Es war ein ganz normaler Werktag, der Besucherstrom im BMW-Museum hielt sich in Grenzen. Es waren vor allem Touristen, die sich durch die Sonderausstellung “BMW Cars Cars” bewegten. In der Mitte stand ein Mann, der von den Besuchern kaum beachtet wurde, Hervé Poulain. Er sprach derweil mit zwei Journalisten und erinnerte sich an die Siebzigerjahre, als er die Art Cars ins Leben rief.
Ein Franzose und ein Deutscher
Die Idee war brillant. Ein Rennwagen sollte als Leinwand für ein Kunstwerk dienen. Damit verbanden sich zwei Passionen des damals knapp 35-jährigen Poulain - Kunst und Rennsport. Hervé Poulain hatte Rechtswissenschaften studiert und wurde bereits 1969 zum Auktionator, der schon bei seiner ersten Versteigerung einen Dali verkaufte.
Seine Liebe zum Rennsport entdeckte er in der gleichen Zeit, begann mit Renault 8 Gordini und Alpine auf der Rundstrecke und auf Rallyepfaden zu fahren und dies mit einigem Erfolg.
In einer schwierigen Zeit
Autos hatten es in der ersten Hälfte der Siebzigerjahre nicht leicht. Die Energiekrise hatte aufgezeigt, wie abhängig man vom Erdöl war und wie schnell die erstrebenswerte Individualmobilität zum Erliegen kam. Hervé Poulain wollte der gebeutelten Bevölkerung eine Vision vermitteln und auch darstellen, dass das Automobil nichts Schlechtes war. Er wollte etwas neues schaffen, ein fahrbares Kunstwerk, eine Leinwand auf Rädern.
Sein Freund Alexander Calder, ein amerikanischer Bildhauer, der als Erfinder des Mobiles gilt, liess sich von der Idee überzeugen. Allein, was nun fehlte, war ein passendes Auto, mit dem Hervé Poulain in Le Mans starten wollte.
Erste Gespräche mit französischen Fahrzeugherstellern führten nicht zum Ziel, Jean Todt empfahl Poulain mit Jochen Neerpasch zu reden, jener sei vermutlich der Einzige, der die Idee wirklich verstehen würde.
Und tatsächlich, Neerpasch war begeistert, allerdings verfügte auch er nicht über einen für dieses Unterfangen bereitstehenden Rennwagen. Doch statt zu verzagen, liess der Leiter der BMW-Rennsportabteilung einen weiteres 3.0-CSL-Einsatzfahrzeug aufbauen. Und dieses wurde dann nach den Vorgaben von Calder bemalt und für die 24 Stunden von Le Mans 1975 gemeldet.
Das erste BMW Art Car
Der Calder-BMW strotzte nur so von Freude, stellte eine farbliche Geschwindigkeits-Explosion dar. Die Leute in Le Mans waren begeistert. Als man Calder damals zum Rundkurs einflog meinte dieser, es sei aber nett, dass alle diese Leute nur wegen ihm gekommen waren. Nun, die Hundertausenden von Zuschauern waren natürlich wegen dem 24-Stunden-Rennen in Le Mans.
Poulain startete zusammen mit Jean Guichet (Sieger Le Mans 1964) und Sam Posey. Die drei kamen leider nur bis zur 73. Runde, dann gab die Kraftübertragung ihren Geist auf. Aber bis dahin hatte das farbige Rennwunder die Leute begeistert und auch in der Presse sorgte der Wagen für viel Aufmerksamkeit.
Poulain fuhr das Auto voller Ehrfurcht. Er erinnert sich, dass es beim ersten Roll-Out regnete und dass er auf den ersten Runden Angst hatte, etwas am Wagen zu beschädigen.
Warteliste
Für das folgende Jahr wurde wiederum ein Art Car vorbereitet. Inzwischen standen die Künstler bereits Schlange, um ihre Kunst auf einem Rennwagen darzustellen, ohne Bezahlung notabene.
Wiederum entschied man sich für ein CSL-Coupé als Basis, dieses Mal aber mit einem Schnitzer-Turbo-Motor ausgerüstet. Im Gegensatz zum CSL von 1975 war der Schnitzer-Rennwagen ein Biest, kaum fahrbar und sehr unzuverlässig. Hinter das Steuer sollten sich Brian Redman, Peter Gregg und Poulain setzen, doch immer wenn Poulain mit dem von Frank Stella gestalteten Rennwagen auf die Piste ging, brach etwas, so dass er kaum zum Fahren kam.
