„Halb Cannonball Race, halb Kindergeburtstag“: So bringt ein Wiederholungstäter unter den Teilnehmern diese Veranstaltung auf den Punkt. Er meint damit die zügige Fahrweise auf den langen Landstrassen-Etappen, aber auch die Wertungsprüfungen dazwischen mit bisweilen gewollt präpubertären Spielchen.
Das ist es genau, was die Creme 21 Youngtimer-Rallye ausmacht. Den Klassiker unter Deutschlands Altauto-Events für bekennende Nonkonformisten auf diese schlichte Formel zu reduzieren, wäre indes so unvollständig wie unfair. Die 14. Auflage, die neulich – am 20. September 2015 – nach vier aufregenden Fahrtagen in Leipzig durchs Ziel ging, hat das einmal mehr eindrucksvoll bewiesen.
Als Creme 21 noch eine Hauptcreme war
Creme 21 – war das nicht...? Allerdings, das war die kultige Hautpflege-Emulsion in der orangefarbenen Dose, die in den knallbunten Siebzigerjahren so erfrischend jugendlich und freihäutig beworben wurde. Und die durch die nächste Modewelle so schnell wieder aus den deutschen Supermarkt-Regalen verdrängt wurde, dass sie seitdem als Synonym für eine kurze, wilde Kulturepoche steht.
Der Einfall, eine Oldtimer-Rallye nach dem kosmetischen Weichmacher zu benennen, liegt mittlerweile 15 Jahre zurück. Anno 2000 in Oldenburg, auf der Deutschland-Karte oben links, grob gelegen zwischen Bremen und der Nordsee: Alexander Mrozek, Martin Vorwahl und Oliver Borgmann jobben an derselben Tankstelle. Um Ihr Studentendasein zu finanzieren - und ihre Leidenschaft für alte Autos.
Als die traditionsschwere Rallye „2000 Kilometer durch Deutschland“ in ihrer Nähe vorbeiführt, melden sie sich für die Nachtprüfung an. Doch weder die Hochschüler noch ihr profaner Alfa Romeo Bertone GT fühlen sich im Grossaufgebot verchromter Kühlerfiguren, gewienerter Speichenräder und gewachster Regenjackenträger wohl. Auch in der Gegenrichtung sind die Sympathien nicht ausgeprägter: Für das Establishment der Veteranenlenker ist die Teilnahme der Drei mit ihrem Längst-noch-kein-Oldie ein echter Affront. Und so fällt schnell deren Entscheidung, eine Langstrecken-Lustfahrt für ebenjene Wagen zu konzipieren, die irgendwo von Gebrauchtwagen nach Oldtimer unterwegs sind – solche, die nicht mehr, aber auch noch nicht wieder von der Masse geliebt werden. Und nicht zuletzt für deren passionierte Besitzer.
Vor 13 Jahren zum ersten Mal gestartet
Die erste grosse Rallye-Sause für Youngtimer – so der damals noch ungewohnte Gattungsbegriff – stieg 2002. Mit 37 Zweier-Teams, denen es überhaupt nicht peinlich war, das Oldtimer-verwöhnte Deutschland in Vehikeln à la Simca 1308 oder Skoda 120 LS, Ford Granada Turnier oder Renault Fuego Turbodiesel zu durchkreuzen. Im Folgejahr, 2003, gingen schon 60 unerschrockene Mannschaften in ihren kunterbunten Halb-Klassikern ins Rennen, 2005 wurde das Feld dreistellig und blieb es seitdem.
«,,Wir fangen dort an, wo die meisten aufhören!´´»
91183 Bayern - Abenberg, Deutschland
- Wartung, Reparatur & Pflege
- Restaurierung & Projekte
- Cabrioverdecke
- Motorbau & Revisionen
- Elektrik / Elektronik / Kabelbäume
- Auspuff
- und weitere ...
Alfa Romeo, Lancia, Fiat Abarth, und weitere
Logistische Herausforderung
Die organisatorische Obergrenze von 200 Teams wird seit einigen Jahren erreicht. Die Drei von der Tankstelle – längst nicht mehr studierend, aber unverändert creme-begast – haben mithin längst Meisterleistungen der Logistik abzuliefern. Zumal die gesamte Creme 21-Karawane, die sich jeden Spätsommer durch die teutonische Hügellandschaft schiebt, inklusive Streckenposten und Helfern, Pressemenschen und Sponsorenvertretern mehr als 500 Köpfe zählt. Und diese ganzen Köpfe sich irgendwo nach 250 bis 400 Tageskilometern nähren und betten müssen.
