Die Rückkehr von Daimler-Benz in die Formel 1 in den Jahren 1954-1955 ist schon oft in Büchern dokumentiert worden. Alle neuen Publikationen zu diesem Thema müssen sich deshalb die Frage gefallen lassen, welche neuen Aspekte beleuchtet und zusätzlichen Erkenntnisse in den Recherchen gewonnen wurden.
Das gilt natürlich auch für das Buch von Robert Ackerson, das 2015 zu genau diesem Thema erschienen ist. Und auf dem Umschlag macht der Verlag auch klar, dass man sich der Frage stellte. Man verspricht, einen frischen, aufschlussreichen und sehr persönlichen Blick auf die Kultur der Grand-Prix-Rennen der damaligen Zeit.
Die Rückkehr von Daimler-Benz in den Formel-Rennsport
Die Rückkehr von Daimler-Benz in die Königsklasse des Automobilrennsports nach dem Zweiten Weltkrieg geschah schrittweise. 1951 schickte man eine Delegation versehen mit drei W 154 von 1938-39 zur Temporada nach Argentinien. Als Fahrer wurden Juan Manuel Fangio, Karl Kling und Hans Hermann eingesetzt. Am Ende der Serie mit zwei Rennen war klar, dass man mit Vorkriegstechnik nicht mehr erfolgreich sein konnte.
Die Entwicklung in Untertürkheim hatte aber noch ein As im Ärmel: den 300 SL (W 194). Unter Rudolf Uhlenhaut entwickelt, besass er schon wesentliche Elemente, die später in den Monoposto einflossen: einen Gitterrohrrahmen und den 6-Zylinder-Reihenmotor mit einem Hubraum von 2‘995 cm3, der zur Reduktion des Fahrzeug-Querschnitts geneigt eingebaut wurde.
Der W 194 erwies sich als ausgesprochen konkurrenzfähig. Mit Gesamtsiegen im Preis von Bern, den 24-Stunden von Le Mans, dem grossen Jubiläumspreis auf dem Nürburgring und der Carrera Panamericana bot er den diversen Ferrari, dem Aston Martin DB2 und dem Jaguar C-type erfolgreich die Stirn. In der Mille Miglia kam das Team Karl Kling/Hans Klenk zudem auf den zweiten Platz im Gesamtklassement.
Aufgrund dieser Erfahrung wurde 1953 grünes Licht für die Entwicklung eines Monopostos gegeben. Der W 196 R startete beim ersten Einsatz am 04. Juli 1954 zum Grossen Preis von Frankreich und siegte mit Juan Manuel Fangio am Steuer.
Er verfügte jetzt über einen 8-Zylinder-Reihenmotor mit einem Hubraum von 2‘496 cm3. Als erster Rennwagen überhaupt hatte er eine Benzineinspritzung. Der Motor sollte 10‘000 Umin erreichen und verfügte deshalb über eine Zwangssteuerung der Ventile. Um die Schwingungen zu reduzieren bestand er aus zwei Vierzylindern. Die Kraft wurde in der Mitte der Kurbelwelle abgenommen. Die Ventilsteuerung über 4 Nockenwellen erfolgte ebenfalls über Zahnräder, die zwischen den beiden Blöcken angeordnet waren. Die Leistung wurde zu Beginn mit 257 PS bei 8‘250 Umin angegeben. Mitte 1955 erreichte man 280 PS bei 8‘700 Umin.
Der Antriebsstrang wurde in der Transaxle-Bauweise ausgelegt und die Hinterradaufhängung verfügte über eine Eingelenk-Pendelachse mit tiefgelegtem Drehpunkt, Drehstabfederung und hydraulischen Teleskopstossdämpfern.
Laurence Pomeroy, der englische Automobiljournalist, bezeichnete die Technik als höchst interessante Kombination zwischen alten und neuen Konstruktionsweisen („a most interesting mixture of old and new engineering practice“). Er spielte hier wohl an auf die desmodromische Ventilsteuerung mit zwei grossen Ventilen pro Zylinder, die Verwendung von Trommelbremsen und die Rollenlagerung der Pleuel und der Kurbelwelle.
Entlang der Zeitachse dokumentiert
Ackerson zeichnet die Geschichte der Einsätze der W 196 R in den Jahren 1954 und 1955 akribisch nach. Mercedes-Benz nahm an insgesamt zwölf Weltmeisterschaftsläufen teil und gewann davon neun. Juan Manuel Fangio wurde in beiden Jahren Weltmeister der Fahrer (eine Konstrukteurs-Weltmeisterschaft gab es noch nicht).
Vom Kenner geschrieben
Der Autor ist ein Kenner der Materie. 2013 veröffentlichte er ein Buch im gleichen Verlag über den W 194 ( Return to Glory! ISBN-13: 978-1-84584-617-6 ). (Vorher beschäftigte er sich allerdings mit Chrysler).
Sein neues Buch sticht in drei Punkten heraus:
- Eine hervorragende Auswahl an Bildern aus dem Archiv der Daimler AG.
- Zu jedem Grand-Prix werden in einem Prolog die Einsätze von Autos von Daimler, Benz und Mercedes-Benz in der Zeit zuvor vorgestellt.
