Kaum ein anderer Designer-Prototyp hatte soviel Aufsehen erregt, wie der Stratos HF, den Bertone am Turiner Autosalon 1970 präsentierte. Bertone wollte den Wagen ursprünglich Stratolimite” nennen, um zu illustrieren, wie weit voraus das Design sei. Daraus wurde dann aber Stratos HF, wobei das “HF” auf den Motor aus dem Fulvia HF hinwies.
Kompromissloser Keil
Nur 84 cm hoch und vollständig der Keilform verschrieben präsentierte sich der Stratos HF. Statt einer Einstiegstüre bestieg man das Fahrzeug durch die vordere Verglasung. Die Motorhaube über dem Mittelmotor öffnete seitwärts von links nach rechts. Zehn superflache Lampen sollten die Nacht zum Tage machen.
Das Interieur war mindestens so futuristisch wie der Rest des Autos. Links vom Fahrer breitete sich ein flaches Instrumentenpanel aus, das Lenkrad von Gallione-Hellebore nahm eine zentrale Stellung ein.
Lancia-Komponenten
Die Antriebseinheit des Stratos HF kam mitsamt seinem Hilfsrahmen aus einem verunfallten Lancia Fulvia Coupé: 1’584 cm3, V4-Anordnung, zwei Solex C42 DDHF Vergaser, 115 PS, Fünfganggetriebe. Im Stratos wurde die Maschine gegenüber dem Fulvia um 180 Grad gedreht und mittschiffs eingebaut. Die Räder waren vorne und hinten einzeln aufgehängt, aus Platzgründen kamen vorne McPherson-Federbeine zum Einsatz.
Funktionsfähiger Prototyp
Fast nicht zu glauben, aber der Stratos HF war ein funktionsfähiger Prototyp. Quattroruote fuhr den Wagen durch Mailand, Bertone fuhr mit ihm bei Lancia vor und schaffte es offensichtlich, unter dem geschlossenen Eingangstor durchzufahren.
Auch die Redaktoren der Automobil-Revue erhielten 1971 die Gelegenheit, den Stratos zu fahren. Sie schrieben unter anderem: “Mit Ausnahme der etwas schwergängigen Schaltung liessen sich sämtliche Bedienungsorgane trotz ihrer ungewohnten Anordnung nach relativ kurzer Angewöhnungszeit mühelos bedienen. Die knapp drei Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag aufweisende Zahnstangenlenkung wirkt in Verbindung mit dem kleinen Lederlenkrad sowie den breiten Racingreifen aussergewöhnlich direkt und bissig”. Weniger zu überzeugen vermochte jedoch die unbefriedigende Abstimmung von Federungs- und Dämpfungseigenschaften, sowie das stark von der Fahrbahnbeschaffenheit abhängige Eigenlenkverhalten der einzeln aufgehängten Antriebsräder, was den Geradeauslauf ungünstig beeinflusst.”
Von den Fahrleistungen zeigten sich die Journalisten auch nicht vollständig begeistert: “Obwohl die Spitzengeschwindigkeit dieses rund 800 kg schweren und mit einem 114 DIN-PS abgebenden Lancia-V4-Motor ausgestatteten Coupés dank der aerodynamisch gutdurchdachten Karosserieform mit rund 200 km/h ausserordentlich hoch liegt, vermochte das Beschleunigungsvermögen trotz des verglichen mit dem Fluvia HR etwas günstigeren Leistungsgewichtes nicht restlos zu überzeugen”.
Im weiteren lobten sie Schallisolierung und das Sicherheitsgefühl auf guten (und leeren) Strassen.
Inspiration für die Rallye-Ikone Lancia Stratos
Der Lancia Stratos, den wir als Rallye-Sieger und Strassenfahrzeug mit Dino-V6-Power hinter dem Fahrer, kennen, ist ein direkter Nachfahre des Stratos HF Zero.
Einige Design-Ideen wurden übernommen, aber im Vergleich zum super-keilförmigen Prototyp von 1970 ist der spätere Stratos Stradale geradezu bequem und einladend geworden.
Zusammen mit anderen Preziosen der Bertone-Sammlung versteigert
Im Jahre 2000 wurde der Stratos HF Zero restauriert und gelangte damit in sehr guten Zustand in neue Hände, als der neue Besitzer am 21. Mai 2011 an der RM Auction anlässlich des Concorso d’Eleganza Villa d’Este € 680'000 dafür bot, was allerdings tiefer war als die Schätzungen, die in der Gegend von € 1’000’000 bis 1’800’000 (Schätzung RM Auctions).
Ob der nur 115 PS starke Flachmann genügend Gegenwert für die eindrucksvolle Summe bietet, muss jeder selber entscheiden. Einmalig und begehrenswert ist diese keilförmige Flunder auf jeden Fall. Interessant zu wissen ist, dass die Herstellung des Stratos HF 1970 rund 40 Millionen Lire gekostet hatte, oder in etwa das Achtzehnfache der Kosten eines neuen Lancia Fulvia Rallye 1.6 HF Coupés.
Weitere Informationen
- AR Nr. 24 / 1971 vom 27. Mai 1971, Seite 2 - Für Salons oder zum Fahren?
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Auf einem, um rund 10 cm verlängerten, Stratos-Stradale-Chassis (#S12201), angetrieben von einem Standard-Dino 2,4 L-V6 (#829AR0/C0), entstand die keilförmige und für das Betrachterauge recht gewöhnungsbedürftige Designstudie "Lancia Sibilo" bzw. (inoffiziell) "Lancia Stratos Sibilo".
Unverwechselbar ein Bertone bzw. ein Gandini! Man erkennt im "Sibilo" die mutige Vermischung bekannter Designelemente, wie man sie beim Alfa Romeo "Navajo", beim Ferrari/Dino 308 GT4 "Rainbow" oder auch beim frühen Lamborghini Countach vorfindet.
Eine äußerst futuristische Interpretation, aber durchaus dem damaligen Zeitgeist entsprechend und natürlich auch ein wertvolles Stück Automobilgeschichte.