Amelia Island, 10. März 2018. Es ist sieben Uhr früh. Die ersten Schatten, die sich in der Morgensonne ausformen, sind noch genauso lang wie das Gegähne der ersten Frühaufsteher, die mit dem obligatorischen „Coffee to go“ in der Hand übers millimetergenau gekappte Grün schleichen. Ab übermorgen früh werden hier wieder die wohlhabenden Golfer ihre Clubs schwingen und kleine, löchrige Bälle in die Bunker dreschen. Doch bis dahin haben wertvolle historische Automobile Vorfahrt vor den so geruch- wie lautlosen Golf-Carts.
Kurzfristige Verschiebung
Gestern, am Freitag, hatten die Organisatoren den Concours d’Elegance kurzfristig vom morgigen Sonntag auf den heutigen Samstag vorverlegt – aufgrund einer Unwetterwarnung, die sich dann doch als blinder Alarm erweisen sollte. Allemal erstaunlich aber, dass eine Grossveranstaltung mit Hunderten von Teilnehmern und Tausenden von Besuchern mal eben kurzfristig umdisponiert werden kann. Und trotzdem geschmeidig funktioniert. Easy going made in USA eben.
Nun also das Sonntagsprogramm am Sonnabend. Unabhängig davon ist das frühe Auftauchen Pflicht, sofern man die prächtigen Fahrzeuge derart fotografieren will, dass man sie auf den Bildern auch sieht – und nicht zig weit weniger interessante Rückseiten derer, die die Karossen heuschreckenartig umkränzen. Ergo gilt die Parole: sehr früh kommen, sehr schnell sehr viel fotografieren, um dann im Antlitz der Besucherströme, die ab neun Uhr einsetzen, erst mal ausgiebig zu frühstücken.
Locker und bodenständig
Wer Amelia Island als weniger prominente Ostküstenvariante von Pebble Beach sieht, ist ein Ignorant. Hier, an Floridas Nordostzipfel an der Grenze zum Nachbarstaat Georgia und in Wurfweite der hässlichen Fast-Millionenstadt Jacksonville, geschieht die automobile Schönheitskonkurrenz erheblich lockerer.
Die Atmosphäre ist bodenständiger, die Menschen lässiger bis lustiger, die Wagen billiger – soweit dieses Adjektiv angesichts der hier auflaufenden Traumautos passt, die eher für sieben- anstatt für achtstellige Dollar-Beträge ihre sehr solventen Eignerhände wechseln. Jedenfalls ist das Großkapital auf diesem Golfplatz ein gutes Maß weniger präsent – beziehungsweise leichter auszublenden – als auf dem 18-Loch-Green rund 4500 Kilometer weiter westlich.
Tradition für einen guten Zweck
Mittlerweile kann Amelia Island sogar eine Art Concours-Tradition aufweisen: Heuer fand die Sause um die raren Flitzer bereits zum 22. Mal in Folge statt. Was dem Organisator Bill Warner recht gibt: Der wohlhabende Autofotograf, Motorjournalist, Oldtimer-Sammler und Philanthrop in Personalunion hat im kurzrasigen Zirkel der Luxusherberge Ritz-Carlton of Amelia Island eine der besten Shows rund um altes Blech etabliert, die es weltweit gibt.
Vor allem, auch das sei hier betont, definiert Old Bill damit seinen Charity-Gedanken ganz eigener Größenordnung: Die Einnahmen gehen an das Hospiz von Jacksonville, das auch eine der grössten Palliativkliniken der Vereinigten Staaten betreibt – ein Wohltätigkeitsniveau, von dem sich mancher europäische Veranstalter eine handfeste Scheibe abschneiden kann...
Mit Rennfahrerklasse
Weitere Besonderheit à la Amelia Island: Jedes Jahr ist der Concours d’Elegance einem anderen berühmten Motorsportler gewidmet – einem noch lebenden wohlgemerkt, damit jener die Ehren zu empfangen persönlich imstande ist. 1996 ging es mit Sir Stirling Moss los, Carroll Shelby, John Surtees, Dan Gurney und Phil Hill waren danach dran, 2014 Jochen Mass, 2016 Hans-Joachim „Striezel“ Stuck, dazwischen nochmals Stirling Moss.