Weil es naturgemäss keine gemütlichen Landgasthöfe mit derartigen Kapazitäten gibt, logiert der Tross meist dort, wo es gross und günstig ist. Nämlich in innerstädtischen XXL-Hotels, deren beste Tage zwei bis drei Dekaden zurückliegen. Das ist unproblematisch, solange der durchschnittliche Creme-21-Konkurrent weder verschwendungs- noch luxussüchtig ist – und sich ein Stück Herz für die, sagen wir mal, etwas steigerungsfähige Art der gastgewerblichen Ästhetik bewahrt hat. Und so gehört er längt zum kulturellen Gesamtbild der Gebrauchtwagenhatz, der leicht morbide Muff der Grossherbergen aus den Achtzigerjahren.
Kurzweil in den hässlichsten Metropolen Deutschlands
Genauso wie die eine oder andere Stadtquerung durch die hässlichsten Metropolen, die die wiedervereinigte Bunderepublik lieber nicht zu bieten hätte. Zwischen A wie Aachen bis Z wie Zwickau fehlt den Creme-Machern jegliche Berührungsangst vor den Punkten, die die nationalen Touristik-Vermarkter schamhaft verstecken. Bei dieser Sause darf – besser: soll – jeder gern erfahren, warum es etwa heisst: „Paderborn schuf Gott im Zorn“. Das trifft den Authentizitätsanspruch dieser Veranstaltung so präzise wie die Stätten, die auf den jährlich wechselnden Wegen der Creme 21 liegen und zu lehrreicher Kurzweil einladen. Ob die Ruhrpott-Kohlezeche oder der innerdeutsche Grenzübergang Helmstedt-Marienborn: Auf keiner anderen Rallye präsentiert Deutschland sich mit ähnlicher Offenheit. was die steigende Zahl der Teilnehmer aus dem Ausland offenbar wertschätzt: 2015 waren 30 Teams aus acht Länder mit dabei, aus der Schweiz und Österreich, klar, aber eben auch aus Italien und Indien.
Fairerweise sei gesagt, dass die Passagen durch die lieblichen Gefilde Deutschlands streckenmässig weit dominieren. Autobahnen sind für die Organisatoren tabu, Freunde der flotten Fortbewegung kommen dennoch voll auf ihre Kosten – Kenner der deutschen Bundes- und Kraftfahrstrassen, die sich mit Tempolimit 100 beziehungsweise 120 durch die Täler und über die Kämme der herrlichen Mittelgebirge ziehen, verzichten gern mal auf den ganz grossen Freifahrtschein.
Die ganz besonderen Wertungsprüfungen
Unverzichtbar für den Kenner der Creme 21 wie für deren Väter sind hingegen die Wertungsprüfungen – womit wir zum Kindergeburtstag, dem Stichwort vom Textanfang, zurückkommen. Sackhüpfen, Dosenwerfen, Eierlaufen: Auf den zufälligen Betrachter mögen derartige Wettbewerbe infantil bis lächerlich wirken. Für den Gewohnheitscremer hingegen sind diese Renitenzen gegen das Erwachsenwerden eher launige Abwechslungen zu den automobil- und zeitgeistspezifischen Geschicklichkeits- und Wissensspielen. Als Beispiele seien hier Anlasserweitwurf sowie Filmauto- oder Terroristenraten genannt.
Zum Klassiker bei aller Wettbewerbstage jeder Creme 21 hat sich mittlerweile die sogenannte Kofferfrage aufgeschwungen. Beim ersten Tageskontrollpunkt wird jedem Team 21 Sekunden lang ein Kinderköfferchen gezeigt, dessen Inhalt aus zeitgenössischen Utensilien besteht. Ein paar Fahrstunden und Kontrollpunkte weiter wird dann die bis dahin unbekannte Quizfrage gestellt. Etwa: Wie viele der im Koffer befindlichen Spielzeugautos hatten ein Schiebedach? Oder: Welche Automarke war zweimal vertreten? Oder: Mit wie vielen Nieten sind die Kofferscharniere befestigt?
Praktische Preise für besondere Prüfungen
Verständlich, dass angesichts solcher Wettbewerbskriterien weder der Schnellste noch der Klügste noch der Geschickteste den Tagessieg holt; vom Gesamtsieg ganz zu schweigen. Und auch die Preise bewegen sich weit ausserhalb jeglicher Konformität. Für die Etappensieger gibt es allabendlich Nutzgegenstände aus den Sortimenten der Sponsoren – hier einen Regenschirm, da eine Sackkarre. Schliesslich nehmen die am Ende aller vier Wettbewerbstage wertungsbesten Teams keine Pokale mit nach Hause, sondern ausschliesslich orangefarbenen Krempel der gehuldigten Epoche, die die drei Organisatoren zuvor auf Flohmärkten ausgegraben haben. Das kann ein Föhn sein. Oder ein Warmhaltekanne. Eine Scheibtischleuchte. Vielleicht eine Steingutvase. Ein Bonanzarad. Oder die legendär minderwertige Kleinwaschmaschine vom Typ Calor Waschboy.
