Als der Renault Domaine Ende 1956 erschien, war sein Schöpfer schon tot. Pierre Lefaucheux, seit der Verstaatlichung im Januar 1945 Direktor der Renault-Werke, war am 11. Februar 1955 mit seinem Renault Frégate verunglückt – jener Mittelklasse-Limousine, deren Fürsprecher und Wegbereiter er Zeit seines Amtes gewesen war und deren Ableger mit kombinationsstarkem Hinterteil erst mit sechs Jahren Verspätung erschien.
Obgleich Vorantreiber des Projektes, war Lefaucheux keineswegs der Initiator. Bereits 1943 war auf Basis des Primaquatre ein Prototyp für einen neuen "Grossen Renault" als Konkurrent für den Citroën 11 CV entstanden, den aber ironischerweise die Befreiung Frankreichs verhindert hatte, da das Werk bei einem alliierten Luftangriff zerstört worden war. Der Tod von Louis Renault im Oktober 1944 besiegelte dann das vorläufige Ende.
Nach dem erfolgreichen Debüt des heckgetriebenen 4 CV griff Pierre Lefaucheux die Idee des grossen "Renault 11 CV" jedoch wieder auf. Nachdem das Heckmotor-Prinzip sich als für die Mittelklasse untauglich erwiesen hatte, sollte "Projekt 110" ab Herbst 1949 in Standardbauweise ausgeführt werden, allerdings mit selbsttragender Karosserie anstelle eines Leiterrahmens wie beim Vorläufer aus Kriegstagen. Neben einem unberechenbaren Fahrverhalten und schlechter Motorkühlung waren es letztlich der zu kleine Kofferraum und der zu enge vordere Fussraum, die gegen "Projekt 108" nach Tatra-Vorbild gesprochen hatten.
Ziel der Ingenieure um Fernand Picard war, das üppigere Platzangebot eines Frontmotorwagens mit der strömungsgünstigen Form des Heckmotor-Prototypen zu verbinden, weshalb die Entwicklungsmannschaft ungewöhnlich viel Zeit im Windkanal verbrachte. Am Ende stand eine Form, die zumindest als verkleinertes Modell ohne Stossfänger und Kühlluftöffnung einen beeindruckend niedrigen cw-Wert von 0,243 aufwies.
Fortschrittlich verfrüht
Verantwortlich für die äussere Gestaltung des Renault 11 CV war Robert Barthaud, der bei seinem Entwurf der neuesten Karosseriemode aus den USA folgte. Von Studebaker 1947 eingeführt und 1949 von den "Grossen Drei" übernommen, war Renault in Frankreich ein Vorreiter der Pontonform mit in den Karosseriekörper integrierten Kotflügeln. Der Peugeot 203 präsentierte sich noch ganz im "Fat-Fender"-Stil der Vierziger; der Citroën 11 CV trug nach wie vor ungeniert sein Dreissigerjahrekleid. Allenfalls der Ford Vedette zeigte ähnlich geschmeidige Linien wie der Renault, wirkte mit seinem buckligen Stromlinienheck aber auch schon ein wenig angestaubt.
Im Untergeschoss gab sich der neue Renault ähnlich fortschrittlich. Doppelte Dreieckslenker und Schraubenfedern hatten sich an den Vorderachsen dieser Welt bereits etabliert. Die Hinterachse mit Einzelradaufhängung an Längslenkern und Schraubenfedern ging jedoch über den Gebrauchswagen-Standard dies- wie jenseits des Atlantiks weit hinaus, wo meist noch starre Achsrohre an Längsblattfedern hingen. Zur Reduzierung der ungefederten Massen war das Differential elastisch am Wagenboden aufgehängt.
In der Etage zwischen Karosserie und Fahrwerk ging es dagegen längst nicht so modern zu. Der dreifach Gelagerte Vierzylinder des Renault Primaquatre wurde lediglich im Kolbenhub von 105 auf 88 Millimeter verkürzt, woraus sich bei unveränderten 85 Millimetern Zylinderbohrung ein Hubraum von 1996 Kubikzentimetern ergab. Mit einer Verdichtung von 6,6:1 war das betagte OHV-Triebwerk nach SAE-Norm zu 58 PS bei 4200 Umdrehungen pro Minute fähig, was die 1360 kg schwere Limousine bis zu 130 km/h schnell machte.
Leider hatte man es bei Renault eiliger als der Entwicklung guttat. Im Juli 1950 wurde der erste Prototyp auf Testfahrt geschickt, am 30. November 1950 das fertige Auto namens "Renault Frégate" im Pariser Palais de Chaillot einer Schar von 6000 geladenen Gästen präsentiert. Mit Betonung auf das fertige Auto, denn mehr als dieses eine Exemplar existierte von dem neuen Modell noch nicht. Die ersten 42 Vorserienfahrzeuge entstehen zwischen Februar und Mai 1951 und werden Mitarbeitern zur Erprobung überlassen. Entsprechend ihrer Frühgeburt als Versuchsträger sind sie natürlich noch nicht in allen Punkten fehlerfrei, was allerdings die Presse mitbekommt und so den Ruf des neuen Renault noch vor Markteinführung ruiniert.
