Die zwölf Jahre, die ich zwischen 1984 und 1995 mit der DTM verbracht habe, gehören zur schönsten Zeit meiner Berufslaufbahn als Journalist und Reporter. Da stimmte noch fast alles, Sport, Spaß und gute Stimmung prägten die Ereignisse auf und vor allem neben der Piste. Zwei Läufe, Reparaturpause, bis zu 40 Autos und eine Privatfahrerfraktion, die allein zahlenmäßig so stark war wie das gesamte aktuelle Starterfeld von heute. Alles in allem zwei Stunden Renn-Action, hinreißende Duelle, an jeder Ecke flogen die Fetzen. Typen wie Stuck, Cecotto, Soper, Larini, Winkelhock, Asch oder Nannini prägten das Bild. Das Preisgeld wurde abends noch in bar ausgezahlt und ITR-Mann Jörg Weick hatte für jedes Problem eine unkomplizierte Lösung parat.
3sat sendete samstags bis zu zwei und sonntags mindestens drei Stunden live, einschließlich diverser Rahmenrennen wie Formel 3 oder Porsche Cup. Je nach Anzahl der Rennabbrüche und Neustarts dauerte eine Sonntags-Übertragung auch schon mal vier oder fünf Stunden. Wie etwa in Berlin 1994, als der Opel Calibra von John Winter nach einem Mega-Crash explosionsartig in Flammen stand. Da haben wir mit der längsten DTM-Live-Sendung aller Zeiten, genau 5 Stunden und 10 Minuten, einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt. Heute empfinden viele die TV-Übertragungen als lieblos, ohne Herzblut und ohne jede Begeisterung.
Die einst so berühmte DTM-Atmosphäre kommt nicht mehr über den Bildschirm. Ich hatte noch das Glück, die herrlich unbeschwerten DTM-Jahre als Live-Reporter in vorderster Front mitzuerleben. Aus dieser Zeit der heilen DTM-Welt stammen auch die unzähligen Geschichten, die sich eingefleischte DTM-Gänger noch immer gern in fröhlicher Runde erzählen. Auf Anhieb fällt mir da eine ganze Menge ein.
Questers seltsame Zielankunft
Avus Berlin, Mai 1990. Im ersten Lauf driftet Dieter Quester, im BMW M3 auf Platz drei, ausgangs der Nordkurve in die äußere Streckenbegrenzung. Der BMW stellt sich auf, überschlägt sich ein paar Mal und rutscht auf dem Dach über die Ziellinie. Weil das Wrack auf der Fahrbahn liegt, wird mit der roten Flagge abgebrochen. Derweil windet sich „Quastl" aus dem Schrotthaufen, rennt zu Rennleiter Gerhard Gottlieb und will als erstes wissen: „Behalte ich meinen dritten Platz oder nicht?" Er behält ihn, weil 75 % der Distanz absolviert sind und unter Abzug einer Runde das Endklassement erstellt wird. Nach der erlösenden Nachricht beschäftigt den unverwüstlichen Quester, damals immerhin schon fast 51, gleich das nächste Problem: „Hoffentlich haben meine Mechaniker das Ersatzauto für den zweiten Lauf startklar." Die Sorge erweist sich unbegründet, der Renn-Oldie besteigt in der 10 Minuten-Pause den Zakspeed-Reserve-BMW und fährt vom Ende des 30er Feldes tatsächlich auf Platz neun und damit sogar nochmals in die Punkte.
Die teure PS-Wette mit Audi
Mainz Finthen, Mai 1990. Audi fährt mit dem V8 quattro die erste DTM-Saison. Hans-Joachim Stuck hat 14 Tage zuvor auf der Avus beide Läufe locker gewonnen und rückt der Tabellenspitze gefährlich nahe. Das Geschrei bei der Konkurrenz ist groß, man vermutet eine zu niedrige Basis-Gewichtseinstufung. Die erfolgt nach einem Handicap-Reglement, das die Hersteller anhält, unter anderem die PS-Daten offen zu legen. Als Faustregel gilt: Je größer der Hubraum und je reichlicher die Leistung, desto höher das Einstufungsgewicht des betreffenden DTM-Autos. Bei den 3,6 Liter Hubraum des V8 quattro gibt es nichts zu verheimlichen, wohl aber bei der Leistung. 400 PS geben die Ingolstädter am Saisonbeginn zu Protokoll, macht 1220 kg Basisgewicht. Soweit, so gut.