- Die Teilnahme der Silberpfeile am Grossen Preis von Berlin 1954 auf der AVUS erhielt ein eigenes Kapitel, resp. wurde im Anhang dokumentiert.
Viele interessante Details
Der Clou ist aber, dass er nicht einfach eine Zusammenfassung der Rennverläufe liefert, sondern die Kommentatoren von damals, also Leuten wie Bernard Cahier, Laurence Pomeroy, Rodney Walkerley, Gregor Grant, Bill Boddy, Denis Jenkinson und weitere zu Wort kommen lässt. Er zitiert zu diesem Zweck aus Road & Track, Motor Sport, Autocar, etc.
Auch hat er die diversen Autobiographien auf Stellen durchforstet, die auf die entsprechenden Rennen verweisen. Erklärungen und Hintergründe nimmt der Autor zumeist aus Beiträgen auf der Webseite von Daimler Global Media.
Interessant ist es nachzuvollziehen, wie die Spekulationen über die Erfolgschancen der neuen Silberpfeile nach dem Grossen Preis von Frankreich umkippen und danach von einer neuen Ära im Grand-Prix-Sport gesprochen wird. Der glückliche Erfolg beim Grossen Preis von Italien sowie die Niederlage beim Grossen Preis von Spanien (Sieger Hawthorn auf Ferrari 553 „Squalo“) liessen Diskussionen wieder aufkommen. Auch die ersten Auftritte des Lancia D50 mit Ascari, Villoresi und Castellotti Ende 1954/Anfang 1955 waren wieder Anlass für Spekulationen, die sich aber in Nichts auflösten Nach der Übernahme der Firma durch Carlo Pesenti wurde die Rennabteilung geschlossen und das gesamte Material der Scuderia Ferrari übergeben. Der D50 sollte seine grosse Stunde erst 1956 erleben.
Aber 1955 wurde von den Mercedes-Benz W 196 R vollkommen beherrscht. Höhepunkt war der Vierfach-Sieg beim Grossen Preis von England. Als Wermutstropfen blieb der Totalausfall beim Grossen Preis von Monaco (Sieger wurde Maurice Trintignant, Ferrari 625).
Aus Schweizer Sicht ist natürlich auch die Berichterstattung des letzten Grossen Preises der Schweiz in Bern 1954 interessant. John Cooper von Autocar beobachtete eine festliche Atmosphäre in der Stadt und verwies auf die Autos aus Schokolade und als Torten (sponge cakes, für die englischen Leser) in den Schaufenstern der Confiseure, sowie der Bäckereien und Patisserien. Die grösseren Strassen waren mit farbigen Fahnen dekoriert, die Rennautos zeigten.
Kleine Mängel
Nicht ganz mithalten kann die Ausführung des Buches. Es hat diverse Druckfehler. Vor allem die Namen und Zeiten werden immer wieder falsch wiedergegeben. Einmal ist die Bildlegende falsch (Fangio anstelle von Moss, Seite 111). Auch ist störend, dass die Startaufstellungen und die Ranglisten nicht durchgängig für alle Rennen gleich dokumentiert werden. Teilweise fehlen sie sogar ganz. Zwar hat das Buch verdankenswerterweise einen Index, doch fehlen dort die Einträge für die zitierten Auto-Journalisten.
Für eingefleischte Fans und Einsteiger
Das Buch ist sicher einmal für eingefleischte Mercedes-Fans. Einige der Fotos wurden bisher in Publikationen selten oder sogar überhaupt noch nie gezeigt. Dazu kommen die Auszüge aus der Berichterstattung in der Autopresse und die Kommentare der Protagonisten aus ihren Biographien, die spannend zu lesen sind. Sie machen das Buch wirklich „revealing“ (aufschlussreich).
Grundsätzlich wäre ein solches Buch auch für ein jüngeres Publikum geeignet, das sich für modernen Motorsport interessiert und nicht abgeneigt ist, auch einen Ausflug in die Geschichte zu machen. Das Englisch ist leicht zu lesen und stellt kein Hindernis, sondern eher einen Ansporn dar. Zudem ist es als e-book erhältlich. Mit einen Preis von fast Euro 100 ist der Einstieg allerdings nicht günstig.
Bibliografische Angaben
- Titel: Two Summers: The Mercedes-Benz W 196 R Racing Car
- Autor: Robert Ackerson
- Sprache: englisch
- Verlag: Veloce Publishing
- Auflage: 1. Auflage 2015 limitiert auf 1‘500 Exemplare
- Umfang/Format: gebunden mit Umschlag, 255 x 255 mm, 200 Abbildungen, 208 Seiten
- ISBN-13: 978-1-84584-751-7
- Preis beim Verlag: £ 75.00, bei Online-Versandhäusern: 99.95 Euro (ohne Porto/Versand), auch als e-book erhältlich
- Kaufen/bestellen: Online bei amazon.de , beim Verlag Veloce Publishing oder im einschlägigen Buchhandel
































































































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