Recherchen über die nahezu vergessene belgische Automarke Imperia führten den Autoren dieser Zeilen zwangsläufig auch in zwei privat betriebene belgische Automuseen, nämlich die Autoworld Brüssel und das Museum Mahymobiles in Leuze-en-Hainaut. Beide sind untrennbar mit dem Namen Ghislain Mahy (1907 bis 1999) und seiner Familie verbunden.
Der belgische Autohändler Ghislain Mahy
Da vermutlich nicht jeder mit diesem Namen etwas anfangen wird, soll diese Persönlichkeit zunächst vorgestellt werden. Ghislain Mahy war ein belgischer Autohändler, der später auch eine Autovermietung betrieb. Im Jahre 1944 begann er mit dem Sammeln von Fahrzeugen, die er anfänglich selbst, später zusammen mit Bekannten restaurierte.
Die immer grösser werdende Sammlung
Schon bald erging es ihm nicht anders als anderen Sammlern: Er benötigte dingend Platz für seine Fahrzeuge, zumal die Sammlung auf mittlerweile ca. 950 Exemplare angewachsen war! Im Laufe der Zeit wurden deshalb mehrere Umzüge notwendig.
Nachdem im Jahre 1970 wurde die Mahy-Sammlung in eine Stiftung überführt worden war, konnte mit dessen Bestand das erste belgische Automuseum in Houthalen eröffnet werden.
Als jedoch der dortige Vermieter den Mietzins verfünffachen wollte, musste wieder nach einer Unterbringungsmöglichkeit für die riesige Mahy-Sammlung gesucht werden. Dazu musste diese aufgeteilt werden.
Aufteilung in zwei Museen
Zunächst startete der erste Teil und zwar als "Autoworld Brüssel" in einer altehrwürdigen Halle aus Glas und Eisen mitten in der belgischen Landeshauptstadt. Diese Halle war anlässlich der Feierlichkeiten zum fünfzigsten Jahrestag des Bestehens von Belgien im Jahre 1880 fertig gestellt worden und liegt im sog. Jubelpark (Parc du Ciquantenaire) in unmittelbarer Nachbarschaft eines Triumphbogens. Sicher eine gute Wahl, hatte an dieser Stelle doch schon zuvor der Autosalon Brüssel über mehrere Jahrzehnte stattgefunden.
Jetzt stehen hier 8000 Quadratmeter für mehr als 300 Fahrzeuge der Sammlung zur Verfügung.
Nachdem zusätzlich noch in Leuze-en-Hainaut die Liegenschaften einer ehemaligen Textilfabrik erworben werden konnten, wurde dort im Jahr 2000 mit weiteren Fahrzeugen der Mahy-Sammlung das Museum "Mahymobiles" eröffnet. In Leuze sind auf 6000 qm 300 Fahrzeuge ausgestellt; 2005 wurden dort drei weitere “Säle” eröffnet. Da beide Museen aus einer Sammlung hervorgegangen sind, sollen sie hier auch zusammen beschrieben werden, selbst wenn sie sich erheblich voneinander unterscheiden.
Jenseits des Üblichen
Beginnen wir unseren Streifzug durch die Oldtimerwelt des Ghislain Mahy in der Autoworld Brüssel. Obwohl der Verfasser das Museum an einem Sonntag besuchte, war die Autoworld nicht überlaufen, sodass man die Exponate in aller Ruhe in Augenschein nehmen konnte.
Die Fahrzeuge werden in der zweistöckigen, großzügigen Halle mit der passenden Deko eher traditionell präsentiert.
Es stehen Audioguides zur Verfügung, doch übertriebenen Medieneinsatz findet man nicht. Gezeigt werden Fahrzeuge in durchaus unterschiedlichen Erhaltungszuständen, wobei das Spektrum von Kutschen – dafür gibt es sogar einen eigenen Raum – bis hin zu den Fahrzeugen der Neunzigerjahre reicht.
Diese Fahrzeuge – Motorräder, Autos und auch einige Lastkraftfahrzeuge – sind nach Ländern, Zeitabschnitten oder Themen geordnet und mit knappen englischsprachigen Hinweisen versehen.
Den Besucher erwartet insbesondere eine wirklich erstaunliche Anzahl von Autos aus der Messingära.
Zwar werden auch amerikanische Marken oder Benz, Opel und Wanderer gezeigt, trotzdem ist es aber aus heutiger Sicht doch erstaunlich, wie viele Automarken es im französischen Sprachraum jenseits von Peugeot, Renault, Citroën und Panhard Levassor einst gab: Beispielhaft seien hier nur De Dion Bouton, Chenard Walcker, Le Zèbre oder Sizaire-Naudin erwähnt.
Auch Nobelmarken und Exoten
Auch sehr noble Fahrzeuge werden in der Autoworld gezeigt: Rolls-Royce, Daimler und Horch finden sich ebenso wie Delage, Bugatti oder Voisin.