Nicht nur die Mitbewerber BMW, Mercedes und Opel, sondern auch „auto motor und sport"-Kollege Norbert Haug und ich als 3sat/ZDF-Kommentator hegen den Verdacht, das Audi mit den PS tiefstapelt. Wir vermuten mindestens 430 PS und vertreten diese Meinung auch ziemlich unverblümt bei unserer Arbeit. Herwart Kreiner, Sportchef der Ingolstädter, ist empört. Denn als Folge des Gezeters steht für die nächste Sitzung der ONS-Sportkommission bereits der Tagesordnungspunkt „Neueinstufung des Audi V8 quattro" zur Diskussion. Das Basisgewicht wird zunächst auf 1300 kg erhöht, später einigt man sich auf einen Kompromiss, der bei 1250 kg liegt.
Audi-Technik-Vorstand Jürgen Stockmar versucht Haug und mir mit treuem Blick zu erklären, dass wir mit unserem Verdacht auf dem Holzweg sind. Wir bleiben trotzdem bei unserer Meinung, worauf uns Stockmar eine ziemlich einseitige Wette anbietet: Für jedes PS, dass der V8-Motor unter den von uns vermuteten 430 Pferdchen liegt, sollen Norbert und ich am Norisring je eine Flasche guten Champagners abliefern. Übergabe nach dem Rennen am Dutzenteich. Für den Nachweis wird der Leistungsstand von Mainz vereinbart. Wir akzeptieren.
Das Unheil naht schon zwei Wochen später in Form eines Leistungsdiagramms, das uns Kreiner und Stockmar in Wunstorf triumphierend unter die Nase halten. Dem weiter vorneweg fahrenden V8-Allradler werden da gerade mal 406 PS bescheinigt. Wir sind geschockt. Schlagartig wird Norbert und mir klar, dass der Spaß jeden von uns mal eben 24 Flaschen Champus kostet. Kein Fusel wohlgemerkt, abgemacht ist eine gängige Premium-Marke. Anzuzweifeln gibt es nichts, Diagramm ist Diagramm, und überhaupt gelten Kreiner und Stockmar als Ehrenmänner.
Anfang Juli rücken wir, wie es sich für anständige Verlierer gehört, mit 48 Flaschen „Lanson Brut" am Norisring an. Stucks Audi mit der berühmten Startnummer 44 wird am Dutzenteich in Position gebracht, der edle Trunk auf der Motorhaube zur Übergabe drapiert. Kreiner schmunzelt, Stuck lacht lauthals und lässt gleich mal zur Probe einen Korken knallen. Die Deppen sind, daran gibt's nichts zu rütteln, Norbert und ich. Da ist es auch wenig tröstlich, wenn Kreiner so nebenbei einräumt, dass „wir hier an der Noris mit 415 PS gefahren sind".
„Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen" - das alte Sprichwort hat uns bei den nächsten Rennen geradezu verfolgt. Sowohl aus dem BMW- als auch dem Mercedes-Lager belächeln uns die Techniker mitleidig ob unserer Gutgläubigkeit. Und als beim denkwürdigen DTM-Finale von Hockenheim in beiden Läufen jeweils drei Audi V8 siegen und durch Stucks Doppelerfolg der Titel nach Ingolstadt geht, scheinen die Karten endgültig aufgedeckt. „Die haben uns doch das ganze Jahr über verarscht und sind immer nur so schnell gefahren, wie sie gerade mussten", lamentiert der im Endlauf deutlich distanzierte Mercedes-Topchauffeur Klaus Ludwig frustriert. Die Schätzungen über die tatsächliche Leistung schwanken beim Finale zwischen 450 und 500 PS.
Als dann auch noch Jahre später - Audi ist längst im Krach aus der DTM ausgestiegen - ehemalige Ingolstädter Mechaniker in trauter Runde dem V8-Motor von 1990 ganz offen Leistungen um 500 PS bescheinigen, wird endgültig klar, dass wir wohl doch ein paar Flaschen Champagner zuviel abgeliefert haben. Ich hake die Geschichte unter der Abteilung Ulk ab und Norbert, inzwischen frischinstallierter Mercedes-Sportchef mit Saubermann-Image, beschließt den Fall ebenfalls mit einem versöhnlichen Augenzwinkern: „Wenn wir denen schon auf den Leim gegangen sind, hätten sie uns ja wenigsten mal zum Mittrinken einladen können."
Schumi, der große Knall - und was wirklich dahinter steckte
Hockenheim 1990, DTM-Finale. Volles Haus, 80.000 Zuschauer, Riesenstimmung. Johnny Cecotto im Schnitzer-BMW M3 hat als Tabellenführer und Titelaspirant Nummer eins 19 Punkte Vorsprung auf Hans Stuck (Audi V8 quattro). Mercedes setzt ohne jeden Hintergedanken seinen neuen Sportwagen-Star Michael Schumacher als Gaststarter im Kärcher-Auto ein. Schon freitags flachst AMG-Manager Domingos Piedade wie üblich mit seinem Kumpel Cecotto rum: „Mein Freund, das wird nix mit deinem DTM-Titel. Wir haben dir den Schumacher mitgebracht, der fährt dir mal eben in der ersten Kurve kurz ins Auto und das war's." Soweit der Spaß.