Zwar wurde der Wagen auf Platz 8 qualifiziert, aber bis zu diesem Zeitpunkt hatten bereits zwei Motoren ihren Geist aufgegeben. Redman startete dann fulminant, fuhr bis auf den 3. Platz vor und schied, wie erwartet, bereits in der 23. Runde mit einem Ölleck aus.
Poulain hat keine guten Erinnerungen an den Wagen, wie man sich vorstellen kann. Aber er liebt das Design. Er erzählte, dass Calders Werk ein Fest der Freude sei, während Stella mit der millimeterpapier-ähnlichen Bemalung die Technik und die Arbeit der Ingenieure in den Vordergrund stellte.
Lichtensteins Ode an Le Mans
Im Jahr 1977 war Roy Lichtenstein für die Bemalung eines Rennwagens gewonnen worden. Beim Auto handelte es sich um einen BMW 320 Turbo der Gruppe 5. Lichtenstein bemalte wie seine Vorgänger eine Maquette, die dann den BMW-Lackierern als Vorlage diente.
Auf den beiden Türen war die auf- und untergehende Sonne zu sehen, Sinnbild für die 24 Stunden von Le Mans.
Mit dem BMW kam Poulain zusammen mit Teammitglied Marcel Mignot erstmals ins Ziel und dies gleich auf dem neunte Gesamtrang und an der Spitze der Zweiliterklasse.
Warhol malte den Wagen selber an
Im Jahr 1978 war Pause, für das Jahr 1979 dann konnte Andy Warhol für die Gestaltung des Rennwagens verpflichtet werden. Er lieferte zwei Entwürfe, die beide abgelehnt wurde. In der Folge flog Warhol nach München, um den Wagen gleich eigenhändig entlang seiner Vorstellungen in nur 40 Minuten mit Farbe und Pinsel zu bemalen.
Beim Auto handelte es sich um einen BMW M1 der Gruppe 4, den Poulain zusammen mit Manfred Winkelhock und Marcel Mignot steuerte. Bis auf den sechsten Gesamtrang fuhr das Trio vor, das beste Ergebnis eines Art Cars bisher. Der Rennwagen allerdings litt über die 288 Runden, am Ende lief er nur noch auf fünf Zylindern, ein Gang und der Scheibenwischer gaben ihren Geist auf. Weil man sich der Fragilität bewusst war, wollte man die Verantwortung für die letzten Runden dem Profi Manfred Winkelhock übertragen, was Poulain stark verärgerte, so dass er sich noch vor Rennende nach Paris zurückbegab und den Erfolg gar nicht mehr miterlebte.
Der M1 hat natürlich überlebt und sieht heute deutlich besser aus als am Ende der 24 Stunden, als der Spoiler praktisch weiss war. Ob Warhol selbst die Ersatzteile bemalt hat oder ob das die begabten BMW-Lackierer waren, entzieht sich der Kenntnis des Autoren.
Im Zentrum
Die ersten vier BMW Art Cars bilden das Herz der aktuellen Sonderausstellung im BMW-Museum, die noch bis zum Februar 2019 für Besucher offen ist. Inzwischen gibt es bekanntlich 19 BMW Art Cars, allerdings waren nicht alle davon Rennwagen. Es wurden auch normale Strassenfahrzeuge bemalt, was nicht ganz im Sinne Hervé Poulains war.
Daher war er sehr froh, dass man mit Jeff Koons und dem BMW M3 GT wieder zu Rennwagen zurückkehrte.
Von Koons Bemalung war Poulain begeistert, auch der Gestaltung von Baldessari konnte er einiges abgewinnen, während aus seiner Sicht Cao Feis Design zu elitär ausgefallen ist.
In München gezeigt werden diese sieben erwähnten Art Cars, weitere gibt es als Modell zu sehen. Ergänzt wird die Sonderschau durch private Sammlungsobjekte Hervé Poulains, zum Beispiel das Gemälde “Carscape” von Erro oder die zusammengestauchten Le-Mans-Pokale.
Auch damalige Helme, die übrigens von französischen Künstlern im zum Rennwagen passenden Design bemalt wurden, sind ausgestellt.
Hervé Poulain, der 2002 zusammen mit Partnern das französische Auktionshaus Artcurial gründete und noch heute im Alter von 77 Jahren den Hammer schwingt, zeigte sich begeistert von der Ausstellung und empfindet es eine Ehre, dass er in deren Zentrum steht.
Einzig hätte er sich gewünscht, die Rennmotoren wieder mal laufen zu hören. Er hatte schon mehrfach angeregt, dass der Calder-CSL doch das 24-Stunden-Rennen einmal eröffnen sollte, aber bisher wollte bei diesem Projekt noch niemand mitmachen. Aber wer weiss, vielleicht …