Sehr verdienstvoll ist die Darstellung der belgischen Automobilgeschichte, die nicht nur Exponate von Minerva, FN oder Nagant umfasst und die zusätzlich in einem separaten Raum viersprachig erläutert wird.
Auch im Hinblick auf die eingangs erwähnte spezielle Suche wird man fündig: Zwei Imperia und ein später Standard Vanguard-Lizenzbau von 1949 werden gezeigt.
Zur belgischen Automobilgeschichte gehört natürlich auch Camille Jenatzy, der mit seinem zigarrenförmigen, elektrisch betriebenen Gefährt "La Jamais Contente" als Erster im Jahre 1899 mit einem Straßenfahrzeug die 100 km/h-Marke durchbrach. Hiervon wird ein Nachbau gezeigt.
Auch Autos des belgischen Königshauses sind ausgestellt. Direkt gegenüber: ein Peugeot 403, dessen Nachbarschaft zu einem Borgward Isabella Coupé in Goldmetallic sich einem allerdings nicht so ganz erschloss.
In der oberen Etage finden sich neben Exponaten eher jüngeren Datums wirkliche Raritäten. Etwa ein J.P.W. Prototyp aus dem Jahre 1946, der auf den französischen Rennfahrer Jean-Pierre Wimille (1908-1949) – manchem vielleicht u. a. als Fahrer des Bugatti- Werksteams bekannt –zurückgeht.
In Nachbarschaft einer Cord "Coffin Nose" (Sargnase)-Limousine, einer kleinen Moretti 750 Berlinetta und eines schönen, patinierten Delage D8 Cabriolets steht ein seltsames Unikat: der Bugatti T 57 des französisch/britischen Künstlers Jacques (James) Brown, der übrigens auch bei der ersten Interclassics Brüssel 2015 zu sehen war.
Brown hatte 1952 eine Kunststoffkarosserie auf das Fahrgestell eines 1938er Bugatti T 57 gesetzt und so ein durch seine außergewöhnliche Formensprache doch recht polarisierendes Automobil geschaffen.
Für Comic-Fans
Auf derselben Etage findet sich auch ein wohl eher für Familien und jüngere Besucher gedachter Raum, welcher der gerade im französischen Sprachraum populären Comicfigur des fiktiven Rennfahrers Michel Vaillant gewidmet ist.
Und in der ersten Etage ist regelmäßig auch für Sonderaustellungen Platz. Zur Zeit meines Besuchs lief dort gerade eine sehr informative Ausstellung anlässlich des 120 jährigen Jubiläums von Renault. Zur Autoworld gehören auch ein kleiner Kinoraum, ein Restaurant sowie ein gut sortierter Museumsshop. Somit ist der Besuch auf jeden Fall lohnenswert für denjenigen, der die Seltenheit der Exponate zu schätzen weiß.
Mehr als ein Museum
"More than a museum" will die soeben besprochen Autoworld Brüssel sein. Dieses Prädikat träfe vielleicht noch eher auf das nun vorzustellende Museum Mahymobiles zu, welches den anderen Teil der Sammlung von Ghislain Mahy und seiner Nachfahren beherbergt.
Es befindet sich auf dem platten Land, am westlichen Rand der Wallonie. Genauer: knapp vor der französischen Grenze in dem kleinen Städtchen Leuze-en-Hainaut.
Dem Betrachter scheint es, dass sich hierher wohl nur die hartgesottenen Freunde des rollenden Kulturguts verirren. Und sicherlich ist das Museum auch nichts für Jedermann. Jedenfalls nicht für solche Zeitgenossen, die Hochglanzautos begleitet von hochmodernem Medienzauber erwarten und glauben, in einer Stunde alles gesehen zu haben.
Mahymobiles ist nämlich völlig anders als andere Museen, anders auch als die vorgängig vorgestellte Autoworld Brüssel. Doch gerade das dürfte den Reiz für den Liebhaber rostigen Blechs ausmachen, wobei man letzteres durchaus wörtlich nehmen darf. Allerdings sollte man sich vorher tunlichst nach den Öffnungszeiten erkundigen, denn das Museum ist leider nur recht eingeschränkt geöffnet. Und noch ein Hinweis: in Leuze geht es zwar zweisprachig zu- aber wer Niederländisch oder Französisch versteht, ist im Vorteil!
Enorme Bandbreite
Das Museum lässt sich in zwei Teile gliedern. Nach einer Einstimmung mit Kleinstwagen – wie z. B. dem seltenen elektrischen Zagato Zele von 1975 erreicht man in der ersten Abteilung den "Mahy-Saal". Hier werden die Fahrzeuge ähnlich wie in Brüssel permanent präsentiert. Kleine Schilder erklären auf Französisch, Niederländisch und Englisch die Exponate, die einem allerdings hier nicht ganz so gut geordnet wie in der Autoworld zu sein schienen.