Und nun zur Realität. Schumi, aus Reihe sieben gestartet, wird vor dem ersten Rechtsknick „vom frühen Bremspunkt der Vorderleute überrascht", weicht nach rechts über die Wiese aus und segelt direkt in die Beifahrerseite des Cecotto-BMW. Beide Autos sind demoliert, Abbruch, Neustart und Titelverlust für Cecotto, weil der im ersten Lauf ohne Punkte bleibt. Stuck wird mit zwei klaren Laufsiegen Meister.
Der Eklat danach: BMW glaubt felsenfest an eine gezielte Mercedes-Aktion, um Kurt Thiim oder Klaus Ludwig doch noch zum Titel zu verhelfen. „Das war ein Abschuss mit Ansage", empört sich der mächtige BMW-General Karl-Heinz Kalbfell. Derweil ist Herr Piedade über die Auswirkungen seiner Jux-Unterhaltung vom Freitag geschockt. „Nie und nimmer hätte ich geglaubt, dass so was tatsächlich passiert. Der Johnny ist ein guter Freund von mir, wir blödeln doch ständig auf dieser Basis rum." Dabei ist für die meisten Rennprofis sonnenklar: Wenn man im Startgewusel wirklich ein bestimmtes Auto, das dazu noch deutlich weiter vorn steht, treffen will, funktioniert das im Durcheinander der ersten Kurve sowieso nicht. „Da erwischst du garantiert den Falschen", glaubt nicht nur BMW-Teamkollege Altfrid Heger. Cecotto hat Schumacher diese Geschichte nie verziehen. Und einige BMW-Leute sind noch heute der festen Überzeugung, dass es sich damals um Vorsatz gehandelt hat.
Wenigstens einige BMW-Markenkollegen nehmen's mit Humor: Bei der Essener Motor Show des gleichen Jahres stürmen Altfrid Heger, Kris Nissen, Harald Grohs, Armin Hahne und Annette Meeuvissen während einer Interview-Runde mit Schumi und Jochen Mass überfallartig die Bühne am Mercedes-Stand. Im Gefolge der fröhlichen BMW-Abordnung der Essener Promi-Wirt „Purzel" (bürgerlicher Name des Ruhrpott-Originals: Detlef Prycibilla) im furchterregenden Teufelskostüm. Mit dem Schlachtruf „Rache für Hockenheim, Rache für Cecotto" stürzt sich der feuerrote Satan auf den verdutzten Schumi und fordert eine öffentliche Entschuldigung - „sofort, jetzt und hier". Das Publikum hat seinen Spaß, Schumi spielt mit und sagt artig, was man von ihm hören will. Damit findet die sportpolitisch hochbrisante Geschichte wenigstens auf Fahrerebene ein versöhnliches Ende.
Terminator Haupt
Singen, Premiererennen 1991. Rieseneklat im ersten Lauf. Kurt Thiim im Mercedes führt, Frank Biela im Audi V8 quattro folgt mit geringem Rückstand. Dann hat Hubert Haupt, vierter Audi-Werkspilot neben Stuck, Biela und Jelinski und mit 22 Jahren der Jüngste im Feld, seinen denkwürdigen Auftritt. Wegen eines außerplanmäßigen Boxenstopps steht der Münchner zur Überrundung an, klemmt sich zwischen Leader Thiim und dessen Verfolger Biela. Was ich dann auf dem Monitor sehe, verschlägt mir am Reporter-Platz fast die Sprache: Am Anbremspunkt für den Rechtsknick nach der Zielgeraden fährt der Audi-Youngster seinem Vordermann nicht nur mit Schmackes ins Heck, sondern schiebt den verdutzten Mercedes-Mann auch noch unter Einsatz des Gaspedals elegant geradeaus in den Notausgang.
Resultat der „Heldentat": Audi-Teamkollege Biela hat freie Fahrt zum Laufsieg, Thiim erreicht das Ziel am Ende mit knapp sechs Sekunden Rückstand auf Rang zwei. Die Strafe für die Rambo-Aktion fällt deftig aus: Haupt erhält noch vor Ort Startverbot für Lauf zwei und wird später vom Sportgericht noch zusätzlich zu 20.000 Mark verdonnert. Meines Wissens hat dieser Geldstrafenrekord noch heute Bestand, danach rangieren Roland Asch (Norisring) und Manuel Reuter (Hockenheim) mit je 10.000 Mark. Zur Ehrenrettung von Hubert Haupt muss man allerdings auch festhalten, dass er, mal abgesehen von der Rambo-Nummer in Singen, ein wirklich netter Bursche mit allerfeinsten Manieren ist.
