Vor neunzig Jahren lieferten sich einige der besten Rennfahrer ihrer Zeit erstmals am Berninapass ein Rennen. Auf Staubstrassen - ohne Leitplanken - mit schwer beherrschbaren Fahrzeugen. Dafür mit Mut, Können und dem Erfindergeist der frühen Automobilsportjahre und vor allem mit viel Begeisterung.
Vor rund 90 Jahren zum ersten Mal
Das Automobilrennen auf dem Berninapass liegt weit zurück. In den Jahren 1929 und 1930 wurden die ersten zwei Rennen durchgeführt. Die Strecke war rund 16 km lang, startete nördlich von Poschiavo beim «Fulon» und endete auf dem «Baracon». Die erste Austragung wurde vom deutschen Piloten Hans Stuck mit einem Austro-Daimler, das zweite vom französischen Piloten Louis Chiron mit einem Bugatti T47 gewonnen. Im Puschlav hatte Chiron dank seinem waghalsigen Rennen aber auch mit seiner freundlichen Art die Herzen der Jungend erobert. Im Dorf sprach man von «Giron».
Man wusste schon damals: Um an die schönsten Plätze dieser Erde zu gelangen, war ein Automobil oder Motorrad hilfreich. So blieben das Engadin, das Puschlav, oder der Ort St. Moritz keine unerreichbaren Utopien, sondern erreichbare Ziele.
Mit Weitsicht haben die Verantwortlichen in der Region damals den Automobilverkehr erlaubt. Zu Ehren dieser Neuerung fand die St. Moritzer Automobilwoche statt, mit ihrem Höhepunkt, dem Berninarennen. Unmengen von Zuschauern säumten die Passstrasse, als die Asse des damaligen Rennsports um den Sieg kämpften. Damals wie heute bedeutete eine derargige Veranstaltung einen erheblichen Aufwand, planerisch wie finanziell.
Welchen Eindruck mag es damals auf die Menschen in der Region gemacht haben Die Geräusche der Motoren, die staubbedeckten Gesichter der Piloten? Wir wissen es nicht. Offenbar war das Spektakel so eindrucksvoll, dass über drei Generationen die Erinnerung daran lebendig geblieben ist - in der Region und bei den Enthusiasten.
Wiedergeburt
85 Jahre später gelang die erste Wiederaufnahme. Eine Veranstaltung, die es so eigentlich gar nicht geben dürfte: Weil es normalerweise unmöglich war, ein Bergrennen wie dieses nach acht Jahrzehnten Pause wieder aufleben zu lassen. Auf einer Hauptverkehrsader. Mit Grenzanbindung. Unter durchaus herausforderndem Wetter- und Logistikvorgaben.
Ein intensiver Dialog mit fantastischen Verantwortlichen in Verwaltung und Politik hat es schlussendlich ermöglicht, neben Kompetenz, Konzept und Fokussierung auf Sicherheit und Nachhaltigkeit. Jetzt, im fünften Anlauf, feierten wir das 90 Jahr-Jubiläum des Bernina Bergrennens.
Wo heute die Fahrer ihre Rennhandschuhe straff ziehen, dann ihre Visiere herunterklappen und die Wagen vor ihnen bis zum Start bei "La Rösa" zählen, wurden früher die Pferde von den Säumern vor dem letzten Aufstieg zum Pass gewechselt.
Fast wie damals
Beim ersten Rennen 1928 hiessen die beiden grossen Favoriten Louis Chiron und Hans Stuck. Zwischen ihnen beiden musste die Entscheidung um den ersten Berninarekord fallen. Der Franzose donnerte los - und landete schon nach zwei Kilometern in der Mauer. Kein Härchen wurde ihm dabei gekrümmt, aber ein Vorderrad ging in Trümmer. Was nichts anderes hiess, als dass Chiron, einer der Hauptanwärter auf den Titel des „Königs der Bernina“, auf der Strecke blieb. So stürmte Stuck den Berg auf der Jagd nach der höchsten Ehre. Und der verwegene Draufgänger schaffte es, schleuderte den blauen Austro-Daimler mit unheimlichem Tempo und unfehlbarer Sicherheit durch die Kurven. 14 Min. 58,4 Sek. verkündete der Lautsprecher. Stuck also wurde der Held des Tages, als erster trug er seinen Namen in die Liste der Berninarekorde ein.
Was es bedeutet, die Berninastrecke mit einem Durchschnitt von 66,4 km/h zu erledigen, das wissen voll und ganz nur jene zu würdigen, die Zeuge von Stucks atembeklemmender Fahrt waren.
