Ende der Fünfziger- und zu Beginn der Sechzigerjahre blühte die britische Sportwagen-Special-Szene. Kleine Firmen stellten erschwingliche Sportwagen auf die Räder, die gar nicht selten nur in Komponenten oder als Bausatz in homöopathischen Mengen verkauft wurden. Die kleinen Hersteller erhielten keinen Zugang zur London Motorshow, denn dort durften nur die Mitglieder der sogenannten “Society of Motor Manufacturers and Traders” (SMMT) ausstellen, also namhafte Firmen mit grossen Fabriken.
Die kleinen Anbieter formten sozusagen als Gegenbewegung den “British Racing and Sports Car Club” (BRSCC) und organisierten ihre eigene Ausstellung in London, die “Racing Car Show”. Im Jahr 1960 fand sie erstmals in der Londoner Royal Horticultural Hall statt und sie bot allen Platz, die irgend etwas mit dem Automobil zu tun haben wollten. Vor allem aber konnten hier die britischen Kleinhersteller ihre neuesten Produkte zeigen, 1961 waren Marken wie etwa Cheetah, E.B. Debonnair, Falcon, Ginetta, GSM, Marcos, Rochdale oder TVR vor Ort … und eben auch der einzige Hersteller aus Wales, namens Gilbern Sports & Components Ltd..
Namensgeber hinter Gilbern waren GILes Smith und BERNhard Friese, ein wahrlich sehr diverses Gründerpaar. Bernhard Friese, geboren in Marienwerder, das damals Teil von Pommern/Deutschland war (heute Kwidzyn, Teil von Polen) und als Kriegsgefangener nach Grossbritannien gekommen, hatte sich als Karosseriebauer durchgeschlagen und in den Fünfzigerjahren mit dem Bau von Kunststoffteilen Erfahrungen sammeln können. Im Jahr 1956 zog er nach Wales und traf dort vermutlich per Zufall auf Gilles Smith, den Sohn einer Metzger-Familie.
Enthusiasmusgetriebene Partnerschaft
Sowohl Friese als auch Smith interessierten sich für schnelle Autos und formten eine Zweckgemeinschaft, aus der 1959 dann der erste gemeinsame Sportwagen entstand. Statt auf einem bestehenden Chassis aufzubauen, wie viele Special-Konstrukteure es gemacht haben, entschieden sie sich dafür, selber einen Rohrahmen zu entwickeln, diesen mit käuflichen Grossserienteilen zu ergänzen und mit einer Kunststoff-Karosserie zu versehen.
Anstatt aufwändig die Linienführung des Aufbaus zu designen, kombinierten sie einfach Bestehendes. Sie kombinierten das Dach eines Riley 1,5 Litre und Türen/Kotflügel vom Austin A40 Farina, ergänzten die so erzeugte Negativform mit Aluminiumteilen und Sperrholz. Mit der Form erzeugten sie die erste Kunststoffkarosserie, die sie dann auf das aus Vierkantrohren zusammengeschweisste Rohrrahmen-Fahrgestell setzten.
Für einen besseren Einstieg hatten die beiden Autokonstrukteure extra auf hohe Längsverstrebungen zwischen A- und B-Säule verzichtet.
Sportwagen aus dem Schlachthaus
Mangels eines besseren Standorts entstand der erste Prototyp sozusagen im Schlachthaus der Smith-Metzgerei. Die Hinterachse entnahm man einen Riley 1,5 Litre, die Frontaufhängung stammte vom Austin-Healey Sprite, der Vierzylinder-Motor kam ebenfalls von BMC und war ein 948 cm3 grosses A-Series-Aggregat.
Den Prototyp zeigten Smith und Friese dem in Wales ansässigen Amateur-Rennfahrer Peter Cottrell und dieser war offenbar so begeistert, dass entscheiden wurde, in die Serienfertigung zu gehen.
Komponenten-Auto anstatt Kit Car
Ursprünglich wollte das Gilbern-Duo den Gilbern GT, wie er nun genannt wurde, als Kitcar ausliefern, d.h. die Kunden hätten den Bausatz, bestehend aus Rahmen und Karosserie, dann mit selbst zugekauften Teilen komplettiert. Doch schon bald war ersichtlich, dass dies zu erheblichen Qualitätsproblemen führen würde.