Heli-Notlandungen im Nirwana
Hin und wieder habe ich den besonderen Luxus der individuellen An- und Abreise im Helikopter der TV-Produktionsfirma WIGE genießen dürfen. Das Fluggerät, ein Aerospatiale AS 350, dient bei den Live-Übertragungen der DTM-Läufe als Relaisstation für die Bilder der Cockpit-Kameras. Außer Pilot Bernd Kirstein meistens mit an Bord: ZDF-Regisseur Bernd Krämer und WIGE-Cutterin Delia Diettrich, manchmal auch Walter Mertes oder Wilhelm Gerner. Start-und Landeplätze sind die Wiese vor Gerners Haus in Lohmar und das Gelände vor dem Grundstück von Becker Design in Nieder-Olm bei Mainz. Auf dem Rückflug von Diepholz werde ich sogar mal bei einer schnellen Zwischenlandung direkt neben meinem Haus in Much abgesetzt.
Die fröhliche Reisegesellschaft weiß allerdings um meine fast krankhafte Flugangst und macht sich mit üblen Schauergeschichten fortwährend darüber lustig. Mein einziger Halt ist Pilot Kirstein, der mir immer wieder mit Engelsgeduld versichert, dass er bei der Bundeswehr jede nur erdenkliche Notsituation durchgespielt hat und der Heli überhaupt das sicherste Fluggerät ist. „Es gibt wirklich keinen Anlass zur Sorge", redet er vor jedem Flug beruhigend auf mich ein, „selbst wenn wir mal runter müssen, ist das völlig undramatisch."
Auf dem Flug zum DTM-Lauf in Singen sagt Kirstein plötzlich jenen Satz, der mich zusammenzucken und bleich in den Sitz sinken lässt: „Freunde, es gibt ein Problem mit der Sicht, leider müssen wir jetzt mal schnell notlanden." Im dichten Nebel setzt er den Heli auf einen Stoppelacker etwa 50 km vor Singen. Zu Fuß schlagen wir uns zur Dorfschänke der nächsten Ortschaft durch. Angst und Übelkeit bekämpfe ich dort erst mal mit ein paar Schnäpsen und schlage zum Zeitvertreib eine Pokerrunde vor. Die dauert etwa zwei Stunden, an deren Ende große Teile meines mitgeführten Bargelds bei Kollegin Delia gelandet sind. Dann bessert sich die Sicht, nach einer Brotzeit geht's zurück zum Heli. Die restliche Luftreise verläuft klaglos, am Ziel In Singen werden wir schon sehnsüchtig erwartet. Denn im Fahrerlager macht bereits die Latrinenparole die Runde, nach der wir „im Nebel eine Stromleitung gestreift haben und hart auf einem Acker aufgeschlagen sein sollen"....
Nur ein Jahr später, auf dem Rückflug vom Norisring, ist es wieder soweit. Irgendwo hinter Würzburg registriert Pilot Kirstein verdächtige Geräusche aus dem Bereich des Heckrotors. „Da stimmt was nicht, wir müssen sofort runter", lässt er seine entsetzten Mitreisenden wissen. Das sind außer mir noch Klaus Ludwig, Walter Mertes und Bernd Krämer. Sanft setzt Kirstein auf einer Wiese am Rand eines Spessart-Dorfs auf. Eine schnelle Begutachtung ergibt, dass der Schaden nur durch Servicekräfte zu beheben ist. Als Konsequenz müssen wir uns um den Weitertransport nach Hause jetzt selbst kümmern.
Kirstein sichert den Heli, wir marschieren in die nächste und einzige Kneipe, um zu telefonieren. Zum Glück erreiche ich noch meine beiden Frauen im Mercedes-Media-Mobil in Nürnberg und kann ihnen erklären, wo sie mich auf der Heimfahrt aufgabeln sollen. Das Trio Ludwig/Mertes/ Krämer klingelt derweil den örtlichen Autohändler aus seiner Sonntagsruhe und sucht um die leihweise Überlassung eines Autos nach. Der Mann ist nicht begeistert, mustert die Besucher kritisch und teilt mit, dass er, wenn überhaupt, nur einen alten Opel Commodore entbehren könne. Aus dem Hintergrund fragt die besorgte Chefin sicherheitshalber nach, „ob denn einer von ihnen überhaupt mit einem so großen Auto umgehen kann".
