Es gibt viele Rennstrecken, aber wenige mit grossem Namen: Monza, Spa, Silverstone, Laguna Seca, um einige zu nennen. Keine aber wird wohl mehr verehrt und verflucht als der Nürburgring. Die Strecke in der Eifel feiert 2017 den 90. Geburtstag, Anlass genug für Hartmut Lehbrink, dieses Jubiläum durch ein Buch zu würdigen.
Verdammt lang her
Die besten Zeiten hat der Nürburgring hinter sich. Jahrzehnte ist es her, dass mehr als 300'000 Menschen zum Grand Prix oder den 1000-km-Rennen an die Nordschleife pilgerten und das Ganze einem wohlkoordinierten Happening glich, das etwa alle 9 min mit der Durchfahrt des Führenden unterbrochen wurde.
Die potemkinschen Dörfer, die durch die Landesregierung an Start und Ziel als verlassene Luftschlösser stehen, haben der Strecke in den letzten fünf Jahren fast den Rest gegeben. Da halfen auch die Grand Prix 2009, 2011 und 2013 nicht mehr.
Wirtschaftlich lebt der Nürburgring ohnehin schon lange nicht mehr von den Zuschauermassen und den grossen Rennen, sondern von den Touristen an und auf der Strecke. Und von der Industrie, die den Nürburgring als Test- und Versuchsstrecke in seiner ursprünglichen Bestimmung von 1927 wieder entdeckt hat. Riesige, diskrete Werkstattpaläste in den Dörfern rund um Nürburg belegen dies.
Keine Chronologie
Der Autor Hartmut Lehbrink, selbst bekennender Nürburgring-Fahrer und -Fan, hat in seinem 240-seitigem Werk “90 Jahre Nürburgring - die Geschichte der Nordschleife” versucht, die Geschichte dieser einmaligen Rennstrecke einzufangen. Wenn man den Untertitel mitliest, wird deutlich, dass er sich auf die Nordschleife beschränken will. Südschleifengeschichte ist deutlich schwieriger zu recherchieren, das mag sein. Aber ein Buch über den Nürburgring ohne Südschleife? Ob das gut geht?
Der Autor teilt das Buch grob in drei Kapitel: "Schlüsselrennen", "Meister des Rings", und "Erinnerungen" ein. Dem steht eine historische Geschichte zum Bau der Strecke vor Ausserdem taucht mit dem Kapitel "Poesie in Bewegung" mit Bildern von Michael Thuner eine nicht ganz nachvollziehbare Unterbrechung mitten im Buch auf. Auf beide soll nicht eingegangen werden.
Das Kapitel "Schlüsselrennen"
Ganze 44 Seiten widmet der Autor zehn ausgewählten Auto- und Motorradrennen zwischen 1927 und 1980 in Bildern und Texten. Jedes Rennen wird in seiner Bedeutung historisch eingeordnet. Fahrer, Teams, Atmosphäre kommen nicht zu kurz, jedem Wettbewerb widmet der Autor mit Einführung eine Doppelseite Text/Bild, angereichert mit einer Doppelseite an Bildmaterial und aussagefähigen Bildlegenden.
Das Kapitel "Meister des Rings"
Neun Fahrer sowie einen Motorradfahrer sind die 44 Seiten zu den Meistern des Rings reserviert. Für jeden dieser Fahrer ist ein Porträt integriert: Herkunft, Weg zum Motorsport, erste Erfolge, kurze Charakterisierung und ein kurzer Bezug zum Nürburgring. Das Übliche.
Das Kapitel "Erinnerungen"
Im letzten Kapitel geben 30 Rennfahrer, eine Rennfahrerin sowie ein Radrennfahrer ihre Gedanken und Beziehung zur Strecke preis. Die in "Ich-form" geschriebenen Erinnerungen vermitteln unterschiedliche Zugänge zur Nordschleife. Individuell geprägt durch die Bedeutung der Interviewpartner, ihrem Sportgerät sowie der Zeit, in der sie an der Strecke antraten. Anekdoten, Betroffenheit und Reflektionen schaffen es hier, eine Vielfalt zu entwickeln, die einen breiten Blick auf die Geschichte des Nürburgring zulässt.
Fazit
Wie nähert man sich dem Jubiläum einer Rennstrecke in einem Buch? Einer Rennstrecke mit grossem Namen, grosser Vergangenheit und zahllosen Geschichten?
Lehbrink hat versucht, eine Auswahl zu treffen: An Namen, an Ereignissen, an Geschichten. Damit umgeht er galant den Umstand das x-te Buch zu einem Nürburgring-Jubiläum zu publizieren und statt dessen den Leser auf eine Zeitreise an besonders ausgewählte Stationen der Geschichte mitzunehmen. Facetten einfangend, die beim Leser ein Bild der Faszination zusammen stellen sollen. Das gelingt jedoch nicht immer.
Zum einen ist eine Menge Vorwissen vonnöten, um die einzelnen Geschichten in ihrer Bedeutung tatsächlich einordnen zu können. Hier darf man wohl auch gerne ganz anderer Meinung als der Autor sein.
Zum anderen suggeriert das sehr gezielt ausgewählte Bildmaterial, dass der Autor jeweils treffend genau das Richtige ausgewählt hat. Aber gerade das akzentuierte Herauspicken einzelner Rennen, Menschen und Momente lässt beim Kenner des Nürburgrings ein gewisses Unwohlsein aufkommen. Nämlich, dass etwas fehlt. Warum wird Bernd Rosemeyer, der Nebelmeister am Ring, der als erster die Strecke in weniger als zehn Minuten umrundete, nicht in die Riege der "Meister des Rings" aufgenommen? Warum wird beim bekannten Bild zum Auftaktrennen 1927 mit den Mercedes S darauf verwiesen, dass es sich um die erste Startreihe handelt obschon davor zwei Hanomag Kommissbrot stehen? Das Bild gibt es aber nicht im Mercedes-Archiv.
Nur ein 1000-km-Rennen schafft es ins Buch. Die Südschleife bleibt fast unerwähnt, gehört aber zum Nürburgring. Was ist mit DRM, DTM? Diese wichtigen Rennserien tauchen bestenfalls am Rande in den Erinnerungen einzelner Fahrer auf. Mit diesen Lücken kann das Buch zum 90. Jubiläum die bereits erschienen Bücher zur Ringgeschichte sicherlich nicht ersetzen.
Allerdings werden in jedem Kapitel neue Aspekte aufgegriffen und dies ist gut. Denn damit wird auch klar: Dieses Buch ist weniger als Chronik zu verstehen, sondern soll durch die Aneinanderreihung Geschichtchen zu einer Charakterisierung der Strecke führen. Wer so die 90 Jahre Nordschleife feiern möchte, ist mit dem Buch bestens bedient, zumal der Preis in Ordnung geht.
Bibliografische Angaben
- Titel: 90 Jahre Nürburgring (Die Geschichte der Nordschleife)
- Autor: Hartmut Lehbrink
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Delius Klasing
- Auflage: 1. Auflage 2016
- Format: 276 x 296 mm, gebunden mit Schutzumschlag
- Umfang: 240 Seiten, 89 Farb-, 85 s/w-Bilder
- ISBN: 978-3-667-10546-2
- Preis: € 49,90
- Kaufen/bestellen: Online beim Verlag Delius Klasing , online bei amazon.de oder im einschlägigen Buchhandel
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