Der in grossen Lettern gedruckte Titel auf dem Buch ist etwas irreführend. Wer nämlich im Werk “Deutsche Autos” eine Beschreibung von Käfer, Golf oder Taunus erwartet, wird nicht fündig. Gemeint sind hier nämlich die im Untertitel erwähnten Fahrzeuge in/aus der ehemaligen DDR. Und so nimmt auch der Porsche Carrera GT, der in Leipzig montiert wurde, oder der VW Phaeton den man in Dresden produzierte, nur eine Nebenrolle ein.
Hauptsächlich geht es natürlich um Trabant, Wartung und dergleichen, wobei das Buch auch gleich noch die Nutzfahrzeuge und Busse mitabhandelt, während Zweiräder, Nutzfahrzeuge und Militärvehikel nicht zum dokumentierten Umfang gehören.
Stetige Verbesserung
Das Buch “Deutsche Autos - Personenwagen und Nutzfahrzeuge in der DDR” ist keine komplette Neuentwicklung, Werner Oswald, der 1997 verstorben ist, legte bereits 1975 mit seiner Urfassung den Grundstein, 1998 (2006) erschienen dann die von Eberhard Kittler und Michael Dünnebier verbesserten Versionen namens “Kraftfahrzeuge der DDR”.
Jetzt haben die beiden Autoren also nochmals nachgelegt, schliesslich sind seit 2006 viele neue Informationen und noch mehr Bilder neu aufgetaucht. Das Ergebnis der Überarbeitung kann sich sehen lassen.
Überschaubare Dimensionen
Eigentlich geht es um eine recht kurze Zeitspanne, denn betrachtet werden naturgemäss hauptsächlich die Fünfziger- bis Achtzigerjahre. Auch die Menge der Marken und Typen ist vergleichsweise übersichtlich, was auch schnell klar wird, wenn man weiss, dass selbst in den produktionsstärksten Jahren nur gerade knapp über 200’000 Personenwagen gefertigt wurden, wie in der lesenswerten Einleitung erkärt wird. Der VW Polo kam in jenen Jahren schon fast alleine auf derartige Ausstossmengen.
Die wichtigsten Fahrzeuge
Den grössten Anteil an der DDR-Autoproduktion hatte, wen wundert’s, der Trabant. Er alleine schaffte als Typ P601 zwischen 1974 und 1989 über 100’000 Einheiten. Ihm voraus ging aber der IFA F8 und der IFA F9, die nicht ganz zufällig stark an DKW-Entwicklungen erinnern, sowie die Trabant-Vorgänger AWZ P70 und dann schliesslich die Typen P50 und P60.
Aus derselben Küche kamen auch Fahrzeuge wie der deutlich erwachsene P100 oder der Sachsenring P240, der es aber nur auf bescheidene Stückzahlen brachte.
Interessant auch die vielen Versuchsfahrzeuge und Prototypen, etwa der Trabant X03 auf Polo-/Ibiza-Basis, die im Laufe der Jahre entstanden und im Buch abgebildet sind.
Neben den Wagen aus Zwickau gab es auch noch die aus Eisenach, dem ehemaligen BMW-Werk. Hier entstanden die BMW-Nachfolgekonstruktionen wie der Awtowelo BMW 340/0 oder das Awtowelo BMW 327/1 Kabriolett. In Eisenach wurden auch die IFA-Modelle F9 produziert, bis man mit dem Wartburg 311 einen Nachfolger entwickelt hatte.
Auf den Typ 311 folgte der 312, der auch auf dem Titelbild des Buchs dargestellt ist. Mit modernen Linien wartete dann der Wartburg 353 ab 1966 auf.
Die Exoten
Neben den grossen Herstellern gab es auch Nischenanbieter, einer von ihnen war Heinz Melkus, der mit seinem Flügeltüren-RS 1000 Sportwagenträume erfüllen konnte, die aber allerdings nur für wenige erschwinglich waren.
Nur eine Nebenrolle im Buch spielt der ostdeutsche Rennsport, daher sind auch viele interessante Rennwagen nicht anzutreffen.
Die Ostimporte
Natürlich mussten DDR-Autofahrer sich nicht alleine mit den Produkten der einheimischen Autoindustrie zufrieden geben. In anderen Ländern des Ostblocks wurde auch eifrig entwickelt und produziert und die Ergebnisse hiessen dann etwa Skoda Octavia, Tatra 603 oder GAZ M21 Wolga.
Auch den Importautos wird im Buch viel Platz eingeräumt und wie bei den einheimischen Typen findet der Leser sowohl viele Fotos als auch ausführliche technische Daten vor. Bei Zastava (aus Jugoslawien) ist dann allerdings Schluss.
Gewichtig: Lastwagen und Omnibusse
Nur knapp die Hälfte des Buchs ist nämlich den Personenwagen gewidmet, ab Seite 169 setzen sich die Autoren Dünnebier und Kittler mit Lastwagen sowie Omnibussen aus Zwickau, Werdau, Bautzen, Gera, Zittau, Ludwigsfelde, Hainichen und Waltershausen auseinander und widment auch den importierten Vehikeln aus dem Ostlblock grosszügig fast 50 Seiten. Der breit interessierte Leser wird sich darüber freuen, der Personenwagen-Enthusiast wird den Teil überspringen und hoffentlich die Informationen und Bilder aus der ersten Hälfte des Buches als ausreichend betrachten.
Dass hier Personenfahrzeuge mit Nutzfahrzeugen kombiniert wurden, hängt sicher auch mit dem Anspruch zusammen, eben auch ein Buch über die Fertigungsindustrie und die Wirtschaftskultur im Osten anzubieten.
Zum Einlesen und Erinnerungen wach werden lassen
Es ist schon spannend zu lesen, was hinter dem eisernen Vorhang so alles gebaut wurde. Hierzulande kriegte man davon ja vergleichsweise wenig mit und ausser dem Trabant ist Westlern kaum eines dieser Fahrzeuge geläufig. So macht das Blättern im Buch richtig Freude und wenn man dann wieder einen der raren Versuchswagen oder Prototypen entdeckt, erkennt man erst, wieviel Entwicklungswille trotz eingeschränkten Möglichkeiten im Osten vorhanden war.
EUR 29.90 sind für die 304 Seiten sicherlich nicht zuviel, zumal die Aufmachung einen guten Eindruck macht und sicherlich viel Arbeit für die Aufbereitung der Faktenlage nötig war. Die Autoren jedenfalls verstehen ihr Geschäft, das Blättern und Lesen im Buch macht Freude.
Bibliografische Angaben
- Titel: Deutsche Autos - Personenwagen und Nutzfahrzeuge in der DDR
- Autoren: Eberhard Kittler und Michael Dünnebier
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Motorbuch Verlag
- Auflage: 1. Auflage, September 2017
- Format: Gebunden, 230mm x 265mm
- Umfang: 304 Seiten, 120 Schwarzweiss-Bilder und 436 Farbbilder
- ISBN: 978-3-613-04000-7
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