Nach langem Hin und Her und unter Deponierung von diversen Sicherheitsleistungen können die drei endlich in Richtung Köln durchstarten. Auf der Autobahn A 3 laufen sie auf das Auto von Arno Wester und Henry Panhuis auf, beide ebenfalls auf der Heimreise von Nürnberg. Als der Commodore zum Überholen ansetzt, ruft Henry entgeistert: „Guck' mal, in der Klapperkiste sitzt ja der Ludwig drin." Arno schenkt sich den Blick zur Seite und hat für seinen Beifahrer nur ein mitleidiges Kopfschütteln übrig. „Henry, jetzt siehst du schon Gespenster. Der Klaus ist mit dem Heli geflogen und schon längst zu Hause."
Der halbnackte Starter
Brünn 1992. Während der tschechische Sprecherkollege am Streckenmikrophon energisch von seinem Heimrecht Gebrauch macht, nutzt der „kaltgestellte" Kollege Kalli Hufstadt die Gunst der Stunde und fährt für einmal als Gast im Fond des Führungswagens mit. Allerdings nicht ohne Hintergedanken, in die auch der am Steuer sitzende Walter Mertes eingeweiht ist. Im geöffneten Schiebedach steht mit gelber Flagge bewaffnet ITR-Mann Michael Willms (auch unter dem Kosenamen „der kleine Prinz" bekannt).
Im Verlauf der Einführungsrunde verständigen sich Hufstadt und Mertes auf die Umsetzung ihres üblen Plans: Langsam aber sicher wird das Schiebedach soweit geschlossen, dass Freund Willms mit den Händen nicht mehr ins Wageninnere kommt. Sodann öffnet ihm Hufstadt genüsslich den Gürtel und zieht dem Bedauernswerten zügig die Hose runter. Der Gepeinigte muss das alles wehrlos über sich ergehen lassen, rudert wie wild mit den Armen, aber kann das Unheil nicht aufhalten. Und so passiert, was in der DTM-Geschichte wohl einmalig bleiben wird: Der arme Willms, peinlichst berührt und „unten rum" fast entblößt, übergibt nach der Zielkurve das Feld zum Indy-Start an den Rennleiter. Mertes und Hufstadt kriegen sich vor Lachen kaum noch ein.
Aus Poldis Scherzkiste
Berlin 1992. Die Avus ist für Leopold Prinz („Poldi") von Bayern, Dieter Quester und Hans Stuck schon traditionell der Platz für die übelsten Scherze des Jahres. Haben in den Vorjahren meist andere unter dem gnadenlosen Unfug des Spaß-Trios leiden müssen, so wird diesmal Gaudi-Bursch Stuck selbst zum Opfer. Und es sollte ihn an der empfindlichsten Stelle treffen. Schon freitags suchen seine Blödel-Kumpane in der Stadt gezielt nach einem gut sortierten Sex-Shop. Feixend kehren die beiden mit einem riesigen, etwa 30 cm langen schwarzen Penis samt Befestigungsgeschirr ins Fahrerlager zurück.
Am Eingang zur Audi-Presse-Hospitality ist in diesem Jahr regelmäßig ein Pappkamerad in Lebensgröße platziert - ein gut gelungener Prachtkerl namens Stuck mit Kochmütze und Speisekarte. Per Flüster-propaganda werden alle verfügbaren Fotografen für die Mittagspause am Samstag um eins zu Audi bestellt. Die Aktion wird von Poldi und Quester so verdeckt vorbereitet, dass Stuck absolut ahnungslos bleibt und sinnigerweise erst für 13.05 zum Ort der schamlosen Exhibition dirigiert wird. Stucki kommt also nichts ahnend daher geschlendert, guckt ob des Menschenauflaufs verdutzt in die Runde und fragt dann die Fotografen: „Was lacht's ihr denn so blöd"? Dann erst realisiert er, was man dem Pappkameraden für ein Riesenteil umgebunden hat und lacht erst mal kräftig mit. Der Frohsinn endet allerdings ziemlich abrupt, als Audi-Sportpressemann Dieter Scharnagl grummelnd die Versammlung auflöst und die Unschicklichkeit im Zeichen der vier Ringe diskret beseitigen lässt. Da sind die Bilder allerdings längst im Kasten.