Also änderte man die Richtung und begann die Autos in Komponentenform auszuliefern. Allerdings mussten die nötigen Technikteile via das BMC-Händlernetz angekauft werden, was zu hohen Kosten führte, weil man für einen Grosseinkauf mit Rabatten einfach zu klein war.
Für £ 845 erhielt der Käufer einen komplett lackierten Wagen, dessen Karosserie bereits mit dem Rahmen vernietet und teilweise einlaminiert war. Motor, Getriebe, Hinterachse, Räder und Auspuffanlage musste der Besitzer einbauen, auch im Interieur waren noch Handgriffe nötig. Theoretisch reichte für diese Arbeiten ein Wochenende, meistens dauerte es aber wohl rund sechs Wochen, bis ein Wagen fertiggestellt war.
Einer der frühen Autos wurde 1960 von der Zeitschrift “autosport” getestet und das Ergebnis war vorteilhaft für die junge Herstellerfirma. Erste Bestellungen kamen und schon 1961 konnten neue Räume bezogen werden, pro Monat entstand mit fünf Arbeitern etwa ein neuer Wagen.
Anlässlich der Rennwagenausstellung 1962 beschrieb auch die Automobil Revue den sportlichen Briten:
“Das Fahrzeug kann mit verschiedenen Triebwerken versehen werden. Eines davon ist der 948-cm3-BMC-Motor, der bei 5700 T/min 68 PS abgibt. Mit seinem Vierganggetriebe erreicht der Wagen 60km/h im zweiten, 105 km/h im dritten und 145 km/h im vierten Gang. Der elastische Motor ermöglicht ein gemütliches Rollen bei 25 km/h im direkten Gang, ohne dabei den ruhigen Lauf zu beeinträchtigen. Der komfortable Wagen ist vorne mit Scheibenbremsen ausgerüstet.
Der komplette Bausatz, der Chassis, Motor und K arosserie umfasst, kostet 845 Pfund, was etwas über 10’000 sFr. entspricht. Gegen Mehrpreis werden zusätzlich auch ein Kompressor, Speichenräder und ein kompletter Satz Scheibenbremsen geliefert.”
Stetige Weiterentwicklung
Natürlich blieb die Entwicklung nicht stehen. Anstelle des BMC-A-Motors durfte es bald auch ein Covernty Climax FWA sein, der aber wohl den meisten Interessenten zu teuer war. Günstiger war der Vierzylinder aus dem MGA mit 1622 cm3 und rund 80 PS Leistung.
Zur Londoner Rennwagenausstellung von 1963 kündigte Gilbern die Verwendung des 1,8-Liter-Motors aus dem MGB an. Allerdings hatte sich der Wagen nicht nur unter der Motorhaube verändert, es waren auch sonst viele Anpassungen eingeflossen. Das Rohrrahmen-Chassis war durch zusätzliche Verstrebungen verstärkt worden, der Motor wurde weiter hinten montiert, um den Schwerpunkt in Richtung Zentrum zu verschieben. Gleichzeitig konnte so Platz für eine Zahnstangenlenkung geschaffen werden. Vom MGB kamen nun auch die Aufhängungen, die Scheibenbremsen (vorne) und die 14-Zoll-Speichenräder.
Im Januar 1965 publizierte das Magazin “Motor Sport” einen ausführlichen Test mit einem leicht leistungsoptimierten MGB-Motor, der sich auf dem neuesten Stand (fünffachgelagerte Kurbelwelle) befand. 945 britische Pfund kostete der Gilbern G.T. 1800 zu diesem Zeitpunkt und er schaffte mit seinen 96 PS (b.h.p.) eine Spitze von 110 Meilen pro Stunde, also rund 177 km/h. 60 Meilen pro Stunde wurden aus dem Stand in 11,8 Sekunden erreicht, rund 12,5 Sekunden dürfte der Gilbern also für den Spurt von 0 auf 100 km/h benötigt haben.
Dem kompakten (392 x 152 x 133 cm) und leichten (860 kg vollgetankt) wurde ein gutes Handling attestiert, auch der Komfort im Innern und die Fertigungsqualität erhielten gute Noten.
Inzwischen wurden drei bis vier Autos pro Woche gebaut gemäss Firmenangaben, es war also durchaus möglich, einen von Hand gebauten (knappen) Viersitzer für tausend Pfund zu verkaufen.
