Gross, hager, schlaksig, den Scheitel streng nach rechts gekämmt, sitzt mir eine asketische Person gegenüber, deren linke Hand sanft über den Rücken der Katze auf dem Schoss streichelt, während der "lange aus Regensburg" gerade über seine letzte Fahrt mit dem damals neuen Mazda MX-5 fabuliert. Das ist nun schon ein paar Jährchen her, "aber den hab ich mir grad bestellt. Noch aus dem Auto raus per Telefon." So ist er.
Konsequent bis in die letzte Sehne; und Arbeitgeber Porsche musste die Autowahl akzeptieren. Auf der Rückfahrt von einer Porsche-Veranstaltung war Walter Röhrl mit dem Mazda 20 Minuten vor den anderen zurück. Die Freude war ihm anzusehen. Am 7. März ist Röhrl 75 Jahre alt geworden. Karsten Arndt und Röhrls langjähriger Co-Pilot Christian Geistdörfer haben ihm zum Geburtstag eine Hommage verfasst.
Eine Annäherung
"Walter Röhrl – 75 Jahre einer Legende" lautet der Titel des Buches, das auf 240 grossformatigen Seiten einen zweigeteilten Zugang zu Röhrls Leben umfasst. Zum einen kommen ausgewählte Wegbegleiter des Geburtstagskindes zu Wort, die Geistdörfer teilweise eigens zum Interview-Termin aufgesucht hat; darunter Rennleiter, Teammanager, Kollegen, Konkurrenten, Entwickler, Journalisten, Filmemacher und andere mehr.
Auf der anderen Seite zeigt Geistdörfers Buch eine in vier Segmente unterteilte Rückschau auf 75 Momente aus Röhrls Leben. Man kann sich sicher sein, Röhrl wird sich das Ganze durchschauen. Bilder sind ihm eher lästig, und was andere von ihm hielten oder halten, war und ist ihm stets gleich gewesen. Er wollte nur der beste Autofahrer sein.
Persönliche Geschichten, private Fotos
Dass kein einzelner Biograf über Herrn Röhrl geschrieben hat, sondern viele verschiedene Zeitzeugen und Wegbegleiter, ist denn auch eine schöne Abwechslung zum gewohnten Heldenverehrungs-Einerlei und hält die eine oder andere überraschende wie amüsante Anekdote bereit. Nur warum Jean Todt ohne Bezug zu Röhrl (abgesehen davon, dass sie zufällig zur selben Zeit im Rallyesport aktiv waren) seine Lebensgeschichte erzählen muss, erschliesst sich uns nicht so ganz. Timo Bernhard hat den Walter wenigstens von den Vorteilen feuerfester Unterwäsche überzeugen können.
Bei den Fotos wissen vor allem die persönlicheren Aufnahmen zu gefallen. Kommunions- und Hochzeitsfotos von Röhrl sieht man weit seltener als die üblichen Aufnahmen von Sieger-Ehrungen. Die privaten Bilder beim Skilaufen oder Kühe melken zeigen Röhrl einmal nicht als vielgelobten Rallyefahrer, sondern als „Mensch“, wie man heute so schön sagt, der sich auch 'mal auf Ski von Rauno Aaltonen im BMW ziehen lässt. Die Fotos aus Röhrls privatem Album zeigen natürlich auch seinen Fuhrpark im Laufe der Jahrzehnte – und unter anderem einen "Porsche 911 Turbo mit 3,3 Litern Hubraum und 260 PS" – der aber eigentlich 300 PS haben müsste. Ein solcher Fehler sollte in einem Buch über den vielleicht berühmtesten Porsche-Botschafter nicht passieren, ist aber zum Glück nur eine Randnotiz.