Allerdings ist die Bandbreite erstaunlich. Sie reicht von den jüngeren, eher nicht so spektakulären Autos wie Triumph Stag und Spitfire, Porsche 914 oder Ford Taunus 20m TS über einen Jensen Interceptor oder ein Motorrad von Royal Enfield, bis hin zu dem selten gezeigten Fiat 2100 Limousine von 1960 oder dem AWZ Zwickau P 70 Kombi. Beachtlich ist auch das Unikat des als Volvo bezeichneten Coupés von De Mola (1961) auf der Basis eines Lancia von 1934.
Auch in diesem Saal findet man wieder viele Vorkriegsautos. Hier seien neben einem Schwimmwagen ein Mercedes 130 H, Maybach SW 38 (1937) und Horch 780 Cabrio von 1934 erwähnt.
Leider nicht mehr alle Autos vorhanden
Natürlich gibt es auch hier etliche belgische Fahrzeuge, wenn auch im Zeitpunkt des Besuchs nur noch einen Imperia, nämlich ein Cabrio TA 9 von 1938 vorhanden war. Das lag daran, dass imSommer 2018 130 Automobile des Museums - darunter ein weiterer Imperia - versteigert wurden (die noch im Internet vorfindbare Liste des Museumsbestands ist also nicht mehr topaktuell).
Wie ein Scheunenfund
Völlig überraschend präsentiert sich dem Besucher dann der über eine Galerie erreichbare zweite Teil des Museums. Es ist, als würde man auf einem Baumwipfelpfad durch einen gigantischen Scheunenfund geführt. Nur, dass einem hier kein Biosphärenreservat zu Füßen liegt, sondern eher eine Menge unrestaurierter Oldtimer. Bis hin zu Wracks. Daher sollte man sich spätestens hier davon verabschieden, dass die Fahrzeuge der Mahymobile in “show room condition" gezeigt und systematisch präsentiert werden.
Der Besucher wird dann auch auf die Alternativen der Museumsbetreiber aufgeklärt: Man könne entweder über 100 Jahre und mehrere Generationen lang den Bestand restaurieren oder die Autos erst einmal so zeigen, wie sie in die Sammlung gekommen sind- also "dans leur jus". Man hat sich für die letztere Option entschieden.
Radkappen und “naturbelassene” Autos
Zunächst gelangt man an Nebenräumen mit u. a. einer Radkappensammlung vorbei in einen großen Saal. Dort finden sich außer etlichen Amerikanern z. B. ein Delage D8 100 (1939), ein Talbot Lago von 1947, ein Peugeot 203 (1952) und ein Ford Cortina Cabrio von Crawford. Die meisten Fahrzeuge sind völlig "naturbelassen". Doch dann wird es dunkel.
Von der Stimmung her erinnerte dieser Museumsteil ein wenig an die Inszenierung der Baillon-Sammlung vor einigen Jahren auf der Rétromobile in Paris. Nur dass hier die Präsentation nicht in künstlich arrangiertem Halbdunkel erfolgt. In diesem Museumsteil werden die ausgestellten Fahrzeuge dann auch nur noch kurz bezeichnet. Während man an zwei Citroën P 17 Kégresse Halbkettenfahrzeugen vorbeigeht, fällt der Blick auf einen riesigen Podest in der Mitte der Halle.
Darauf befindet sich eine bemerkenswerte Ansammlung von Autos, die der Besucher auf seinem Weg umrundet. Dabei wird ihm die Entwicklung des Karosseriebaus in kleinen Schritten vor Augen geführt: Die Beispiele reichen von der Kutsche bis hin zum Ro 80(!). Und was es auf dem Podest und darunter sonst noch alles zu entdecken gibt ...
Doch bekanntlich sieht jeder nur das, war er sehen will. Daher hier nur einige Anmerkungen des Verfassers: Es ist ein Chrysler Ghia von 1955 zu entdecken – natürlich nicht in dem Zustand, wie man ihn in der letzten Zeit auf Schönheitswettbewerben sehen konnte. Eher wie beiläufig abgestellt wirkt ein Maserati A6G 2000GT Allemano von 1954 und in unmittelbarer Nachbarschaft eines Glas Isar 600 ("großes Goggomobil") stand ein stattlicher, völlig unrestaurierter 1948er Delahaye 135 M mit Karosserie von Vanden Plas.
Sicher gibt es hier noch viel mehr zu entdecken, namentlich was die Vorkriegsfahrzeuge betrifft. Hinzukommt, dass sich weitere, nicht gezeigte Fahrzeuge in einer Reservesammlung befinden. Das Museum in Leuze verfügt über einen kleinen Shop, eine Minipiste für die jungen Besucher und eine Cafeteria.
Wer sich also Zeit nimmt und am besten beide Museen besucht, kann ganz tief in die Automobilgeschichte – nicht nur jene Belgiens – eintauchen. Es lohnt sich!
Weitere Informationen zur Autoworld Brüssel und zum Museum Mahymobiles gibt es auf den Webseiten der beiden Institutionen.
Die Eintrittspreise sind mit EUR 10 und 8 (vor Ermässigungen) übrigens mehr als fair.
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