Heuer war Emerson Fittipaldi an der Reihe – absolut verdient als einer der wenigen, die sowohl in der Formel 1 (Weltmeister 1972 und 1974) als auch in den grossen US-Rennserien alles abräumten. Und wohl der einzige seiner Altersklasse, die mangels Spass am Pensionärsdasein noch immer als Gasgeber aktiv sind.
Die entsprechende Klasse der Fahrzeuge, die der pockennarbig patinierte Brasilianer im Laufe der Jahrzehnte in verschiedensten Meisterschaften bewegte, ist selbstredend Teil der Folklore. Vom 1970er Formel-1-Lotus 72 über einen Porsche 911 RSR und einen Chevrolet Camaro bis hin zum 1994er Penske-Mercedes PC 23 aus der CART-Championship. Immer mitteldrin: ein unvergleichlich volksnaher Emerson Fittipaldi, 71, in prächtiger Plauderlaune.
Ein bunter Strauss
Gut, zahlreiche Ferrari, Porsche, Jaguar zieren das nahezu unüberschaubare Feld der Concours-Teilnehmer – unvermeidliche Attribute einer solchen Veranstaltung, die angesichts des sonstigen Aufgebotes schon fast profan anmuten. Genauso wie Vertreter der US-Marken Duesenberg, Auburn, Cadillac, Packard et cetera.
Doch das klingt despektierlicher, als es die Umstände verdienen: Gerade in Sachen Ferrari ist das Aufgebot derart facettenreich und ungewöhnlich, dass selbst echte Kenner des Cavallino rampante bisweilen zweimal hinschauen müssen, um ein Vehikel als Vollblut ihres Lieblingsstalls zu identifizieren. Ausserdem: Wo sich nicht weniger als 293 Automobile bei einer Schönheitskonkurrenz ein Stelldichein geben, ist der Strauss automatisch für jeden bunt genug.
Humor gehört dazu
Nicht weniger farbenfroh sind die weiteren Klassen. Es gibt die der Wagen des berühmten Martini Racing Team – von Lancias 037 und Delta S4 über Porsches 917 bis hin zum Service-Kastenwagen des weiss-blau-roten Wermut-Rennstalls, dem Ducato-Vorgänger Fiat 242 von 1981.
Also, wenn das nicht originell ist... jedenfalls spricht das, anders als bei anderen Concours-Veranstaltern, für das ausgeprägte Komikverständnis der Amelia-Arrangeure.
Hot Wheels und Concept Cars
Weitere exotische Klassen? Das gab es etwa die namens BDR. Das steht für „The Cars of Ed ,Big Daddy‘ Roth“, den Custom-Impresario, der viele jener nacktmotorigen Schaustücke schuf, die die Alten unter uns als „Hot Wheels“ von Mattel aus der Kinderstube erinnern. Outlaw, Beatnik Bandit, Orbitron, Mysterion – es gibt nicht viele Autokenner, die mit diesen Modellnamen ausserhalb ihrer längst entsorgten Looping-Rennbahn etwas anfangen können.
Oder die „Concept Cars“: Allein der Chrysler Thunderbolt von 1941, der in unserer begleitenden Bildergalerie gerechtermassen gleich mehrmals auftaucht, ist ein Höhepunkt dieses Concours.
Aber allemal auch solche Wettbewerber wie der oberscharfe Plymouth XNR aus der Feder des berühmten Designers, für dessen Nachnamen das Modellkürzel steht.
Die Rede ist von Virgil Exner, natürlich.
Jagdwagen
Die irrwitzigste Klasse ist indes die der „Hunting Cars“: wildeste Jagdwagen-Konstruktionen, die selbst Oldtimer-Fans mit Grosswildflinte im Waffenschrank noch nie im Leben vors Okular bekommen haben.
Gegen die 20er-Jahre-Rolls-Royce und die verwegenen US-Unikate, mit denen so geldreiche wie couragierte Serengeti-Desperados einst flüchtenden Dickhäutern nachstellten, fiel ein Konkurrent allerdings deutlich ab: der Porsche-Jagdwagen vom Typ 597 – eine Art Offroad-356, der Waidmanns Dank nur deshalb erhoffen lassen durfte, weil der Bundesrepublik Deutschland junge Bundeswehr damals nicht die Mittel hatte, grosse Stückzahlen eines Allradlers aus der Sportwagenmanufaktur ihrem Heer zu spendieren.
