Am Anfang schuf Ferdinand Porsche einen sportlichen Wagen. Und als er sah, dass er gut war, liess er für den sportlichen Wagen einen Motor konstruieren, um noch sportlicher zu werden und mehr Erfolge einzufahren. Den Carrera-Motor, auch bekannt als Fuhrmann-Motor. Dieser Maschine, die von 1954 im 550 Spyder bis 1965 im 904 Carrera GTS mehr als zehn Jahre lang die Speerspitze von Porsches Motorsporteinsätzen bildete, wurde nun ein Buch gewidmet.
Da liegt es vor einem. Das "Carrera-Buch", silbern matt glänzend der Hardcover-Umschlag, 30,8 cm breit, 24,5 cm hoch und satte 6 cm dick, wie aus dem vollen gefräst. Wenn man es hochhebt, reissen einem die mehr als 800 Seiten erst mal die Unterarme runter. Ein Neugeborenes wiegt weniger. Die Küchenwaage zeigt nur bis 4 kg an. Die Nadel schlägt weit drüber hinaus. Geschätzte 5,5 kg Carrera Know-how wurden hier in ein Buch verarbeitet, das mit Fug und Recht von sich in Anspruch nehmen kann, die Carrera-Bibel zu sein.
Das 1. Gebot: Du sollst ihn preisen.
Der Typ 547 ist nur ein Motor in der Porsche Geschichte, aber er ist der Motor, der Porsche half, den Nimbus zu schaffen, den die Marke heute geniesst. So gehen die Autoren Rolf Sprenger und Steve Heinrichs den Motor von jeder Seite an.
Nicht umsonst kommen sie auf 840 Seiten praller Erkenntnisse zum Motor und aller Fahrzeuge, in die er verbaut wurde. Wer hier nicht fündig wird, so empfehlen es die Autoren, der muss und soll selbst weiter recherchieren.
Das 2. Gebot: Du sollst ihn kennen.
Das Autorenduo sind ausgewiesene Porsche Kenner. Sprenger arbeite 4 Jahrzehnte lang bei Porsche, erst in der Konstruktion, später in der weltberühmten Werksreparaturabteilung. Heinrichs ist ein amerikanischer Porsche Fan, der sich für die frühen Modelle der Marke interessiert und engagiert.
Mit soviel Rüstzeug konnte man das Porsche Archiv, ehemalige Mitarbeiter aus Entwicklung, Konstruktion, Motorsport, Kundenbetreuung und Rennfahrer zum Motor aufsuchen und die Informationen zusammentragen, die in dieser Fülle eben zu dieser umfangreichen Materialsammlung führten. Selbstverständlich werden alle Typen en Detail vorgestellt.
Das 3. Gebot: Du sollst ihn verehren.
Normalerweise kommt einem 4-Zylindertriebwerk nicht die grosse Verehrung zuteil. Der maximale Hubraum setzt da schon eine gewisse Hemmschwelle. Umso packender, wie in diesem Buch der Motor auf den Altar gehievt wird. Von den umfassenden Anfängen der Entwicklung über die konstruktiven Details bis zur Fertigung und dem Einsatz in Renn-und Serienwagen kann man diesem Motor das Denkmal nach dem Lesen nicht mehr absprechen.
Ob Le Mans oder Formel 1. Ob Targa Florio oder Rundstrecke, dieser 4-Zylinder Motor mit dem berühmten Königswellenantrieb hat Renn- und Porschegeschichte geschrieben. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
Das 4. Gebot: Du sollst wissen, wo er her kommt.
Die Porsche Geschichte beginnt nicht erst 1948. Schon mit dem Konstruktionsbüro in Stuttgart 1931 werden wesentliche Charaktereigenschaften ausgebildet, die für Porsche später markant werden. So zeigt das Buch kurz aber prägnant auf, wo, wie und warum der Fuhrmann-Motor in einer gedanklichen Linie zum Auto Union Grand Prix Rennwagen oder dem Cisitalia 360 steht.
Auch wenn der Carrera-Motor weniger Zylinder und weniger Leistung hat, kann er sich konstruktiv mit ihnen messen. Spannend, wie dieser Bogen hier von den Autoren kompetent gespannt wird und aus dem Carrera-Motor und seinen Renneinsätzen eine konsequente Unternehmensgeschichte bei Porsche erzählt.
Das 5. Gebot: Du sollst ihn sehen.
Das Buch verfügt über 56 Farbfotos, 276 S/W Fotos, 105 farbige Abbildungen, 140 S/W Abbildungen. Das bedeutet statistisch auf jeder zweiten Seite ein Foto oder eine Abbildung. Zu einem Motor wohlgemerkt. klingt auf den ersten Blick langweilig, ist es aber nicht.
Die Fotos erzählen eindrucksvoll die Geschichte des Motors. Von der Entstehung bis zum Renneinsatz. Alles stimmungsvolle Dokumentationen von den Mechanikern in den vielen Porsche Werkstätten an zahllosen Rennstrecken bis zu den strahlenden Fahrern und Rennfahrern eines Porsche mit Carrera-Antrieb vermittelt das Material einen umfassenden Eindruck dieser Dekade bei Porsche.
Das 6. Gebot: Du sollst in Baugruppen denken können.
Tatsächlich bringen die Autoren den Motor und seine einzelnen Baugruppen minutiös in diesem Buch unter. Über 130 Seiten widmen sich bis zur kleinsten Schraube den Komponenten des Motors. Weisen Unterschiede auf, zum Beispiel bei den verschieden Sport- und Rennauspufftypen und unterstreichen mit den Leistungsdiagrammen deren Unterschiede.