Wie alles begann und fast wieder beendet war
Seinen ersten grossen Auftritt hatte er bei der Olympia-Rallye 1972 im privat gemeldeten Ford Capri. Wie entfesselt legte der unbekannte Röhrl Bestzeiten vor und führte das Feld teilweise an. Doch seine Zeiten wurden gestrichen; konnte es doch nicht sein, dass der junge Unbekannte die Elite so düpierte. Letztlich löste ein Lagerschaden am Motor die ganze Situation für alle Seiten zum Wohlgefallen auf. Röhrl sollte noch nicht triumphieren; die Rallyewelt geriet noch nicht aus den Fugen.
Doch Röhrl wechselte zu Opels Irmscher-Team und wurde 1974 Europameister. Er startete für Opel anschliessend erfolglos in der Rallye-WM. Das bedeutete aber nicht das Aus seiner Karriere.
Mit Fiat zum Ziel
Die erfolglose Saison mit Opel 1977 – er erreichte bei fünf WM-Einsätzen nicht einmal das Ziel – kompensierte der Regensburger mit privaten Einsätzen auf einem Porsche 911. Aufgrund der widrigen Bedingungen bei der Rallye San Martino di Castrozza verzichtete er auf einen Start, um den teuren 911 zu schonen. Beim Abendessen vor dem Starttag bekam er von Fiat Teamchef Daniele Audetto spontan das Angebot mit dem verbliebenen Testwagen, einem Fiat 131 Abarth, zu starten. Mit diesem Team schien Walters Wunsch, einmal die Rallye Monte Carlo zu gewinnen, näher zu rücken. Röhrls Teamgeist bei seinem ersten Einsatz für Fiat unterstrich sein Stopp kurz vor der Ziellinie, als er auf Platz drei liegend den Teamkollegen Maurizio Verini passieren liess, um ihn weitere EM-Punkte kassieren zu lassen. Der Grundstein für seine Popularität in Italien und im Fiat-Konzern war gelegt.
Monte Carlo und doch noch Weltmeister
Von nun an ging’s bergauf. Der Fiat war konkurrenzfähig; das Team versiert. Die Gegner zählten zu den Grössten der Szene und hiessen Mikkola, Munari oder Alén. 1978 scheiterten der Monte-Carlo-Vorsatz, weil das Team Röhrl/Geistdörfer wegen eines querstehenden Teamkollegen vier Minuten verlor. Im Ziel waren sie das beste Team aus der Fiat-Equipe mit 3:19 Minuten hinter dem Sieger Jean-Pierre Nicolas auf Porsche 911. Doch 1980 schlug die grosse Stunde und Röhrl gewann die „Monte“ – mit über zehn Minuten Vorsprung; damals wie heute im Rallyesport Welten. Und nun sollte aus Röhrls Sicht Schluss sein. Er hatte sein Ziel erreicht. Erst die Frage seines Co-Piloten, ob er nun keinen Spass mehr am Autofahren habe, liess ihn umdenken. Er wurde mit 118 Punkten vor Mikkola (64 Punkte) Rallyeweltmeister.
Vierfacher Monte-Sieger und zweifacher Weltmeister
Es schloss sich eine Dekade an motorsportlichen Erfolgen an. Röhrl biss sich durch die Saison 1981, bei der Mercedes-Benz ob der abzusehenden Audi-Dominanz den unter Vertrag stehenden Regensburger auflaufen liess und auf das geplante Engagement mit dem SLC verzichtete. Doch von 1982 bis 1984 siegte Röhrl noch dreimal bei der Rallye Monte Carlo auf drei Fabrikaten, stets zum Saisonauftakt. 1982 wurde er sogar überraschend ein zweites Mal Weltmeister im vermeintlich unterlegenen Opel Ascona 400 gegen die Französin Michèle Mouton im Audi Quattro, die die WM-Führung im letzten WM-Lauf im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand setzte.