Starker Publikumsaufmarsch
Mit der steigenden Vormittagssonne füllt sich das Feld, tausende Schaulustige – nach Art des Bundesstaates Florida überwiegend reife bis sehr reife Semester – quellen auf den Golfrasen, der unter Tausenden von Sneakers und nicht viel weniger Diagonal- und Gürtelreifen ächzt. „In ein paar Stunden ist alles vorbei“, möchte man den gepeinigten Halmen zurufen. Aber hören können sie es nicht.
Ein paar Meter weiter brüllt ein ungezogener, Le-Mans-gestählter Ferrari-Zwölfender seine Drehzahlen unters Volk. Und das jubelt auch noch. Na gut, denkt da der tolerante Naturliebhaber: Einmal im Jahr dürfen sie’s, die Hochoktanigen. Zumal sie dafür sorgen, dass Amelia Island in Kreisen kundiger Oldtimer-Liebhaber zu den begehrenswertesten Reisezielen gehört. In Florida. Auch in den USA. Vor allem aber in der ganzen weiten Welt.
Natürlich gibt es auch Sieger, es gibt sogar zwei “Best of Show”, einen in der Kategorie Sport, ein Ferrari 250/275P von 1963, einen in der Kategorie Eleganz, einen Duesenberg J/SJ Convertible von 1929. Dazu gesellen sich viele weitere gefeierte Kategorien- und Klassensieger, diese seien im Anhang erwähnt.
Einen wirklichen Eindruck dieser besonderen Veranstaltung aber gibt die Bildergalerie mit über 100 Fotos.
Kategoriensieger
- American Classic (1930-1932)
1930 Packard 745 Roadster - American Classic (1933-1948)
1933 Packard 1005 Twelve Convertible Victoria - American Classic (Pre 1930)
1925 Locomobile 48-9 - American Limited Production
1953 Buick Skylark - Auburn
1935 Auburn 851 S/C - Bentley (Post-War)
1955 Bentley R-Type Continental Fastback - Cars of Fittipaldi
1974 McLaren M23/8 - Concept Cars
1960 Plymouth XNR - Duesenberg
1929 Duesenberg J-175 Dual Cowl Phaeton - E-Type
1961 Jaguar E-Type FHC - European Custom Coachwork
1932 Isotta Fraschini 8B - Commodore - Ferrari Daytona
1972 Ferrari 365 GTB/4 - Ferrari Production
1951 Ferrari 212 Export - Grand Touring Prototype
1988 Nissan GTP ZX-Turbo - Horseless Carriage (30+ Horsepower)
1915 Stanley 820 - Horseless Carriage (Electric)
1912 Rauch & Lang Town Car - Hunting Cars
1926 Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake - Martini Racing
1988 Lancia Delta Integrale - Mercedes-Benz (1947-1972)
1961 Mercedes-Benz 190 SL - Mercedes-Benz (Pre 1947)
1938 Mercedes-Benz 320 Cabriolet B - Motorcycles
1981 MV Agusta Magni 850S - NART
1961 Ferrari 250 TRI/61 - Porsche (Carrera)
1955 Porsche 356 Pre-A Carrera - Pre-War
1934 MG NA Special - Race Cars (1946-1957)
1956 Chevrolet Corvette SR2 - Race Cars (1958-1966)
1964 Alpine M64 LeMans Prototype - Race Cars (1967-1980)
1972 Parnelli VPJ-1 - Race Cars (Pre-War)
1926 Bugatti T39A - Rolls-Royce (Post-War)
1950 Rolls-Royce Silver Dawn DHC - Rolls-Royce Silver Ghost
1912 Rolls-Royce Silver Ghost - Sports and GT Cars (1951-1956)
1954 SIATA 200CS - Sports and GT Cars (1957-1964)
1958 BMW 507 - Sports and GT Cars (1965-1975)
1965 Aston Martin DB5 - Sports Cars (Pre-War to 1950)
1934 Alfa Romeo 8C 2300