Die zieht sich bis zum Pariser Salon im Oktober 1951 hin, wo erstmals auch das gemeine Volk den neuen Renault leibhaftig zu Gesicht bekommt. Unterdessen tröpfeln die ersten Serien-Frégate aus dem Stammwerk Billancourt. Grosse Stückzahlen sind aber nicht möglich. Es fehlt schlicht der Platz. In Flins-sur-Seine östlich von Paris hatte man 1947 mit dem Bau einer neuen Fabrik für die neue Mittelklasse begonnen, deren Vollendung aber noch ein weiteres Jahr auf sich warten liess. Erst am 2. Oktober 1952 kann die Frégate-Fertigung in Flins wirklich Fahrt aufnehmen.
Dafür ist der Zweiliter-Renault mit dem Beginn des neuen Modelljahres in zwei verschiedenen Versionen erhältlich: als gut ausgestattete Frégate Amiral mit serienmässigen Nebelscheinwerfern und Weisswandreifen sowie als einfachere Frégate Affaires, deren Ausstattung sich auf das Nötigste beschränkt.
Die Frégate für den Gutsherrn
Das (Modell)Jahr 1955 war das einschneidenste in der Geschichte des Renault Frégate, das mit der Einführung eines verbesserten Motors eigentlich vielversprechend begonnen hatte. Dank der auf 7:1 erhöhten Verdichtung und Gaskanälen mit rundem statt viereckigem Querschnitt raffte sich der Zweiliter-Vierzylinder nun zu 65 SAE-PS auf. Der neue Generaldirektor Pierre Dreyfus jedoch mochte die grosse Ponton-Limousine nicht besonders und scheute grössere Investitionen in ihre Modernisierung. Er sah Renaults Zukunft in kleineren Autos und bevorzugte die Dauphine als Heckmotor-Schwester des 4 CV.
Unterdessen hatten Peugeot mit dem 403 und Simca mit der Vedette stilistisch aufgeschlossen und zum Überholen angesetzt. Citroën würde im Herbst mit der DS gar um 20 Jahre vorauseilen. Der einst so unerhört modern aussehende Renault war plötzlich von gestern. Trotzdem wurde 1955 mit 50'590 gebauten Autos zum erfolgreichsten Jahr der Frégate. Als im Oktober 1956 auf dem Pariser Salon die Kombi-Ausführung namens Renault Domaine ("Landgut") vorgestellt wurde, beachtete sie niemand. Zu sehr zog das futuristische Etwas, das sich auf dem Citroën-Stand drehte, die Augen der Besucher und die Linsen der Fotografen auf sich.
Da er als Nutzfahrzeug eher praktisch als schön sein muss, basiert der Domaine auf der ehemaligen Frégate Affaires, die sich nun "2 Litres" nennt. Im Gegensatz zu ihr ist der Kombi jedoch mit dem auf 2,2 Liter vergrösserten "Étendard"-Motor ausgerüstet, der 77 SAE-PS bei 4000 Umdrehungen pro Minute leistet. Auch Frégate Amiral sowie das neue Luxusmodell "Grand Pavois" lassen sich von ihm antreiben.
Renault bewirbt den Domaine als ein Mehrzweckfahrzeug, das sich gleichzeitig sowohl für das Gewerbe als auch für den Familienurlaub eignet. Mit Platz für sechs Personen oder 600 kg Zuladung und bis zu 2000 Liter Stauraum ist der grosse Renault fast jeder mittelständischen Transportaufgabe gewachsen, ohne dabei auf ein gepflegtes Äusseres zu verzichten. Für kurze Zeit ist Renault mit dem einzigen französischen Kombi im modernen Ponton-Gewand wieder der Vorreiter – bis im Jahr darauf Simca Marly und Peugeot 403 Break erscheinen und der Domaine erlebt, was zuvor schon die Frégate erlebt hat. Der konservative Peugeot ist robuster, der amerikanische Simca schicker. Und der Renault sitzt wieder einmal zwischen den Stühlen.
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Automatisiert ans Ende
Als 1957 als bürgerliche Alternative zur DS die ID erscheint, wildert Citroën nun auch im Revier der Frégate 2 Litres, die wieder einmal den Namen gewechselt hat und in ihrem letzten Jahr "Caravelle" heisst. Renault kontert mit einem vollsynchronisierten Getriebe, wodurch sich das Schema der Lenkradschaltung verändert. Zum Modelljahr 1958 gönnt Pierre Dreyfus der Frégate erst- und letztmalig eine grosse technische Neuerung. Mit dem Namenszusatz "Transfluide" ist die Limousine nun erstmals mit halbautomatischem Getriebe erhältlich. Besonderheit der Konstruktion ist der hydraulische Drehmomentwandler, der die sonst übliche, mechanische Fliehkraftkupplung ersetzt.