Sicherheitschef auf Abwegen
Singen 1994: Robert Streule ist ein rühriger Mann. Tag und Nacht macht er sich in den Jahren des Singener DTM-Rennens Gedanken um optimale Sicherheit rund um den Stadtkurs. Für die vorletzte Auflage des populären Stadtrennens steht dem Chef der Streckensicherheit ein nagelneuer Porsche Carrera als Dienstfahrzeug zur Verfügung. Der alte Herr, deutlich über 70, kriegt leuchtende Augen, wann immer er das 300 PS-Coupe zu Kontrollfahrten um die Strecke prügeln darf. Dann allerdings, sonntags in der Pause zwischen beiden Läufen, nimmt Streules Fahrt im Regen durch plötzliches Aquaplaning ein jähes Ende an der Leitschiene. Der Einschlag ist kurz und sehr heftig. Bilanz einer missglückten Dienstfahrt: Der teure Porsche arg ramponiert, die Beifahrerin leicht lädiert, die Leitschiene verbogen. 3sat und ZDF geraten überdies wegen erheblicher Startverzögerung in akute Zeitnot. Der Einsatzleiter der ONS-Staffel ist ob der Eigendynamik des örtlichen Sicherheits-Zampanos stocksauer und verlangt Aufklärung darüber, wie die junge Dame in ein offizielles Sicherheitsfahrzeug kommt. Meister Streule wird an diesem Tag übrigens nicht mehr gesichtet...
Arno und die versteckte Kamera
Arno Wester ist schon zu meiner Zeit der gute Geist der ZDF/3sat-Mannschaft. Über weite Strecke sitzt der rennverrückte Düsseldorfer als „Schattenmann" neben mir, hört den Funk ab, hält Kontakt mit der Regie oder rechnet blitzschnell während des laufenden Rennens Punkt-Konstellationen aus. In den sieben Jahren, die wir gemeinsam in der DTM verbringen, sieht, hört und weiß Arno alles. Und wenn er mal nicht neben mir sitzt, schleicht er durch die Boxen, sperrt Augen und Ohren auf, schleift Teamchefs zu Christa Hass vors Mikro oder Fahrer rechtzeitig zum Siegerinterview.
Seine Paradenummer ist die „Kopf-Kamera": Das Mini-Teil, versteckt in Arnos Head-Set, nimmt gnadenlos alles live auf, was aus Sicht der Teams nicht unbedingt auf den Bildschirm soll. Wie etwa der gebrochene Radträger, die geplatzte Bremsscheibe, der abgerissene Schalthebel, die geborstene Sitzkonstruktion oder die hitzige Diskussion zwischen Teamchef und Fahrer. Wo immer Arno seinen Kopf rein gesteckt hat, war's mit der Diskretion vorbei. Immerhin dauert es drei Rennen lang gedauert, bis man der Nummer mit der verstecken Kamera auf die Schliche kommt.
Gar nicht gern hört Kollege Wester übrigens den Spitznamen „Gitter-Arno". Der entstand 1992 beim DTM-Lauf im tschechischen Brünn, wo er wegen eines lächerlichen Verkehrsdelikts einige Stunden in ungemütlichem Gewahrsam der tschechischen Polizei verbringen musste.
Auch in der neuen DTM hat Hobby-Rennfahrer Wester, inzwischen 55 Jahre alt, seinen alten Platz wieder eingenommen und sitzt bei den ARD-Übertragungen als Schattenmann in der Reporterkabine neben Kommentator und Experte. Überdies berichtet er als Korrespondent für Motor Sport aktuell (MSa) und für den „Sport Informations Dienst" (sid) von Rennsport-Ereignissen in aller Welt.
Edelfan „Eddie"
ZDF-Redakteur Volker Tietze, oft Leiter der 3sat Live-Übertragung, tritt 1994 und 1995 am Ende der Sendung gerne in der Verkleidung der Phantasiefigur „Edelfan Eddie aus Kelsterbach" auf. Im Outfit eines DTM-Fans, der alle beteiligten Hersteller gleichermaßen liebt, lässt er in breitem hessisch und mit viel Humor die Tages-Ereignisse Revue passieren. Ziemlich lange sind die TV-Zuschauer fest davon überzeugt, Eddies Auftritt sei live. Tatsächlich wird der Beitrag oft schon während des Rennens aufgezeichnet. Der Schwindel fliegt auf, als es eine technische Panne gibt. Volker ist bei einer seiner leidenschaftlichen Schilderungen ins Stocken geraten und bricht ab. „Wie, zu lang, also gut, wo soll ich wieder einsteigen?", lautete seine Frage an die Regie. Die antwortet, für alle hörbar: „Ab dem Opel-Desaster". Leider hat man danach vergessen, diesen Teil zu schneiden und das vermeintlich fertige Band landet so auf dem Sender...