Unzählige Originaldokumente aus dem Porsche Archiv und die kompetenten Ausführungen zu den vielen Einzelteilen (der Hirth-Welle zum Beispiel) bereichern diese auf den ersten Blick trockene Auflistung von Explosionszeichnungen und werden dem Carrera-Interessierten viel aufschlussreiches Material zur Hand geben.
Das 7. Gebot: Du sollst ihn erfahren.
Motoren halten es gemeinhin so, dass sie an Fahrzeugen von aussen nur schlecht zu sehen sind. Von der Karosserie größtenteils oder ganz abgedeckt, verweisen die Typenbezeichnungen auf die mehr oder weniger spektakuläre Antriebsquelle. Umso besser, wenn einem Buch es gelingt, diese Abdeckung mal zu lüften und einem Motor in den Mittelpunkt zu stellen.
Das gelingt durch Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern, einer technisch detaillierten Beschreibung, nicht zuletzt aber durch die aufwändigen und beispielhaften Ausführungen zu den Renneinsätzen des Motors. Indem Erfolge und Rückschläge nicht nur erzählt, sondern auch im Nachhinein analysiert und eingeordnet werden.
Das 8. Gebot: Du sollst nicht vergessen.
Entwicklung, Konstruktion, Renneinsatz, all das kann dieses Buch bieten. Bis zur Annäherung in zahllose Bilder, Tabellen und Explosionszeichnungen. Weil das aber nicht zu genügen schien, zählt das Buch in seitenweisen Tabellen die Fahrzeuge auf, in denen der Carrera-Motor verbaut wurde. Sauber geordnet nach Typen, Fahrgestellnummern.
Damit das auch nicht zu langweilig wird, sind natürlich auch die Daten der Herstellung des Wagens, der Karosseriebauer, der Getriebenummern und natürlich Aussenfarbe und Posterfarbe mit aufgeführt. Zur Abrundung dienen Bemerkungen zu jedem einzeln aufgeführten Porsche mit Fuhrmann-Motor. Auf das keiner vergessen geht.
Das 9. Gebot: Du sollst wissen, wovon Du sprichst.
Dem Vorwort der Autoren folgt das Vorwort des Porsche Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Wolfgang Porsche, doch bevor es mit dem Porträt des Konstrukteurs Prof. Dr. Ing. Ernst Fuhrmann los geht, gibt einen Prolog. Darin widmet sich der oberste Porsche Historiker Dieter Landenberger den Anfängen von Porsche und der Renngeschichte und verdichtet die ersten Jahre von Porsches Absatzerfolgen mit den Ambitionen im Motorsport und der Bedeutung des Fuhrmann-Motors für die Stuttgarter.
In kurzer aber prägnanter Art und Weise zeichnet Landenberger die ideellen, wirtschaftlichen und konstruktiven Linien des Hauses Porsche nach und legt damit das Fundament für das Verständnis um die Bedeutung des Carrera-Motors
Das 10. Gebot: Du sollst nichts unterschlagen.
Die Autoren haben in Zusammenarbeit mit dem Porsche Archiv ein Grundlagenwerk geschaffen. In Gestaltung und Form dem 917er Buch von Walter Näher ähnlich, ergeht es sich auch in der Auflistung von Fakten, Daten und Abbildungen minutiös bis ins Detail.
So lernt man den Farbmix der Produktpalette genauso kennen, wie die Rennergebnisse der Carrera-Motoren in chronologischer Auflistung, dass dabei die Rennplakate nicht fehlen, liegt auf der Hand. Die zahllosen Kommentare, Hinweise und Lösungen vieler spektakulärer Mythen rund um Carrera-Motoren oder Fahrtzeuge mit Carrera-Motoren sind das Tüpfelchen auf dem i.
Fazit: Näher am Motor geht kaum
Kann man einen Motor in einem Buch näher kommen? Man kann. Sprenger und Heinrichs beweisen, dass man mit Kompetenz und umfassenden Material einem Motor ein ganzes Buch widmen kann. Der Rechercheaufwand muss enorm gewesen sein. Allein der Umfang der Unterlagen die im Buch publiziert werden, ist immens von der Zeichnung bis zum Foto. Ob Porträts, Interviews, Statistiken, Abbildungen und Fotos. Alles ausgewählte Objekte, die durch die intelligente Struktur des Buches bestens zur Geltung kommen. Nicht unerwähnt darf dabei die Gestaltung bleiben.
Wie schon erwähnt, lehnt sich das Buch dem Porsche 917 Kompendium an. Und das ist gut so. Seidldesign ist es damit gelungen, die vielen unterschiedlichen Herangehensweisen an der Darstellung des Motors in Text und Grafik in ein nachvollziehbares und vor allem überschaubares Werk zu fassen, das für so manchen Porsche- und Carrera-Enthusiasten damit zu mehr als einem Buch über den Carrara-Motor werden wird. Es wird die Bibel dazu. Amen.
Bibliografische Angaben
- Titel: Der Porsche Carrera-Motor und die frühen Jahre des Porsche Motorsports - vom frühen 356 und dem 550 Spyder bis zum 904 Carrera GTS (1953 bis 1965)
- Verlag: Delius-Klasing
- Auflage: 1. Auflage 2014
- Sprache: zweisprachig (dt./engl.)
- Autoren: Rolf Sprenger und Steven Heinrichs, mit einem Prolog von Dieter Landenberger
- Format: 308 x 245 x 60, gebunden, 840 Seiten, 56 Farb-, 276 s/w-Fotos, 105 farbige und 176 s/w Abbildungen
- Preis € 98,00
- ISBN: 978-3-7688-3750-7
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