Es ist nicht das einzige Buch, das zum hundertjährigen Geburtstag von Bentley erscheint, aber der Autor Andrew Noakes ist ein Garant dafür, dass es gut recherchiert und stimmig zu lesen ist. Noakes hat eine Ausbildung zum Ingenieur in Fahrzeugtechnik absolviert und begann 1994 technische Artikel für Fachzeitschriften zu schreiben. Bald machte er sich auch einen Namen als Autor für spannende Artikel über alle Marken von Abarth bis Zastava, er schreibt Reiseberichte und berichtet über Motorsport-Veranstaltungen. Heute schreibt er für zahlreiche englischsprachige Magazine.
Der Beginn
Das Vorwort und die Einleitung werden mit einer Zeitleiste ergänzt, welche die Modelle der Marke auflistet. Danach widmet sich der Autor auf acht Seiten dem Leben des jungen Walter Owen Bentley, beginnend mit seiner Jugend, als er seine Leidenschaft für Geschwindigkeit und Leistung mit Motorrädern und Dampfmaschinen entdeckte.
Ausführlich werden die Abenteuer des ehrgeizigen Mannes beschrieben, wie er sich immer mehr für Automobile und den Rennsport zu interessieren begann und wie es schliesslich zur Firmengründung kam. Der Grundstein zur Legende war gelegt. Die frühen Jahre werden mit dutzenden historischen Fotos veranschaulicht.
Die erfolgreichen Anfänge im Rennsport und die Krise
Dass die “Bentley Boys” damals den Rennsport dominierten und in Le Mans Siege in Serie einfuhren, ist vielen bekannt. Der Autor geht hier aber auch auf andere Renn-Erfolge ein und beleuchtet die Motorsport-Ambitionen von Bentley sowie seine Affinität zu Flugzeugmotoren sehr genau.
Die Wirren der Übernahme
Dass Rolls Royce vorerst kein Interesse an der Übernahme von Bentley bekundete, dürfte nur wenigen bekannt sein. Auch hier taucht Noakes aber tief in die Geschichte ein, beleuchtet den Zusammenhang mit dem früheren Automobilhersteller Napier, die Rechtsstreitigkeiten welche der Übernahme vorausgingen und die Identität des vorerst mysteriösen, unbekannten Käufers. Das war nämlich nicht Rolls Royce, sondern eine unbekannte Organisation.
Nach dem ersten Drittel des Buches geht die Geschichte mit der Bindung an Rolls Royce weiter und erzählt von den zwischenmenschlichen Schwierigkeiten eines solchen Zusammenschlusses. Der Leser kann richtig mitfiebern, was sich hinter den Kulissen abspielte und wie Bentley später zu Lagonda berufen wurde, einer damals im Rennsport sehr erfolgreichen Marke. Hier, ungefähr in der Mitte des Buches, trennt sich O.W. Bentley von Rolls Royce und das Buch fährt mit der nächsten Ära fort.
Rolls Royce Ära und Badge Engineering
Mit eindrucksvollen Fotos wird auf den folgenden Seiten illustriert, wie die Fahrzeuge von Bentley fortan nicht mehr an Touren- oder Rennwagen erinnerten, sondern deutlich als luxuriöse Strassenfahrzeuge erkennbar wurden. Der kurz darauf ausgebrochene zweite Weltkrieg brachte die Automobilproduktion im vereinigten Königreich (und weltweit) ins Stocken und nahm erst Ende der vierziger Jahre wieder Fahrt auf. Die Fahrzeuge der Nachkriegszeit veranschaulichen, wie sie mit den Rolls Royce optisch und technisch immer ähnlicher wurden, bis man von einem eigentlichen Badge Engineering sprechen konnte.
Der Autor bringt hier den allgemeinen Umbruch in der Automobil-Industrie sowie die geänderten Kunden-Anforderungen ins Spiel und vermittelt den Zeitgeist gekonnt. Details zur nicht sehr bekannten Zusammenarbeit mit der British Motor Corporation oder zum Einbau technischer Komponenten von Citroën runden das Kapitel der sechziger Jahre ab.
Noakes beschreibt stets die Modellreihen, weshalb sich die Beschreibung einzelner Modelle (zum Beispiel jene über das Modell T) über mehr als ein Jahrzehnt erstrecken. Dadurch ist es auch leicht möglich, dass sich der Leser kompaktes Wissen über ein bestimmtes Modell zu Gemüte führen kann, ohne in verschiedenen Kapiteln blättern zu müssen. Es ist erstaunlich, wie genau der Autor auf Details achtet: Wo sonst erfahren Sie, dass im Mulsanne auf einer LED Anzeige die verstrichene Fahrzeit angezeigt wurde?
Vickers und danach VW
Anschaulich und ausführlich beschrieben ist auch die Zeit nach der Fusion mit Vickers 1980, als Bentley nach schwierigen Jahren wieder auferstanden war und mit sportlichen Modellen attraktiver wurde.
Nach fast 20 Jahren unter dem Dach von Vickers wurde die Marke Bentley schliesslich an Volkswagen verkauft, in deren Besitz sie heute noch ist.
Rennsport der Neuzeit und wirtschaftliche Überlegungen
Ein ganzes Kapitel widmet der Autor auf 14 Seiten den legendären Le Mans Erfolgen der Neuzeit, die uns wieder an den Beginn des Buches mit den “Bentley Boys” erinnern.
In einem weiteren Kapitel wird beleuchtet, wie Volkswagen Bentley wirtschaftlicher machen will. Es sind Konzeptstudien abgebildet, die Rennsport-Elemente optisch aufnehmen. Volkswagen versucht herauszufinden, was der Bentley Kunde will.
Mit Seite 227 schliesst das Buch das Jahr 2019 ab und wird mit einer bebilderten Modellübersicht und einem Stichwortverzeichnis komplettiert. Dass in der Modellübersicht die Bauzeiten fehlen, ist bei einem so exakt recherchiertem Buch zwar überraschend, aber zu verkraften.
Für wen ist das Buch?
Wer sich nur für Modelle aus einer bestimmten Periode oder ein bestimmtes Modell interessiert, für den mag der Inhalt des Buches wohl zu weit greifen, was naturgemäss die Detailtiefe einschränkt. .
Für alle, die sich für die gesamten 100 Jahre der Marke interessieren, ist es auf jeden Fall eine passende Lektüre. Ein Buch, das man gemütlich am Abend vor dem Kamin lesen kann, um in die verschiedenen Perioden der Geschichte von Bentley einzutauchen.
Bibliografische Angaben
- Titel: Bentley - Luxus Leidenschaft und Tradition seit 1919
- Autor: Andrew Noakes
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Motorbuch Verlag
- Auflage: 1. Auflage, 25. September 2019
- Format: Gebunden, 24,8 x 2,3 x 25,7 cm
- Umfang: 224 Seiten, viele neuzeitliche Farbbilder, einige Schwarzweiss-Fotos
- ISBN: 978-3613041981
- Preis: EUR 49.90
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