst werden, und die Geometrie war so ausgelegt, dass die Lenkung über den gesamten Einschlag präzise blieb.
Motor
Im Gegensatz zum Cisitalia mit seinem 180-Grad-V12 erhielt der Sacha-Gordine einen 90-Grad-V8 mit ursprünglich 1,5 Litern Hubraum für die damals aktuelle Formel 1 (aufgeladen). Durch Aufbohren brachte man ihn auf zwei Liter (für die aktuelle Formel 2). Er erreichte mit vier Doppelvergasern und Magnetzündung von Vertex-Scintilla ohne Aufladung 191 PS bei 8000 Umdrehungen pro Minute. Ein Trockensumpf-System sorgte für die gemeinsame Schmierung von Motor und Antriebsgruppe. Das Kurbelgehäuse und der Motorblock waren aus Magnesium, die nassen Zylinderbüchsen aus Chrom-Nickel-Stahl.
Die Kühlung – ein Alleinstellungsmerkmal
Was ist daran so revolutionär anders? Erstens sind es zwei getrennte Kühler links und rechts. Zweitens wird die Abluft gezielt über zwei Kanäle seitlich hinter den Vorderrädern abgeführt. Und drittens wurde als Kühlmittel nicht Wasser, sondern Ethylen-Glykol mit einem Siedepunkt von 197 Grad verwendet, das dank zwei starken Pumpen (200 Liter pro Minute) zirkulierte. So konnte die Kühlerfläche kleiner gehalten werden. Der Ölkühler lag vor dem rechten Wasserkühler.
Die äussere Ähnlichkeit des Sacha-Gordine mit dem Formel-1-Ferrari von 1961 mit den beiden "Nasenlöchern" täuscht, weil bei diesem dahinter nur ein einziger konventioneller Kühler zu finden war. Hingegen hat später Gordon Murray beim Brabham BT44 zwei getrennte Kühler vor der Vorderradaufhängung placiert, wo die Luft ebenfalls einigermassen ungehindert abfliessen konnte, sich also nicht unter der Karosserie staute, was erstaunlicherweise bis in die Sechzigerjahre hingenommen wurde.
Besonders interessant: Das Thema Kühlung wurde nicht nur für den Motor grundlegend durchdacht, sondern auch für die besonders grossen Trommelbremsen, die eine Belüftungshutze erhielten (wie sie heute in der Formel 1 eine wichtige Rolle auch für die Aerodynamik spielen), sowie für die Entlüftung des Hecks mit einer Reihe von Öffnungen im Heckabschluss.
Antrieb
Mit einer Zweischeibenkupplung wurde die Kraft auf das quer unter dem Niveau der Antriebsachse liegende Fünfganggetriebe übertragen. Geschaltet wurde sequenziell über Klauenkupplungen. Den Abtrieb auf die beiden Halbwellen übernahm ein darüberliegendes ZF-Differential mit begrenztem Schlupf, das besonders gut zugänglich war und den schnellen Wechsel von Endübersetzungen ermöglichte.
Abruptes Unhappy-End
1952 zog die SAG (Société des Automobiles Gordine) nach Levallois-Perret um. Neue Werkzeugmaschinen wurden bestellt. Das Getriebe wurde in Pont-à-Mousson hergestellt; die Magnesium-Gussteile kamen aus Italien. Ende Jahr hatte die Firma 15 Mitarbeiter. Anfangs 1953 gab es im Werk einen Pressetermin. Dann war plötzlich Schluss. Gordine hatte Schwierigkeiten mit den Steuerbehörden, und die Unterstützung eines befreundeten Schweizer Bankiers reichte nicht, um Schulden von 90 Millionen Francs zu tilgen.
Ein fast fertiggebauter Wagen sowie zwei im Bau, ein halbes Dutzend Motoren und viele hölzerne Gussformen wurden nach dem Bankrott eingelagert. Später wurde das Material der französischen Shell übergeben. Danach verschwand alles spurlos. 1968 starb Sacha Gordine an einer Herzattacke. Seine Frau versuchte danach vergeblich, das Material wieder zu finden.
Kein Sacha-Gordine hat je an einem Rennen teilgenommen, obschon (oder vielleicht gerade weil?) der Schöpfer von Anfang an gross gedacht hatte – was bei einem ambitionierten Filmproduzenten ("Den Film mit dem Weltuntergang beginnen und dann langsam steigern") nicht allzu überraschend sein muss: Er sah gleich eine ganze Modellpalette vor: Formel-2- und Formel-1- Wagen sowie einen Zweisitzer mit zentralem Tank für Le Mans und einen Sportwagen mit einer Karosserie von Giovanni Michelotti.
Der Fall erinnert fatal an Roland Bugatti, glückloser jüngster Sohn des grossen Ettore, der nur drei Jahre später (1956) mit sechs Rennwagen vom Typ 251 in Reims debütieren wollte, schliesslich nur einen unausgereift an den Start brachte und dann mangels Kapital das Projekt sterben lassen musste. Immerhin sind im Gegensatz zum Sacha-Gordine zwei Wagen erhalten geblieben und stehen heute im Musée de l'Automobile in Mulhouse.
Achtung: Verwechslungsgefahr!
Der russisch-französische Filmproduzent Prinz Sacha Alexander Gordine Gregorieff stammte aus einer sehr alten russischen Familie und flüchtete 1917 vor der Oktoberrevolution nach Paris. wo er unter anderen mit französischen Stars wie Jean Gabin und Simone Signoret arbeitete. Er ist aber nicht mit dem französischen Rennwagenkonstrukteur Gordini verwandt.
Der Name Sacha wiederum ist nicht zu verwechseln mit dem von Porsche für Austro-Daimler gebauten Rennwagen namens Sascha, der 1922 einen Sieg in der kleinen Klasse der Targa Florio herausfuhr. Am Steuer sass Graf Alexander Josef Kolowrat, seines Zeichens Besitzer der Filmproduktion "Sascha" in Wien!



























































































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