Bernd Fischer und die heile Welt
Der Inhaber des Unternehmens „CNC Technik Fischer" in Neustadt an der Weinstraße ist DTM-Fan durch und durch. Die meisten DTM-Teams nutzen die Präzisionsteile des ehemaligen Alfa-Rundstreckenpiloten. Und seine jungen Schützlinge Sandy Grau und Bernd Mayländer hätten ohne ihren Gönner und Förderer Bernd Fischer den Zugang zum exklusiven DTM-Zirkel wohl kaum aus eigener Kraft geschafft. Das Pfälzer Original („allah, trinke mer einer") gehört zu den nettesten und ehrlichsten Menschen im DTM-Fahrerlager. Fischers Hospitality gilt als Dreh- und Angelpunkt, Kontaktbörse und Gourmet-Tempel. Bei ihm gibt's die besten Weine, die besten Bratkartoffel, die beste Wurst und die beste Stimmung. Berühmt-berüchtigt auch seine traditionelle Pfälzer DTM-Brotzeit mit „Weck, Wein und Worscht" für seine Freunde alljährlich zum Saisonbeginn in der „Eselsburg" im Bermuda-Dreieck Neustadt/Mußbach/Deidesheim. Als Bernd Fischer Ende 1994 bei einem Verkehrsunfall stirbt, ist die DTM um einen liebenswürdigen Farbtupfer ärmer.
Die Dame oben ohne
Unser 3sat/ZDF-Regisseur Bernd Krämer hat in den sieben Jahren, in denen wir gemeinsam die DTM fernsehmäßig begleitet haben, so manchen fetten Lacher ausgeheckt und umgesetzt. Verschont bleibt eigentlich keiner im Team. Mal blendet er im TV-Bild statt Walter Mertes „Geier-Wally" ein, mal heißt Leopold Prinz von Bayern „Prinz Dreopold". Weil Bernd um meine Schwäche, wie sehr mich Störungen von außen während der Live-Reportage aus dem Konzept bringen, hat er in Hockenheim mal eine Dame organisiert, die sich ohne jede Vorwarnung barbusig bei mir in der Reporterkabine einfinden und wortlos auf meinen Schoß setzen sollte. Schadenfroh wartet der Herr Regisseur mit der Ü-Wagenbesatzung auf meine Reaktion, die über die Mini-Kamera in der Kabine zu beobachten ist.
Als sich das mutige Mädel bereits in Marsch gesetzt hat, vergeht Bernd K. allerdings schlagartig die Vorfreude. Denn die Kontrollkamera zeigt plötzlich außer mir und Arno Wester eine dritte Person in der Kabine, mit der an diesem Tag niemand rechnet. Unser ZDF-Sportchef Karl Senne hat sich auf der Durchreise ohne Voranmeldung in die Reporterhütte geschlichen, um sich das Rennen von hier aus anzusehen. Bernd K. reagiert schnell: Über Funk schickt er einen Mann im Sauseschritt los, der die Dame stoppen und so das sich anbahnende Drama noch verhindern soll. Buchstäblich in letzter Sekunde wird Madame M. von der Kabinentür weggezerrt. Bernd K. ärgert sich über die misslungene Aktion ordentlich, denn das Arrangement hat natürlich seinen Preis. „Oder glaubst du wirklich", so Bernd stocksauer nach der Sendung, „dass es so einen Auftritt etwa umsonst gibt?".....
Was mir unter die Haut ging...
►►der grauenvolle Frontalzusammenstoß zwischen Armin Hahne und Klaus Ludwig 1989 am Nürburgring gleich in der ersten Runde des zweiten Laufs. Mit dem ZDF-Kollegen Bela Rethy kommentiere ich gerade mal mein drittes DTM-Rennen live. Als der Hahne-Sierra RS 500 mit fast 200 in den gegen die Fahrtrichtung stehenden Ludwig-Mercedes kracht, ist mein erster Gedanke: Das hat keiner der beiden überlebt. Ich bin so schockiert, dass ich wie in Trance weiterkommentiert habe. Immer wieder versuche ich, den Leuten und mir selbst unter Hinweis auf den extrem hohen Sicherheitsstandard der DTM-Autos Hoffnung zu machen, dass alles vielleicht doch noch glimpflich ausgegangen sein könnte. Dann haben die Helfer bei der Bergung der Fahrer dieses gottverdammte Tuch aufgespannt, das eigentlich immer was Ungutes verheißt. Mein Co Bela hat vor Schreck nur noch ständig gesagt, man müsse angesichts des schrecklichen Geschehens schon aus ethischen Gründen jetzt sofort Schluss machen mit dem Rennen und überhaupt mit der ganzen Übertragung. Ich bremse Bela ein, so gut es eben geht, der arme Kerl hat genauso wie ich zum ersten Mal einen so brutalen Frontal-Crash live gesehen.