Erlaubt ist, was Spass macht – vor allem den Betrachtern, deren Spott auf dem Fuss folgt. Jedenfalls, im Jahr 2015 siegte das Team Jünger im BMW 323i Cabriolet E21, Zweite wurden die Zechs an Bord eines Pininfarina 124 Spiders, Dritte die Paarung Henkelmann/Kremer im Austin Mini 35.
Apropos Sponsoren: Dass eine derart grosse Veranstaltung mit ständig wechselnden Schauplätzen nicht ohne die grosszügige Unterstützung branchenaffiner Unternehmen auskommt, ist logisch. Bemerkenswert bleibt indes, dass die Marketingmenschen imagebewusster Konzerne keine Berührungsängste gegenüber einer Horde ausgeflippter Gebrauchtwagengurus hegen, in deren Mikrokosmos ein Neuwagen des 21. Jahrhunderts zwischen Schlaghosen und Mettigeln, zwischen Holzketten, umhäkelten Klopapierrollen und Plateausohlen offenbar keine Daseinsberechtigung geniesst. Respektabel also, dass sich Opel jahrelang als Hauptsponsor zur Creme 21 bekannte.
Neu mit BMW als Primärpartner
2015 schwang erstmals BMW Group Classic die Fahne des Primärpartners, stellvertretend für die Konzernmarken BMW, Mini und Rolls-Royce. Das löste im Vorfeld zunächst Befremden unter manchen Beteiligten aus. Wenige befürchteten sogar, die Bayern könnten die freakige Sause in ihrer blau-weissen Vermarktungssosse ersäufen und somit den Spielverderber geben.
Doch hinterher waren sich alle einig: Das so beherzte wie herzerfrischende Engagement der BMW-Leute hat die Creme 21 Youngtimer Rallye nochmals etwas geschmeidiger gemacht. Gut also, dass sie auch 2016 wieder den schrillsten Laternenumzug der deutschen Oldie-Szene anschieben.
Auch nächstes Jahr kunterbunt
Mit welcher Streckenführung die nächstjährige Auflage (7. bis 11. September 2016) stattfinden wird, ist noch geheim. Anderes steht hingegen felsenfest. Es wird wieder kunterbunt werden, wobei die Farbe Orange einsam dominiert. Einmal mehr wird der auf eigener Achse anreisende Daf 55 mehr Fans haben als der per Trailer gelieferte Porsche 911. Wieder werden vier Fahrtage und gut 1000 Gesamtkilometer durch das touristisch nicht immer aseptische Deutschland anfallen. Nach wie vor wird das Zwei-Leute-Team nur 1221 Euro für die Teilnahme und Übernachtungen inklusive Vollpension zahlen müssen. Abermals wird das geschmacklich Grenzwertige die Gunst für sich entscheiden. Erlaubt ist hier eben eher das, was auffällt als das, was gefällt.
Nur echt und unverdorben sei die Creme 21 jedenfalls nur „ohne diese ganzen Nivea-Nasen“, meint ein weiterer Creme-21-Wiederholungstäter. Um auf Nachfrage das Klischee der Zeitgenossen zu präzisieren, die er nicht im Feld seiner Lieblingsveranstaltung sehen will: „Typen im Mercedes 190 SL, die ihre Kirchturmspitzenzähler-Rallys im politisch korrekten Drehzahlbereich abschleichen und abends ihr Windschott im Kofferraum wegschliessen.“ Ein ziemlich treffendes Feindbild – durch die orangefarbene Brille betrachtet.


















































































































































































































































































































































































Kommentare