Auch für den MGB-Motor bot Gilbern Tuning-Optionen an, sie wurden “Touring” (110 BHP) und “Competition” (130 BHP) genannt, womit die Höchstgeschwindigkeit auf über 190 km/h anstieg. Weber-Doppelvergaser und ein Aluminium-Querstromkopf gehörten zu den Finessen dieser leistungsgesteigerten Varianten. Als Verbrauch für die “Standard”-Version mit 96 BHP wurden übrigens 31 m.p.g. angegeben, also bescheidene 9,1 Liter Super pro 100 km.
Nicht sehr rentabel
Allerdings verdiente Gilbern kaum Geld am immer besser werdenden GT. Die Kosten für den Einkauf der BMC-Teile frass den Profit weg. So sann man nach Alternativen und führte Gespräche mit Ford. An der Earls Court Motor Show im Oktober 1965 – inzwischen war auch Gilbern gross genug, um beim SMMT Mitglied zu sein – kündigten Smith und Friesen jedenfalls eine neue GT-Variante mit dem Essex-Ford-V4-Zweilitermotor an.
Die Automobile Revue notierte in der Berichterstattung zum Londoner Autosalon:
“Ein weiteres Werk, das sich ebenfalls mit der Fabrikation von Selbstbausätzen beschäftigt, ist die Gilbern Sports Cars Ltd.. Neu beim äusserlich unveränderten Gilbern GT ist der an Stelle des bisherigen 1,8-Liter-Ford- Motor getretene 2-Liter-V4 derselben Herkunft, der dem sportlichen Coupé zu noch besseren Fahrleistungen verhilft.”
Auch Prospekte wurden gedruckt, doch viele Autos mit dem V4 konnten nicht verkauft werden, es fehlte an Zuverlässigkeit und Erfahrung mit dem neuen Motor.
So wurden etwa 175 der insgesamt gebauten 202 Gilbern GT mit dem MGB-Motor verkauft, bis man schliesslich ins nächsthöhere Fahrzeugsegment aufstieg.
Ablösung durch Genie
Die letzten Gilbern GT wurden 1967 gefertigt, als Nachfolger war bereits an der London Motor Show im Oktober 1966 der Gilbern Genie mit Ford-Essex-V6 vorgestellt worden, ein deutlich komfortabler und geräumiger Granturismo, der von der Automobil-Zeitschriftenlandschaft positiv begrüsst wurde.
Unterwegs im Mini-Aston
Sehr kompakt wirkt der kleine britische Sportwagen, an der Farbe, die damals übrigens nicht zum Standard-Repertoire von “Frost white”, “Italian red”, “British racing green oder “Lake blue” gehörte, liegt es nicht. Mit weniger als vier Metern Länge und bescheidenen anderthalb Metern Breite wirkt der “Mini Aston”, wie er auch schon genannt wurde, geradezu zierlich. Trotzdem findet man gut Platz im Innern, auf Passagiere hinten verzichtet man aber gerne. Die Rundumsicht ist gut, die Sitze sind komfortabel, die Ergonomie stimmt.
Mit seinem geringen Gewicht kommt der Gilbern dynamisch aus den Startblöcken, wirkt deutlich agiler als etwa ein MGB GT, erinnert mehr an einen TVR Grantura, den er aber bezüglich “Refinement” schlägt. Die vier Gänge lassen sich präzise wechseln, der Overdrive wird rechts vom Lenkrad dazugeschaltet.
Es macht Spass, mit dem kleinen Flitzer enge Landstrassen zu befahren und dank des Faltdachs und der ausschwenkbaren Fenster hinten stimmt auch das Klima im Innern. Das Coupé bremst sicher und der Federungskomfort ist deutlich besser als in einem Morgan jener Jahre.
Dank gut erhältlicher mechanischer Komponenten wird man auch für Wartung und Unterhalt nicht im Stich gelassen. Der Gilbern G.T. 1800 ist ein überaus seltener Exote, der einen die damit üblicherweise verbundenen Nachteile nicht spüren lässt. Ein guter Kumpel eben, der definitiv besser ist als die Summe seiner Einzelteile.
Wir danken der Touring Garage in Oberweningen für die Gelegenheit zum Foto Shooting mit dem umfangreich restaurierten Gilbern G.T. 1800 von 1964.
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