Glücklicherweise geht dann doch alles viel besser aus, als es zunächst aussieht. Armin wird mit einem komplizierten Schienbein- und Oberarmbruch in die Klinik geflogen, Klaus hat nur schwere Prellungen am ganzen Körper. Bela und ich sind unendlich erleichtert - und ein Rennen plus Übertragung gibt es nach Neustart auch noch.
►►Hans Stucks erster DTM-Titelgewinn für Audi im vollbesetzten Hockenheimer Motodrom 1990. Diese ausgelassene, heitere Stimmung auf den Rängen - einfach grandios, unvergesslich.
►►das ungewollte Nachttraining des ersten DTM-Auftritts in Singen 1991. Weil die Strecke verspätet fertig wird, läuft das erste Freitags-Training bis in die Dunkelheit. Glühende Bremsscheiben, feuerspeiende Auspuffrohre, der Tanz der Lichter auf dem Asphalt und die schon vollbesetzten Tribünen - ein gespenstisch-faszinierendes Erlebnis für alle, die dabei sind.
►►der Norisring-Sieg 1992 von BMW-Pilot Jockel Winkelhock. Sieben Jahre, nachdem sein Bruder Manfred (+ 1985) an gleicher Stelle im Porsche 935 Turbo die 200 Meilen gewonnen hat, schreit Jockel seine Freude in der Auslaufrunde regelrecht heraus, hängt halb aus dem Fenster und ballt fortwährend die Faust. Gerade diesen Sieg an diesem Platz hat Jockel so gewollt und gebraucht. Soviel Emotion habe ich noch nie bei einem Rennfahrer gesehen. Beim Kommentieren dieser Bilder habe ich richtig Gänsehaut bekommen.
►►der erste DTM-Punkt von Gerd Ruch im Ford Mustang in der Saison 1992 beim Finale in Hockenheim. Als der Berliner Privatfahrer und Publikumsliebling den zweiten Lauf auf Platz zehn beendet und aus der Auslaufrunde zurückkommt, bilden alle eine Gasse zur Boxenanfahrt und begrüßen und beklatschen den Punktgewinn mit so viel ehrlicher Begeisterung, dass man vor Rührung fast feuchte Augen bekommt.
►►meine letzte DTM-Übertragung für 3sat und ZDF im Oktober 1995 in Hockenheim. Das ganze Team ahnt, dass wir die DTM zum letzten Mal in dieser Besetzung unseren Zuschauern ins Wohnzimmer liefern würden. Aris Donzelli und ich haben uns die beiden Läufe geteilt, jeder hat noch mal alleine je einen Durchgang für 3sat live kommentiert. Am Ende der Sendung hat sich die ganze Truppe mit einem Schlussbild verabschiedet. Mit der Umwandlung in die ITC und der Übernahme der Rennserie durch die FIA gehen auch die Übertragungsrechte für 3sat und ZDF verloren. Und der neue ZDF-Sportchef Dieter Poschmann, nicht gerade bekennender Motorsport-Fan, verspürt auch keinerlei Lust, um eine Fortsetzung zu kämpfen. Alle im Team sind unendlich traurig, weil wir eine verdammt gute Zeit miteinander gehabt haben. So was lässt niemand kalt, der den Job mit Herzblut gemacht hat.
►►der endgültige Abschied der ITC (die im Herzen der Fans immer noch eine DTM war) vom deutschen Publikum am 13. Oktober 1996 in Hockenheim. Als mein Freund und langjähriger Weggenosse Kalli Hufstadt zum letzten Mal vor dem Start auf seiner Mundharmonika das Cat Stevens-Stück „Morning has broken" spielt, kehrt bei den 80.000 Fans im Motodrom bedrückende Stille ein. So mancher Mechaniker heult hemmungslos in der Startaufstellung, andere setzen diskret die Sonnenbrille auf oder gucken weg. Und dann dieses tolle, großartige Publikum. Die Ovationen, der Lärm, der Jubel vom Start bis ins Ziel. Das ganze zweimal 15 Runden lang. Und am Ende gehen sie doch alle still und traurig nach Hause, weil sie wissen, was sie verloren haben.
►►das Abschiedsfest der DTM/ITC mit Auflösung der ITR im Dezember 1996, Stuttgart, Maritim Hotel. Reden von ITR-Präsident Hans-Werner Aufrecht, den Sportchefs Wolfgang-Peter Flohr (Opel), Giorgio Pianta (Alfa Romeo) und Norbert Haug (Mercedes). Eine lange, emotionale Nacht mit vielen Erinnerungen und reichlich Tränen.
Diese Geschichte stammt aus dem ersten Band der erfolgreichen Buchreihe "Hallo Fahrerlager" von Rainer Braun. Weitere Infos dazu gibt es auf der Webseite der Reihe www.hallo-fahrerlager.de.
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