Wie der Vater so (fast) der Sohn
Einer wollte es aber noch einmal ganz genau wissen und setzte sich in den Austro Daimler seines Vaters. Hans Joachim Stuck fuhr am Wochenende den Siegerwagen seines berühmten Vaters aus dem Jahr 1928 und zeigte grosse Begeisterung. Die Strecke ist heute wesentlich kürzer und natürlich asphaltiert, aber trotzdem bekommt man ein Gefühl, was die Fahrer damals leisteten.
Stuck erzielte mit dem 90 Jahre alten Wagen eine Zeit von 5:15.56. "Nur" zwei Minuten schneller war Ronnie Kessel im ex-F1-Rennwagen von Clay Regazzoni, dem Ensign aus dem Jahre 1976.
Bugatti alt und neu
Faszinierend war zu beobachten wie atemberaubend schnell Martin Halusa mit dem Bugatti 35 unterwegs war und wie langsam sich im Vergleich der moderne Bugatti Chiron zeigte.
Leider liegen vom Chiron keine Zeiten vor, doch die 4:06,15 von Halusa im T35 erscheinen schlichtweg sensationell.
Diesmal passte alles
Die Veranstaltung zeigte sich von seiner allerbesten Seite. Wetter passte und das Fahrzeugaufgebot war absolut sehenswert.
Mit einer eigenen Vorkriegsklasse à la Klausen könnte man den Event vielleicht noch etwas mehr in die Nähe der ruhmvollen Vergangenheit rücken. Mit den maximal 80 Autos ist der Terminplan aber nicht masslos überstrapaziert, die Piloten kommen zum Fahren und es gibt auch genug Zeit um die notwendigen logistischen Probleme, wie Postauto-Fahrten usw, zu lösen.
Die einzigartige Kulisse in der Bergwelt der Bernina-Gegend kombiniert mit den sensationellen Formen alter Rennwagen und dazu noch der von den gegenüberliegenden Bergketten zurückgeworfenen Sound der Motoren sind allemal eine Reise ins Engadin wert.
Passt das Wetter wie am vergangenen Wochenende, so weiss man wirklich nicht was man denn lieber fotografiert: die Autos oder die Bergwelt.
Echter Motorsport
Im Gegensatz zu vielen anderen “Bergrennen” wird am Berninapass echter Motorsport organisiert, d.h. es wird auf Bestzeit gefahren.
Am schnellsten schaffte dies am 21./22. September 2019 Ronnie Kessel im F1-Ensign von 1976, der in der Addition von zwei Läufen auf 6:32.65 kam, gefolgt von Florian Feuster im Porsche 911 2.3 SR, der die zwei schnellsten Läufe in zusammen 6:53,50 absolvierte.
Dritter wurde Thomas Kern in der Shelby Cobra, Vierter Lukas Halusa im Ferrari 250 GT Breadvan. Angesichts der vielen Rennklassen/-perioden gab es natürlich fast für jeden der 13 Competition-Teilnehmer einen Klassensieg zu feiern.
In der Gleichmässigkeitswertung siegten Stuck, Carmenisch, Rosetti, Zeriali, Wildbolz, Nuener, Magnussion, Schwarzenbach, Roberts, Bonetsmüller, Seidl und Siccardi in ihren jeweiligen Klassen. Die Abweichungen waren aber teilweise erheblich, weil die Piloten es halt doch lieber tüchtig fliegen liessen, anstatt möglichst gleichmässige Zeiten zu fahren.
































































































































































































































































































































































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