Theoretisch lässt sich die Frégate so auch ausschliesslich im dritten Gang fahren, allerdings bei erheblichem Temperamentsverlust und variomaticmässig konstanter Drehzahl, bis die Einkuppelgeschwindigkeit erreicht ist. Eine Leistungssteigerung auf 80 SAE-PS durch eine auf 7,5:1 angehobene Verdichtung sorgt dafür, dass die Frégate Transfluide dabei gegenüber der manuell geschalteten Version nicht allzu alt aussieht. Wenngleich ihr die mechanische Viergang-Schwester trotzdem noch davonfährt.
Mit dem Citroën ID 19 Break erscheint Ende 1958 ein weiterer Konkurrent für den Frégate-Kombi. Die Régie Nationale bläst zum Gegenangriff und lanciert für das Modelljahr 1959 den Renault Manoir ("Herrenhaus"), einen Domaine mit der gehobenen Amiral-Ausstattung samt vollständigem Chromschmuck und serienmässigem Transfluide-Getriebe samt stärkerem Motor. Mit DM 11'130 war der Luxuskombi in Deutschland allerdings rund 2000 Mark teurer als das reguläre Modell. In der Schweiz fiel der Aufpreis mit SFr 12'150 zu 10'950 nicht ganz zu happig aus.
Nachdem die Verkaufszahlen seit 1955 kontinuierlich zurückgegangen waren, fielen die Verkäufe für 1959 erstmals unter 10'000 Exemplare. Technisch – vom Motor einmal abgesehen – durchaus noch konkurrenzfähig, war die knubbelige Karosserie mit ihren aufgesetzten hinteren Kotflügeln endgültig von der Mode überholt worden. Der im Mai 1960 präsentierte Peugeot 404 mit Trapezlinie zeigte das deutlich. Renault ersparte seinem Flaggschiff die Schmach der direkten Gegenüberstellung. Am 18. April 1960 endete die Frégate-Produktion nach 180'463 Exemplaren. Pierre Dreyfus wird die Entscheidung nicht schwergefallen sein. Er blieb seiner Kleinwagen-Linie bis zu seiner Pensionierung 1975 treu. Erst mit dem Renault 21 Nevada brachte die Régie Nationale unter Bernard Hanon wieder einen Kombi mit mehr als zwei Litern Hubraum auf den Markt.
Hübschgemacht für die Gegenwart
Ausserhalb seines einstigen Konkurrenzumfelds fällt eine objektive Beurteilung des Renault Domaine sicherlich leichter. Und modische Aktualität spielt bei einem 66 Jahre alten Auto ohnehin keine Rolle mehr. Zweifarbenlackierung trug indes selbst der Manoir nie. Nur die Frégate Grand Pavois durfte sich ab Werk derart herausputzen.
Die Sitzposition ist typisch für die Fünfzigerjahre: aufrecht und mit angewinkelten Armen. Aber nur so bekommt man die Frégate mit der berüchtigt schwergängigen Lenkung um die Kurve. Der Schalthebel, der rechts hinter dem Lenkrad aus der Lenksäule wächst, zeigt sich gelegentlich etwas unentschlossen. Macht aber nichts, denn der Motor ist so elastisch, dass man im Zweifelsfall einfach den nächsthöheren Gang einlegt. Bis hierhin fährt sich der Domaine im Prinzip wie jedes andere konventionell gebaute Auto der Fünfziger: gemütlich, komfortabel und für heutige Verhältnisse alles andere als rasant.
Bis man sich der ersten Kreuzung nähert. Wer in gewohnter, nicht bremskraftverstärkter Fünfzigerjahremanier auf das mittlere Pedal tappt, beisst unvermittelt in den Lenkradkranz. Selbst manches Auto des 21. Jahrhunderts verzögert nicht so spontan und vehement zu wie dieser trommelgebremste Lastesel – was schon in zeitgenössischen Frégate-Testberichten gelobt wurde, freilich ohne den Bezug zur 50 Jahre entfernten Zukunft.
Im Renault Domaine fühlt man sich wohl. In den holzvertäfelten Laderaum möchte man heute keine Schweinehälften, Farbeimer, Blumenkübel oder Fernsehkartons mehr laden – nur noch einen Schlafsack. Man müsste dafür nicht einmal die Rücksitzbank umlegen (was laut Katalog in weniger als 30 Sekunden zu erledigen wäre), sondern kann einfach die Füsse aus der geöffneten unteren Heckklappe herausstrecken. Hätte nicht Wartburg schon 1956 den Begriff der "Campinglimousine" für sich in Anspruch genommen, dem Renault Frégate für Gutsbesitzer und Herrenhäuser wäre er angemessen gewesen.
Wir danken der Touring Garage in Oberweningen für die Gelegenheit zur Probe- und Fotofahrt.
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