Da es gemäss Audi-Chef Ferdinand Piëch billiger war mit als gegen Röhrl zu fahren, kam 1984 endlich die Traumpaarung zustande. Audi hatte die Rallyewelt revolutioniert. Rallyesport war populärer als die Formel 1. Heute gilt die Gruppe B als goldene Ära des Rallyesports. Der Audi Sport-Quattro entwickelte sich zum Monster und Walter zu dessen Bezwinger. "Ich fühlte mich wie beim Ritt auf der Gewehrkugel. Ich schoss mich wie ein Querschläger von Kurve zu Kurve." Mit dem vierten Monte-Sieg hatte Röhrl sich auch auf "Siege für die Ewigkeit" eingeschossen.
Ausnahmesportler
Röhrl gewinnt mit dem Audi Sport-Quattro überlegen die Rallye San Remo, wird 1987 Sieger am Pikes-Peak-Bergrennen, fährt 1988 Trans-Am und 1989 IMSA GTO.
Auch die DTM macht er mit dem Audi V8 für drei Jahre unsicher; dabei immer überlegen, sich selbst treu bleibend, das Material schonend, nichts kaputt machend. Die Safari-Rallye 1987 auf Audi 200 Quattro absolviert er als Zweiter. Während Teamkollege Mikkola aufs Ganze geht, hebt Röhrl die Direktionslimousine sanft über jede Bodenerhebung und wird "nur" Zweiter. Röhrl ist Sportler durch und durch, begeisterter Skifahrer, Ruderer, Golfer und Rennradfahrer. Bei Audi begann die gesamte Kommunikationsabteilung mit dem Rennradeln um Röhrl herum. Ab 1993 war er bei Porsche dafür zuständig, aus guten Sportwagen jeweils einen Porsche zu machen – Schluss mit dem Wettbewerb. Audis kleine Tourenwagendenke war nichts mehr für die grossen Sprünge von Röhrl. Porsche wurde seine Heimat bis heute.
Fazit
Walter Röhrl ist ein Ausnahmeathlet. Auch nach 30 Jahren Abschied vom Motorsport sind seine Siege unvergessen, seine Popularität ungebrochen. Über Jahrzehnte war er Gradmesser für die Endabnahme der Porsche-Modelle. Nach aussen bescheiden, in der Haltung immer sich selbst treu. Statt an einer Werbe-Veranstaltung des Sponsors Rothmanns teilzunehmen, reiste er 1982 lieber mit dem Zug aus England ab anstatt den Bühnenclown zu spielen. Wo und wenn er antrat, wollte er zu den Besten zählen; nicht nur hinter dem Volant. Walter Röhrl war ein Vorbild, dabei hasst er nichts mehr als Ehrungen. Kein EM- oder WM-Pokal ziert seine Vitrinen – schlicht weil er nie zu den FIA-Ehrungen nach Paris fuhr. Er, der nur einmal die Monte Carlo gewinnen wollte, weil das seines Erachtens die höchste Auszeichnung war, hat den Spass am Autofahren auch nach dem ersten Sieg zum Glück nicht verloren. Sein Buch zum 75. Geburtstag wäre um manche Anekdote und Fabelzeit ärmer sein.
Auf Zeitentabellen und Ergebnislisten verzichten die Autoren ebenso wie auf einen chronologisch erzählten Karriere-Verlauf. "Walter Röhrl – 75 Jahre einer Legende" ist keine Biografie im klassischen Sinne, sondern eine Sammlung von Geschichten und unbekannteren Blickwinkeln auf eine sehr bekannte Persönlichkeit; eben ein 234 Seiten langes Geburtstagsständchen.
Bibliografische Angaben
- Titel: Walter Röhrl – 75 Jahre einer Legende
- Autoren: Christian Geistdörfer, Karsten Arndt
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Delius Klasing, 1. Auflage 2022
- Format: 276 x 297 x 29 mm, Festeinband mit Schutzumschlag
- Umfang: 232 Seiten, 194 Fotos
- ISBN: 978-3-667-12376-3
- Preis: € 59,90
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